Zusammenfassung
Dialektik gilt gemeinhin als eine, meist sogar als die entscheidende Schlüsselkategorie in der Kritischen Theorie Theodor W. Adornos. Adorno charakterisiert sie in den Vorlesungen zur Negativen Dialektik sogar als Äquivalent seiner Theorie: „Ich würde denken, die beiden Termini Kritische Theorie und Negative Dialektik bezeichnen das gleiche.“ (VND: 36)
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Notes
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Das bedeutet allerdings nicht, dass einer der beiden Horizonte bruchlos und unvermittelt postuliert oder dem Allgemeinen geradewegs entnommen werden könnte. Die Konzeption von Vermittlung in der Kritischen Theorie geht selbst noch in die Kategorien ein, die als Modell der Kritik bzw. Befreiung herangezogen werden.
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Dem folgt die Annahme, dass die größten Missverständnisse und theoretischen Fehler behoben werden müssten und könnten. Daher müsse an notwendigen Korrekturen, Ausdifferenzierungen und Weiterentwicklungen gearbeitet werden. Der Mehrwert einer solchen Rezeption besteht auch darin, dass zugleich die Aufteilung und Verwaltung des kritisch-theoretischen Erbes geregelt wird. Pointiert hat Heinz Steinert diese Geschichtsschreibung als ‚Familienroman‘ der Kritischen Theorie dekonstruiert (Steinert 2007: 152 ff.).
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„Vom Denkenden heute wird nicht weniger verlangt, als daß er in jedem Augenblick in den Sachen und außer den Sachen sein soll – der Gestus Münchhausens, der sich an dem Zopf aus dem Sumpf zieht, wird zum Schema einer jeden Erkenntnis, die mehr sein will als entweder Feststellung oder Entwurf. Und dann kommen noch die angestellten Philosophen und machen uns zum Vorwurf, daß wir keinen festen Standpunkt hätten.“ (MM: 83)
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„Über den zugleich unmittelbaren und vermittelten Charakter des Anfangs der Theorie hat Marx als Dialektiker sehr intensiv nachgedacht – orientiert offenbar an dem, was Hegels berühmter Abschnitt ‚Womit muß der Anfang in der Wissenschaft gemacht werden?‘ darüber sagt […]. Dogmengeschichtlich beschlagen wie selten einer weiß Marx genau, daß auch sein warenanalytischer Ausgangspunkt (Arbeit als konkrete und abstrakte, Gebrauchswert und Tauschwert setzende Tätigkeit) keineswegs nur seiner zweckmäßigen Wahl oder der Beschaffenheit (und realen Genese) seines Forschungsobjekts entspringt, sondern ebenso dem ‚allgemeinen Gang‘ der politisch-ökonomischen Wissenschaft.“ (Schmidt 1971: 61, Fn.2)
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Bis in die Einzelheiten hinein buchstabiert Adorno die individuellen, sozialen, intersubjektiven, intrasubjektiven, unbewussten und sprachlichen Repressivsten und Deformationen des Subjekts aus (vgl. v. a. MM).
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Dass im Tauschbegriff auf diese Weise ungleichnamige Konzepte und Epochen zusammengezogen werden, kann zurecht auch als Reduktion des Gehalts der Marxschen Analyse kritisiert werden (vgl. Elbe 2008).
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In Müller 2011 habe ich beispielhaft an der Freudschen Psychoanalyse als einer dem Selbstverständnis nach naturwissenschaftlich-positivistischen Theorie diskutiert, inwiefern vermittlungslogische Modelle nicht nur in explizit als ‚kritisch‘ konzipierten Überlegungen nachzuzeichnen sind. Die Freudsche Psychoanalyse weist eine normative Ebene auf, die an der Zurückdrängung ordnungspolitischer, repressiver Momente bei gleichzeitiger Hervorbringung und Unterstützung freiheitstheoretischer, emanzipatorischer Denk- und Handlungsmöglichkeiten orientiert ist. Umgekehrt wäre genauer zu diskutieren, inwiefern sich kritisch gerierende Ansätze auch ordnungspolitische, repressive Momente beinhalten. Eine genauere Betrachtung der jeweils zugrundeliegenden Kategorien von Vermittlung im Blick auf die (verstellten) Autonomiemöglichkeiten der Subjekte dürfte an dieser Stelle zu mehr Klarheit verhelfen.
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Müller, S. (2013). Halbierte oder negative Dialektik. Vermittlung als Schlüsselkategorie. In: Müller, S. (eds) Jenseits der Dichotomie. Frankfurter Beiträge zur Soziologie und Sozialpsychologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02270-9_8
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