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Weckherlin, Georg Rudolf: Das lyrische Werk

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Kindlers Literatur Lexikon (KLL)
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Zusammenfassung

Die angesichts des vor allem in Deutschland und England ausgeübten anspruchsvollen diplomatischen ‚Brotberufs‘ erstaunlich umfangreiche lyrische Produktion des „ältesten Barockdichters“ (E. Ribbat) ist in zwei, noch zu Lebzeiten Weckherlins veröffentlichten Sammlungen vereinigt: Das Erste Buch Oden vnd Gesäng (1618) und Das ander Buch Oden vnd Gesäng (1619) sowie Gaistliche und Weltliche Gedichte (1641 und 1648). Die Verssprache der weltlichen und geistlichen Dichtungen Weckherlins formt sich in der Übergangszeit zwischen Renaissance und Barock und ist in ihrer späteren Entwicklung trotz der geographischen Ferne ihres Autors von den politisch-konfessionellen Verwerfungen des Dreißigjährigen Krieges geprägt. Dieser komplexen (literar-)historischen Position verdankt sich die bis in die Gegenwart anzutreffende Charakteristik des Autors als Außenseiter mehr als seiner einzelgängerischen Weigerung, sich zunächst nicht der epochalen Reform Opitz' anzuschließen. Eine theoretisch-poetologische Begründung dieser Haltung liefert Weckherlin nur bedingt, setzt sich aber beiläufig mit dem im Übergang befindlichen Metrik-System auseinander und preist in einem Sonett (Nr. 160) metaphorisch Opitz' „Orgelstraich“ und „Harpfen klang“. Er fühlt sich selbstbewusst von Anfang an dazu berufen, der deutschen Sprache „reichtumb vnd schönheit khünlich zu vermehren“ (Widmung der ersten Publikation, Triumf, 1616). Noch in seiner vorletzten Sammlung bekräftigt er mit einem Seitenhieb auf das A-la-mode-Wesen diesen kulturpatriotischen Impetus entschieden: Er wolle mittels seiner eigenen Lyrik beweisen, „daß / wan Wir Teutsche vns vnsere Mutter-sprach / so wol als frembde Sprachen / gefallen liessen / vnd dieselbige (als die Frembde die Ihrige) pur vnd zierlich zu reden vnd zuschreiben befleissigten / Wir keinen Völckern nach zu gehen“ befürchten müssten (Vorrede zu den Gaistlichen Weltlichen Gedichten, 1641). Diese Selbstverpflichtung wiegt umso schwerer, als Weckherlin hier als hoher Staatsfunktionär am Londoner Hof spricht. Er äußert sich zudem als sensibler linguistischer Experte – das Ausland werfe dem Deutschen grundlos „nohturft vnd rawheit“ (1616) vor und stoße sich an der „zusamen zwingung“ von Lauten, Silben und Wörtern (1641) –, der zweifellos Opitz' Postulat schon früher in die eigene Dichtungspraxis hätte übernehmen können. Er hat indes die latente Gefahr der Monotonie bei strikter Regelmäßigkeit des zumal alternierenden Versbaus erkannt (1641), der der Neuerer selbst nicht immer entgeht. Doch ein ebenbürtiger, allenfalls von der Wucht der metrisch-prosodischen Reform zeitweilig abgedrängter Neuerer, freilich auf stilistisch-gehaltlichem Gebiet, ist Weckherlin ebenfalls. Mit der Natürlichkeit des Tons und der Motivik seiner säkularen Gedichte, die sich des teils höfischen, teils bukolischen Repertoires des Humanismus und der Renaissance, etwa der Pléjade, bedienen, sticht der verbürgtermaßen sinnenfrohe Schwabe seinen ‚preußisch‘-schlesischen Konkurrenten aus. Seine kosmopolitische Schulung auf verschiedenen Sekretärsposten kommt dem polyglotten Weckherlin dabei zugute. Kennzeichnend für ihn ist beispielsweise eine variable Rhythmisierung, die bei anderen Dichtern der ‚austerity‘ der Opitz'schen Takt-Ordnung zum Opfer zu fallen droht. Zeichen virtuoser Sprachsouveränität sind auch die Verse im heimischen Dialekt, die sich reizvoll von dem vornehmen Timbre der heroischen Hoffest-Darstellungen abheben. So hält Karl Heinrich Jördens in seinem Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten (Bd. 5, 1810) keineswegs nur aus romantischem Überschwang formalistisch gesinnten „Kunstrichtern“ entgegen: Trotz augenfälliger metrischer Schwächen sei und bleibe „ein körnigter Ausdruck, Neuheit der Bilder, Schwung der Phantasie bei Zartheit der Empfindung der durchaus nicht zu verkennende Charakter der Weckherlinischen Gedichte“. Der Kritiker kann sich auf illustre Vorgänger wie Johann Joachim Eschenburg und Johann Gottfried Herder berufen; und in seinen Berliner Vorlesungen zählt August Wilhelm Schlegel Weckherlin neben Paul Fleming sogar zu den „unstreitig [...] bedeutendsten Dichter[n] der ganzen Periode [...]“. Der ubiquitären Reaktion auf Opitz' Innovation steht zeitgenössisch immerhin die Aufnahme von acht auch im (konfessions-)politischen Sinne als repräsentativ empfundenen Gedichten Weckherlins in Julius Wilhelm Zincgrefs Anthologie Auserlesene Gedichte Deutscher Poeten (1624) gegenüber. Pejorative Konnotationen von Weckherlins Etikettierung als Einzelgänger sind damit umgepolt. Zwar erschließt sich die individuelle Leistung des Autors nicht in allen Gedichten, tritt aber zuweilen unter funktionsgeschichtlichem Aspekt subtil hervor: Exemplarisch für Weckherlins politisches Opus erweist sich der hunderteinstrophige hymnische Nekrolog auf den Schwedenkönig Gustav Adolf als janusköpfig-modern, indem er die beibehaltenen Normen des konventionellen, in den Oden vielfach erprobten Genres des Fürstenlobs der aktuellen Lage des protestantischen Lagers nach Lützen authentisch-wirklichkeitsgesättigt und verhalten agitatorisch anpasst (E. Ribbat).

Ursprünglich veröffentlicht unter © J.B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH

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Bibliographie

Literatur

  • E. Ribbat: ‚Tastend nach Autonomie‘. Zu G. R. W.s Geistlichen und weltlichen Gedichten, in: Rezeption und Produktion zwischen 1570 und 1730, Hg. W. Rasch u. a., 1972, 73–92.

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  • E. Ribbat: G. R. W., in: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk, Hg. H. Steinhagen/B. v. Wiese, 1984, 74–89.

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  • N. Kaminski: Ex Bello Ars oder Ursprung der ‚Deutschen Poeterey‘, 2004.

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Haberkamm, K. (2021). Weckherlin, Georg Rudolf: Das lyrische Werk. In: Arnold, H.L. (eds) Kindlers Literatur Lexikon (KLL). J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05728-0_19541-1

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  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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