Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Bedeutung von Übersetzungen für die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie. Dabei werden unterschiedliche Untersuchungsebenen für eine systematische Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Übersetzung im Zusammenhang mit der Soziologiegeschichtsschreibung ausgearbeitet und beispielhaft behandelt. Neben einer Problematisierung des Begriffsübersetzens werden auch die Übersetzung kanonisierter AutorInnen sowie Übersetzung als Indikator für internationale Reputation diskutiert. Schließlich werden die Verlagsarbeit und die damit einhergehende Praktik der Herausgeberschaft als leitende Elemente für die Einbettung fremdsprachiger Texte in die deutschsprachige Soziologie diskutiert, und einige dominante Übersetzungsmuster in der Geschichte der deutschsprachigen Soziologie identifiziert.
Notes
- 1.
Eine Übersetzung ins Englische wurde 2013 veröffentlicht Cassin (2013).
- 2.
Siehe dazu auch den Beitrag von Oliver Römer „Die Rolle von Verlagen für die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie“ in diesem Band.
- 3.
Für das Deutsche vgl. etwa Boike Rehbein „Die Rezeption Bourdieus im deutschsprachigen Raum“ in diesem Band.
- 4.
Zugleich muss man anmerken, dass aus soziologiegeschichtlicher Perspektive die Auseinandersetzung mit nicht übersetzten, jedoch rezipierten, AutorInnen von ebenso großem Interesse wäre. Übersetzung ist wohl ein Maß für Reputation, Anerkennung in „fremden“ nationalen Kontexten kann jedoch auch weitgehend ohne Übersetzung auskommen.
- 5.
Siehe dazu den Beitrag von Werner Reichmann „Quantitative Zugänge zur Geschichte der Soziologie“ im Band 2 dieses Handbuchs.
- 6.
Die Auswahl basiert auf dem online-Lexikon „50 Klassiker der Soziologie“ (siehe: http://agso.uni-graz.at/lexikon/) und den darin genannten deutschsprachigen SoziologInnen. Ergänzt wurde die Liste mit einer Auswahl weiterer häufig übersetzter zeitgenössischer SoziologInnen. Die Disziplinszugehörigkeit wurde hier relativ weitläufig definiert. Jürgen Habermas wird gemeinhin eher als Philosoph verstanden, jedoch zugleich als Soziologe rezipiert.
- 7.
Die Details zu Übersetzungen aus Drittsprachen sind mit Vorsicht zu interpretieren, da der Index hier fehleranfällig ist. So werden Übersetzungen, die in Sammelwerken enthalten – und zufällig im Index auffindbar – sind, oft als Übersetzungen aus Drittsprachen kodiert, da ein Großteil der Beiträge aus dieser Drittsprache stammen.
- 8.
Auf die Definition von Sprache soll hier nicht weiter eingegangen werden. Man könnte bei der Differenzierung der Sprachen im Index auch von Sprachgruppen sprechen, da hier z. B. nicht zwischen unterschiedlichen Formen des Deutschen oder Englischen unterschieden wird.
- 9.
Vergleicht man diese Zahl mit den exakter recherchierten Zahlen von (Sapiro und Bustamante 2009), wird schnell klar, dass die Anzahl Übersetzungen durch Neuauflagen nach oben hin verzerrt ist, die Anzahl Sprachen jedoch weitestgehend übereinstimmt. Sapiro/Bustamente haben, für einen längeren Zeitraum, nämlich von 1958–2008, 347 übersetzte Titel in 34 Sprachen.
- 10.
Der Text bezieht sich hier auf die Übersetzung von Forschungsprodukten – seien diese empirischer oder theoretischer Natur – und deren Darstellung in Textform. Ein weiterer Ansatz wäre die Auseinandersetzung mit der Verwendung von Übersetzung in der Forschungspraxis, beispielweise in Befragungssetting, bzw. auch bei der Präsentation von Ergebnissen, d. h. wie wird mit fremdsprachigen Materialen in soziologischen Berichten umgegangen. Auch dies könnte in historischer Perspektive aufgearbeitet werden. (siehe z. B. (Gawlewicz 2014; Bolaños-Medina und González-Ruiz 2012; Enzenhofer und Resch 2011)).
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Schögler, R. (2016). Die Rolle von Übersetzungen für die internationale Rezeption der deutschsprachigen Soziologie. In: Moebius, S., Ploder, A. (eds) Handbuch Geschichte der deutschsprachigen Soziologie. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-07998-7_35-1
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