Zusammenfassung
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1.
Die chondralen apophysären Ansatzgebiete können während der Entwicklung aus hyalinknorpeligem oder faserknorpeligem Gewebe aufgebaut sein. Der Endzustand ist in beiden Fällen die parallelfaserige faserknorpelige Ansatzstruktur.
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2.
In den chondralen Ansatzstrukturen können zur Skelettoberfläche parallel orientierte Netze vorhanden sein, wie sie für die periostalen Ansatzstrukturen beschrieben wurden. Diese Netze treten mitunter erst innerhalb des Ansatzknorpels auf. Sie entstehen dann entweder durch Verflechtung der im Knorpel auseinanderweichenden Fasern oder durch Eintritt der Fasern in den Knorpel von verschiedenen Seiten her.
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3.
Die aus parallelfaserigem Faserknorpel aufgebaute Ansatzstruktur wirkt als Elastizitäts- oder Dehnungsbremse. Die Festigkeitslehre sagt aus, daß jede Längsdehnung, d. h. hier in Richtung der Sehnenfasern, mit einer Querkürzung senkrecht dazu verbunden ist. Bei Einschränkung der Querkürzung wird auch die Längsdehnung herabgesetzt. Die Querkürzung wird durch die zwischen den Kollagenfasern liegenden chondroiden oder vesikulösen Zellelemente eingeschränkt.
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4.
Der hyaline Knorpel der Apophysen ist nach Schaffer ein sog. sekundärer Knorpel. Er unterscheidet sich auch morphologisch von dem primären Skelettknorpel. Der Ansatzknorpel ist ein hyaliner Knorpel mit vielleicht etwas geringerer Maskierung der Kollagenfasern. Im Gegensatz zum druckelastischen sog. echten Knorpel handelt es sich beim Ansatzknorpel um einen zugelastischen Knorpel, der als Dehnungsbremse wirkt. Die Fasern bilden rhombische Gitter, in deren Maschen sich die Zellen in solitärer Lage befinden. Die Möglichkeit, mit demselben Grundmaterial ein druck- oder zugelastisches Gewebe aufzubauen, ist durch den vorliegenden Verbundbau gegeben. Den verschiedenartigen Aufgaben beider Knorpelarten entsprechen die morphologischen Unterschiede.
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5.
Die Osteogenese im Bereich chondraler Ansätze vollzieht sich auf 4 verschiedenen Wegen. Eine typische oder wenig veränderte enchondrale Osteogenese findet an den Stellen statt, an denen später spongiöse Räume vorhanden sind. Mit histogenetischen Vorgängen sind hier organogenetisehe verbunden. Mit der enchondralen Osteogenese örtlich kombiniert oder für sich allein tritt eine Umprägung oder Umdifferenzierung von Knorpel- zu Knochengewebe, eine sog. Metaplasie, auf, und Zwar dort, wo die histogenetischen Vorgänge im Vordergrund stehen. Bei parallelfaserigen faserknorpeligen Ansätzen erfolgt eine Verknöcherung, durch die ein Einstrahlungsknochen gebildet wird, der sich von der Ansatzstruktur voraussichtlich zunächst nur durch eine anders geartete Interzellularsubstanz unterscheidet. Eine letzte Verknöcherungsform erscheint als eine abgewandelte periostale unter Vorbildung von Fasern, die zuvor aus hyalinem Knorpel demaskiert werden.
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6.
Die Betrachtung der geweblichen Verhältnisse an den chondralen Ansätzen führt zu der Vorstellung, daß die Skelettzellen pluripotente Elemente sind. Je nach korrelativer Lage im Skelett und nach Lebensalter bilden sie verschiedenartige Interzellularsubstanzen bzw. steuern wahrscheinlich deren Umprägung oder Umdifferenzierung.
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7.
Zwischen der genetischen Kontinuität und Folge und dem systematischen Einteilungsgrund bei den Geweben muß unterschieden werden. Für eine systematische Gliederung der Gewebe können morphologische, festigkeitstheoretische (Funktion, Leistung) usw. Gesichtspunkte gewählt werden. Eine auf diesem Wege entwickelte Rangordnung ist für die tatsächlich auftretende genetische Folge nicht maßgebend.
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8.
Die Ansatzstrukturen bestehen aus einem Gewebe eigener Art und sind nicht als Mischgewebe zu beschreiben. Als Gewebeformen der Ansatzstrukturen werden der Einstrahlungs- oder Zugknorpel und der parallelfaserige Faserknorpel unterschieden. Als Einstrahlungsknochen treten ein chondroider Einstrahlungsknochen und ein parallelfaseriger chondroider Einstrahlungsknochen auf. Die Ausbildung der endgültigen Knochenstruktur erfolgt erst in der Tiefe des Skelettstückes.
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9.
Die Ansatzorgane besitzen mehr oder minder deutlich abgegrenzte Wachstumszonen, die der encoche d'ossification gleichzusetzen sind. Die Zellen dieser an Interzellularsubstanz armen Gebiete zeigen ihre Pluripotenz dadurch an, daß sie nach den verschiedensten Richtungen differente Formen von Stützgewebe aufbauen.
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Die Untersuchung erfolgte mit Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft.
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Knese, KH., Biermann, H. Die Knochenbildung an Sehnen- und Bandansätzen im Bereich ursprünglich chondraler Apophysen. Zeitschrift für Zellforschung 49, 142–187 (1958). https://doi.org/10.1007/BF00324425
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