Zusammenfassung
Die sozialwissenschaftlichen Analysen der Freizeitsituation moderner Industriegesellschaften führen zu einem widersprüchlichen Bild. Einerseits sind — wenn auch in den letzten Jahren deutlich vorsichtiger und differenzierter — die entwickelten westlichen Industriegesellschaften und insbesondere die BRD als „Freizeitgesellschaften“ beschrieben worden. Andererseits steht diesem Entwurf die konterkarierende These von der „Gesellschaft ohne Zeit“ (Rinderspacher 1985) gegenüber.
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Literatur
Der Terminus der Zeitzerstörung, der Aneignung von Zeit als Gegenwartsdiagnose ist zentral in dem von R. Zoll (1988) herausgegebenen Sammelband “Zerstörung und Wiederaneignung der Zeit”.
Vgl. hierzu: Bardmann 1986; Bergmann 1983; Elias 1984; Grabow/Henkel 1986; Heinemann/Ludes 1978; Institut für Landes-und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalten, Band 1, Band 8 und Band 17; Luhmann 1971; Müller-Wichmann 1984; Nowotny 1989; Zoll 1988. sozialwissenschaflichen Fragestellung werden, der es nicht nur theoretisch, sondern gerade auch empirisch nachzugehen gilt.3
So fordert Zühlke in der Einleitungsschrift des Sammelberichts “Handlungsfeld Freizeit II - Zeitpolitische Fragestellungen: ”Zeitpolitik muß bei den realen Bedürfnissen der Menschen ansetzten. Deshalb ist es notwendig, die tatsächliche Zeitstrukturierung und Zeitverwendung sowie die Bedürfnislage einzelner Individuen und Gruppen empirisch zu messen“ (Institut für Landes-und Stadtentwicklungsforschung des Landes NRW 1988: 10, H. v. m.).
Die Begriffe “Zeitsouveränität” und “Zeitautonomie” meinen im Prinzip dasselbe und werden hier als austauschbar verstanden. Den Begriff der Zeitsourveränität, der vor allem seine große Bedeutung in der Diskussion um flexibilisierte Arbeitszeitregelung gewonnen hat, halte ich gegenüber dem Begriff der Zeitautonomie für etwas unglücklich gewählt, weil er zu stark den Aspekt der absoluten Kontrolle des Individuums über Zeit betont und damit dem relativen Charakter der Einbindung des einzelnen in eine soziales Gefüge der Zeitregelungen nicht auf den ersten Blick Rechnung trägt. Dennoch werde ich ihn der allgemeinen Konvention folgend in dieser Arbeit vor allem im Kontext der Thematisierung von Erwerbsarbeitszeitregelungen benutzen.
Vgl. hierzu: Buddrus et al. (Herausgebergruppe Freizeit) 1980; Heimken 1989.
Küng (1971) beispielsweise definierte die Freizeitgesellschaft als dann realisiert, wenn mehr als die Hälfte der Woche zur freien Verfügung stehe (3-Tage-Woche). ( In: Nahrstedt 1980: 26 ).
Offe und Heinze sprechen von dem Wirken “der Logik der Landnahme der kapitalistischen Entwicklung”. Gemeint ist damit die - sich auch schon bei Schelsky andeutende strukturelle Not-
Giegler 1982, Tokarski/Schmitz-Scherzer 1985, Vester 1988. Neuere Untersuchungen zeigen, daß persönliche Sinnerfüllung sowohl im Arbeits-als auch im Freizeitbereich sehr bedeutsam ist (Hradil 1987 und Opaschowski 1993 ).
Vgl. Adorno 1969; Lenz-Romeiß 1974; Prahl 1977; Heimken 1989.
Ein Beispiel: Beim Kauf von Möbeln ist es heute für breite Käuferschichten zur notwendigen Verpflichtung geworden, auf die mittlerweile sehr teuere Dienstleistung der Anlieferung und Montage der Möbel zu verzichten und diese selbst zu übernehmen. Hier fällt also zusätzliche notwendige Arbeit an, die der Freizeit entzogen wird.
Prahl (1977) erläutert das Reiseverhalten der Bundesdeutschen wie folgt: “Während längere Reisen noch vor wenigen Jahrenzehnten zum Privileg einer kleinen gesellschaftlichen Minderheit zählten, steht die Urlaubsreise seit zwei Jahrzehnten scheinbar allen Gesellschaftsschichten offen. Der Massentourismus ist offenbar zum Durchbruch gekommen. Trotz gewachsener Reiseintensität der BRD-Bevölkerung können die empirischen Daten die These vom Durchbruch des Massentoursimus nur ungenügend belegen: denn von den rund 45 Millionen Bundesdeutschen über 14 Jahre sind 1975 nur etwa 25 Millionen für fünf oder mehr Tage verreist, während 20 Millionen überhaupt keine Urlaubsreise gemacht haben.” (Prahl 1977: 108)
Im folgenden werden einige Grundüberlegungen zum Thema “Zeit” skizziert, die dann im Kapitel 2 noch ausführlicher behandelt werden.
Hradil (1987: 28) kommt in Erörterung “alter” und “neuer” sozialer Ungleichheiten zur Schlußfolgerung, daß “große Teile der (...) erörterten Struktur sozialer Ungleichheit entweder überhaupt keine ins Gewicht fallende Veränderungen aufweisen (Prestige, Haushaltseinkommen), oder aber Veranderunge durch Gegenbewegungen aufgewogen werden (wie verbesserte Bildungschancen durch die Bildungsinflation oder die Konzentrationstendenz auf die mittleren Einkommens-und Vermögensränge durch den größeren Abstand zwischen Arm und Reich” (H. v. m.). Für die Diskussion um Lebensstile stellt Schwengel (1988: 60) fest: “ (...) Lebensstil ist als Scheitelpunkt eines erneuten Individualisierungsschubes interpretierbar, der, wie schon seine Vorgänger, kapitalistisch-demokratische Gesellschaften seit 100 Jahren prägt. Individuierung ist dabei nicht nur als Freisetzung aus traditionalen Bindungen, als ‘De-Traditionalisierung’, zu verstehen, sondern auch und vor allem als Bildungsprozeß neuer Verbindlichkeiten. Im Lebensstil wird Modernität in die Dichte der Mentalitäten eingearbeitet, unter Konflikten und Brüchen und mit ungewissem Ausgang.”
Vgl. hierzu: Institut für Landes-und Stadtentwickungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), 1988: Handlungsfeld Freizeit ll - Zeitpolitische Fragestellungen, Band 1, Dortmund.
Vgl. hierzu auch Heimken (1989), der entwickelte Industriegesellschaften ihres Anspruchs, “Freizeitgesellschaften mit emanzipatorischem Charakter” zu sein, entkleidet und sie stattdessen kennzeichnet als Gesellschaftstyp der “konkurrenzbetonten Freizeitgesellschaft”.
In diesem Zusammenhang ist auf die Arbeit von Maurer (1992) zu verweisen, die eine explizit historische Perspektive verfolgt, um die Phänomene von Zeitknappheit und Zeitökonomie als die zentrale Zeitprinzipien moderner Industriegesellschaften am Beispiel der industriellen Arbeitszeit herauszuarbeiten.
Im Projekt “Zeitverwendung und Lebensstile” wurden Versuche eines Vergleichs von Zeitbudgetdaten aus dem Jahr 1966 (Szalai 1972) mit der vorliegenden Erhebung (Herbst 1988) unternommen. Hierbei stellte sich jedoch alsbald die mangelnde Vergleichbarkeit beider Datensätze heraus (Vgl. Lüdtke 1992a). Meines Wissens ist die Untersuchung von Lakemann (1984) der umfassendste Versuch, dem Wandel von Zeitverwendungsmustern nachzugehen. Er schildert ausführlich die methodischen Schwierigkeit, die mit der Situation mangelhafter Vergleichsdaten, die der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Zeit zur Verfügung stehen, einhergehen.
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Benthaus-Apel, F. (1995). Einleitung: Freizeitgesellschaft ohne Zeit?. In: Zwischen Zeitbindung und Zeitautonomie. DUV: Sozialwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14519-6_1
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