Zusammenfassung
Inzwischen ist es eine Binsenweisheit, daß 1989 eine Epoche zu Ende gegangen ist. Die spätestens im Prager Frühling 1968 aufgebrochene Legitimationskrise des Realsozialismus schleppte sich hin, bis er unversehens implodierte. Das sozialistische Lager und dann auch die Sowjetunion zerfielen. Dieser tektonische Umbruch verlieh demokratischen Emanzipationsbewegungen mächtig Auftrieb. Was zuvor als monolithischer Block erschien, von Moskau notfalls manu militari bei der Stange der „allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des Marxismus-Leninismus“ gehalten, differenzierte sich nun mit jener Beschleunigung der Zeit, die revolutionäre Umbrüche charakterisiert. Der ungestüme Aufbruch zur Demokratisierung hat freilich auch die Pandorabüchse des alteuropäischen Nationalismus wieder geöffnet. Aus ihr entwichen schon bald dessen aus der Geschichte sattsam bekannte Übel: ethnonationalistische Mobilisierung, kollektivistische Zurechnung und chauvinistischer Haß, Gewalt gegen Minderheiten und Sezessionismen. Am Ende unseres Jahrhunderts kehren jene barbarischen Praktiken wieder, die an seinem Beginn in die europäische Politik eingeführt wurden: Menschen werden einzig deshalb unterdrückt, vertrieben, massakriert und vernichtet, weil sie „anders“ sind. Was man früher Zwangsumsiedlung, Vertreibung, „Bevölkerungstransfer“ oder „ethnische Flurbereinigung“ nannte, dafür hat sich inzwischen das Unwort „ethnische Säuberungen“ eingebürgert.
„Das Zeitalter des Nationalismus ist die erste Epoche mit einer universalen Geschichte.“ Hans Kohn, Die Idee des Nationalismus, Heidelberg 1950
„Der Nationalismus, dieser großartige Gesang, der die Massen gegen die Unterdrücker aufwiegelte, löst sich unmittelbar nach Erreichung der Unabhängigkeit auf. (...) Wenn der Nationalismus nicht erklärt, bereichert und vertieft wird, wenn er sich nicht sehr rasch in politisches und soziales Bewußtsein, in Humanismus verwandelt, dann führt er in eine Sackgasse.“
Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Reinbek 1969
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Schoch, B. (2000). Nationalismus — Überlegungen zur widersprüchlichen Erfolgsgeschichte einer Idee. In: Siegelberg, J., Schlichte, K. (eds) Strukturwandel internationaler Beziehungen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11562-5_8
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