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Lassen sich Abduktionen strategisch herbeiführen?

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Die Abduktion in der qualitativen Sozialforschung

Part of the book series: Qualitative Sozialforschung ((QUALSOZFO,volume 13))

  • 214 Accesses

Zusammenfassung

Das sind die zentralen Bestimmungen von Abduktionen, und nimmt man diese ernst, dann muss man zu dem Ergebnis kommen, dass die abduktive Entdeckung von Neuem entweder auf den blinden Zufall, ein glückliches Schicksal, einen gütigen Gott, eine wohl gesonnene Evolution oder eine besonders günstige Gehirnphysiologie angewiesen ist. Wenn eine dieser Möglichkeiten zuträfe (und Peirce bringt alle einmal ins Spiel), dann läge auch die Vermutung nahe, Wissenschaft als systematisches Unternehmen wäre entweder zum Scheitern verurteilt, oder doch recht uneffektiv. Man könnte sich allenfalls vorstellen (und das in der Geschichte ja auch getan worden), dass einige Menschen mit spezieller (auch genetischer) Ausstattung, einen bevorzugten Zugang zu neuen Kenntnissen hätten. Eine weitere Konsequenz dieser Bestimmung des abduktiven Schlussfolgerns wäre, dass man auf spezifische Methoden der Erkenntnisgewinnung und auch deren Unterrichtung verzichten könnte. Anything goes. Forsche wie du willst! Wenn der Blitz der Erkenntnis nicht herbei zu zwingen ist, dann tue irgendetwas: vielleicht springt der Funke, vielleicht auch nicht. Und für diese Position lassen sich mühelos Vertreter finden (z.B. Feyerabend 1981).

But the scientific spirit requires a man to be at all times ready to dump his whole cartload of beliefs, the moment experience is against them. Charles Sanders Peirce

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Literatur

  1. „The abductive suggestion comes to us like a flash. It is an act of insight, although of extremely fallible insight“ (Peirce — CP 5.181 — 1903).

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  2. Die hier variierte Volksweisheit aus der Eifel, die jedem Kind dort früh einbläut wird, lautet: „Vor Eichen musst du weichen und Buchen musst Du suchen!“

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  3. Übersetzung von mir. Zurückgegriffen habe ich dabei allerdings auf eine Übersetzung in Grathoff 1989: S. 271f.

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  4. Im Anschluss an die Überlegungen des letzten Kapitels wäre vielleicht besser, statt von der ‚Gültigkeit der Vermutung‘ von der ‚Brauchbarkeit‘ zu sprechen. Denn die regulative Norm, die hinter diesen Überlegungen zu finden ist, bezieht sich eher auf die pragmatische Nützlichkeit als auf Wahrheit. In diese Richtung weist auch die benutzte Metapher vom Schlüssel und dem Schloss. Der Schlüssel, der passt und Verschlossenes öffnet, will nichts abbilden, sondern vor allem Handlungsschranken beseitigen.

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  5. Wie sehr Peirce (vor allem in den späten Jahren) von der Güte des angeborenen Körperwissens überzeugt war, belegt folgendes Zitat: „Die wichtigsten Fakten wußte man immer schon, nämlich daß der Instinkt selten irrt, während die Vernunft fast in der Hälfte aller Fälle irre geht, wenn nicht noch häufiger“ (Peirce 1976: 459 — CP 5.445 — 1905). Woher Peirce allerdings die relativ genauen Zahlen hat, bleibt unklar.

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  6. Gemeint ist der in ‚The Hound and Horn‘, 2, S. 267–282 veröffentlichte Text ‚Guessing‘ (Peirce 1929). Teile davon — aber nicht die Detektivepisode — finden sich außerdem in Peirce CP 7.36–7.48. Zu den verschiedenen Versionen dieser Ereignisse um die gestohlene Uhr siehe auch Dauben 1995: 147ff und 188f. Hookway nennt diese Arbeit ein „curious paper“ und eine „far-fetched autobiographical detective story“ (Hookway 1985: 225). Eine ausführliche Darstellung und Deutung dieser Episode haben Sebeok & Umiker-Sebeok 1985 und Sebeok 1981 vorgelegt. Sie unterstellen in ihrer Untersuchung die Authentizität dieser Erzählung und kommen m.E. zu Unrecht zu dem Ergebnis, Peirce und Sherlock Holmes schlussfolgerten auf die gleiche Weise. Sie übersehen dabei, dass Peirce mit seiner Geschichte den unbewussten und nicht begründbaren Vorgang des Schlussfolgerns besonders herausarbeitet, während dagegen Holmes seine Schlussfolgerungen nicht nur bewusst tätigt, sondern sie auch zumeist seinem erstaunten Mitstreiter Watson benennen kann (vgl. hier Reichertz 1988b und 1991b). Gegen die These, dass der Detektiv Sherlock Holmes abduktiv folgert, wendet sich auch Richter: „Allerdings möchte ich kritisch anmerken, daß in den genannten Interpretationen ein als weitgehend einheitlich vorgestelltes Konzept der Abduktionslogik vorausgesetzt wird, das sich in dieser Form bei Peirce nicht belegen läßt“ (Richter 1995: 126). Peirce selbst, dem die Geschichten von Holmes durchaus bekannt waren, kennzeichnet die Logik des englischen Privatdetektivs als deduktiv, denn er habe eine „habit of making deductions from minor circumstances“ (Peirce CP 7.256 — 1901). Nicht ganz so groß wie die Gemeinde derer, welche insbesondere die englischen Privatdetektive für die paradigmatischen abduktiven Schlussfolgerer halten, ist die Gruppe derer, die dies auch für die Helden von Karl May, und hier insbesondere für Old Shatterhand und Winnetou reklamieren (vgl. Neumann 1988 und Neuhaus 1987). Manche halten auch die Pfleger/innen im Krankenhaus für abduktiv verfahrende Detektive (vgl. Abt-Zeggelin 2001) .

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  7. Die Übersetzung dieses und aller weiteren Zitate aus Peirce 1929 ist Sebeok & Umiker-Sebeok 1985 entnommen.

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  8. Es gibt eine weitere (nicht weniger poetische, doch inhaltlich gleiche) Anleitung zur Erreichung von musement: „If one who had determined to make trial of Musement as a favorite recreation were to ask me to advice, I should reply as follows: The dawn and the gloaming most invite one to Musement; (...) It begins passively enough with drinking in the impression of some nook in one to the three Universes. But impression soon passes into attentive observation, observation into musing, musing into a lively give and take of communication between self and self. If one’s observations and reflections are allowed to specialize themselves too much; the Play will be converted into scientific study; and that cannot be pursued in odd half hours“ (Peirce CP 6.459 — 1908).

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  9. Eine solche Befreiung vom „Druck der Wahrnehmung“ kann sich aber auch spontan einstellen: „A mass of facts is before us. We go through them. We examine them. We find them a confused snarl, an impenetrable jungle. We are unable to hold them in our minds. We endeavor to set them down upon paper; but they seem to be so multiplex intricate that we can neither satisfy ourselves that what we have set down represents the facts, nor can we get any clear idea of what it is that we have set down. But suddenly, while we are poring over our digest of the facts and are endeavoring to set them into order, it occurs to us that if we were to assume something to be true that we do not know to be true, these affects would arrange themselves luminously. That is abduction (...)“ (Peirce 1992a/II: 531f). Und dann: „Suddenly the idea of the mode of connection, of the system, springs up in our minds, is forced upon us, and there is no warrant for it and no apparent explanation of how we were led so to view it“ (Peirce CP 7.677 — 1903).

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  10. Dennoch eine kleine Skizze, auf welche Bedeutungen die von Peirce gewählte Metapher verweist — und das gewiss nicht aus Zufall. Es ist nicht der Atem eines Gottes, sondern der Atem stammt von etwas unterhalb des Göttlichen und zugleich oberhalb des Menschlichen, es ist der Atem des Himmels. Dieser ist Teil der Natur, wenn auch deren (buchstäblich) höherer Teil. Der Atem ist einerseits Lebensäußerung der Natur, und er bringt andererseits (neues) Leben, indem er das Segelboot in Fahrt bringt.

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  11. Ähnlich auch: „But the scientific spirit requires a man to be at all times ready to dump his whole cartload of beliefs, the moment experience is against them“ (Peirce CP 1.55 — 1896).

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Reichertz, J. (2003). Lassen sich Abduktionen strategisch herbeiführen?. In: Die Abduktion in der qualitativen Sozialforschung. Qualitative Sozialforschung, vol 13. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09669-6_4

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-8100-3595-0

  • Online ISBN: 978-3-663-09669-6

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