Zusammenfassung
Zwei Ziele waren für diese Studie leitend: Einmal wurde angestrebt, Wandel und Stabilität der deutschen Sozialstruktur, Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Muster sozialer Ungleichheit zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik entlang „objektiver“ Indikatoren möglichst umfassend zu beschreiben, um dadurch Ansätze einer „Gesamtschau“ zu ermöglichen, die durch methodische (Über-)Spezialisierungen und quasi-disziplinäre Abschottungen zunehmend erschwert werden. Darüber hinaus sollte geklärt werden, ob und in welchem Maße sich darin (noch) klassengesellschaftliche Strukturierungen erkennen lassen, die Prozessen einer mehrstufig und mehrdimensional vorgestellten Klassenbildung Raum geben können. Vor dem abschließenden Versuch, aus dem versammelten Puzzle von Materialien und Deutungsangeboten einige Grundzüge der Entwicklung und Umrisse eines Strukturbildes zu isolieren, muß aber nochmals in Erinnerung gerufen werden werden, daß hier jene Momente von Klassenbildung und Klassenstrukturierung, sozialstrukturellem Wandel und sozialer Ungleichheit im Vordergund standen, die gemeinhin als „objektive“ bezeichnet werden. Die eher „subjektive“ Ebene von Klassenkulturen oder der Arbeiterkultur und der Schwierigkeiten des Arbeiterbewußtseins, „die veränderte Lage zu interpretieren“ (vgl. Kocka 1982; Ritter (Hrsg.) 1979; Schumann 1979), die selbstverständlich „objektive“ Konsequenzen hat, aber auch soziokulturelle Aspekte der alltäglichen „sozialen Wirklichkeit“ von Ungleichheit, der „sozialen Ehre“, der Deutungs- und Legitimationsmuster, der Habitus und Lebensstile, kamen daher kaum in den Blick. Da mit dieser kategorialen Vorentscheidung sicherlich nur ein Teil der Faktoren, die über Möglichkeiten und Chancen der Klassenbildung mitentscheiden, erfaßt werden kann, konnten auch neuere Thesen nicht direkt untersucht werden, die einen „Bedeutungswandel“ von Ungleichheit in der deutschen Nachkriegsgeschichte vermuten und dafür die Auflösung (sub)kultureller kollektiver Identitäten, die differenzierende Kraft soziokultureller Milieus oder ein Auseinandertreten von Handlungs- und Wertwirklichkeit sozialer Ungleichheit verantwortlich machen (Beck 1983, 1984; Hradil 1983a,b; Hondrich 1984). Genausowenig war es möglich, das „Kohärenzparadigma“ Bourdieus, das gegenüber diesen Annahmen von Differenzierung und Pluralisierung eine strikte und notwendige Beziehung zwischen Klassenlagen und Lebensstilen — Systeme klassifizierender und klassifizierter sozialer Praktiken — postuliert (Bourdieu 1976, 1982; vgl. Archer 1983), eingehender zu prüfen. Vielmehr wurde hier „unterhalb“ der „relativen Autonomie“ von Wertorientierungen und Deutungsmustern argumentiert und danach gefragt, wie sozialstrukturelle Wandlungen die Möglichkeitsbedingungen oder „strukturellen Chancen“ (vgl. Dahrendorf 1979:93ff.) der Klassenbildung, die als von kontingenten Bedingungen abhängiger, dynamischer Vorgang aufgefaßt wurde, und die „objektive Wahrscheinlichkeit“ der Klassenstrukturierung der bundesdeutschen Gesellschaft, die ja mit ihrer Kennzeichnung als „kapitalistische“ noch nicht notwendig gegeben ist (vgl. Giddens 1979:340), verändert haben.
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Berger, P.A. (1986). Sozialstruktureller Wandel und Klassen(ent)strukturierung in einer modernen kapitalistischen Gesellschaft. In: Entstrukturierte Klassengesellschaft?. Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Forschung, vol 83. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01689-2_6
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