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Die Neukonstituierung – 1960

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Religionspsychologie

Zusammenfassung

In einem möglicherweise noch stärkeren Maße, als es mit der Gründung der IAPR im Jahre 1914 der Fall gewesen war, ist der zweite Anfang im Jahre 1929 das Werk eines einzigen Mannes gewesen: Während Stählin seine Nürnberger religionspsychologische Arbeitsgemeinschaft und durch sein Studium in Würzburg wenigstens psychologische Kollegen hatte und über Külpe immerhin in der Psychologie vernetzt war, stand Gruehn im fernen Dorpat (dem heutigen estnischen Tartu) auf einsamem Posten. Sein Unternehmen kam einer völligen Neugründung gleich. Zwei Faktoren dürften es gewesen sein, die ihn einen Neuanfang einer Neugründung vorziehen ließen: erstens, die ehemalige Idee Girgensohns, das Archiv für Religionspsychologie zu übernehmen; zweitens, die Wahrung äußerlicher Kontinuität verlieh die Möglichkeit, dem Unternehmen einen historischen Anstrich zu geben und wenigstens auf ein paar große Namen in der Psychologie zurückgreifen zu können und über diese Persönlichkeiten dann andere Psychologen zu gewinnen.

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Notes

  1. 1.

    Ob er diese Personen auch wirklich angeschrieben und eingeladen hat? Flournoy war 1920 gestorben – ob es ihm nicht bekannt gewesen ist?

  2. 2.

    Die Akademie bot eine auf „den evangelistischen Dienst in religiös bedrohten Gebieten“ ausgerichtete evangelisch-theologische Ausbildung, quasi als Parallele und Ergänzung zum theologischen Studium an der Universität Dorpat (s. „Statut der privaten Theologisch-philosophischen Luther-Akademie in Dorpat“ , ESA, Nr. 4377, Liste 1, Ordner 1, Blatt 16). (Das Verhältnis zur theologischen Fakultät war aber gespannt, s. z. B. die Korrespondenz in EHA, Nr. 2100.) Träger war die Akademische Luther-Gesellschaft zu Dorpat, die mit dem 1867 gegründeten Theologischen (Studenten) Verein liiert war (Der Theologische Verein zu Dorpat 1892, S. 1) .

  3. 3.

    Gruehn lehrte wechselnd unter anderem Dogmatik (4 Stunden), Neues Testament (2 Stunden), baltische Ideengeschichte (1 Stunde), Diasporakunde (1 Stunde), Kirchengeschichte (2 Stunden), Ethik (3 Stunden), Theorie des Bolschewismus (2 Stunden). Im „Religionspsychologischen Institut“ bot er jeweils eine Stunde in Religionspsychologie und in Religionspädagogik an (s. „Tätigkeitsbericht“ sowie „Vorlesungsverzeichnis der privaten Theologisch-philosophischen Luther-Akademie in Dorpat“ , ESA, Nr. 4377, Liste 1, Ordner 1, Blatt 22–23). (Religionspsychologie war nie Gruehns alleinige oder vornehmliche Tätigkeit; so bewarb er sich am 28.08.1923 um das Katheder für Neues Testament an der theologischen Fakultät der Universität Dorpat, EHA, Nr. 2100, Liste 2, Ordner 156, Blatt 51a–b.).

  4. 4.

    Nach seiner Berufung nach Berlin hat Gruehn sofort alle Lehre in Dorpat aufgegeben und ist definitiv nach Berlin umgezogen.

  5. 5.

    „[Stolzenburg, Gruehn und Wobbermin] wie alle seit 1934 sonst berufenen Ordinarien waren […] um ihrer ‚Verdienste‘ willen – d. h. weil sie Mitglied der Deutschen Christen oder der/und der NSDAP waren oder sich sonst um „Volk und Staat“ verdient gemacht hatten – nach Berlin geholt bzw. vom Privatdozenten zum Ordinarius erhöht worden“ (Aland 1979, S. 137).

  6. 6.

    6 Johannes Heinrich Schultz (1884–1970) war Psychiater und Vorstandsmitglied etlicher Berufsverbände, unter anderem der Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie und der von Matthias Heinrich Göring (1879–1945), einem Vetter Hermann Görings, geleiteten Deutschen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie. (Schultz war auch dessen Vizedirektor am Deutschen Institut für psychologische Forschung und Psychotherapie sowie Leiter der Poliklinik.) 1959 gründete er die Deutsche Gesellschaft für ärztliche Hypnose. Er wurde bekannt als Entwickler des autogenen Trainings. Mit Gruehn verband ihn eine jahrzehntelange Freundschaft (Schultz 1964, S. 128).

    Am 24. Mai 1925 schrieb Gruehn der theologischen Fakultät in Dorpat, dass ihm „der ehrenvolle Auftrag zu teil geworden, mit Herrn Prof. Dr. J. H. Schultz – Berlin gemeinsam eine Schriftenreihe unter dem Gesamttitel ‚Arzt und Seelsorger‘ herauszugeben“ (EHA, Bestand 2100, Liste 2, Ordner 156, Blatt 69). Tatsächlich wurde diese Reihe aber von Carl Gunther Schweitzer (1889–1965), dem Nachfolger Girgensohns als vom Central-Ausschuß für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche (CA) angestellten Fachreferenten für Apologetik, herausgegeben (vgl. Stahlberg 2001). War eventuelle Rivalität um den Posten des Direktors der Apologetischen Centrale für evangelische Weltanschauung und soziale Arbeit (AC) der Grund, warum Gruehns und Schultz’ Bericht über die Reihe „Arzt und Seelsorger“ im AfRp 1929 so kritisch ausfiel? (Über die AC, s. unter anderem Pöhlmann 2000.)

  7. 7.

    Der in St. Petersburg geborene Eduard Tennmann (1878–1936) war der erste estnische Professor der Theologie in Dorpat. Er veröffentlichte eine „allgemeine Religionspsychologie“ (Tennmann 1936), in der er das Werk Girgensohns und Gruehns sehr kritisch beurteilt (als Nachfolger Girgensohns unterscheide Gruehn sich in seinen Ansichten über Religionspsychologie nicht von diesem, S. 121; die Ergebnisse der Arbeiten Girgensohns und Gruehns seien gering und brächten nichts wirklich Neues, S. 141).

  8. 8.

    Nur ein Beispiel: Den wahrscheinlich auch als Werbung für die Erfurter Tagung der IAPR gemeinten Zeitungsartikel „Was will die moderne empirische Religionspsychologie?“ fängt Gruehn wie folgt an: „Sie will die lebendige Frömmigkeit in all ihren Formen erforschen“ (Thüringer Volkswacht, 16.06.1930; unter dem Titel „Was will Religionspsychologie?“ auch erschienen in: Thüringer Allgemeine Zeitung, 27.06.1930).

  9. 9.

    Die von Gruehn verwendeten Bezeichnungen wechseln: „Forschungsinstitut“ , „Institut für experimentelle Religionspsychologie“ , „Dorpater deutsches religionspsychologisches Institut“ .

  10. 10.

    In seinem Brief vom 27. November 1941 an Dyroff erwähnt Faber, Dyroff nie getroffen zu haben, sich jetzt über die Kontaktaufnahme zu freuen (NLD).

  11. 11.

    Siehe zum Beispiel Rüfner (1968) oder das Lemma in der NDB; der Text Gruehns (1946) muss als problematisch gelten, und vielleicht ist es bedeutsam, dass dessen Herausgeber Szylkarski in keiner Weise später auf ihn zurückgreift.

  12. 12.

    Logisch gesehen kann es natürlich auch sein, dass aus irgendeinem Grund die Information einfach nicht mehr erhalten ist. (Doch an allen Stellen in gleicher Weise?) Nur im NLF befindet sich noch ein Schreiben von Gruehn (vom 01.05.1934).

  13. 13.

    Über Gruehn hatte dieser Theologe-Mediziner Arved Hohlfeld (1869–1932) vielleicht ein Interesse an der Religionspsychologie gehabt, beteiligt hat er sich aber nicht an ihr.

  14. 14.

    14 Von den vier Vortragenden sind Wunderle und Gruehn uns bereits begegnet. Zu Volkelt und Kronfeld, die Bolley (1963, S. 40) allerdings von „den eigentlichen Religionspsychologen“ unterscheidet, nur so viel: Hans Volkelt (1886–1964) war außerordentlicher Professor an der Universität Leipzig, 1926 bis 1930 für Philosophie und Pädagogik, 1930 bis 1945 für Entwicklungspsychologie und Politische Pädagogik. Der Professorenkatalog der Universität Leipzig (Catalogus Professorum Lipsiensis, herausgegeben vom Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Historisches Seminar der Universität Leipzig; Link: http://www.uni-leipzig.de/unigeschichte/professorenkatalog/leipzig/Volkelt_361, Datum: 09.08.2012) nennt als einzige Besonderheit, dass er als überengagierter Nationalsozialist galt.

    Arthur Kronfeld (1886–1941) war ein bekannter Psychiater, Psychotherapeut und Sexualwissenschaftler. In der Bewegung für psychische Hygiene (Psychohygiene) stand er bereits genannten Psychiatern wie R. Sommer und J. H. Schultz nahe. Jüdischer Abstammung, war er 1929 zum evangelischen Glauben konvertiert, widerstand aber den mit C. G. Jung alliierten „deutschen Psychotherapeuten“. Seit 1930 außerordentlicher Professor an der Berliner Universität, wurde ihm 1935 die Lehrbefugnis entzogen, woraufhin er emigrierte. (1937 wurden ihm die Approbation und der Doktortitel aberkannt.) Aus Angst vor einem deutschen Einmarsch in Moskau nahm er sich dort 1941 das Leben.

  15. 15.

    Therese Neumann (1898–1962) aus dem oberpfälzischen Konnersreuth wurde bekannt wegen ihrer Stigmata und weil sie seit etwa 1925 außer der täglichen römisch-katholischen Kommunion keine Nahrung mehr zu sich genommen haben soll. Wunderle hatte immer wieder über den umstrittenen Fall veröffentlicht (Wunderle 1927b, 1938, 1940; s. a. Hasenfuß 1963). 1931 gab er in Verbindung mit dem Benediktiner Alois Mager die Schrift Um Konnersreuth: Neueste religionspsychologische Dokumente heraus, gegen die sich Gehrlich (Gehrlich 1931) wandte.

  16. 16.

    Sie war im Programm für Samstag, den 28 Juni vorgesehen. Ob an jenem Datum ebenfalls eine (und damit also zwei Mitgliederversammlungen) abgehalten wurde? Es ist nicht wahrscheinlich. Die Thüringer Volkswacht vom 03.07.1930 informiert ausführlich über die Tagung am Freitag und Samstag, erwähnt nichts über eine Mitgliederversammlung an diesen Tagen. Allerdings schreibt Sophie Kunert in ihrem Kongressbericht für die Zeitschrift für angewandte Psychologie nach der Erwähnung der Diskussion mit Gehrlich: „Die Mitgliederversammlung der Gesellschaft nahm am folgenden Tage eine Entschließung zu diesem Zwischenfall an, der [sic] in der Presse veröffentlicht werden soll“ (Kunert 1930, S. 378). Da – wie auf der Hand liegt im Fall einer Fachzeitschrift – der Zwischenfall beim Erscheinen ihres Berichts bereits veröffentlicht war, liegt vielleicht ein Irrtum vor, oder wollte sie sagen, dass die Entschließung veröffentlicht werden sollte? Zu einer solchen Veröffentlichung scheint es aber nie gekommen zu sein.

  17. 17.

    Die Erwähnung, dass Faber Vorsitzender geworden sei, muss wohl ein Irrtum sein. Nicht Faber, sondern Fischer wurde – eventuell in absentia? – zum Vorsitzenden gemacht.

  18. 18.

    In einem Schreiben vom 26.09.1957 an den Schweden Benkt-Erik Bentson formuliert Gruehn als das eigentliche Anliegen seiner Arbeit, die Theologie „aus ihrer ungeheuren Lebensfremdheit zu befreien“ . (Religions-)Psychologie erwähnt er mit keinem Wort (Kopie in NLGr.).

  19. 19.

    Alfons Bolley (1898–1989) war ein alter Getreuer Gruehns. Er studierte Theologie und wurde 1926 zum Priester geweiht. Er hat etliches Religionspsychologische veröffentlicht, ist aber – abgesehen von kurzen Perioden als Kaplan – im Wesentlichen als Studienrat tätig gewesen. Stark an Religionspsychologie interessiert, hatte er sich am 8. Dezember 1921 an Girgensohn um Beratung wegen seiner eigentlich unter Lindworsky geschriebenen Forschungsarbeit über das Gebet gewandt (NLG). Er scheint ein ganzes Leben lang mit Gruehn in Verbindung geblieben zu sein, der ihm 1959 noch zu einer Honorarprofessur für Religionspsychologie in Bonn verholfen hat. Er verfasste eine recht hagiographische Abhandlung über Leben und Werk Gruehns (Bolley 1963). In einem Nachruf auf Gruehn im AfRp erwähnt er, offenbar recht euphemistisch, dass Gruehn in den 1930er Jahren seine religionspsychologischen Aktivitäten „etwas zurückstellte“ , unter anderem um „eine ganz anders ausgerichtete ‚Memoirenliteratur‘ auf ihre Echtheit zu prüfen und ‚zeitgenössisch‘ zu kommentieren“ (Bolley 1962, S. 296). Tatsächlich hat sich Gruehn mit den berüchtigten Protokollen der Weisen von Zion (einem Machwerk des russisch-zaristischen Geheimdienstes, in dem die angeblichen Pläne zur Weltherrschaft der Juden dargelegt wurden) und mit den Memoiren des Aron Simanowitsch, des Geheimsekretärs Rasputins, viel Arbeit gemacht. Die Protokolle seien vielleicht nicht uneingeschränkt „echt“ , wohl aber die Memoiren, meinte Gruehn: In den Protokollen „ist die Logik zuweilen abgeschwächt durch nichtjüdische Einschläge und Gedanken. [In den Memoiren aber] haben wir echtes Judentum, wie es leibt und lebt, in seiner ganzen brutalen Skrupellosigkeit, in seiner unverhüllten Geldgier, in seiner einfach unüberbietbaren Gewissenlosigkeit und Verdorbenheit“ (Gruehn 1943, S. 12). Gruehn habe „Satz für Satz“ verglichen und sei zum Ergebnis gelangt: „hier ist ein Kapitel jüdischer Staatsführung durchexerziert nach den Regeln der Weisen von Zion, durchgeführt am Körper eines europäischen Weltreiches“ (Gruehn, 1943, S. 12; gemeint ist Russland, das durch jüdische Manipulationen an den Bolschewismus verfallen sei). Gruehn habe „eingehende Nachforschungen“ angestellt, die ergaben, dass die Memoiren auf geheimnisvollen Befehl hin verschwunden sind, und es „wurde mir die Pflicht klar, das eigenartige Dokument der Vergessenheit zu entreißen. Doch erst der Ausbruch des Krieges und der dadurch erneut unterstrichene Ernst des Judenproblems bewogen mich, andere Aufgaben zurückzustellen und eine möglichst getreue Übersetzung aus dem russischen Original anzufertigen“ (Gruehn 1943, S. 12). Er versah den Text auch mit, wie Bolley sich ausdrückt, „zeitgenössischen“ Anmerkungen. 1941 war das Manuskript fertig, gedruckt wurde es 1943. Die Privatbibliothek des Dr. Paul Joseph Goebbels enthielt ein Exemplar.

  20. 20.

    „[Ein] Mann, tiefblickend und stark genug, das teuflische Gespenst [Juden] zu durchschauen und – rechtzeitig vorzubeugen“ (Gruehn 1943, S. 12).

  21. 21.

    Gruehn soll auch noch einen neuen Plan für einen Kongress der IAPR 1936 ausgearbeitet haben, doch wurde dieser erneut abgewiesen (s. Gruehns Schreiben an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 17.09.1938, in dem er einen dritten Anlauf nimmt, dieses Mal, um „der schweren Diffamierung Deutschlands im Ausland wegen seiner Kirchenstreitigkeiten“ entgegenzuwirken). Bereits 1932 sollen ihm von der NSDAP Mittel für einen internationalen Kongress in Aussicht gestellt worden sein (Archiv der Theologischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität, im AHUB, Bestand UK-Pers., G 226a, Blatt 56 f.).

  22. 22.

    Dem Universitäts-Rechtsrat Dr. Leitmeyer schrieb er am 03.01.1937, dass er „eher einen Diebstahl entschuldigen könnte, als heute eine unklare Haltung gegenüber dem Dritten Reich“ (Archiv der Theologischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität, AHUB, Bestand UK-Pers., D 141, Blatt 12). Am 01.05.1937 war Gruehn der NSDAP beigetreten (Ludwig 2005, S. 96).

  23. 23.

    Auch Wobbermins Berufung nach Berlin 1935 fällt in diesen Zeitraum. Dieser war zwar schon im Emeritenalter, aber konnte, als prominentes DC-Mitglied durch ministerielle Sondergenehmigung der Altersgrenzenbeschränkung enthoben, noch bis 1937 lehren. Er war der letzte namhafte Berufene gewesen. Infolge der (kirchen-)politisch fundierten Ernennungen für Systematische Theologie war die theologische Fakultät „seit [ihrer] Gründung […] nach ihrer geistigen Potenz und theologischen Bedeutung niemals so stark zurückgefallen wie in dem letzten halben Jahrzehnt vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs“ , so Elliger (1960, S. 128).

  24. 24.

    24 Der deutschbaltische Kollege Gruehns Walter Dreß (1904–1979), ein Schwager Bonhoeffers, war zwar ebenfalls Nationalsozialist (seit dem 01.05.1933 Mitglied der NSDAP, Ludwig 2005, S. 96), wurde aber an der Theologischen Fakultät zu Berlin wegen Tätigkeit für die Bekennende Kirche entlassen. (Was ihm nach dem Krieg natürlich wieder zum Vorteil gereichte: Er wurde an der Kirchlichen Hochschule Berlin als Kirchenhistoriker ernannt.) Gruehn übernahm sein Amt als theologischer Vertreter des NSD-Dozentenbundes an der Universität Berlin. In dieser Eigenschaft führte er einen heftigen Streit mit Wobbermin über die Berufung Gerhard Kittels, in dem Gruehn nicht vor den stärksten, in unverblümter NS-Rhetorik abgefassten Drohungen zurückschreckte (Archiv der Theologischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität, AHUB, Bestand UK-Pers., W 249, Band 2, Blatt 47).

    Im Übrigen soll Dreß nach dem Krieg als späte Rache an Gruehn die Habilitation dessen Schülers Gins an der Kirchlichen Hochschule Berlin verhindert haben. (Nachdem Dreß dort gegangen war, hat Gins, in späten Jahren dem Vorstand der IAPR angehörend, dort einen Lehrauftrag für Religionspsychologie bekommen, persönliche Mitteilung, 24.08.1999.).

  25. 25.

    25 Religionspsychologie – die in Berlin übrigens keineswegs nur von Gruehn vertreten wurde: auch Wobbermin lehrte ja dort und Seeberg hatte ebenfalls religionspsychologische Texte behandelt – war an der Berliner theologischen Fakultät nicht sehr hoch angesehen. Gruehn schreibt an Richter (24.11.1959): Es hätten „meine Berliner Kollegen gut gemeint mir geraten: Es ist eine übertriebene Treue Ihrem Lehrer gegenüber. Schreiben Sie eine Ethik oder Dogmatik, dann werden Sie schneller vorwärts kommen“ (NLR). Gruehn schreibt übrigens, dass er „auf das Judenproblem in seinem ganzen Umfang […] in Vorlesungen und Seminaren öfters“ eingegangen sei.

    Liselotte Richter (1906–1968) war an der Humboldt-Universität als erste deutsche Frau auf einen Lehrstuhl für Philosophie berufen worden. In der DDR wurde sie auf den Lehrstuhl Religionswissenschaft, Abteilung Systematische Theologie der Theologischen Fakultät, versetzt. In den 1950er Jahren entwickelte sie Interesse an der Religionspsychologie (s. ihre Literaturberichte: Richter 1957, 1960, 1961a, 1961b) und kam über Grønbaek in Kontakt mit Gruehn, der zunächst begeistert war, wieder eine noch aktiv lehrende Ordinaria unter seinen Korrespondenten zu haben, sich aber später sehr mit ihr zerstritt (NLR, NLGr). Über sie (doch ohne Thematisierung ihrer religionspsychologischen Interessen), u. a. Wenzel (1999).

  26. 26.

    Gruehns Korrespondenz, von der sich nur Bruchteile (in Nachlässen anderer, und nur einige wenige Briefe im Familienbesitz) erhalten haben, muss riesig gewesen sein. In der Zeit seines Berliner Ordinariats schrieb er sie nicht mehr auf Briefpapier der IAPR, das machte er erst wieder nach dem Zweiten Weltkrieg (vgl. seine Briefe an Richter, NLR).

  27. 27.

    Am Rande sei nur erwähnt, dass Gruehns praktisch-theologische Interessen nach dem Krieg unter anderem Gestalt annahmen in einerseits einer kurzen Tätigkeit (bis zu seinem Renteneintritt) als Pastor in einer kirchlichen Gemeinde in Hannover und andererseits in einigen Jahren Mitarbeit an der 1949 von seinem Altschüler Klaus Thomas (1915–1992) begründeten Zeitschrift Der Weg zur Seele (dem seit 1954 unter dem Titel Wege zum Menschen später sehr bekannt gewordenen Sprachrohr der Pastoralpsychologie in Deutschland). Im Beirat dieser Zeitschrift wurden anfangs mehrere Personen aus der früheren und späteren IAPR genannt (zum Beispiel Behn, Gennrich, Stählin, Wunderle). Im Unterschied zum späteren Wege zum Menschen war Der Weg zur Seele eine recht populär gehaltene Zeitschrift, zu der Gruehn kurze Aufsätze beitrug mit Titeln wie „Lebensnahe Seelsorge“ , „Ein schwerer Fall der Seelsorge“ oder „Anleitung zur Meditation? So geht es nicht!“ (aus dem ersten Jahrgang, 1949).

  28. 28.

    Nicht unerwähnt bleiben soll, dass Gruehn es nach dem Krieg doch noch einmal schaffte, ein großes Manuskript zu veröffentlichen. (Da Külpe einmal Girgensohn gegenüber eine Psychologie des höheren Seelenlebens als wünschenswert erwähnt haben soll, hatte Gruehn sich zwar auch vorgenommen, eine solche zu verfassen [Gruehn an Grønbaek, 31.10.1949, S. 2, NLGr], sie ist aber nie zustande gekommen.) Anerkannt werden muss, dass Die Frömmigkeit der Gegenwart eine Fülle hauptsächlich älterer Literatur referiert, die einen Eindruck zu vermitteln vermag, wie viel schon vor dem Zweiten Weltkrieg auf religionspsychologischem Gebiet gearbeitet wurde. Problematisch ist aber – neben dem oft allzu persönlichen Stil: komplett mit Angriffen, Seitenhieben und vor allem Selbstgefälligkeiten – dass das Werk so unausgeglichen ist: Es behandelt zwar nicht nur Arbeiten der „Dorpater Schule“, aber darüber, welche Werke selektiert werden, wird überhaupt nicht Rechenschaft abgelegt. Obgleich es in den Schlusskapiteln entfernt an Gruehns gelungene Darstellung der religionspsychologischen Literatur von 1926 erinnert, fehlt die damals noch recht sachlich behandelte (und inzwischen zum umfangreichsten Strom gewordenen) Psychoanalyse vollends. Aus den USA werden eigentlich nur James und Starbuck behandelt. Dem Aufbau des Ganzen liegt kein klares Prinzip zugrunde. Die fast restlose Identifizierung von Religionspsychologie mit religiöser Gegenwartsforschung ist völlig inadäquat (und wird durch das Kapitel „Gemeinschaftsformen (Religionssoziologie)“ nicht kompensiert). Und dennoch dürfte es damals, als fast noch niemand um die Religionspsychologie wusste, beeindruckend gewesen sein, ein so umfangreiches Buch (fast 600 dicht bedruckte Seiten!) vorzufinden. 1960 kam es noch zu einer Zweitauflage. Obgleich es viele historische Informationen zu bringen scheint, ist es für vorliegende Arbeit nicht brauchbar gewesen, da, wie bereits gesehen, auf die Zuverlässigkeit von Gruehns Darstellungen in jenen Jahren kein Verlass mehr war (siehe auch noch weiter unten und im nächsten Kapitel).

  29. 29.

    Eine Kopie dieses Rundbriefes hat sich im Privatbesitz der Nachfahren Gruehns erhalten, die freundlichst Einsicht gewährten.

  30. 30.

    In einer kurzen Darstellung über die IAPR und die Religionspsychologie in Der Weg zur Seele „berichtet“ Gruehn 1952: „Auf ausländische Anregung hat der Vorstand 1951 beschlossen, eine weitere Anzahl bedeutender Werke in diese internationale Reihe aufzunehmen“ (Gruehn 1952, S. 179). Er nennt dann einige Titel, die fast alle in den 1930er Jahren erschienen sind. Die Mitteilung ist verwirrend: Wollte Gruehn rückwirkend diese Werke in seine Reihe aufnehmen? Die meisten genannten Verfasser hatten irgendeine Beziehung zu ihm oder Girgensohn gehabt, aber was hatte das bekannte Werk von Janet (1926, 1928) mit der „Dorpater Schule“ zu tun? Oder ob schlicht nur alleine die Tatsache, dass jemand einmal mit Gruehn korrespondiert hatte, ihn zum „Mitglied“ der IAPR oder gar Mitarbeiter Gruehns machte? (Korrespondenz zwischen Gruehn und Janet mag es gegeben haben: Janet wurde im AfRp 6 (1930) als dem Beirat angehörend genannt; wir haben aber auch schon öfter Fälle von „Ernennung“ oder „Wahl“ gesehen, die mit den Betreffenden nicht abgesprochen waren, teilweise weil sie bereits verstorben waren.) Auf jeden Fall suggeriert Gruehn, dass alle Genannten zur „große[n] und in sich geschlossene[n] Schule der exakt arbeitenden Religionspsychologen verschiedener Länder“ gehören, die er den sonstigen „Einzelgängern“ in der Religionspsychologie gegenüberstellt. In diesem selben Artikel aus dem Jahre 1952 nennt er übrigens Starbuck und Vorbrodt als Ehrenmitglieder seit 1930 und Gemelli seit 1951. (Vorbrodt war aber bereits 1929 und Starbuck 1947 gestorben; auch war Gemelli bereits 1930 zum Ehrenmitglied ernannt worden.) Oder liegen hier einfach nur Irrtümer eines alternden Mannes vor, dessen Beiträge von der Schriftleitung des Der Weg zur Seele ungelesen, oder zumindest nicht korrigiert, gedruckt wurden?

  31. 31.

    Gruehn habe Keilbach „leider erst vor wenigen Monaten [entdeckt]“ , so schreibt er Klaus Thomas am 03.08.1957 (Kopie im NLGr), mit dem er damals offenbar schon längere Zeit keinen Kontakt mehr gehabt hatte. (Die von Thomas herausgegebene Zeitschrift Der Weg zur Seele, an der Gruehn manchmal mitarbeitete, war 1954 eingegangen bzw. seitdem in veränderter Form als Wege zum Menschen weitergeführt worden.).

  32. 32.

    Wahrscheinlich hat Gruehn erst etwa um 1950 beschlossen, sich wieder der IAPR anzunehmen und 1951 Fuglsang-Damgaard zum Vorsitzenden, den mittlerweile emeritierten Behn als Nachfolger von Wunderle zum Mitglied des Vorstandes zu ernennen (Fischer war 1937, Wunderle 1950 gestorben; Gruehn schrieb aber, dass die IAPR „unlängst zwei überaus verdiente Mitglieder ihres Vorstandes verloren“ habe, Gruehn 1952, S. 175). Der gebürtige Deutsche (und im Jahre 1920 dänischer Staatsbürger gewordene) Hans Fuglsang-Damgaard (1890–1979) lehrte Systematische Theologie an der Universität Kopenhagen und hatte Gruehn einmal während einer Studienreise nach Berlin besucht. Gruehn hatte ihn in den Beirat des AfRp 6 aufgenommen, aber eigentlich hatte Fuglsang-Damgaard seit der Veröffentlichung seiner Übersicht der Religionspsychologie (Fuglsang-Damgaard 1933/1946) nichts mehr mit diesem Forschungsgebiet zu tun gehabt: Er war in demselben Jahr Stiftsprobst am Kopenhagener Dom und 1934 Bischof geworden. Die Beziehungen zwischen Fuglsang-Damgaard und Gruehn waren schon vor dem Krieg schwierig gewesen, wie sich aus Gruehns Korrespondenz mit Grønbaek zeigt. Ob es überhaupt zwischen 1936 und 1951 Kontakt zwischen Gruehn und Fuglsang-Damgaard gegeben hat, ist fraglich. Fuglsang-Damgaard ist wegen seines Widerstandes gegen die Judenverfolgung sehr bekannt geworden. (Durch einen Hirtenbrief 1943 hat er die Deportation der dänischen Juden weitestgehend verhindert.) Wahrscheinlich hat Gruehn an ihn als Vorsitzenden der IAPR gedacht, weil er sonst auf keinen in wichtiger Position mehr zurückgreifen konnte. (Zwar war Stählin ebenfalls emeritierter Professor und Bischof, aber die Beziehung zu Stählin, der 1933 der Bekennenden Kirche beigetreten war, dürfte zu verstört gewesen sein, vielleicht ist er noch nicht einmal zu Rate gezogen worden. Demnach dürfte die „einstimmig“ beschlossene Ernennung fast im buchstäblichen Sinne einstimmig gewesen sein, denn es gab dann nur noch J. H. Schultz, den Gruehn vielleicht diesbezüglich konsultiert hat.) 1958 erklärte Fuglsang-Damgaard, vielleicht auch irritiert von der Korrespondenz Gruehns, seinen Rücktritt. Zur IAPR scheint er überhaupt keinen Kontakt mehr gehabt zu haben, sein Verscheiden wird im Archiv (wo man sonst über alle Altgedienten berichtete) mit keinem Wort erwähnt – Indiz einer gestörten Beziehung? Seinerseits erwähnt er in seiner Autobiographie die IAPR oder deren Funktionäre überhaupt nicht; Religionspsychologie als Thema, mit dem er sich einst befasst hatte, streift er an bloß zwei Stellen mit jeweils einem Satz (Fuglsang-Damgaard 1975, S. 110, 128). In seinem Nachlass ist keine Korrespondenz mit Gruehn oder sonstiges Material zur IAPR enthalten (NLFD). Auch in den Unterlagen des dänischen Kirchenministeriums ist für den Zeitraum 1956 bis 1958 keine Korrespondenz mit Gruehn oder der IAPR festgehalten. Theoretisch könnte etwas im „Köbenhavns Stifts Bispeembede“ (der Sammlung von Materialien der Kopenhagener Diözese im dortigen Nationalarchiv in Kopenhagen) erhalten sein, wenn Fuglsang-Damgaard während seiner Amtszeit als Bischof eventuelle Korrespondenz mit Gruehn nicht von amtlichen Unterlagen getrennt gehalten hätte; wahrscheinlich ist es nicht.

  33. 33.

    33 Die beiden genannten Schreiben befinden sich in den Unterlagen zur IAPR im Bundesarchiv in Bonn (Signatur B 138, Akte 6900, Blatt 500–503; die Akte enthält vornehmlich Korrespondenz Keilbachs mit dem Bundesinnenministerium). Wahrscheinlich hat Keilbach das neue Briefpapier entworfen und drucken lassen. (Und er dürfte auch am Wortlaut des Schreibens Gruehns beteiligt gewesen sein.) Auf beiden Rundbriefen steht „München, 21.1.1959“ erwähnt. (Korrekter wäre vielleicht gewesen, Hildesheim als Ort für den Brief Gruehns anzugeben.) Übrigens geht es schon im Briefkopf direkt mit dem Weiterspinnen des Mythos weiter: Als Gründer der IAPR werden, wie schon zu Gruehns Zeiten, unter anderen Gemelli, Flournoy, Høffding und Troeltsch genannt, die nun wirklich nichts damit zu tun gehabt hatten. Vom AfRp wird behauptet, dass Band VII und VIII „in Vorbereitung“ seien, was auch nicht stimmte (aber Keilbach vielleicht nicht klar gewesen ist): Sie sollten erst 1962 respektive 1964 erscheinen und durchweg ab 1960 verfasste Aufsätze enthalten.

    Nota bene: Die Ernennung Keilbachs zum Geschäftsführer erfolgte durchaus nur durch den Vorstand. Das gegen Gruehn vorgebrachte Argument wurde also nicht gegen Keilbach angewandt …

  34. 34.

    Die genannten Zahlen finden sich im Bericht Keilbachs vom 22.01.1960 an das Bundesministerium des Innern (BAB, B 138, Akte 6900, Blatt 544; das Ministerium hat sämtliche Kosten [Reisekosten, Tag- und Nachtgelder, Verwaltungsausgaben] übernommen). Aus dem Bericht geht hervor, dass die Kulturableitung des Ministeriums um die früheren Bemühungen Gruehns, einen internationalen Kongress zu organisieren, gewusst hat.

  35. 35.

    Stählin berichtet: „Die Beziehungen zu Werner Gruehn waren in seinen späteren Jahren schwierig geworden, zweifellos im Zusammenhang mit seiner fortschreitenden Krankheit. [… Er] wollte durch seltsame Manipulationen erreichen, selber Präsident dieser Gesellschaft zu werden. Es kam zu scharfen Briefen hin und her, so daß ich Gruehn schließlich eine gerichtliche Beleidigungsanklage androhen mußte, weil er die Vermutung ausgesprochen hatte, ich hätte seinerzeit meine Doktorarbeit gar nicht selber geschrieben“ (Stählin 1968, S. 706).

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v. Belzen, J.A. (2015). Die Neukonstituierung – 1960. In: Religionspsychologie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-46575-2_6

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  • Publisher Name: Springer, Berlin, Heidelberg

  • Print ISBN: 978-3-662-46574-5

  • Online ISBN: 978-3-662-46575-2

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