Diese Sektion befasst sich mit den Akteuren der Altenpflege sind und erörtert die Herausforderungen, mit denen sie in Japan und Deutschland konfrontiert sind.

Der Beitrag von Miyoko Motozawa „Wertschätzung und Unterstützung pflegender Familienangehöriger in Japan“ geht auf die Veränderungen im japanischen Zivilrecht seit der Meiji-Zeit sowie auf den Stellenwert des darin geregelten ie-Systems und der Familie ein. Die vom japanspezifischen Familiensystem geprägten sozialen Sicherungssysteme werden dargelegt und die japanische Pflegeversicherung, für die nach allgemeiner Auffassung das deutsche Modell Pate stand, erläutert. Allerdings ist die japanische im Unterschied zur deutschen Pflegeversicherung de facto auf ältere Menschen beschränkt. Ferner wird darauf eingegangen, wie sich die pflegerische Versorgung im Zuge des raschen Wandels in den japanischen Familien verändert hat. Das Zivilgesetzbuch der Meiji-Zeit wurde nach Inkrafttreten der japanischen Verfassung nach dem Zweiten Weltkrieg vollständig überarbeitet. Die Folge war eine drastische Veränderung der rechtlichen Stellung der Familie und des ie-Systems. Das traditionelle Familiensystem hat sich jedoch bis heute gehalten und prägt im Rahmen der Pflegeversicherung immer noch die Regelungen in Bezug auf die Pflege durch Angehörige. Der Beitrag vergleicht die Situation in Japan und Deutschland und macht Vorschläge, wie die Pflegearbeit von Angehörigen und anderen informellen Helfer:innen in Japan angemessener gewürdigt werden kann. Konkret wird angeregt, sowohl das Pflegezeitsystem als auch Leistungen aus der Pflegeversicherung diesbezüglich auszubauen. Anhand von Beispielen aus der Präfektur Saitama und der Stadt Kobe wird der Vorschlag veranschaulicht.

Masanobu Masuda geht in seinem Beitrag auf die Pflege durch Senior:innen und ausländische Beschäftigte in Japan ein. Durch die Einführung der Pflegeversicherung sind zwar die Versicherungsleistungen erweitert worden, die zu ihrer praktischen Umsetzung erforderliche Bereitstellung von ausreichendem professionellem Pflegepersonal ist aber nach wie vor ein ungelöstes Problem. Daran anknüpfend werden von der Regierung eingeleitete Maßnahmen erörtert, mit denen der Mangel an Pflegepersonal bewältigt werden soll. Sie zielen auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Pflegekräften ab, adressieren den Ausbau der Ausbildung von in der Pflege benötigten Fachkräften, die Vermeidung von Fluktuation durch die Bindung des vorhandenen Pflegepersonals, die Erhöhung ihrer Produktivität sowie die Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe und die Schaffung eines Rahmens für die Aufnahme ausländischer Arbeitskräfte, der bislang fehlte.

Im Weiteren erörtert der Beitrag die „Beteiligung gesunder und agiler Senior:innen“ nach dem Motto „Pflege alter Menschen durch alte Menschen“. Hier sind insbesondere Nichtfamilienangehörige gemeint, womit sich die Darstellung von Miyoko Motozawas Vorschlag abhebt. Bereits jetzt sind viele hochmotivierte „gesunde und agile Senior:innen“ über das Renteneintrittsalter hinaus als Pflegekräfte in der stationären wie in der häuslichen Pflege tätig. Die durchweg guten Erfahrungen, die anhand eines Fallbeispiels aus der Präfektur Mie belegt werden, wecken große Erwartungen an eine Ausweitung des Einsatzes älterer Menschen als Pflegehelfer:innen. Im Hinblick auf den vermehrten Einsatz von Pflegekräften aus dem Ausland, wird auf die vier, dazu von der japanischen Regierung verabschiedeten Programme und deren Implementierung eingegangen. Ausblickend wird darauf hingewiesen, dass die in dem Beitrag erörterten Programme und Maßnahmen noch bei weitem nicht ausreichen, um die bestehenden Herausforderungen zu bewältigen, und deshalb u. a. auch auf den vermehrten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Roboter gesetzt wird.

Monika Reichert erörtert in ihrem Beitrag die vielfältigen Fragen und Probleme im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Pflege und Erwerbstätigkeit in Deutschland. Sie stellt damit die deutsche Situation der von Miyoko Motozawa beschriebenen japanischen Lage gegenüber. Ausgehend von der Analyse vorhandener Studien wird auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die tatsächliche Lage der pflegenden Erwerbstätigen und die differenzierten Herausforderungen, mit denen diese und ihre Familien konfrontiert sind, zu ermitteln, um darauf dann bedarfsadäquat reagieren zu können. Der Beitrag liefert einen Überblick über die in Deutschland für die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege derzeit bestehenden gesetzlichen, tarifvertraglichen und betrieblichen Regelungen sowie über Vorschläge zu ihrer jeweiligen Ausweitung und Verbesserung. Konkret wird vorgeschlagen, mehr finanzielle Unterstützungen zu leisten, die bestehenden Freistellungen zur kurzfristigen Arbeitsverhinderung auszuweiten, den Begriff „nahe Angehörige“ neu zu definieren, die gesetzlichen Grundlagen zu vereinfachen sowie das Pflegezeit- und das Familienpflegezeitgesetz weiter zu entwickeln.

Hildegard Theobald befasst sich in ihrem Beitrag zur Lage professioneller Pflegekräfte in Deutschland mit Fragen, die bereits von Masanobu Masuda für Japan thematisiert wurden. Behandelt werden u. a. die Arbeitsbedingungen, die Nutzung von digitalen Technologien sowie der Einsatz von Pflegekräften aus dem Ausland. Der Beitrag beleuchtet das deutsche Pflegesystem im Rahmen einer Mehrebenen-Governance, wobei insbesondere die Rolle der Kommunen fokussiert wird. Dabei wird auch das Zusammenspiel der verschiedenen, dabei involvierten gesellschaftlichen Akteure in den Blick genommen. Der für Deutschland beschriebene Personalmangel zeigt Parallelen zu Japan auf. Als potenzielle Gründe werden insbesondere identifiziert: die geringe Attraktivität der Ausbildung, die hohen Hürden beim Erwerb fachlicher Qualifikationen sowie die schwierigen Arbeitsbedingungen. In diesem Zusammenhang geht der Beitrag auch auf kürzlich erfolgte Reformen in der Ausbildung der Pflegeberufe ein. Hildegard Theobald verweist in ihrer Identifizierung von wirksamen Lösungen insbesondere auf die Digitalisierung, die geeignet sei, die Belastungen der Pflegekräfte wirksam zu verringern und dadurch das Pflegepersonal länger im Beruf zu halten. Obwohl die Digitalisierung in Deutschland noch nicht sehr weit vorangeschritten ist, bietet dieses Handlungsfeld insbesondere auch den Kommunen eine Option, sich aktiv an der Bewältigung des Pflegepersonalbedarfs zu beteiligen. Anhand von Modellprojekten aus Niedersachsen werden erfolgreiche kommunale Initiativen beschrieben und bewertet, die auf einer Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Kommunen beruhen und darauf abzielen, die Pflegepersonalknappheit lokal zu lösen. Zu der von vielen und auch von ihr selbst favorisierten Lösung einer vermehrten Rekrutierung ausländischer Pflegekräfte macht Hildegard Theobald auf zahlreiche, bislang noch weitgehend ungelöste Implementierungsprobleme aufmerksam. Auch wenn in Deutschland schon jetzt wesentlich mehr ausländische Pflegekräfte tätig sind als in Japan, stehen beide Länder bei der weiteren Ausschöpfung dieses Arbeitskräftepotenzials vor ähnlichen Herausforderungen.

Die vier Beiträge zum Thema Pflegepersonal in Japan und Deutschland identifizieren Ähnlichkeiten und Unterschiede, gemeinsame Herausforderungen und Lösungen, aber auch für das jeweilige Land spezifische Problemlagen. Zwar wird dem japanischen Pflegeversicherungssystem nachgesagt, sich stark am deutschen Modell orientiert zu haben. Tatsächlich wurden jedoch nur Teilbereiche des deutschen Systems als Referenz herangezogen, woraus sich wesentliche Systemunterschiede in der Implementierung ergeben. Bevor man jedoch zu stark den Fokus darauf richtet, sollte man sich zunächst der Unterschiede in den tradierten Familiensystemen und dem darauf basierenden Familienbegriff bewusst sein. In Japan haben beide auch heute noch einen erheblichen Einfluss auf die pflegerische Versorgung, vor allem in der häuslichen Pflege. Dies scheint aber in relevanten Teilbereichen auch auf die deutsche Situation zuzutreffen. So gilt für die Situation „erwerbstätiger Pflegende“, dass hinter der Bereitschaft, diese Belastungen auf sich zu nehmen, auch in Deutschland immer noch weitverbreitete kulturelle Pflegeorientierungen vermutet werden können. Insofern unterscheidet sich in dieser Hinsicht die deutsche kaum von der japanischen Situation.

In beiden Ländern gestaltet sich die Sicherstellung des Pflegepersonalbedarfs als schwierig, u. a. bedingt durch die belastungsintensiven Arbeitsbedingungen in der Pflege und die anspruchsvollen Qualifizierungsanforderungen. Beide Länder bemühen sich derzeit sowohl um die vermehrte Beschäftigung ausländischer Pflegekräfte als auch um den Einsatz digitaler Technologien. Eine erfolgreiche Rekrutierung von ausländischen Pflegekräften ist in beiden Ländern an hohe Voraussetzungen geknüpft. Zum Einsatz neuer Technologien, einschließlich der Digitalisierung und Robotik, sei auf die Beiträge in Sektion 4 verwiesen.

Obgleich das traditionelle Familiensystem in Japan nach wie vor stark präsent ist, hat im Zuge des demografischen Wandels – insbesondere in Folge rückläufiger Geburtenziffern – die Zahl der Eheschließungen zwischen Einzelkindern zugenommen. Dadurch kommt es immer häufiger vor, dass die Ehefrau des ältesten Sohnes, die yome, das einzige Kind in ihrer eigenen Familie ist. Dies führt dazu, dass sie sich nicht nur um ihre Schwiegereltern, sondern auch um ihre eigenen Eltern kümmern muss, was eine erhebliche Doppelbelastung darstellt; selbst dann, wenn die zu Pflegenden noch keiner vollen Pflege bedürfen. Auch kommt es in Japan immer häufiger vor, dass wegen der Pflege der Eltern Männer erst später oder gar nicht heiraten. Häufig gelingt es den Betroffenen dann nicht, Pflege und Beruf zu vereinbaren; oftmals mit der Folge, ihre Arbeit aufzugeben, um sich ganz der Pflege ihrer Eltern widmen zu können. In vielen Fällen geraten die Betroffenen später dann in finanzielle Not, wenn nach dem Tod der Eltern die Rentenbezüge der Eltern ausbleiben und/oder die Rückkehr ins Berufsleben nicht (mehr) gelingt. Dies hat sich inzwischen zu einem stark beachteten sozialen Problem entwickelt.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Japan und Deutschland dürfte darin liegen, welche Bedeutung älteren Menschen in der pflegerischen Versorgung beigemessen wird – unabhängig davon, ob man eine solche Beschäftigung positiv oder negativ bewertet. Wie der japanische Ausdruck rōrōkaigo (老老介護) „Alte pflegen Alte“ veranschaulicht, ist in Japan mit dem Eintritt in die superalte Gesellschaft die Pflege älterer Menschen durch ihre „Kinder“, die selbst bereits zur älteren Generation zählen, bereits zur Realität geworden. Es gehört jedoch auch zu dieser Realität, dass gesunde und agile Senioren in ihrem lokalen Umfeld Aufgaben als Pflegehelfer übernehmen und darin einen Lebenszweck finden. Dieser Aspekt wird in Deutschland und anderen Ländern bisher kaum wahrgenommen und sollte einschließlich der damit einhergehenden Vor- und Nachteile weiter analysiert und erörtert werden. Wie über die Lebensfreude gesunder und agiler Senioren diskutiert wird, hängt von dem jeweiligen Altersbild einer Gesellschaft ab, das je nach Land und Region stark variiert.

Die Einstellung, dass „Familienprobleme von der Familie zu lösen sind“, ist nicht unbedingt auf Japan beschränkt, sondern findet sich auch in anderen Ländern. Entscheidend ist jedoch, ob das staatliche Pflegesystem auf dieser Einstellung basierend konzipiert wird. Hier zeigt sich, wie sehr das japanische System der Vergangenheit verhaftet geblieben ist. Im Gegensatz zu Deutschland, wo eine Neudefinition des Begriffs der nahen Angehörigen erwogen wird, scheint sich das Familienbild in Japan wenig verändert zu haben. Während in Deutschland viele konkrete Lösungen für die Vereinbarkeit von Pflege und Erwerbstätigkeit vorgeschlagen und umgesetzt werden, wurden in Japan bisher kaum konkrete Maßnahmen in Erwägung gezogen.

Beide Länder setzen große Erwartungen in die Digitalisierung. Auf die konkreten Inhalte und Potentiale wird in Sektion 4 dieses Buches eingegangen. Es lassen sich jedoch bereits erhebliche inhaltliche Unterschiede mit Blick auf eingesetzte Technik feststellen. Während Japan die Digitalisierung, speziell den Einsatz von Robotern und KI im Pflegesektor vorantreibt, als eigenständige Ressource in der pflegerischen Versorgung sieht, scheint der Fokus in Deutschland eher auf deren ergänzenden Funktion bei der Unterstützung professioneller Pflegekräfte zu liegen. Insgesamt jedoch bringt der Einsatz neuer Technologien in beiden Ländern ganz erhebliche Herausforderungen mit sich. Dazu gehören beispielsweise die Auswahl und Standardisierung der jeweils einzusetzenden Technologien, die diesbezügliche Ausbildung und Sicherstellung der erforderlichen Qualifikationen, und vor allem die Frage, wie künftig das Verhältnis zwischen Pflegenden bzw. zu Pflegenden auf der einen Seite und Technologie auf der anderen Seite gestaltet werden soll.

Hinsichtlich des Einsatzes von ausländischen Pflegekräften stehen Japan und Deutschland vor ähnlichen Herausforderungen. Es gibt jedoch unterschiedliche Auffassungen dazu. Diese finden sich nicht nur in den jeweiligen nationalen Politiken, sondern zeigen sich auch in den Einstellungen der Pflegenden vor Ort und bei den Pflegebedürftigen selbst. Ein Grund könnte darin liegen, dass in Japan vor der Zulassung ausländischer Pflegekräfte die Regierung zunächst den Rechtsrahmen für deren Rekrutierung schaffen musste, während in Deutschland und anderen europäischen Ländern ausländische Pflegekräfte schon längere Zeit im Einsatz waren, bevor Überlegungen über deren formale Qualifikation angestellt wurden. In den europäischen Ländern wurden also rechtliche Regelungen erst nachträglich geschaffen, nachdem in den Privathaushalten die Zahl der ausländischen Pflegekräfte und Haushaltshilfen bereits erheblich angestiegen war. Es ging also nicht primär darum, Personal aus dem Ausland zu rekrutieren, sondern die schon im Inland tätigen Personen in das System zu integrieren.

Grundsätzlich sollte nicht nur der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte von der Angebotsseite her, sondern insgesamt stärker auch aus der Perspektive der zu Pflegenden, also von der Nachfrageseite her, betrachtet werden. Wichtig ist ferner zu berücksichtigen, dass die Nachfrageperspektive auch die pflegenden Familien einbeziehen sollte. Japan kann von Deutschland viel über Methoden der Ausbildung von Pflegekräften und die Rolle der Kommunen lernen. Zwar bildet das Thema der Ausbildung keinen eigenen Schwerpunkt in diesem Band, ihm sollte aber künftig mehr Bedeutung in vergleichenden Studien sowohl in der Forschung wie in der Praxis beigemessen werden.