1 Einführende Bemerkungen

Die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege für (ältere) Angehörige war bis vor ca. einem Jahrzehnt in Deutschland in Forschung, Politik und Praxis lediglich ein Randthema, und dies obwohl die erste Studie – zudem auf empirischer Basis – bereits 1995 durchgeführt worden ist (Beck et al., 1997; Reichert, 1997; Naegele & Reichert, 1998). Der enorme Bedeutungszuwachs dürfte vor allem auf die Schärfung des öffentlichen Bewusstseins für die Konsequenzen des demografischen und sozialen Wandels für die jeweils betroffenen Familien wie Unternehmen zurückzuführen sein. Hierzu gehören insbesondere die steigende Zahl sehr alter Menschen und – durch enge Verknüpfung von Hochaltrigkeit und Pflegebedürftigkeit – von Pflegebedürftigen, die demografisch bedingte Abnahme des familiären Pflegepotenzials und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit („Rente mit 67“). Hinzu kommt die kontinuierliche Zunahme der Erwerbstätigkeit von Frauen, die traditionell die Mehrheit der Pflegenden bilden, sowie nicht zuletzt der Mangel an Fachkräften in der professionellen Pflege (zur Übersicht siehe Eggert et al., 2018). Die gleichzeitige Ausübung von Erwerbstätigkeit und informeller Pflege wird vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen zunehmend auch beschäftigungspolitisch als eine Strategie angesehen, um zukünftige Pflege- und Produktivitätspotenziale in einer alternden Gesellschaft nachhaltig zu sichern. Allerdings muss eine solche Strategie durch effektive betriebliche und gesetzgeberische Maßnahmen unterstützt werden. Welche in Deutschland bereits vorhanden und wie diese Maßnahmen zu beurteilen sind, ist thematischer Schwerpunkt der folgenden Ausführungen.

2 Erwerbstätige Pflegende – grundlegende Informationen

Wie viele Erwerbstätige in Deutschland Pflegeverpflichtungen gegenüber ihnen nahestehenden Menschen – in aller Regel gegenüber älteren Familienangehörigen, aber auch chronisch Kranken im mittleren Erwachsenenalter und/oder behinderten Kindern und Jugendlichen – haben, ist nicht genau bekannt. Schätzungen gehen von ca. 6,3 % (Geyer, 2016) bis 10 % (Franke & Reichert, 2012) aus. Bei derzeit 45 Mio. Erwerbstätigen (Statistisches Bundesamt, 2021) wären dies nach Franke und Reichert 4,5 Mio. Menschen. Schumann und Kather-Skibbe (2016) sowie Rothgang et al. (2017) bestätigen diese Zahlen.Footnote 1 Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung kommt auf der Basis des repräsentativ ermittelten DGB-Indexes „Gute Arbeit“ von 2017 zu dem Schluss, dass jede zehnte Arbeitnehmerin und jeder dreizehnte Arbeitnehmer Angehörige pflegt (Hobler et al., 2020).Footnote 2 (Dabei können diese geschätzten Prozentsätze zwischen Branchen und Betrieben, z. B. je nach Anteil Beschäftigter in den pflegerelevanten Altersgruppen, erheblich variieren. So sind gemäß der WSI-Studie von den 50- bis unter 60-jährigen Arbeitnehmer:innen bereits 15 % der Frauen und 10 % der Männer aktiv an der häuslichen Pflege beteiligt. Darüber hinaus ist eine hohe Dunkelziffer zu vermuten, da sich viele Personen bei Befragungen nicht als Pflegende definieren und/oder ihre Pflegeverpflichtungen nicht offenlegen, d. h. die oben genannten Zahlen dürften das quantitative Ausmaß der Vereinbarkeitsproblematik unterschätzen (Naumann et al., 2016).

Suhr und Naumann (2016) betonen daher, dass die Datenlage zu erwerbstätigen Pflegenden durchaus noch Lücken aufweist (so auch Knauthe & Deindl, 2019). Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die ungeklärte Frage, wer eigentlich zum Personenkreis „erwerbstätige Pflegende“ gehört (Reichert, 2015): Sind dies Personen, die sich mehrmals in der Woche um die Haushaltsführung des Unterstützungsbedürftigen kümmern, oder sind es jene, die eine Person versorgen, die nach dem Pflegeversicherungsgesetz einen Pflegegrad attestiert bekommen hat? Und welche Bedeutung hat der Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit, um von einer gleichzeitigen Ausübung von Pflege und Beruf ausgehen zu können? Dieses Definitionsdilemma führt nicht nur zu unterschiedlichen Prävalenzraten im wissenschaftlichen Diskurs, sondern auch zu Schwierigkeiten in der Praxis: So bleibt beispielsweise häufig unklar, wer zur Inanspruchnahme von betrieblichen Maßnahmen berechtigt ist (Franke & Reichert, 2012). Zu erwähnen sind aber noch weitere forschungsmethodische Schwächen. So beruhen nahezu alle Daten auf Querschnittstudien, die jeweils nur eine „Momentaufnahme“ und nicht, wie längsschnittlich angelegte Untersuchungen, die Dynamik von Pflege- und Erwerbstätigkeit im Zeitverlauf erfassen. Dennoch steht außer Frage, dass sich die absolute Zahl pflegender Beschäftigter in den nächsten Jahren – angesichts der weiter oben geschriebenen Entwicklungen – weiter erhöhen wird.

Hierauf verweisen auch die Befunde, die eine andere Grundgesamtheit, nämlich die sogenannten Hauptpflegepersonen im erwerbsfähigen Alter (zwischen 16 und 64 Jahren), in den Blick nehmen. Gemäß einer Studie von Schneekloth, Geiss und Pupeter (2017) waren 2016 65 % der Pflegenden in das Erwerbsleben integriert. Zum Vergleich: 1998 traf dies „nur“ auf 36 % zu (Schneekloth & Müller, 1999), d. h., es handelt sich hier um einen Anstieg von nahezu 30 Prozentpunkten! Von den 65 %, die Pflege und Beruf aufeinander abstimmen (müssen), waren 28 % in Vollzeit, 26 % in Teilzeit und 10 % geringfügig beschäftigt (Schneekloth et al., 2017).

Was die sozio-demografischen Charakteristika von Arbeitnehmer:innen mit Pflegeverantwortung betrifft, so kommt die Mehrzahl der verfügbaren Studien zu dem Schluss, dass diese überwiegend weiblich, verheiratet (Leitner & Vukoman, 2015; Reichert, 2015, 2016), zwischen 40 und 60 Jahre (WSI, 2020) sowie beruflich höher qualifiziert sind (Keck, 2012). Bei diesen Angaben für „typische“ erwerbstätige Pflegende ist jedoch zu beachten, dass zunehmend mehr Männer (Auth et al., 2015) und Alleinstehende bzw. Alleinlebende die Vereinbarkeit praktizieren. Was die Art der geleisteten Unterstützung für bedürftige Personen betrifft, so reichen diese von emotionalem Beistand über Hilfen bei der Haushaltsführung bis zur pflegerischen Versorgung im engeren Sinne (Schneekloth et al., 2017). Allerdings sind geschlechtstypische Differenzierungen notwendig: Während erwerbstätige Frauen stärker in die persönliche, körpernahe Pflege involviert sind, sind Männer eher mit Aktivitäten im Bereich „Management und Organisation der Pflege“ befasst. Die letztgenannten Aufgabenbereiche sind auch typisch für die sogenannten „Long-distance-Caregiver“. Es handelt sich hier um eine Personengruppe, die sich über die räumliche Distanz hinweg um ihre Angehörigen kümmert und die in den letzten Jahren auch in Deutschland zunehmend in den Fokus der Forschung gerückt ist (Franke et al., 2019).

Betrachtet man das zeitliche Engagement von erwerbstätigen Pflegenden, so kann dieses wenige Stunden pro Woche ebenso umfassen wie die „Rund-um-die-Uhr“-Pflege (Schneekloth et al., 2017). Neben den pflegerischen Aufgaben sind darüber hinaus weitere familiäre, berufliche und sonstigen Anforderungen zu bewältigen. Es ist somit nicht verwunderlich, dass Forschungsergebnisse immer wieder die hohen psychischen und physischen Belastungen und die daraus resultierenden negativen Folgen für Gesundheit, soziale Beziehungen und Freizeit bei der weit überwiegenden Mehrheit von Erwerbstätigen mit Pflegeverpflichtungen belegen (Hoff et al., 2014; Franke & Reichert, 2012; Kohler & Döhner, 2012). Entsprechend sind gemäß einer für die erwerbsfähige Bevölkerung repräsentativen Umfrage des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) 72 % der Ansicht, Beruf und Pflege sei „schlecht“ oder „sehr schlecht“ zu vereinbaren. Bei denjenigen mit Pflegeerfahrung sind es sogar 82 % (Naumann et al., 2016).

Allerdings sind die Folgen einer gleichzeitigen Ausübung von Erwerbstätigkeit und Pflege von einigen zentralen Faktoren abhängig. Hierzu gehören Ausmaß der Hilfe-/Pflegebedürftigkeit und deren Entwicklung (z. B. im Hinblick auf eine Demenzerkrankung), gemeinsamer Haushalt von Pflegenden und Pflegebedürftigen, Familienstand und minderjährige Kinder im Haushalt, allgemeine ökonomische Lage sowie Verfügbarkeit von Hilfen und Unterstützung durch weitere Personen und/oder durch soziale Dienste (Schuhmann & Kather-Skippe, 2016). Von besonderer Bedeutung sind weiterhin Möglichkeiten zur flexiblen Gestaltung von Arbeitszeit, Arbeitsgeschwindigkeit und Arbeitsort sowie nicht zuletzt das Vorhandensein von entlastenden (betrieblichen) Maßnahmen (Leitner & Vukoman, 2015; Reichert, 2015, 2016). Diese Faktoren können unterschiedliche Konstellationen bilden und sich gegenseitig verstärken oder abschwächen – mit der Konsequenz einer Vielfalt von Lebenslagen erwerbstätiger Pflegender.

3 Auswirkungen der Vereinbarkeit auf den Arbeitsplatz

Die Auswirkungen von Versuchen, Erwerbstätigkeit und Pflege gleichzeitig zu vereinbaren, werden nicht nur im persönlichen/familiären Bereich deutlich (Rothgang & Müller, 2018), sondern – wie schon wissenschaftliche nationale wie internationale Untersuchungen aus den 1990iger Jahren dokumentieren – auch an ihrem Arbeitsplatz (Beck, 1997; Martin-Matthews, 1996; Phillips, 1996; Scharlach et al., 1991). Die in diesen Studien ermittelten Ergebnisse wurden auch in späteren bzw. neueren Untersuchungen immer wieder bestätigt (Hoff et al., 2014; Keck, 2012; Kohler & Döhner, 2012). Im Weiteren sollen daher vorliegende Forschungsergebnisse zu den arbeitsplatzbezogenen Konsequenzen mit dem Ziel referiert werden, auf die immer noch bestehende Notwendigkeit von betrieblichen Unterstützungsangeboten aufmerksam zu machen.

3.1 Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit

In den bislang durchgeführten Studien zeigte sich wiederholt, dass ein Teil der erwerbstätigen Pflegeleistenden über mangelndes Leistungsvermögen, Konzentrationsschwäche und/oder eine allgemein geringere Belastbarkeit am Arbeitsplatz klagt (Keck, 2012; Kohler & Döhner, 2012; Pinquart, 2016). Häufig sind es Gedanken und Sorgen, die um die pflegebedürftige Person kreisen, z. B. hervorgerufen durch beunruhigende Telefonate, die eine Konzentration auf die zu bewältigende Arbeit behindern. Dieser sogenannte Präsentismus, d. h. Arbeitnehmer:innen sind trotz Erschöpfung und/oder Krankheit am Arbeitsplatz anwesend, zieht wiederum erhebliche Folgekosten für ein Unternehmen nach sich (Gerlach et al., 2017). Erschwerend kommt hinzu, dass pflegeleistende Arbeitnehmer:innen aufgrund ihrer vielfältigen Verpflichtungen oft nur wenig freie Zeit haben, um sich zu erholen und zu entspannen. Im Gegenteil: Häufig werden Wochenende und Urlaubstage dazu verwandt, um sich intensiver um die oder den Pflegebedürftige:n zu kümmern bzw. um Termine, die im Zusammenhang mit den Pflegeverpflichtungen stehen, wahrzunehmen (Kohler & Döhner, 2012; Reichert, 2015). Die Besorgnis, allen Anforderungen – und insbesondere den beruflichen – nicht länger entsprechen zu können, trägt u. U. ebenfalls mit dazu bei, dass Einbußen des Leistungsvermögens und der Produktivität am Arbeitsplatz erlebt werden.

3.2 Versäumen von Arbeitszeit

Eines der größten Probleme von Arbeitnehmer:innen mit Pflegeverantwortung ist der Zeitdruck, denn die zur Verfügung stehende Zeit muss für die Aufgaben und Anforderungen in den Bereichen Familie, Pflege und Beruf exakt eingeteilt werden. Kommt es zu unvorhergesehenen Zwischenfällen (z. B. plötzliche Krankheit der bzw. des Pflegebedürftigen), oder ist es unmöglich, z. B. Arzttermine außerhalb der regulären Arbeitszeit wahrzunehmen, gerät nur allzu oft die mühsam und auf die Minute geplante Organisation ins Wanken, sind Absentismus, d. h. unnötige Fehlzeiten, Arbeitsunterbrechungen und/oder verspätetes Eintreffen am Arbeitsplatz bzw. früheres Verlassen, das Ergebnis (Hoff et al., 2014; Kohler & Döhner, 2012). Arbeitnehmer:innen, die Arbeitszeit für Pflegeverpflichtungen nutzen, versuchen im Allgemeinen, den dadurch gestiegenen Arbeitsdruck und die verlorene Zeit zu kompensieren, indem sie Überstunden machen, Arbeit mit nach Hause nehmen und/oder in der verbliebenen Zeit mehr oder schneller arbeiten. Dies wird natürlich umso schwieriger, je mehr weitere pflegerische und familiäre Aufgaben vorhanden sind, je weniger die berufsbezogene Tätigkeit außerhalb der normalen Arbeitszeit ausgeübt werden kann und/oder je rigider die Arbeitszeiten sind. Die verlorene Arbeitszeit wieder auszugleichen, ist daher für jene besonders problematisch, deren Tätigkeit eine Vielzahl unaufschiebbarer Termine beinhaltet und/oder die wenig Kontrolle über die individuelle Arbeitsgeschwindigkeit haben – letztgenannter Aspekt dürfte vor allem auf niedrigqualifizierte Arbeitnehmer:innen zutreffen.

3.3 Probleme mit Vorgesetzten und Kolleg:innen

Vor dem Hintergrund, dass die Pflege von Angehörigen gerade am Arbeitsplatz immer noch ein weit verbreitetes „Tabuthema“ darstellt und somit nicht zur Sprache gebracht wird, ist es nicht erstaunlich, dass in entsprechenden Untersuchungen allgemein wenig über Probleme mit Vorgesetzten und Kolleg:innen berichtet wird. Im Bericht zur ZQP-Bevölkerungsbefragung zum Thema heißt es dazu:

„Die Sorge um den Arbeitsplatz bzw. die Angst vor beruflichen Nachteilen ist aus Sicht der großen Mehrheit der Befragten einer der wichtigsten Gründe für pflegende Angehörige, ihre Situation im Beruf zu verschweigen. Nahezu die Hälfte der Befragten fürchtet außerdem mangelndes Verständnis der Vorgesetzten und immerhin auch zwischen rund einem Viertel oder Drittel auch der Kolleginnen und Kollegen“ (ZQP, 2014: 5).

Die Verheimlichung der häuslichen Pflegetätigkeiten kann wiederum zu Missverständnissen und Spannungen sowohl mit Kolleg:innen als auch mit Vorgesetzten führen (Keck, 2012; Kohler & Döhner, 2012). Hierzu ein Beispiel: So könnten nicht termingerecht erledigte Arbeiten fälschlicherweise auf eine mangelnde Arbeitsmotivation zurückgeführt werden, wenn der eigentliche Grund (z. B. pflegebedingte Termine) unbekannt bleibt. Interessanterweise neigen Männer noch weniger als Frauen dazu, ihre häuslichen Pflegeaufgaben am Arbeitsplatz offen zu legen (Auth et al., 2015).

3.4 Eingeschränkte Möglichkeiten zur Fort- und Weiterbildung

Für einige Beschäftigte kann die Übernahme von Pflegeverpflichtungen zur Folge haben, dass sie, bedingt durch Zeitmangel und/oder aber aufgrund fehlender physischer und psychischer Ressourcen, nicht an notwendigen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen können (Keck, 2012; Kohler & Döhner, 2012). Dies wiederum kann zur Konsequenz haben, dass erwerbstätige Pflegeleistende verminderte Chancen in Bezug auf eine Beförderung erfahren bzw. mögliche Aufstiegschancen gar nicht erst wahrnehmen, u. a. weil sie glauben, den neuen beruflichen Anforderungen nicht gewachsen zu sein.

Vor allem erfolgs- bzw. karriereorientierte Arbeitnehmer:innen dürften darunter leiden, geringere Möglichkeiten zu haben, an Fort- und Weiterbildung sowie an beruflich wichtigen formellen und/oder informellen Treffen teilzunehmen. Letztlich kann sich dieser Belastungsaspekt demotivierend auf das allgemeine berufliche Engagement auswirken, aber auch die Pflegesituation bzw. das Verhältnis zum Pflegebedürftigen negativ beeinflussen.

3.5 Arbeitszeitreduzierung und – reorganisation

Wenn die gleichzeitige Ausübung von Erwerbstätigkeit und Pflege zunehmend schwieriger wird bzw. mit negativen Konsequenzen im Beruf und im Privatleben einhergeht, besteht eine vielfach angewandte Strategie der Betroffenen darin, die Arbeitszeit zu reduzieren (Kohler & Döhner, 2012; Reichert, 2015). Nach den Ergebnissen von Schneekloth et al. (2017) haben 23 % der zu Beginn der Pflegeübernahme erwerbstätigen Hauptpflegepersonen ihre Berufstätigkeit eingeschränkt, wobei dies insbesondere für Frauen gelten dürfte. Nach Auth et al. (2016) hat die Erwerbstätigkeit für viele Männer – in ihrer Studie speziell pflegende Söhne – einen sehr zentralen Stellenwert. Die pflegerelevanten Tätigkeiten werden aus diesem Grund von Männern eher um ihre (Vollzeit) Erwerbstätigkeit herum organisiert, während Frauen die Berufstätigkeit eher nach der Pflege ausrichten. Diesen Sachverhalt bestätigen auch die Daten des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) von 2017, einer großen deutschlandweiten Repräsentativerhebung. Demnach arbeiteten in der Altersgruppe der 30- bis 59-jährigen 76 % der männlichen, aber nur 35 % der weiblichen Pflegenden in Vollzeit. Entsprechend waren 40 % der Frauen, aber nur 4 % der Männer dieser Gruppe teilzeitbeschäftigt (nicht erwerbstätig: 19 % der Männer versus 15 % der Frauen (Kochskämper, Neumeister & Stockhausen, 2020).

Andere Strategien alle Aufgaben zu vereinbaren, beziehen sich auf eine Reorganisation der beruflichen Tätigkeit wie die Inanspruchnahme von „Home Office“ oder von innovativen Arbeitszeitmodellen (Kohler & Döhner, 2012; Reichert, 2016). Diese betrieblichen Angebote, die prinzipiell das Potenzial haben, Arbeitnehmer:innen mit Pflegeverantwortung zu unterstützen, sind jedoch von der Art der Erwerbstätigkeit, aber auch von den jeweiligen arbeitsplatzbezogenen Rahmenbedingungen abhängig: Längst nicht alle Berufe erlauben eine Tätigkeit im „Home Office“ wie die aktuelle Diskussion um den Anspruch darauf in der aktuellen Corona-Krise zeigt. Auch ist offen, ob die Arbeit von zu Hause aus in jedem Falle die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege erleichtert.

3.6 Berufsaufgabe

Reichen die bisher angewandten Bewältigungsformen im Arbeits- und/oder Privatleben nicht aus, um allen Aufgaben gerecht zu werden oder kommt zu massiven Veränderungen, z. B. im Hinblick auf den Gesundheitszustand der pflegebedürftigen Person, so ist die von den Betroffenen häufig am wenigsten gewünschte Option die Beendigung der Erwerbstätigkeit. Durch diese Entscheidung kann nicht nur langfristig die finanzielle Basis der Pflegeperson gefährdet sein, sondern auch ihre Alterssicherung (siehe Gliederungspunkt 3.7). Darüber hinaus fühlen sich viele nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gesellschaftlich isoliert, unzufrieden und damit psychisch belastet (Reichert, 2015). Bleibt die oder der Pflegende dem Arbeitsmarkt längere Zeit fern, können auch berufsspezifisches Wissen und Kompetenzen sowie der Kontakt zum Unternehmen bzw. zur Arbeitswelt verloren gehen – mit der Konsequenz einer langfristigen De-Qualifizierung, die wiederum Schwierigkeiten beim Wiedereinstieg in das Berufsleben bzw. in den ursprünglichen Beruf nach sich ziehen kann. Dies dürfte umso mehr gelten, je länger die Pflegephase dauert und umso älter die Berufsrückkehrer:innen sind (Keck, 2016).

Schneekloth et al. (2017) konnten ermitteln, dass 14 % der Hauptpflegepersonen ihre Erwerbstätigkeit nach Übernahme der häuslichen Pflegeverpflichtungen aufgegeben haben. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland: Während sich in Westdeutschland 15 % für eine Beendigung der Berufstätigkeit entschieden haben, waren dies in Ostdeutschland „nur“ 11 %. Dieser Sachverhalt dürfte vor allem auf die traditionell hohe (Vollzeit)Erwerbsbeteiligung ostdeutscher Frauen – und dies trotz Sorgearbeit – zurückzuführen sein. Ob die Berufstätigkeit beendet wird, hängt aber auch von folgenden Faktoren ab: bisherige Dauer der Beschäftigung, Möglichkeiten zur Reorganisation von Arbeitszeit und – ort, allgemeine Arbeitszufriedenheit und/oder Höhe des Erwerbseinkommens bzw. der Verfügbarkeit weiterer Einkommen ab (Franke & Reichert, 2012; Knauthe & Deindl, 2019). Gerade für Frauen mit einem niedrigen Erwerbseinkommen kann die Berufsaufgabe – zumindest kurz- und mittelfristig – eine Option sein, wenn sie alternativ auf das von der Pflegeversicherung gezahlte Pflegegeld zurückgreifen können (siehe hierzu auch Gliederungspunkt 4). Hinzu kommt ein geschlechtsspezifischer Unterschied: Während Frauen eher den Beruf aufgeben, wählen pflegende Männer – vor allem, wenn sie ihre (Ehe-)partnerin versorgen – den Weg in den vorzeitigen Ruhestand (Schneekloth & Wahl, 2005). Männer sind bei der Partnerinnenpflege vermutlich näher am gesetzlichen Renteneintrittsalter, sodass das endgültige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben praktisch und ökonomisch sinnvoller erscheint.

3.7 Einkommenseinbußen und verminderte Rentenversicherungsleistungen

Mit der Arbeitszeitreduzierung, den "verpassten" Karrierechancen und insbesondere der Berufsaufgabe sind für den hier im Fokus stehenden Personenkreis wesentliche Einkommenseinbußen (Geyer, 2016; Ehrlich, Minkus, Hess 2020) und verminderte Rentenanwartschaften verbunden (Knauthe & Deindl, 2019).Footnote 3 Rothgang und Unger (2013) können auf der Basis der Daten der deutschen Rentenversicherung Belege dafür finden, dass das Alterssicherungsniveau von Frauen, die sich für eine Pflegetätigkeit bzw. gegen eine Fortführung der Erwerbstätigkeit entscheiden um einiges niedriger war, als bei Frauen gleichen Alters, die nicht pflegen (ähnlich auch Christofczik, 2020). Es ist somit nicht verwunderlich, dass im Rahmen der schon angesprochenen repräsentativen Bevölkerungsumfrage des ZQP (2014) 86 % der Männer und Frauen „finanziellen Gründe“ für die Notwendigkeit angaben, Pflege und Beruf gleichzeitig auszuüben.

3.8 Zwischenfazit

Viele der bislang diskutierten Studien haben eindrucksvoll belegt, dass ein großer Teil der Arbeitnehmer:innen aufgrund von Pflegeverpflichtungen erhebliche und mannigfaltige Belastungen am Arbeitsplatz verspürt, wenn keine Möglichkeiten einer effektiven Entlastung gegeben sind. Gleichzeitig ist aber die Entscheidung „nur“ zu pflegen, für Arbeitnehmer:innen oft keine gute Lösung. So kann die Erwerbstätigkeit als Ausgleich zu den häuslichen Pflegeaufgaben empfunden werden, da man u. a. berufliche Anerkennung und Selbstbestätigung erhält, durch die Tätigkeit am Arbeitsplatz von pflegerischen Problemen abgelenkt wird und schließlich ein eigenes Einkommen sowie Rentenansprüche erwirbt (Au & Sowarka, 2007; Keck, 2012; Reichert, 2015). Der Arbeitsplatz kann somit auch ein Ort sein, an dem man für eine gewisse Zeit eine "Pause" von der Pflege machen kann. Entsprechend wird das Argument „Abstand von der häuslichen Pflege“ auch von 74 % der Frauen (Männer: 58 %) in der Repräsentativbefragung des ZQP gegen die Berufsaufgabe bei Pflegeübernahme angeführt. Unterschiede zwischen Männern und Frauen werden auch deutlich, wenn es um die Bedeutung sozialer Kontakte am Arbeitsplatz geht. Für Frauen sind diese mit 67 % weitaus wichtiger als für Männer (50 %). Der Erhalt der beruflichen Kompetenzen ist beiden Geschlechtern in nahezu gleichem Ausmaß von Bedeutung (Frauen: 62 %; Männer: 58 %). Insgesamt sind es 94 % (!) der Befragten, die es für (sehr) wichtig halten, auch bei Angehörigenpflege weiterhin erwerbstätig zu bleiben. Gleichwohl sind für 59 % der 45- bis 59-jährigen „Angst vor beruflichen Nachteilen“ und für 62 % „Sorge um ihren Arbeitsplatz“ Gründe, ihre häusliche Pflegetätigkeit gegenüber dem Arbeitgeber nicht zur Sprache zu bringen (Naumann, Teubner & Eggert, 2016).

4 Betriebliche, tarifvertragliche und gesetzliche Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege – ein kritischer Überblick

4.1 Betriebliche tarifvertragliche Regelungen

Die von erwerbstätigen Pflegenden erlebten Nachteile am Arbeitsplatz können auch unmittelbar die Arbeitgeber betreffen (Bäcker & Stolz-Willig, 1998). So bezifferten Schneider, Heinze und Herring (2011) die betrieblichen Folgekosten einer mangelnden Vereinbarkeit, die im Übrigen zu ca. 50 % durch Präsentismus bedingt sind, auf ca. 14.000 € pro Jahr je pflegendem bzw. pflegender Arbeitnehmer:in. Weitere Kosten können durch den vorzeitigen Verlust von qualifiziertem und langjährigem Personal bzw. durch Zusatzkosten für die Rekrutierung und Einarbeitung neuer Arbeitskräfte entstehen. Konsequenterweise wäre zu erwarten, dass die Mehrheit der Unternehmen in den letzten Jahren, auch aus Gründen der Kostenersparnis, verstärkt in betriebliche Maßnahmen investiert hätte.

Aus einer Unternehmensbefragung des ZQP, die seit 2012 regelmäßig durchgeführt wird, zuletzt 2018 mit 401 Personalentscheidern in Unternehmen mit mehr als 26 Mitarbeiter:innen, ist u. a. bekannt, dass es durchaus betriebliche Angebote und Regelungen gibt, die eine Balance zwischen Erwerbs- und Privatleben ermöglichen könnten (Eggert et al., 2018). Es handelt sich dabei weit überwiegend um flexible Arbeitszeitmodelle – 90 % der befragten Unternehmen halten diese vor – um individuelle Absprachen mit pflegenden Arbeitnehmer:innen (78 %), zeitlich befristete Freistellung (68 %) und um die Möglichkeit, von zu Hause arbeiten zu können (63 %). Weniger verbreitet sind hingegen Job-Sharing (35 %), betriebsinterne Beratung zur Pflege (26 %), Qualifizierung von Führungskräften zum Thema „Beruf und Pflege“ (22 %) sowie Kooperation mit Pflegediensten, Tagespflege- oder stationären Einrichtungen (21 %); alles Maßnahmen, für die vor allem in Großbetrieben Bedarf vermutet werden kann.

Einige der genannten Angebote basieren auf tarifvertraglichen Regelungen und Betriebsvereinbarungen bzw. ergänzen diese. Tarifvertragliche Regelungen und Vereinbarungen – sie haben den entscheidenden Vorteil, dass sie Arbeitnehmer:innen eine Rechtssicherheit in Bezug auf die Inanspruchnahme von betrieblichen Angeboten gewähren – finden sich in verschiedenen Industriezweigen (z. B. Metall- und Elektroindustrie) aber auch beim bundeseigenen Unternehmen „Deutsche Bahn“, im Garten- und Landschaftsbau und insbesondere im Öffentlichen Dienst. So können Beschäftigte bei einem Softwareanbieter eine befristete Teilzeit für einen Monat bis hin zu drei Jahren in Anspruch nehmen. Bei einem Süßwarenhersteller wiederum ist es möglich, dass Mitarbeiter:innen über Wertguthaben bis zu 1000 h ansparen, die sie in Freizeitblöcken nutzen können. Freistellungen, z. B. zur Pflege kranker Angehöriger, sind damit zumindest teilweise finanzierbar (BDA, 2013; Unabhängiger Beirat zu Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege, 2019).

Bemerkenswert ist dennoch der hohe Stellenwert von Einzelabsprachen zwischen pflegenden Arbeitnehmer:innen und Arbeitgebern. Offensichtlich erscheinen diese Maßnahmen beiden Seiten als vorteilhaft. Einerseits erhalten Erstgenannte im günstigsten Fall eine auf ihre Bedürfnisse individuell zugeschnittene Lösung, ohne gleichzeitig ihre häuslichen Pflegeverpflichtungen „an die große Glocke hängen zu müssen“. Andererseits sind Arbeitgeber, gerade in kleinen und mittleren Unternehmen, von der Verpflichtung befreit, spezielle und für alle Betroffenen zugängliche Maßnahmen vorzuhalten.

Hinweise darauf finden sich auch in weiteren Daten der ZQP-Studie: Ein betriebliches Angebot für pflegende Mitarbeiter:innen, das über die gesetzlichen Regelungen hinausgeht, halten insgesamt 34 % der Unternehmen bereit. Erwartungsgemäß sind es vor allem Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten, hier waren es 64 % (demgegenüber 40 % bei 50 bis 249 Mitarbeiter:innen und 23 % bei 26 bis zu 49 Mitarbeiter:innen). Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings, dass 58 % der Unternehmen keine Maßnahmen eingeführt haben und dies auch nicht planen (Maßnahmen geplant: 8 %). Die entsprechenden Prozentsätze reichen dabei je nach Unternehmensgröße von 28 % über 50 % bis hin zu 71 % in kleineren Unternehmen.Footnote 4 In Einklang damit steht auch die Einschätzung, die Relevanz des Themas „Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege“ habe in den letzten zwei, drei Jahren zugenommen. Nur 29 % der Personalentscheider – über alle Unternehmensgrößen hinweg – sind dieser Ansicht. In großen Unternehmen sind es 57 %, in kleinen Unternehmen dagegen lediglich von 17 % (Eggert et al., 2018).

Die folgenden Argumente stehen gemäß vorliegender Befragungsdaten einer Einführung von betriebsinternen Maßnahmen entgegen (Antwortkategorie: „stimme voll und ganz zu/eher zu“):

  • Umsetzung ist zu aufwendig und andere Fragen sind wichtiger: 43 %,

  • Umsetzung ist zu teuer: 34 %,

  • es fehlt an Wissen über hilfreiche Angebote für betroffene Mitarbeiter:innen: 63 %,

  • es fehlt an Wissen darüber, welche Mitarbeiter:innen tatsächlich Unterstützungsbedarf in der Pflege von Angehörigen haben: 62 %.

Insbesondere die letztgenannten Barrieren verweisen darauf, dass die weit überwiegende Mehrheit der Unternehmen kaum Informationen über die Anzahl ihrer pflegenden Mitarbeiter:innen sowie über deren Wünsche und Bedürfnisse hat. Weiterhin ist zu vermuten, dass ein Teil der angebotenen betrieblichen Maßnahmen ohne die Beachtung solcher relevanten Informationen implementiert worden ist und folglich „am Bedarf vorbei“ geht.

Fragt man Unternehmensleitungen und Personalverantwortliche nach den Gründen für ein positives Engagement, so versprechen sich diese vor allem eine Steigerung der Produktivität bzw. eine Reduzierung möglicher Folgekosten einer unzureichenden Vereinbarkeit. Zudem werden Vorteile bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter:innen, eine Sicherung des Personalbestandes als auch ganz generell eine Verbesserung des Unternehmensimages in der Öffentlichkeit und in der Branche erwartet (ZQP, 2013). Die Erhöhung der Arbeitszufriedenheit und die Unterstützung von Arbeitnehmer:innen bei ihrer „work-life-balance“ sind Motive, die demgegenüber insbesondere von Betriebsräten und Gewerkschaften betont werden (ZQP, 2016). Zudem erweisen sich eine lange betriebliche Tradition in Bezug auf allgemeine Familienfreundlichkeit ebenso förderlich wie die Existenz einer Mitarbeitervertretung, die sich für pflegende Arbeitnehmer:innen einsetzt. Darüber hinaus halten Unternehmen, die einen hohen Anteil von älteren Beschäftigten haben bzw. eine demografisch bedingte Verknappung von qualifizierten Arbeitskräften erwarten, eher ein Angebot für ihre pflegenden Beschäftigten bereit (Kümmerling & Bäcker, 2012).

Trotz der erheblichen Vorteile, die betriebliche Angebote, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen zur Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege mit sich bringen können, sind diese in Deutschland aber immer noch nicht flächendeckend vorhanden. Neben den angeführten Gründen aus Arbeitgeberperspektive gibt es allerdings Hinweise dafür, dass auch erwerbstätige Pflegende unterstützende Maßnahmen nicht einfordern oder, falls vorhanden, häufig nicht nachfragen, z. B. aus Angst vor Nachteilen am Arbeitsplatz, wegen der Betrachtung häuslicher Pflege als „Privatangelegenheit“ oder fehlender Passung mit der individuellen Bedarfslage (Reichert, 2015). In der Konsequenz hat die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege faktisch immer (noch) nicht den Stellenwert, der ihr – wie die Kindererziehung bei gleichzeitiger Berufstätigkeit – auf betrieblicher bzw. gesamtgesellschaftlicher Ebene zukommen müsste.

4.2 Gesetzliche Regelungen

Wenn es um eine nachhaltige und effektive Unterstützung von pflegenden Beschäftigten geht, so sind neben den Unternehmen auch andere Akteure gefragt. Zu nennen ist hier in erster Linie der Staat, denn neben den weiter oben angesprochenen tarifvertraglichen, sichern vor allem gesetzliche Regelungen Ansprüche ab. Bereits 1995 hat der Gesetzgeber mit der Einführung der Pflegeversicherung (SGB XI) das Ziel verfolgt, die Situation von Pflegebedürftigen, aber auch von (nicht mehr erwerbstätigen) Pflegenden, zu verbessern. Mehr als ein Jahrzehnt später (2008) wurde mit dem Pflegezeitgesetz das erste Gesetz im Bundestag verabschiedet, das sich explizit an Personen richtet, die Pflege und Beruf gleichzeitig ausüben möchten/müssen. 2012 folgte das Familienpflegezeitgesetz (Überarbeitung des Gesetzes 2015).

Vom Gesetzgeber war mit der Einführung der Pflegeversicherung von Anfang an beabsichtigt, Menschen, auch bei Vorliegen von Pflegebedürftigkeit, einen möglichst langen Verbleib im Privathaushalt zu ermöglichen bzw. die häusliche Pflege zu stärken (Bäcker et al., 2020, Bd. II). Hierzu gewährt die Pflegeversicherung sogenannte Pflegesachleistungen (Inanspruchnahme ambulanter Pflegedienste), Geldleistungen (Pflegegeld) oder eine Kombination aus beiden Leistungsformen (für weitere Details zur Pflegeversicherung siehe BMG, 2017).

„Die Pflegeversicherung soll mit ihren Leistungen vorrangig die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn unterstützen, damit die Pflegebedürftigen möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können. Leistungen der teilstationären Pflege und der Kurzzeitpflege gehen den Leistungen der vollstationären Pflege vor (§ 3 SGB XI).“

Das Pflegegeld wird für gewöhnlich vom Versicherten, also von der pflegebedürftigen Person, als finanzielle Anerkennung an informell Pflegende, es handelt sich überwiegend um nahe Angehörige, weitergereicht. Vom Pflegegeld sind weder Steuern noch Sozialabgaben zu entrichten, auch eine Anrechnung auf Renten- oder Grundsicherungsbezüge (Hartz IV) erfolgt nicht. Dennoch kompensiert das Pflegegeld nur in den seltensten Fällen das durch die Berufsaufgabe fehlende Erwerbseinkommen. Das sogenannte Elterngeld, das dann gewährt wird, wenn Eltern wegen der Kindererziehung ihre Berufstätigkeit aufgeben oder einschränken, ist dagegen von seiner Höhe sehr viel eher als Einkommensersatzleistung konzipiert, denn es soll „…die wirtschaftliche Existenz der Familien [sichern]. und hilft Vätern und Müttern, Familie und Beruf besser zu vereinbaren“ (BMFSFJ, 2021).

Weitere wichtige Leistungen im Rahmen der Pflegeversicherung sind Beiträge zur Unfall-, Arbeitslosen- und insbesondere zur gesetzlichen Rentenversicherung. Letztere werden unter folgenden Bedingungen gezahlt: Umfang der Erwerbstätigkeit von weniger als 30 h pro Woche, Pflegeaufwand von mindestens 10 h pro Woche sowie mindestens Pflegegrad 2 der bzw. des zu Pflegenden. Zwar wird die Entrichtung der Rentenbeiträge von Fachleuten als Schritt in die richtige Richtung gewertet, gleichzeitig wird jedoch kritisiert, dass die Beiträge nicht ausreichen, um die Verluste auszugleichen, die Pflegenden nach Beendigung der Erwerbstätigkeit entstehen (können). Weder die Höhe des Pflegegeldes noch die Beiträge zur Rentenversicherung sind somit geeignet, die finanziellen Nachteile, die durch eine pflegebedingte Einschränkung oder Beendigung der Berufstätigkeit entstehen, auszugleichen. Die Übernahme der häuslichen Pflege – so Knauthe & Deindl (2019; Ehrlich, Minkus & Hess, 2020) – stellt allein schon aus diesen Gründen ein (Alters-)Armutsrisiko dar.

Bereits weiter oben wurde auf neuere, über das SGB XI hinausgehende spezielle Gesetze hingewiesen. Im Rahmen des PflegezeitgesetzesFootnote 5 haben alle Beschäftigten, unabhängig von der Betriebsgröße, einen Anspruch auf eine kurzfristige Auszeit von bis zu zehn Arbeitstagen, wenn dies erforderlich ist, um eine bedarfsgerechte Pflege für nahe Angehörige zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen.Footnote 6 Für diese Auszeit wird ein auf bis zu zehn Arbeitstage begrenztes Pflegeunterstützungsgeld gezahlt, das analog zum Kinderkrankengeld 90 % des wegfallenden Nettoentgelts abdeckt. Dabei handelt es sich um eine Entgeltersatzleistung der Pflegekassen. Nach dem Pflegezeitgesetz haben Arbeitnehmer:innen zudem einen Anspruch auf Voll- oder Teilfreistellung von bis zu sechs Monaten mit vollem Rückkehrrecht. Ein solcher Anspruch besteht jedoch nur für Beschäftigte in Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten.

Die Familienpflegezeit sieht hingegen einen Anspruch auf eine Teilfreistellung mit einem garantierten Rückkehrrecht auf die vorherige Vollzeittätigkeit von bis zu 24 Monaten vor, wobei die bei Freistellung verbleibende wöchentliche Arbeitszeit mindestens 15 h betragen muss. Dieser Anspruch besteht gegenüber Arbeitgebern mit mindestens 25 Beschäftigten. Als Ausgleich für Einkommensverluste ist in Bezug auf beide Gesetze folgende Regelung vorgesehen: Pflegende Angehörige haben die Möglichkeit, beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) ein zinsloses Darlehn zu beantragen. Damit sind sie zunächst finanziell abgesichert, wobei das Darlehn allerdings nach Beendigung der Pflege zurück zu zahlen ist (für weitere Details siehe auch BMFSFJ, 2018).

Tablle 1 enthält eine Kurzdarstellung dieser gesetzlichen Regelungen sowie die Voraussetzungen für ihre Inanspruchnahme.

Tabelle 1 Gesetze zur Pflegezeit

Die bislang vorliegenden Erfahrungen verweisen allerdings darauf, dass die neuen Leistungen – auch aus Arbeitgebersicht – nur sehr zögerlich in Anspruch genommen werden (Eggert et al., 2018). So haben 2016 lediglich 6 % der pflegenden Angehörigen die Pflegezeit und 1 % die kurzfristige Auszeit in Anspruch genommen (Hielscher et al., 2017). Eine längere Auszeit für die Pflege, im Sinne des Familienpflegezeitgesetzes, beantragten bislang auch nur sehr wenige Personen (Bäcker et al., 2020, Bd. II). Zwar ist bislang keine Meldepflicht für die kurzzeitige Arbeitsverhinderung sowie für die Freistellungen nach dem Pflege- und Familienpflegezeitgesetz gegeben, im Jahre 2017 erfolgte aber erstmalig eine Erfassung von Pflegezeit und Familienpflegezeit im Rahmen des Mikrozensus. Das Statistische Bundesamt ermittelte auf dieser Basis für 2017 einen Schätzwert von ca. 82 000 Personen, die eine Inanspruchnahme angegeben haben (Unabhängiger Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, 2019).

Nach Angaben des BAFzA sind bislang (Stand: 2019) lediglich 1.093 Anträge auf ein Darlehn eingereicht und 867 bewilligt worden, d. h. die Inanspruchnahme ist damit ebenfalls äußerst gering. Dieser Sachverhalt entspricht der Skepsis, die der Darlehnsvergabe entgegengebracht wird: 52 % gaben in einer Befragung von TNS Emnid (nunmehr Kantar Emnid) an, ein Pflegedarlehn sei „nicht hilfreich“.Footnote 7 Die größten Kritikpunkte an den jetzigen gesetzlichen Regelungen beziehen sich daher auf folgende Punkte (Hielscher et al., 2017; Schneekloth et al., 2017; Rothgang & Müller, 2018):

  • Für pflegende Angehörige besteht ein hohes finanzielles Risiko, da entweder auf Einkommen verzichtet wird oder eine Verschuldung durch die Aufnahme eines Darlehns entsteht. Der Rechtsanspruch gilt erst ab einer Unternehmensgröße von über 15 bzw. 25 Mitarbeitenden. Pflegende Angehörige in kleinen bzw. Kleinstunternehmen können diese daher nicht nutzen.

  • Die Regelungen sind für Langzeitpflegende nicht ausreichend. Die Mehrheit der pflegenden Angehörigen gaben eine durchschnittliche Pflegedauer von vier Jahren an.

  • Das jetzige System setzt keine Anreize für eine partnerschaftliche Aufteilung der Pflege und verfestigt die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit, da Frauen häufig weniger verdienen und ihre Einbußen beim Gehalt häufig geringe Auswirkungen auf das Familieneinkommen haben“ (Knauthe & Deindl, 2019: 60 f.).

Bäcker et al. (2020, Bd. II) bemängeln ebenfalls, dass es im Hinblick auf die Freistellungsregelungen keine Einkommensleistungen analog zum Elterngeld gibt und „… die Rückzahlungsverpflichtung nach dem Ende der Pflegezeit/Familienpflegezeit eher abschreckend [wirkt]“ (S. 781).

Auch weil die bestehenden gesetzlichen Regelungen den Bedürfnissen von pflegenden Arbeitnehmer:innen noch nicht hinreichend gerecht werden und hier noch Verbesserungsbedarf besteht, so ist es wichtig, das Thema „Vereinbarkeit von Pflege und Beruf“ auf die politische Agenda und damit in die Öffentlichkeit zu bringen. Deutlich wird aber der „time lag“, der zwischen der Erhebung der ersten Forschungsergebnisse in Deutschland im Jahre 1995 und der Einführung spezifischer Gesetze liegt – nämlich 13 Jahre für das Pflegezeitgesetz (2008) und 17 Jahre für das Familienpflegezeitgesetz (2012).

5 Handlungsempfehlungen zur Ausweitung und qualitativen Verbesserung von Maßnahmen für pflegende Beschäftigte

Vor Hintergrund der oben genannten Daten und Fakten stellt sich nun die Frage, was zu tun ist, damit mehr Arbeitnehmer:innen mit privaten Pflegeaufgaben flächendeckend von Unternehmen und vom Gesetzgeber Unterstützung erfahren können. Die im Weiteren präsentierten übergreifenden, thesenartig dargestellten Handlungsempfehlungen richten sich an unterschiedliche Akteure, denn nur ein gemeinsames Handeln aller kann den gewünschten Erfolg auf der Mikro-, Meso- und Makroebene bringen (Behrens et al., 2018; Reichert, 2016; Unabhängiger Beirat zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf 2019). Anzumerken ist noch, dass die Reihenfolge der Empfehlungen keine Priorisierung widerspiegelt.

Generelle Stärkung der Familienfreundlichkeit in Betrieben

Die Familienfreundlichkeit eines Unternehmens ist ganz entscheidend für die Art und Anzahl der Maßnahmen, die für die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie bzw. Pflege bereitgehalten werden. Eine generelle Stärkung des familienfreundlichen Bewusstseins in Unternehmen, die noch nicht als solche gelten können, kann zu mehr und vielfältigen Maßnahmen für eine bessere – auch geschlechtergerechte – Vereinbarkeit führen und die Inanspruchnahme erleichtern.

Betriebliche Maßnahmen auch für Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen

Pflegefreundliche Maßnahmen sind fast ausschließlich in größeren Unternehmen zu finden. Andererseits sind aber 58 % der deutschen Arbeitnehmer:innen in Klein- und Mittelbetrieben beschäftigt (Referenzjahr, 2018). Für erwerbstätige Frauen – die die Mehrheit der Pflegenden bilden – gilt dies in einem noch sehr viel stärkeren Maße: Ca. 44 % der Klein- und Mittelbetriebe gehören den Sektoren „Handel und Gastgewerbe“ und „personenbezogene Dienstleistungen“ an; hier arbeiten nahezu ausschließlich Frauen (Statistisches Bundesamt, 2020). Es sind also Lösungen erforderlich, die es auch den dort Tätigen erlauben, Pflege und Beruf – jenseits informeller Regelungen – zu vereinbaren. Denkbar sind Zusammenschlüsse von kleinen Betrieben, die z. B. unter der Federführung ihrer Interessenvertretungen bzw. Kammern, Maßnahmen gemeinsam anbieten könnten (Gerlach et al., 2017).

Ermittlung der Prävalenzrate und der Wünsche und Bedürfnisse von pflegenden Beschäftigten

Unternehmen, die sich ein Bild von „ihren“ pflegenden Mitarbeiter:innen machen möchten, sind aufgefordert, eine entsprechende Befragung durchzuführen. Die Ergebnisse können die Grundlage für die Entwicklung eines Unterstützungskonzepts bzw. für Art und Umfang der zu implementierenden Maßnahmen sein, sodass die Gefahr „am Bedarf vorbei“ minimiert wird. Dabei ist zu beachten, dass jede Maßnahme für sich genommen bestimmte Vorteile bietet, dass aber erst ihr komplementärer Einsatz zu einer Effizienzsteigerung im Sinne der Nutzer:innen führen kann, z. B. die Kombination von flexiblen Arbeitszeitregelungen und Bereitstellung von Informationsmaterialien „rund um die Pflege“.

Bereitstellung einer Angebotspalette

Je nach den individuell unterschiedlichen pflegerischen, privaten und beruflichen Anforderungen sowie vorhandenen Ressourcen setzen erwerbstätige Pflegende unterschiedliche Strategien ein, um für sich eine Balance zwischen Erwerbstätigkeit und Pflege zu erreichen. Während für einige die Nutzung unterschiedlicher Arbeitszeitmodelle, z. B. Teilzeit, möglich und vorteilhaft ist, schafft für andere die Inanspruchnahme ambulanter Pflegedienste oder weiterer Helfer:innen Entlastung. Dies wiederum bedeutet, dass es die ideale Form der Unterstützung für alle pflegenden Arbeitnehmer:innen nicht gibt. Vielmehr ist es notwendig, eine den individuellen Wünschen und Bedürfnissen gemäß breite Palette von Hilfsangeboten bereit zu halten, damit eine erfolgreiche Vereinbarkeit gelingen kann. So muss neben gesetzlichen und tarifvertraglichen bzw. betrieblichen Regelungen, die Pflegende vom Wohlwollen ihrer Vorgesetzten mehr oder minder unabhängig machen, stets auch Raum für individuelle Lösungen sein.

Verstärkte Kooperation bzw. Vernetzung zwischen Unternehmen, Diensten und Einrichtungen der Altenhilfe und Politik

Effektive Maßnahmen zur Unterstützung von pflegenden Arbeitnehmer:innen sollten insbesondere in der Arbeitswelt verankert sein. Unternehmen müssen – wie auch im Falle der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung – ihren spezifischen Beitrag zur Problembewältigung leisten. Aber Unternehmen haben nicht die alleinige Verantwortung, vielmehr sind auch die Pflegepolitik und die Träger von sozialen Diensten gefragt. So empfiehlt z. B. das zuständige Bundesarbeitsministerium die Vernetzung von Unternehmen und sozial-pflegerischen Diensten in Form von partnerschaftlichen Kooperationen auf kommunaler bzw. regionaler Ebene (BMAS, 2012) sowie die bedarfsgerechte Ausweitung des Angebots an ambulanten und teilstationären Einrichtungen. Ergänzend hierzu, sollte dem Auf- und Ausbau nachbarschaftlicher Hilfen bzw. der Förderung des ehrenamtlichen Engagements ein besonderes Augenmerk gelten.

Gesellschaftliche Anerkennung der Pflegetätigkeit und der besonderen Leistungen erwerbstätiger Pflegender

Erwerbstätige Pflegende betonen immer wieder, dass sie in aller Regel gern sowohl der Pflege- als auch der Berufstätigkeit nachgehen und dies auch weiter tun wollen. Dennoch verweisen sie häufig auf die fehlende Anerkennung ihrer Leistungen sowohl von Kolleg:innen als auch vom Arbeitgeber. Auch kritisieren sie, sich für ihre Entscheidung zu pflegen, vielfach rechtfertigen zu müssen. Eine stärkere gesamtgesellschaftliche Würdigung könnte z. B. in einer generellen Erhöhung des familienfreundlichen Bewusstseins in Unternehmen aller Branchen und über alle Hierarchieebenen hinweg liegen (BMAS, 2012). Eine gezielte Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ist ebenfalls in hohem Maße dazu geeignet, das Thema „Pflege“ in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu holen und es zu enttabuisieren.

Gesetzliche Regelungen, die den Bedürfnissen von erwerbstätigen Pflegenden entsprechen

Der unabhängige Beirat zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege hat nach vierjähriger Arbeit kürzlich eine Vielzahl von Handlungsempfehlungen ausgesprochen, die u. a. auch das Pflegezeitgesetz und das Familienpflegezeitgesetz betreffen. Diese Empfehlungen beziehen sich auf nachstehend genannte Aspekte, die an dieser Stelle nur thesenartig und auszugsweise wiedergegeben werden. Ein vollständiger Überblick findet sich im 1. Bericht des unabhängigen Beirates auf den Seiten 45 bis 49.

  1. 1.

    Finanzielle Unterstützung: Einführung einer steuerfinanzierten Lohnersatzleistung analog zum Elterngeld und Abschaffung der bislang möglichen Beantragung eines Darlehns.

  2. 2.

    Freistellungen zur kurzfristigen Arbeitsverhinderung: Ausweitung der Dauer der Freistellung im Rahmen des Familienpflegezeitgesetzes von 24 Monaten auf 36 Monate.

  3. 3.

    Zum Begriff der nahen Angehörigen: Ausweitung des Begriffs „nahe Angehörige“ sowie Prüfung der Anspruchsberechtigung von Menschen, die dem Pflegebedürftigen nahestehen, ohne dass ein Verwandtschaftsverhältnis vorliegt.

  4. 4.

    Vereinfachung der gesetzlichen Grundlage: Zusammenführung von Pflegezeitgesetz und Familienpflegezeitgesetz

  5. 5.

    Weiterentwicklung des Pflegezeitgesetzes und des Familienpflegezeitgesetzes: Vermeidung von „Fehlanreizen“, die gerade Frauen zur Aufgabe der Berufstätigkeit bewegen könnten und regelmäßige Evaluierung der Gesetze.

Folgendes Zitat fasst die Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Gesetzeslage für erwerbstätige Pflegende noch einmal zusammen:

„Zu den dringend für erforderlich gehaltenen grundsätzlichen Veränderungen gehören eine vereinfachte Gesetzeslage, vereinfachte Verfahren, ein verbesserter Rechtsanspruch auf Freistellung sowie Lohnersatzleistung in Erweiterung und Zusammenführung des Pflegezeitgesetzes und des Familienpflegezeitgesetzes, eine Flexibilisierung der Anspruchszeiten, bessere finanzielle Absicherung.“ (Konferenz der Minister und Ministerinnen, Senatoren und Senatorinnen für Arbeit und Soziales der Länder, 2018, S. 17).

Schließlich sollten auch die Reformvorschläge zur verbesserten finanziellen Absicherung von Pflegenden im Rahmen der Pflegeversicherung Beachtung finden (Rothgang & Domhoff, 2019), denn die Übernahme der häuslichen Pflege darf nicht zu Benachteiligungen führen und soziale Ungleichheiten verschärfen (Knauthe & Deindl, 2019).

6 Ausblick

Resümierend bleibt zunächst mit Blick auf die Unternehmen festzustellen, dass noch einiges zu tun ist, um die Situation von Arbeitnehmer:innen mit Pflegeverpflichtungen zu verbessern. Bei der Beurteilung der bisherigen Ausführungen kann man sich streiten, ob „das Glas halb voll oder halb leer“ ist. Unstrittig ist, dass nicht nur bei der familienfreundlichen, sondern auch pflegefreundlichen Gestaltung der Arbeitswelt Entwicklungsfortschritte erkennbar sind und ein Prozess des Umdenkens und der Umorientierung stattgefunden hat bzw. stattfindet. Hier könnten mehr und bessere tarifvertragliche Regelungen gute Anreize geben. Aber auch der Gesetzgeber ist gefordert, denn es besteht in Bezug auf die weiter oben vorgestellten Gesetze durchaus noch Nachbesserungsbedarf. Wie geschildert, sind sie an die Lebens-, Arbeits- und Pflegesituation der betroffenen Männer und Frauen anzupassen und in diesem Rahmen sind sie Eltern mit Erziehungsaufgaben gleichzustellen. Allerdings ist auch zu konstatieren, dass die Breite und Geschwindigkeit des Umdenkens und des Umorientierens langsamer voranschreitet als vermutet. Der oben genannte time-lag von 20 Jahren spricht für sich. Die Pflege bedarf einer breiten gesellschaftlichen Anerkennung und eines entsprechend förderlichen Diskurses, wie dies bei der Kindererziehung bereits erreicht worden ist. Denn folgender Wunsch wird immer wieder von vielen erwerbstätigen Pflegenden formuliert: „Wir möchten am Arbeitsplatz genau so normal behandelt werden wie Mütter und Väter!“