Zusammenfassung
Sehgewohnheiten und Blickbewegungen sind beim Kunstbetrachten essentiell und es scheint naheliegend, dass das Kunst-Sehen verschiedene Modi annehmen kann. Der Beitrag fokussiert dabei auf Annahmen zu einem kognitiven bzw. meditativen Seh-Modus. Ausgangspunkt dieser explorativen Studie sind theoretische Texte, die Aussagen zu Sehgewohnheiten beinhalten. Sie werden mit Eye-Tracking- und Befragungsdaten, die in Japan und Österreich erhoben wurden, in Beziehung gesetzt. Die Ergebnisse der vorgestellten Studie zeigen, dass beide Gruppen je nach Bild zwischen den Seh-Modi wechselten und sich die Blickbewegungen auch innerhalb des kognitiven Seh-Modus aufgrund der kulturellen Varianzen hinsichtlich einer Vertrautheit mit bestimmten Darstellungskonventionen unterscheiden, es dabei jedoch stark auf die jeweils betrachteten bzw. gezeigten Kunstwerke ankommt.
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Notes
- 1.
Die folgenden Überlegungen und Ergebnisse basieren auf meiner Dissertation „The Cultural Eye. Eine empirische Studie zu kulturellen Varianzen in der Kunstwahrnehmung“ 2017, aus der Textteile übernommen wurden.
- 2.
Von 2013–2016 habe ich als Stipendiatin im Rahmen des von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) geförderten DOC TEAMs „Materialität und Habitualität von Bildpraktiken. Transdisziplinäre Studien zu visuellen Konventionen“ gemeinsam mit Rosa John und Maria Schreiber zum Thema Bildpraktiken gearbeitet. Diese gemeinsame Denkarbeit ist auch in den hier vorliegenden Text eingeflossen.
- 3.
Es ist anzunehmen, dass Baxandall mit Berger vertraut war, in „Painting and Experience“ erwähnt er ihn jedoch nicht (siehe Burke 2009, S. 52).
- 4.
Dieses Konzept leitete er von der Art und Weise ab, wie Frauen in traditionellen westlichen Kunstwerken im Vergleich zu Männern gezeigt wurden und brachte es auf die prägnante Formel “men act, women appear” (Berger 1972, S. 47). Laura Mulvey entwickelte aus einer feministischen Perspektive das Konzept des “Male Gaze” speziell im Hinblick auf den Hollywood Film (Mulvey 1975; Mulvey 1996).
- 5.
Siehe hierzu ausführlich: Brinkmann (2021a).
- 6.
Häufig wird im Sinne eines Period Eye davon ausgegangen, dass die visuelle Wahrnehmung selbst historischen Veränderungen unterworfen sei und unterschiedliche Sehtheorien (bspw. die mittelalterliche Sehstrahltheorie) einen starken Einfluss auf die Herausbildung von Darstellungskonventionen haben, die teilweise bis heute nachwirken (vgl. Manthey 1983; Lindberg 1987; Crary 1990; Konersmann 1997; Wade und Tatler 2005; Kebeck 2006; Belting 2012).
- 7.
- 8.
- 9.
Während ein direkter Blick in die Augen des Gegenübers im Westen als gängig angesehen wird und Menschen, die keinen Augenkontakt halten können, oft als wenig vertrauenswürdig oder unsicher eingeschätzt werden (Kaisler und Leder 2016), wird der direkte Augenkontakt in Japan vermieden und der Blick eher auf Hals- bzw. Brusthöhe gerichtet (Koenig 1970; Morsbach 1973; Taylor 1975; Oksaar 1988; Pekar 1996). Dass bestimmte Arten zu blicken als unangenehm oder gar beängstigend empfunden werden können, schlägt sich etwa in Kulturphänomenen wie dem Bösen Blick (Koenig 1970, S. 194 ff.; Seligmann 1985) oder in Redensarten wie „Wenn Blicke töten könnten!“ nieder. Eine Kulturgeschichte des Blicks gibt es erst in Ansätzen, auch wenn in den letzten Jahren in unterschiedlichen Disziplinen intensiv an einer „Geschichte des Sehens“ gearbeitet wird (z. B. Köhnen 2009; Belting 2012; Rövekamp 2013; Prinz 2014; Falkenhausen 2015).
- 10.
Bryson bezieht sich hier auf das Modell von Lacan (siehe auch Falkenhausen 2015, S. 132 ff.).
- 11.
Eine empirische Studie zum emotionalen Ausdruck sichtbarer Pinselspuren in chinesischer Kalligraphie findet sich bei Dubal et al. (2013). Dass sich auch in westlicher Kunst solche Spuren des Herstellungsprozesses finden lassen, wurde von anderer Seite bereits festgestellt (vgl. Clarke 1992). Ebenso gibt es ostasiatische Beispiele, die den Herstellungsprozess nicht zeigen.
- 12.
In Wien im CReA Lab am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, in Japan an der Waseda University in Tokyo. Finanziert von der ÖAW und dem Wissenschaftsfonds FWF (Projekt P 25821).
- 13.
Speziell mit diesem Aspekt der Studie befasst sich der Artikel (Brinkmann 2021b).
- 14.
Es wurde bereits vielfach auf den Orientalismus in Hunts Werken hingewiesen, z. B. von Kate Green und Hilary Lim (2001, S. 89).
- 15.
Zum Programm: Thomas Kübler et al. (2015). Die Datenaufbereitung erfolgte mit einer Version vom 09.11.2016 mit folgenden Parametern für die Definition von Fixationen: Max. Radius 100 px, min. Dauer 80 ms, Outlier: 2. Statt Shadowmaps hätten die Daten auch mit den komplexeren Heatmaps visualisiert werden können.
- 16.
Die statistischen Ergebnisse basieren auf linearen Regressionen mit Cluster-Korrektur. Die Cluster-Korrektur bezieht sich auf Korrelationen innerhalb der Personen (Autokorrelation) und wird deshalb benötigt, da mehrere Beobachtungen pro Person vorliegen. Zur Berechnung wurde das Programm Stata verwendet.
- 17.
Bei Hokusais Werk wurde die Schrift belassen, um zu testen, wie die beiden Gruppen mit dem Blick darauf reagieren.
- 18.
Dabei handelte es sich um eine Vorstudie mit 20 Personen, die in offenen Fragen die Bilder beschreiben und ihre Assoziationen zu den Werken mitteilen sollten. Das Bild von Kandinsky wurde mit Begriffen wie „Weltall“, „Universum“ oder „Planeten“ und Adjektiven wie „leicht“ und „schwerelos“ beschrieben. Aus diesen offenen Fragen wurden dann Kategorien für das semantische Differential abgeleitet, welches in der Hauptstudie verwendet wurde, siehe Commare und Brinkmann (2016, S. 225).
- 19.
Ebd., allerdings von Berry fälschlicher Weise als von Jung zitiert.
- 20.
Vgl. Carl Jungs symbolische Archetypen.
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Brinkmann, H. (2021). Auf den Spuren von Seh-Modi beim Kunstbetrachten. In: Schürkmann, C., Zahner, N.T. (eds) Wahrnehmen als soziale Praxis. Kunst und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31641-9_13
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