Zusammenfassung
Gegenwärtige Diskriminierungsverhältnisse in der postkolonial und postnationalsozialistisch geprägten Migrationsgesellschaft basieren auf einer für die kapitalistische Gewinnmaximierung funktionalen und historisch gewachsenen „kategorialen Einordnung von Menschen auf der Basis normativer Standards“. Der Umgang mit und die Kritik an Diskriminierungsverhältnissen wie Rassismen, Sexismen, Heterosexismen und Klassismen in Bildungssettings macht jedoch eine Bezugnahme auf Differenzkategorien wie race, Klasse, Geschlecht und Sexualität erforderlich, um Diskriminierungsformen und -mechanismen benennen zu können. Diese Benennung ist Teil der Praxis der Kritik. Mit dieser Benennung geht jedoch auch ein in Bezug auf hegemoniale Ordnungen stabilisierender Moment einher.
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Notes
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„Die postkoloniale Gegenwart nach Ausschwitz zeichnet sich dadurch aus, dass die Menschen- und Weltbilder des Nationalsozialismus in ihr nachwirken. Und umgekehrt zeigt sich die postnationalsozialistische Gegenwart als eine, in der die Erfahrung kolonialer Herrschaftspraktiken und die darin erzeugten Bilder von den nicht-europäischen ‚Anderen‘ und dem europäischen Selbst nachwirken.“ (Messerschmidt 2014, S. 45).
- 2.
Siehe hierzu auch: https://combaheerivercollective.weebly.com/history.html (Zugegriffen: 26. Mai 2019).
- 3.
Online unter: https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-03/1978_Erklärung_über_Rassen_und_rassistische_Vorurteile.pdf (Zugegriffen 26. Juli 2019).
- 4.
Die impliziten Formen der Zensur setzen dem Sagbaren womöglich eine wirksamere Grenze als die expliziten Formen. Explizite Formen der Zensur sind gerade deswegen anfällig für eine gewisse Verletzbarkeit, weil sie einfacher zu lesen sind.“ (Butler 1998, S. 186).
- 5.
„Der öffentliche Disput, der zwischen 1550 und 1551 in der spanischen Stadt Valladolid stattfand und von Karl V. einberufen wurde, sollte schließlich darüber entscheiden, wer als Mensch gilt und wer nicht, und damit für immer Vorstellungen vom Menschen – und damit auch von Humanität – als eine universale Kategorie erschüttern.“ (Castro Varela 2014, S. 56).
- 6.
Derrida macht darauf aufmerksam, dass mit ‚wir Menschen‘ immer eine spezifische Vorstellung des Menschen einherging. „Vormals (das waren Zeiten, die noch nicht allzu weit zurückliegen und die sogar noch andauern) bedeutete ‚wir Menschen‘ soviel wie ‚wir erwachsenen weißen männlichen fleischessenden opferbereiten Europäer‘.“ (Derrida 2014, S. 37).
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„Willkommenskultur ist ein politisch gewolltes, demo-ökonomisch bedarfsorientiertes, top down gestiftetes Elitenkonzept. Es will Signale setzen für die Offenheit gegenüber Zuwanderung nach außen und die Akzeptanz von Vielfalt im Innern mit Strategien auf behördlicher, betrieblicher und kommunaler Ebene. Dazu gibt es Websites von Ministerien, Behörden und zuletzt auch von der Bundesregierung insgesamt. Es gibt Diversity Strategien in und für Unternehmen, Stiftungsaktivitäten, zahllose Tagungen, Agenturen mit ‚Werkzeugkoffern für Willkommenskultur‘; kurzum es blüht eine regelrechte Willkommensindustrie.“ (Bade 2014, S. 7).
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Auch Geschlechterverhältnisse werden in Wissensordnung(en) hergestellt. So war (und ist) Geschlecht ein zentraler Referenzpunkt der Konstruktion des Eigenen (männlichen*) und des Anderen (weiblichen*). „Denn trotz des universalen Anspruchs auf die Gleichheit aller Menschen waren sie [die Frauen*] vom Allgemeinen des Subjektseins ausgeschlossen; […] Die Zweitrangigkeit der Frau ist ein konstitutiver Bestandteil des Aufklärungsdenkens und nicht ein bedauernswerter Überrest vormoderner Traditionen“ (Messerschmidt 2016, S. 166).
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- 12.
Online unter: https://helvetas-swissintercooperation.squarespace.com/de/home (Stand 2016-11-16).
- 13.
„Um Prozesse der Globalisierung aus einer nicht-westlichen Perspektive zu diskutieren, ist ‚Imperialismus‘ als strukturierender Rahmen weiterhin nützlich. Imperialismus ist das wohl bedeutendste, wenngleich immer umstrittene theoretische Konzept, um die Beziehung zwischen dem Westen und dem Rest zu beschreiben und zu bewerten.“ (Randeria und Eckert 2009, S. 12 f.).
- 14.
Es gilt zu bedenken, dass Bildung nicht als ‚Allheilmittel‘ dienen kann/soll. Vielmehr kann Bildung, in Anlehnung an Spivak (2008) und im Sinne Derridas, welcher sich auf den Staat bezieht, als Gift und Arznei zugleich gesehen werden. „In Kontexten der ‚Dritten Welt‘ mit meist fragilen Demokratien wird der Staat zum Pharmakon, das, wie Derrida erläutert, Gift und Arznei zugleich ist. ‚Es verwandelt sich in Gift, was Medizin hätte sein können.‘ (Spivak 2008, S. 71)“ (Castro Varela und Dhawan 2015, S. 213).
- 15.
white charity setzt sich mit Schwarzsein und Weißsein auf Spendenplakaten auseinander. online unter: https://www.whitecharity.de/de/home/.
- 16.
In der Kategorie der Subalternen ist nach Gayatri Ch. Spivak (formuliert 1994 in Anlehnung an Antonio Gramsci [Gefängnishefte 1929–1935]) im Gegensatz zu anderen Kategorien eine radikale Differenz zu den herrschenden Gruppen zu sehen. „Subalternität ist gewissermaßen die Gegenposition zur Hegemonie. Sie ist keine Identitätsbezeichnung, sondern eine Position und Differenz.“ (Castro Varela und Dhawan 2015, S. 187).
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„Wenn Privilegien als Erbe und Verlust gleichzeitig betrachtet werden, so entfalten diese nur dann eine destruktive Energie, wenn die Erbschaft nicht als solche reflektiert wird. Werden vorhandene Privilegien also als selbstverständlich genommen und ihre Historizität ignoriert, führt dies zu einer Stabilisierung von Herrschaft und mithin einer Verkrustung von Machtlinien. Deswegen ist es politisch notwendig, über Privilegien Rechenschaft abzulegen, sie selbstkritisch zu reflektieren, damit es dann möglich wird, andere, gerechtere Welten zu imaginieren.“ (Castro Varela und Heinemann 2016, S. 1 f.).
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Altenberger, S. (2020). Kategorien entwickeln. Kritik als Prozess des Verlernens. In: Bücken, S., Streicher, N., Velho, A., Mecheril, P. (eds) Migrationsgesellschaftliche Diskriminierungsverhältnisse in Bildungssettings. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28821-1_3
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