Verwaltung C bildet einen Kontrastfall zu den Verwaltungen A und B. War es dort kaum oder nur temporär zu Veränderungen der Rekrutierung von Nachwuchskräften aus Einwandererfamilien gekommen, lag hier der Anteil der eingestellten Auszubildenden mit Migrationshintergrund über Jahre hinweg bei über 20 %, oft sogar über 30 %. Häufig wurde die Bezirksverwaltung als einer der ‚Vorreiter‘ bei der Erfüllung des integrationspolitischen Ziels genannt, den Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund zu erhöhen. Bezirk C gehört zu den ‚typischen‘ Einwandererbezirken Berlins, auf die von den Beteiligten in den Verwaltungen A und B wiederkehrend verwiesen wurde (siehe Abschn. 7.1.1 und 8.2.3). Der Bezirk wies in Berlin einen der höchsten Bevölkerungsanteile mit Migrationshintergrund auf und einige seiner Stadtteile wurden im politischen und massenmedialen Diskurs über einwanderungsbezogene Probleme regelmäßig an prominenter Stelle genannt.

In diesem Kapitel wird untersucht, welche Faktoren zu den zahlenmäßig sichtbaren Veränderungen in der Belegschaft von Verwaltung C – im Vergleich zu den Verwaltungen A und B – beitrugen und inwiefern diese mit Veränderungen in der alltäglichen Wahrnehmung und Relevanz von ethnischen und migrationsbezogenen Differenzierungen in der Organisation einhergingen. Dabei wird insbesondere auch der Frage nachgegangen, ob und wie der lokale Kontext eines Bezirks, der durch Migration und ihre Folgen geprägt ist, eine Rolle in diesen Prozessen spielte. Im Folgenden wird zunächst nachgezeichnet, wie und warum sich eine aktive Rekrutierungspolitik und -praxis in Verwaltung C entwickelte und welche Folgen dies für die Einstellung von Personen aus Einwandererfamilien hatte (Abschn. 9.1). Daraufhin wird untersucht, was dazu beitrug, dass sich in diesem Fall – im Unterschied zu den vorherigen beiden Fällen – die Rekrutierung von Auszubildenden aus Einwandererfamilien verstetigte und ‚normalisierte‘ (Abschn. 9.2). Anschließend wird betrachtet, inwiefern diese Veränderung auch eine ‚Normalität‘ von Diversität in der Verwaltung bedeutete (Abschn. 9.3). Das abschließende Fazit resümiert die Faktoren, die im Fall von Verwaltung C an der Produktion von Diversität im Personal beteiligt waren.

9.1 Gezielte Rekrutierungsmaßnahmen und Defizitsemantik

Ein dezidiertes Interesse an der Einstellung von Nachwuchskräften mit Migrationshintergrund kam in Verwaltung C auf, als das Thema Mitte der 2000er Jahre auf der integrationspolitischen Agenda in Berlin erschien. Zuvor waren auch hier kaum junge Menschen aus eingewanderten Familien eingestellt worden, wie langjährige Mitarbeiterinnen berichteten (Int_C4, §319). 2004 hatten nur 2 von 80 Auszubildenden einen Migrationshintergrund (2,5 %), 2005 waren es 4 von 74 Auszubildenden (5,26 %) (Dok_Abg2007). Im Kontext der nun wachsenden politischen Mobilisierung um das Thema wurden im Bezirk zwei konkrete Maßnahmen ergriffen, um die Einstellung von Auszubildenden mit Migrationshintergrund zu fördern. Erstens wurde eine Kooperation mit einem der bereits genannten Bildungsträger vereinbart, der für junge Frauen mit Migrationshintergrund Vorbereitungskurse für die Ausbildung im öffentlichen Dienst anbot – dasselbe Projekt, über das zu dieser Zeit schon in Verwaltung B Auszubildende rekrutiert wurden (siehe Abschn. 8.1.2). Das Bezirksamt unterstützte die Finanzierung der Kurse, unter anderem mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds, und hielt in jedem Einstellungsjahr mehrere Ausbildungsplätze für Teilnehmerinnen vor, die im Anschluss an die Kurse erfolgreich Einstellungstest und Auswahlgespräch absolviert hatten. Über diesen besonderen Einstellungskanal wurden gleich im ersten Jahr der Kooperation acht Auszubildende mit Migrationshintergrund eingestellt (Int_Kurs1, §18; Int_M4, §48). Darüber hinaus übernahmen Vertreter des Bezirksamts direkt eine aktive Rolle in der damals gerade lancierten Kampagne ‚Berlin braucht Dich!‘. Im Folgenden werden die Gegebenheiten rekonstruiert – organisationale, institutionelle wie lokale –, in deren Zusammenspiel sich diese Rekrutierungsbemühungen herausbildeten (Abschn. 9.1.1). Ferner wird aufgezeigt, dass die defizitorientierte Semantik, welche die Maßnahmen begleitete, nicht ohne Folgen für die Erfahrungen und Werdegänge der Eingestellten blieb (Abschn. 9.1.2).

9.1.1 ‚Pragmatische‘ Integrationspolitik und lokal begründeter Handlungsbedarf

Ähnlich wie im Fall von Verwaltung B spielten auch in Bezirksamt C Entscheidungen der politischen Leitung eine wesentliche Rolle für die Einführung der genannten gezielten Rekrutierungsmaßnahmen. Die erste Maßnahme, die Kooperation mit dem Trägerverein der Vorbereitungskurse, ging auf die Initiative des Bezirksbürgermeisters zurück. Die Leiterin des Projekts erzählte, dass diese Kooperation abrupt zustande gekommen sei, nachdem die Ausbildungsverantwortlichen im Bezirksamt zuvor kein Interesse an den Kursen gezeigt hätten:

„Ich war dann […] zu einer Sitzung beim Bezirksamt [C]. Es ging um ethnische Wirtschaft und Unternehmen hier in [C], und das muss alles geändert werden, neue Förderphase, also neue Ideen, bla, bla, und da hatte eben Bezirksbürgermeister Herr Blaschke eingeladen, waren alle möglichen Projekte aus [C] und Wirtschaft auch […]. Und auf dieser Sitzung, also unerwartet […], sagte er dann eben: Ja, und es müssen die ethnischen Ökonomien […] aktiver sein im Sinne von: auch Ausbildungsplätze anbieten, es würden so viele Jugendliche hier in [C] ohne Ausbildungsplatz sein, und das müsste sich ändern. Und damit könnte er ja selber beginnen, er hätte ja dann eben auch Ausbildungsplätze, die nicht besetzt worden sind, und die könnte er dann zum Beispiel mit jungen Frauen, die [unser Verein] dann eben für ihn vorbereitet und die an der Prüfung teilnehmen, könnte er die dann nehmen und seine Plätze dann eben voll kriegen. Ich saß da und dachte „Häh? Wovon redet er da?“ Weil das war nicht vorher abgesprochen“ (Int_Kurs1, §16).

Diese Schilderung deutet darauf hin, dass die Entscheidung für die Kooperation mit der Qualifizierungsmaßnahme zunächst weniger durch das Ziel motiviert war, die Diversität in der Belegschaft zu steigern, sondern dass die Kurse beim Bezirksbürgermeister als Lösung für andere Probleme in den Blick geraten waren: als eine Maßnahme, um der schlechten Ausbildungsbeteiligung der Jugendlichen im Bezirk abzuhelfen und um darzustellen, dass das Bezirksamt mit gutem Beispiel vorangehe. Zugleich konnten damit die frei gebliebenen Ausbildungsplätze gefüllt werden. Die Sondermaßnahme konnte so an ohnehin bestehende organisationale Einstellungsinteressen anschließen (auch Dok_C2010, S. 3). Die Entscheidung erscheint somit als Produkt eines Zusammenkommens unterschiedlicher beobachteter Probleme, für die sich die Kurse – in einer Situation, in der politische Entscheidungen erwartet wurden – eher zufällig als Lösung anboten. Mit Cohen, March und Olsen kann also von einer „garbage can“-Entscheidung gesprochen werden (Cohen et al. 1972).

Die Rolle des Bezirksbürgermeisters in diesem Kontext spiegelt den Modus wider, in dem Integrationspolitik in Bezirksamt C betrieben wurde. Dieser Modus erwies sich als begünstigend dafür, dass die Rekrutierung von Beschäftigten aus Einwandererfamilien gefördert wurde. Kennzeichnend für die lokale Integrationspolitik war zum einen, dass sie als ‚Chefsache‘ ausgeübt wurde. Der Bezirksbürgermeister, Herr Blaschke, war eine sehr präsente Figur im massenmedialen Diskurs über ‚Integrationsprobleme‘ von Einwanderergruppen und positionierte sich öffentlich als Akteur, der ein hartes Vorgehen gegen die von ihm drastisch beschriebenen Probleme und ‚Parallelgesellschaften‘ vertrat. Die lokale Integrationspolitik setzte an dieser defizitorientierten Sichtweise an. Anderen Personen und Positionen sei in integrationspolitischen Gremien kaum Raum gelassen worden, beklagte etwa ein langjährig integrationspolitisch aktives Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung: „Querulanten und Querdenker […] wurden auch langsam aber sicher zur Seite gedrängt. […] Blaschke wollte, konnte niemanden neben sich sehen“ (Int_C8, §40). Die Dominanz des Bezirksbürgermeisters in der Gestaltung von Integrationspolitik bildete sich auch in weiteren Strukturen ab. So wirkte der Integrationsbeauftragte wie ein Sprachrohr des Bürgermeisters und auch in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) war Integrationspolitik schwach institutionalisiert. Ein Integrationsausschuss wurde erst eingerichtet, als dies mit dem ‚Partizipations- und Integrationskonzept‘ für alle Berliner Bezirke obligatorisch wurde. Zuvor sah die Mehrheit der Bezirksverordneten aus der Fraktion bzw. ZählgemeinschaftFootnote 1 des Bezirksbürgermeisters keinen Bedarf dafür, auch weil dies, so berichteten BVV-Mitglieder, als „Querschuss“ zu seiner Politik verstanden worden wäre (Int_C8, §38; Int_C7, §11 ff.). Der schließlich eingerichtete Ausschuss wurde dann aus ebendiesem Grund nur mit schwachen Gestaltungsmöglichkeiten ausgestattet: Er konnte etwa Anträge nicht federführend vorbringen wie andere Ausschüsse, sondern nur beratend behandeln. Überdies war das offiziell ausgegebene integrationspolitische Programm des Bezirks auf den Bezirksbürgermeister zugeschnitten. Im Unterschied zu Verwaltung B, wo Integrationspolitik formalstrukturell in Form eines ‚Zweckprogramms‘, das konkrete Ziele und Maßnahmen definierte sowie regelmäßige Berichterstattung verlangte, festgeschrieben worden war, wurden in Verwaltung C nur allgemeine integrationspolitische Leitlinien formuliert. Auf Antrag der Opposition in der BVV wurde zudem ein Leitbild zur Interkulturellen Öffnung entwickelt, jedoch mit mehrjähriger Verzögerung. Der Integrationsbeauftragte, Herr Wüstermann, berichtete, dass diese Leitlinien „in unserem Sinne gemacht“ worden seien, da sich der Bezirksbürgermeister damit ja auch identifizieren können müsse (Int_C1, §205). Die Kontrolle fände dabei „intern“ statt. Eine formale und für Außenstehende nachvollziehbare Berichterstattung, wie in Verwaltung B, war nicht vorgesehen. In der Frage der Einstellung von Auszubildenden mit Migrationshintergrund gestaltete sich die ‚interne‘ Kontrolle vor allem derart, dass Herr Blaschke persönlich regelmäßig im Ausbildungsbereich nach Zahlen fragte (Int_C3, §93 ff.; Int_C4, §264 ff.). Somit liefen sowohl integrationspolitische Themensetzungen, Rahmungen und Entscheidungen wie auch die Kontrolle ihrer Umsetzung strukturell auf Herrn Blaschke, den Bezirksbürgermeister, zu.

Die Integrationspolitik ‚im Sinne‘ von Herrn Blaschke kennzeichnete, zweitens, dass sie ausdrücklich als ‚pragmatische‘ Politik verstanden und praktiziert wurde. Als solche wurde sie konzeptbasierter Integrationspolitik entgegengehalten. So wird etwa in den integrationspolitischen Leitlinien betont, dass ihnen „nicht ein abstrakt formuliertes Integrationskonzept“ zugrunde liege, sondern im Bezirk „in der Praxis“ und „vor Ort“ die Probleme geregelt würden (Dok_C2009a, S. 2). Mit diesem Verständnis von Integrationsarbeit begründete der Bezirksbürgermeister auch die Verzögerung bei der Umsetzung des Antrags der Opposition, ein Leitbild zur Interkulturellen Öffnung zu entwickeln: Das Bezirksamt habe „seinen Fokus in den letzten Jahren mehr auf die praktische Arbeit als auf das Fertigen von Papieren gelegt“ (Dok_C2008a, S. 2). Die lokale Integrationspolitik wurde in klarer Abgrenzung zu den integrationspolitischen Programmen der Berliner Landesebene positioniert. Anschaulich wird dies etwa in der Antwort des Bürgermeisters auf eine Große Anfrage aus der BVV aus dem Jahr 2014, die nach der Umsetzung des Berliner ‚Partizipations- und Integrationsgesetzes‘ im Bezirk fragte:

„Ich erlaube mir […] den Hinweis, dass ich das Gesetz für völlig ungeeignet halte, einen positiven Beitrag zu mehr Partizipation und Förderung der Integration von Zuwanderern in Berlin zu leisten. Es setzt sich weder mit Problemstellungen noch mit Lösungsansätzen dazu auseinander. Es formuliert keine gesellschaftlichen Erwartungshaltungen und es zeigt keine Zeithorizonte auf. Das Gesetz bietet keine direkte Hilfestellung für die in den Bezirken zu leistenden Aufgaben und die Regelsysteme vor Ort. […] Kurzum, die Gesetzesinhalte sind letztendlich nicht mehr als Deklarationen auf der Metaebene, ohne dass sie die Hindernisse für eine erfolgreiche Integrationsarbeit aufzeigen geschweige denn beseitigen. […] Es gibt zahlreiche philosophische Ansätze und Betrachtungsweisen zum Thema Integration. Rahmen und Basis für das Bezirksamt sind jedoch nicht Theorie und Philosophie oder abstrakt formulierte Konzepte, sondern die konkreten Bedürfnisse der in [C] lebenden Menschen. Integrationspolitik ist für das Bezirksamt pragmatische, handlungsorientierte Stadtpolitik“ (Dok_C2014, S. 1 f.).

In dieser polemischen Kritik an der Berliner Politik wird die lokale Perspektive auf alltägliche, praktisch zu bearbeitete Probleme von der ‚Meta‘-Perspektive abgegrenzt, die abstrakte, praxisferne Konzepte formuliere. Ganz ähnlich hielt der Integrationsbeauftragte in einer Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus zur Umsetzung des ‚Partizipations- und Integrationsgesetzes‘ die lokalen Probleme den integrationspolitischen Aktivitäten des Senats entgegen:

„[…] statt die seit Jahren vorhandenen Erkenntnisse in die Tat umzusetzen fördert das Gesetz die Bildung weiterer Diskussionsgruppen, die dann wieder und wieder alte Erkenntnisse neu verpackt in ihren Sitzungsprotokollen verschriftlichen. An der Basis, vor Ort in den Bezirken, resigniert ein Teil der Belegschaft und ein anderer Teil wächst über sich hinaus, benennt Problemlagen und probiert pragmatische Lösungsansätze aus. Das Gesetz ist gefühlt gut für Berlin, es zielt auf die Förderung der Vielfalt und reiht sich ein in den Kanon der Diversity-Strategien, die in europäischen Hauptstädten inzwischen so beliebt sind. Das tut niemandem weh, also tut es gut, wir meinen es gut, wir sind also gut. – Aber so werden wir bei einer zunehmenden Armutsbevölkerung keine großen Fortschritte machen. […] Es hilft uns nicht, vor Ort die Hindernisse für eine erfolgreiche Integrationsarbeit zu beseitigen, aber es wird wieder getagt und geredet. So etwas wirkt sich bei uns vor Ort lähmend aus. Es stiehlt uns die Zeit“ (Dok_Abg2013, S. 5 f.).

Die deutliche Kritik an den Senatskonzepten erinnert an die skeptische und ablehnende Haltung der Mitarbeiterinnen in Verwaltung B gegenüber einer Einmischung der Senatsverwaltung in die eigenen Angelegenheiten (siehe Abschn. 8.2.2). In dieser Kritik wird räumlich-vertikal markiert, wo die Zuständigkeit dafür liegt, Strategien zu definieren, um die ‚vor Ort‘ beobachteten Probleme zu lösen. Sie wird für die lokale Ebene beansprucht. Integrationspolitische Erwartungen des Senats werden damit als ‚ortsfern‘ zurückgewiesen.

In das ‚pragmatische‘ Verständnis von Integrationspolitik in Bezirk C fügten sich jedoch Maßnahmen, die der Einstellung von Nachwuchskräften mit migrantischem Hintergrund dienten, gut ein. In den Leitlinien zu Integrationspolitik und Interkultureller Öffnung wird der Personaleinstellung ein zentraler Stellenwert beigemessen (Dok_C2008b; Dok_C2009a). Für den Integrationsbeauftragten war die Erhöhung des Anteils der Beschäftigten mit Migrationshintergrund die wichtigste Maßnahme zur Interkulturellen Öffnung der Verwaltung. Schulungen von Mitarbeitern hielt er dagegen für überflüssig:

„Solche Dinge, ne? ergeben sich von alleine, wenn man in der Mitarbeiterschaft sich mischt. Das künstlich ran bringen ist Zeitverschwendung. Also Sie können doch nicht Mitarbeiter zwingen, an Selbsterfahrungsworkshops zur Interkulturellen Öffnung teilzunehmen, was soll denn dabei rauskommen? Da ist es das Beste, ne? wenn die Leute selbst nicht zu motivieren sind, über Mitarbeiterschaft, weil da können sie nicht ausweichen“ (Int_C1, §106).

Zwar wurde die vom Bezirksbürgermeister ausgegebene Integrationspolitik mit ihrer ausgeprägten Problem- und Defizitdarstellung sowohl im Bezirk als auch darüber hinaus teils heftig kritisiert, doch erhielt das Interesse an der Einstellung von jungen Menschen aus eingewanderten Familien breite Zustimmung. Ein integrationspolitisch aktives Mitglied der BVV betonte, dass es daher wenig Anlass für andere lokale Akteure gegeben habe, in dieser Frage Initiative zu ergreifen. Es sei ohnehin die offizielle Politik des Bezirksamts gewesen: „Mit Herrn Blaschke habe ich über ganz andere Geschichten diskutiert, was Integrationspolitik angeht, aber an diesem Punkt, nein, weil der war von vornherein für diese Sache offen gewesen“ (Int_C8, §77). Dafür, dass gezielte Maßnahmen zur Rekrutierung von Nachwuchskräften mit Migrationshintergrund in Verwaltung C eingeführt wurden, war es somit begünstigend, dass dieses Anliegen dem Verständnis des Bezirksbürgermeisters von ‚pragmatischer‘ Integrationsarbeit entsprach.

Ein weiterer Faktor, der Bemühungen um mehr Auszubildende aus Einwandererfamilien beförderte, wird sichtbar, wenn man den Hintergründen der Entscheidung für das Engagement bei ‚Berlin braucht Dich!‘ nachgeht. Neben der Kooperation mit dem Träger der Vorbereitungskurse war dies eine zweite Maßnahme, die in der Verwaltung ergriffen wurde. Aus den Schilderungen der beteiligten Verwaltungsakteure geht hervor, dass dabei die Lokalität – genauer: Selbstbeschreibung und Fremdwahrnehmung des Bezirks als von Einwanderung geprägt – eine wichtige Rolle spielte. So berichtete etwa der langjährige Leiter des Personalservice, Herr Niemöller, wie seiner Wahrnehmung nach das Engagement zustande gekommen war:

„Es wurde gefragt in der Berliner Verwaltung, wer teilnehmen möchte, da wird sich in der Regel nicht drum gerissen, muss man einfach mal so sagen, weil es ist auch zeitlich durchaus ’ne Bindung, die man da eingeht. Und […] klar, […], ist es eben gut, grade als [C] mit unserer multikulturellen Gesellschaft, die wir hier haben, dann eben auch in solchen Institutionen sich zu zeigen, und von daher haben wir uns dann bereit erklärt, auch damals mit der sehr aktiven Ausbildungsleiterin, die wir hatten, mit Frau Schubert, uns eben zu beteiligen […]. Also das hat sich aus der Nachfrage heraus ergeben, als dieses Projekt ins Leben gerufen wurde, dass wir sozusagen von Anfang an dabei sind“ (Int_C6, §106).

Der Ausschnitt deutet darauf hin, dass die externen Erwartungen und Anfragen, die im Kontext der zunehmenden politischen Bedeutung des Themas an die Verwaltungen gerichtet wurden, den Auslöser für die Teilnahme bei ‚Berlin braucht Dich!‘ bildeten. Sie schloss also, anders als in Verwaltung B, nicht an bereits bestehende organisationale Strukturen an. Außerdem werden im Zitat die Abwägungen anschaulich, die die Reaktion auf diese Erwartungen leiteten: zwischen dem internen Interesse, zusätzlichen Arbeitsaufwand nach Möglichkeit zu vermeiden, und der Notwendigkeit, nach außen zu signalisieren, dass die neue politische Zielsetzung aktiv verfolgt werde. Verglichen mit Verwaltung A, wo unter anderem mit den begrenzten Ressourcen begründet wurde, weshalb man sich bei ‚Berlin braucht Dich!‘ nicht beteiligt (siehe Abschn. 7.2), war hier die Frage der Außendarstellung deutlich entscheidungsrelevanter. Folgt man dem Personalleiter, war die Entscheidung der ‚Multikulturalität‘ des Bezirks geschuldet. Man nahm an, dass aufgrund dieses lokalen Kontexts in besonderer Weise öffentliche Erwartungen bestehen, dass das Bezirksamt in einem solchen Projekt sichtbar aktiv ist – Erwartungen, auf die zu reagieren war. Ähnlich erläuterte die genannte frühere Ausbildungsleiterin, Frau Schubert, dass die Teilnahme an ‚Berlin braucht Dich!‘ eine Reaktion auf offenkundige Erwartungen war, die sich auf den lokalen Kontext bezogen:

„Das ist ’ne politische Entscheidung gewesen, ganz klar, also dieses Projekt bezieht sich ja darauf, insbesondere Jugendliche mit Migrationshintergrund auch für die Ausbildung im öffentlichen Sektor zu motivieren, und wir haben hier ’ne ziemlich hohe Quote von Menschen, die zumindest Migrationshintergrund haben, beziehungsweise tatsächlich keinen deutschen Pass haben, und der Bürgermeister ist bekannt in Deutschland, und das war ganz klar, dass natürlich dieser Bezirk da aktiv mit am Tisch sitzen muss“ (Int_C2, §72).

Die Schilderungen verdeutlichen, dass die Beschreibung und öffentliche Wahrnehmung des Bezirks als stark durch Einwanderung geprägt, die nicht zuletzt durch die große Medienpräsenz des Bürgermeisters befördert wurde, in Verwaltung C die „politische Entscheidung“ für die Beteiligung an einer solchen Maßnahme für die Beteiligten selbstverständlich und quasi unumgänglich machte. ‚Politisch‘ meint dabei, dass es sich um eine Entscheidung handelte, die sich nicht an organisationsinternen Kriterien effizienter (Rekrutierungs-)Praxis orientierte, sondern an der institutionellen Umwelt und den dort registrierten Erwartungen an das Verwaltungshandeln (siehe Brunsson 2006, S. 14). Es zeigt sich hier eine bestimmte Art und Weise, wie die Lokalität der Verwaltung in die Praxis hineinspielte: Sie wurde relevant als spezifische institutionelle Umwelt in Form der verbreiteten Repräsentationen und Diskurse über den Bezirk, die mehr oder weniger explizite Erwartungen an das Handeln der Bezirksverwaltung entstehen ließen (siehe Abschn. 3.3.3). Diese Erwartungen wiederum, so lässt sich neo-institutionalistisch argumentieren, waren aus Legitimitätsgründen zu berücksichtigen, umso mehr, als sie von der Bezirkspolitik mit generiert wurden. So vermittelt stellt sich der lokale Kontext als ein Faktor dar, der sich begünstigend auf die Entscheidung auswirkte, aktiv an der Rekrutierungsmaßnahme ‚Berlin braucht Dich!‘ teilzunehmen.

In dieser Hinsicht zeigt sich ein deutlicher Unterschied zu den Fällen der Verwaltungen A und B. Wurden die Bezirke A und B von den dortigen Akteuren als ‚untypische‘ Einwanderungsbezirke mit ‚unproblematischen‘ Migrantengruppen beschrieben, standen in der Selbstbeschreibung von Bezirk C als Einwanderungsbezirk migrationsbezogene Probleme zentral. Dies illustrieren etwa die integrationspolitischen Leitbilder: Sie beschreiben den Bezirk als „Einwanderungsbezirk“, der „sowohl von der kulturellen Vielfalt als auch von den Problemen, die die Einwanderung mit sich bringt“ (Dok_C2008b, S. 1) geprägt sei und betonen, dass der Bezirk „wie kein anderer Berliner Bezirk“ nicht nur durch Zuwanderung sondern auch durch „soziale[n] Verwerfungen wie Armut und Arbeitslosigkeit“ gekennzeichnet sei (Dok_C2009a, S. 2). Diese Identität als ‚problematischer Einwanderungsbezirk‘ machte es, anders als in den Verwaltungen A und B, kaum möglich, integrationspolitischen Handlungsbedarf zu externalisieren und die Zuständigkeit für Maßnahmen, etwa zur Förderung der Einstellung von Auszubildenden mit Migrationshintergrund, auf andere lokale Verwaltungen zu projizieren. Dies wäre nicht an die öffentliche Wahrnehmung des Bezirks anschlussfähig gewesen und hätte daher Legitimitätsprobleme hervorgerufen. Hinzu kam, dass der Bezirksbürgermeister durch diese Beschreibung des Bezirks eine mediale Aufmerksamkeit erhielt, die der eigenen politischen Positionierung zuträglich war. Der Vergleich der Bezirksverwaltungen bestätigt somit die Annahme, dass auch städtische (Diversitäts-)Kontexte, im Zusammenspiel mit den organisationalen Strukturen, Verwaltungspraktiken prägen können (siehe Abschn. 3.3.3). Dies geschieht hier darüber, dass raumbezogene Diskurse über Migration und Diversität lokal unterschiedliche ‚Räume der Migration‘ und damit unterschiedliche institutionelle Umwelten für die Verwaltungen konstruieren, vor deren Hintergrund unterschiedliche Reaktionsweisen ‚legitim‘ sind.

9.1.2 Erfolge nach außen und Stigmatisierungserfahrungen im Inneren

Infolge der gezielten Rekrutierungsmaßnahmen stieg der Anteil junger Menschen aus Einwandererfamilien unter den Auszubildenden deutlich an. Lag er, wie beschrieben, 2005 noch im niedrigen einstelligen Bereich, konnten 2006 bereits 17 % an Auszubildenden mit Migrationshintergrund gezählt werden (Dok_Sen2007), bei den neu eingestellten Auszubildenden waren es mehr als ein Drittel (Dok_BQN2014). Dies war hauptsächlich dem gesonderten Rekrutierungskanal über die Vorbereitungskurse für junge Frauen mit Migrationshintergrund geschuldet. Dadurch kam es auch in den Folgejahren zu ähnlich hohen Anteilen bei den Neueinstellungen. Die Folgen dieser Maßnahme waren jedoch zwiespältig, wie in den folgenden Abschnitten gezeigt wird.

Das Bezirksamt machte in Pressemitteilungen und politischen Dokumenten die gezielten Rekrutierungspraktiken und ihre Erfolge als Beispiele für die aktive Integrationspolitik publik. So heben die auf der Bezirkswebsite veröffentlichten integrationspolitischen Leitlinien hervor, dass das Bezirksamt „von allen öffentlichen Ausbildungsbetrieben, abgesehen von der Polizei mit einem zehnfach größeren Personalkörper, die meisten jungen Migranten aus[bilde]“ (Dok_C2009a, S. 6). Die Kooperation mit dem Trägerverein der Vorbereitungskurse wurde für ein Projekt des Europarats zu ‚Intercultural Cities‘, an dem der Bezirk teilnahm, als eines der Erfolgsprojekte des Bezirks aufgeführt (Dok_C2008c, S. 7). Zudem präsentierte der Bezirksbürgermeister im Werbematerial der Kampagne ‚Berlin braucht Dich!‘ das Bezirksamt als „Vorreiter für eine quantitativ engagierte und qualitativ anspruchsvolle Ausbildung von jungen Migranten und Migrantinnen“ (Dok_BQN2008, S. 4). Auch gegenüber dem Berliner Senat und Abgeordnetenhaus betonte der Bezirksbürgermeister den Beitrag, der durch die Maßnahmen „zur Integration und Förderung junger Menschen mit Migrationshintergrund und zur Stärkung der interkulturellen Kompetenz der Berliner Verwaltung“ geleistet werde (Dok_C2008d, S. 8; siehe auch Dok_Sen2013, S. 6). Er forderte, feste Beschäftigungsmöglichkeiten nach der Ausbildung einzurichten, weil der Einstellungsstopp im Land Berlin sonst kaum zuließe, dieses Ziel zu erreichen. Das Bezirksamt und der Bürgermeister wurden somit selbst zu überlokal sichtbaren Akteuren in der Politik der Erhöhung des Anteils an Beschäftigten mit Migrationshintergrund.

Für die Darstellung der Einstellungspraxis spielten Zahlen zum Anteil der Auszubildenden mit Migrationshintergrund eine wichtige Rolle. Wie in Verwaltung A und B wurden die Zahlen in Verwaltung C erfasst, um auf Anfragen zu reagieren. Diese schienen hier jedoch häufiger vorzukommen. Sie stammten, wie berichtet wurde, auch aus Presse und Fernsehen (Int_C6, §94). So erzählte etwa Frau Hoeck, eine Mitarbeiterin im Ausbildungsbereich:

„Natürlich wird nachgefragt. Also sogar ziemlich oft wird nachgefragt. Wir müssen dann immer auflisten, wie viel Migrationshintergrund Auszubildende haben und so weiter. Also für die Presse, für’n Bürgermeister in erster Linie und für irgendwelche – wat hatte ick denn neulich? Für [die Leiterin einer Einheit in der Abteilung] musst ick ooch wieder wat auszählen, ja? Also man muss sich immer präsentieren. Und muss immer, man wird immer gefragt, wie viel Auszubildende mit Migrationshintergrund bei uns beschäftigt sind. Also das kommt sehr oft“ (Int_C4, §264).

Die Zahlen machten Diversität unter den Auszubildenden nach außen sichtbar und erzählten eine Erfolgsgeschichte: „Da haben wir immer gut da gestanden mit unseren hohen Werten“ (Int_C1, §82), berichtete der Integrationsbeauftragte und rechnete die Zahlen zu den „Corporate Identity Geschichten“ des Bezirksamts (Int_C1, §78). Betrachtet man dies unter dem Aspekt der statistischen Produktion von Diversität (siehe Abschn. 7.4), zeigt sich hier eine weitere legitimierende Funktion der produzierten Zahlen: Die hohen Anteile ermöglichten hier, die Organisation in einer Art „Überbietungsstrategie“ (Luhmann 2000a, S. 438) als Vorreiter im Vergleich zu anderen Verwaltungen darzustellen. Diese Bedeutung statistischer Diversität veranschaulicht auch das Beispiel einer anderen Bezirksverwaltung. Dort hoben die Personal- und Ausbildungszuständigen mir gegenüber nicht ohne Stolz hervor, dass sie „den größten Migrantenanteil von allen Berliner Bezirken in der Ausbildung“ hätten: „Es gibt also so einen Benchmarkingvergleich und da sind wir auch wirklich der Vorzeigebezirk“ (Int_E1, §164). Die Darstellung einer relativ großen zahlenförmigen Diversität im Personal erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man in der Umwelt Aufmerksamkeit und Anerkennung erhält.

War die gezielte Einstellungspolitik mit Blick auf die statistische Diversität offenkundig erfolgreich, wird das Bild ambivalent, wenn man die begleitende Semantik und deren Konsequenzen betrachtet. Dies zeigt sich insbesondere an der Maßnahme des besonderen Rekrutierungskanals der Vorbereitungskurse für junge Frauen mit Migrationshintergrund. Sie war, wie erwähnt, ins Leben gerufen worden, um die Ausbildungssituation migrantischer Jugendlicher zu verbessern. Dies implizierte die Annahme, dass die Teilnehmerinnen der Kurse unzureichend für die Verwaltungsausbildung qualifiziert seien und daher einer Nachqualifikation bedürften. Die Maßnahme reflektierte und reproduzierte damit die politisch dominierende Deutung der Einstellung von Migranten und ihren Nachkommen in den Öffentlichen Dienst: Wie beschrieben wurden gezielte Maßnahmen zunächst hauptsächlich als Beitrag zur Lösung von Integrationsproblemen junger Menschen aus Einwandererfamilien bei der Berufsausbildung aufgegriffen – und nicht etwa als Beitrag zur interkulturellen Kompetenz der Verwaltung oder zum Abbau struktureller Ungleichbehandlung (siehe Kap. 5). Dieser Deutung lag eine defizitfokussierte Wahrnehmung der Zielgruppe zugrunde, die sich als folgenreich für die Praxis erwies.

Zunächst wirkte sich die Defizitwahrnehmung auf die Art und Weise aus, wie die Einstellungsverfahren für die ‚Sondergruppe‘ der jungen Frauen mit Migrationshintergrund, die erfolgreich die Vorbereitungskurse absolviert hatten, organisiert waren. An den gesonderten Auswahlgesprächen nahm, anders als im regulären Verfahren, zu Beginn auch der Bezirksbürgermeister teil. Das gab ihnen eine politische Konnotation. Offenbar wurden dabei auch ethnische und religiöse Merkmale zum Thema. Eine der damals Eingestellten, Iman Hussein, die nach ihrer Ausbildung mittlerweile im Bürgeramt arbeitete, erzählte:

„Beim Vorstellungsgespräch war ich auch geschockt, weil ich dann über meine Familie abgefragt worden bin und nicht über meinen Werdegang. Also, ja, das fand ich nicht nett, ja? […] Ich hab denen das gesagt, was sie hören wollten. Fragen wie „Trägt ihre Mutter Kopftuch? Trägt irgendjemand ihrer Geschwister Kopftuch?“ Also so, was eigentlich- gut, die hatten vielleicht Angst, dass ich irgendwann mit dem Kopftuch zur Arbeit erscheine. Aber ich weiß, dass man im Öffentlichen Dienst, sag ich mal, dem Bürger neutral gegenüberstehen sollte, und dann setz ich mir auch kein Kopftuch auf“ (Int_M3, §32).

Iman berichtete, dass sie damals die Frage verneint habe, obwohl eine ihrer Schwestern Kopftuch trage, weil sie befürchtet habe, sonst nicht eingestellt zu werden (Int_M3, §140). In Verwaltung C gab es die inoffizielle Linie, keine Frauen mit Kopftuch einzustellen. Davon wurde von den Verwaltungsmitarbeitern teilweise recht offen berichtet und durch politische Äußerungen war dies auch außerhalb der Verwaltung bekannt. Hier wird wieder deutlich, dass das muslimische Kopftuch quasi symbolisch für problematische Differenz in der öffentlichen Verwaltung steht (siehe Abschn. 8.3 und 9.3). Imans Erzählung illustriert, dass sie die Fragen im Auswahlgespräch als diskriminierend und stigmatisierend erfahren hatte: Dass statt ihres Werdegangs familiäre Kriterien bedeutsam wurden und dass ihr aufgrund ihrer Herkunft – die Familie stammte aus dem Libanon und wurde offenkundig als muslimisch angesehen – unterstellt wurde, nicht zu wissen, wie man sich im Öffentlichen Dienst zu verhalten habe. Ihr Beispiel deutet darauf hin, dass bei der Einstellung im Rahmen der Sondermaßnahme auch Sonderkriterien wirksam wurden. So wurden die Kandidatinnen offenbar nicht nur nach sachlichen Leistungskriterien beurteilt, sondern auch auf ihre ‚kulturelle‘ Eignung hin begutachtet.

Die Defizitzuschreibung äußerte sich zudem in der Organisation der Ausbildung für die ‚Sondergruppe‘. Für die ersten Jahrgänge der Auszubildenden aus den Vorbereitungskursen wurden obligatorische Deutschkurse eingerichtet. Die bereits zitierte Frau Hoeck berichtete:

„Also wir hatten vor einiger Zeit mal für die ausländischen Mädchen, es waren ja überwiegend Mädchen, einen Deutschkurs, über zwei Jahre, da ham wer auch jemanden engagiert, der hat sich dann nachmittags mit den Mädchen hingesetzt, waren so zehn, zwölf Mädchen und hat Deutsch vermittelt. Und det ham wir dann aber wieder eingestellt, weil det war also außerhalb der Dienstzeit, und viele haben sich dann auch, na geweigert will ich nich’ sagen, aber sie hatten dann andere Sachen zu erledigen, und dann warn’n se der Meinung, da nicht mehr hingehen zu müssen. Und da gab’s dann Probleme. Und da haben wir gesagt, gut dann ist halt eben nicht mehr, bieten wir’s nicht mehr an […]. Und det war eigentlich, dachten wir, ’n gutes Angebot, wenn man mal außerhalb der Dienstzeit, also nach der Praxiszeit oder nach der Schule hier herkommt und dann ’ne Stunde oder anderthalb Stunden je nachdem lernt. Det war dann einigen doch zu viel, ne?“ (Int_C4, §74, 80).

Aus Sicht der Verwaltungsmitarbeiterin waren die zusätzlichen Deutschkurse ein „gutes Angebot“, weshalb es mit Unverständnis quittiert wurde, dass sie nicht angenommen wurden. Deutete sie dies als ein Zeichen für die mangelnde Arbeitsmotivation der Adressatinnen, stellten sich die Deutschkurse aus der Sicht der jungen Frauen anders dar. Ihre Erzählungen bringen die stigmatisierende und diskriminierende Wirkung der gut gemeinten Fördermaßnahme zum Vorschein. Dies geht sehr deutlich aus der folgenden Passage aus dem Interview mit Günay Kaya hervor, einer der damals Eingestellten, die zum Interviewzeitpunkt als Sachbearbeiterin im Jobcenter des Bezirks arbeitete. Für sie wurde das Gefühl der Stigmatisierung dadurch verstärkt, dass sie den Eindruck hatte, vom Bezirksbürgermeister als ein „Vorzeigepüppchen“ (Int_M4, §94) behandelt zu werden:

„[…] Indem er gesagt hat: Ja hier Leute, hallo! Ich stelle hier Auszubildende ein, die Migrationshintergrund haben! Ja und? Im Hintergrund hat er uns aber alle dazu gezwungen, dass wir ’nen Deutschkurs belegen müssen.“

CL: „Hat er gemacht?“

GK: „Natürlich, mussten wir ja! […] alle, die Migrationshintergrund hatten, du konntest in der Oberschule in Deutsch ’ne 2 haben. Wir hatten ’ne Abiturientin dabei, die in Deutsch ihre Abiprüfung geschrieben hat und ’ne 2 geschrieben hat, selbst die musste zum Deutschkurs. Nur wegen dem Vorwand, hier, sie hat ’nen Migrationshintergrund! […] Also ich kam mir total bescheuert vor. […] ich meine, in der Berufsschule hast du ja auch Deutschunterricht. Und ich hab mit ’ner 2 mein Deutsch zu Ende gebracht. Ja, aber wir mussten hin. Erst wurde gesagt, nur für 1 Jahr, […] weil es eine Art Stütze für uns sein sollte, weil ja einige doch länger aus der Schulzeit raus sind (in leicht affektiertem Tonfall), und hat man nicht gesehn […]. Ich war aber frisch raus, und ich brauchte keine Grammatik und musste nichts lernen! Und es hat mir auch nicht geholfen, irgendwie meine deutsche Sprache zu festigen. Ich bin der deutschen Sprache mächtig, soll er anderen helfen, soll er anderen Hilfekurse anbieten! Aber der hat uns gezwungen, und dann mussten wir auch unterschreiben, dass wir den Deutschkurs besuchen. Wir wurden indirekt dazu gezwungen, wer sich geweigert hat, musste ’ne Abmahnung- beziehungsweise die Konsequenzen dafür tragen. Und das Risiko geht keiner ein.“ (Int_M4, §94 ff.).

Günays Empörung über die Sonderbehandlung setzte daran an, dass der Bedarf an einem Deutschkurs nicht an den individuellen Fähigkeiten bemessen, sondern kollektiv aus dem ‚Migrationshintergrund‘ abgeleitet wurde. Der ‚Migrationshintergrund‘ wurde damit automatisch als ein Merkmal sprachlicher Defizite behandelt. Die Schilderung verdeutlicht zudem, dass sich die Auszubildenden in ihrer abhängigen Position in der Verwaltungshierarchie gegen diese diskriminierende Praxis kaum zur Wehr setzen konnten. Günay fühlte sich durch die Unterscheidung des ‚Migrationshintergrunds‘ und die damit verknüpfte Zuschreibung von Förderbedarf zugleich instrumentalisiert, da sie dem Bezirksbürgermeister dazu gedient habe, sich paternalistisch als Förderer der jungen Frauen in Szene zu setzen:

„Es gab ja ’ne Pressemitteilung. Hier Blaschke mit ganz vielen Auszubildenden, und alle hatten einen Migrationshintergrund. Bezirksbürgermeister von [C] hier, haste nicht gesehen, stellt ganz viele junge Frauen ein mit Migrationshintergrund, weil er die fördert. Mhm, vielen Dank. […] Und dann mussten wir bis zum Ende der Ausbildung diesen Deutschkurs besuchen. Bis zum Ende der Ausbildung“ (Int_M4, §102 ff.).

Eine solche Darstellung und Behandlung als förderbedürftig stand im Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis, die Anforderungen an die Ausbildung regulär zu erfüllen. Ähnliche Diskrepanzen zwischen einer defizitorientierten Fremdwahrnehmung und der eigenen biografischen Erzählung finden sich auch bei anderen der befragten Kinder von Eingewanderten. Teilweise hatten sie Misserfolge in der Bildungskarriere und Schwierigkeiten beim Übergang in die Ausbildung hinter sich. Ihren Beschreibungen nach war dies aber nicht Qualifikations- oder Sprachproblemen geschuldet, sondern in erster Linie Problemen, im Angebot an Bildungsgängen und Ausbildungsmöglichkeiten ihren eigenen Weg zu finden (siehe Abschn. 7.2.1).

Die Defizitsemantik manifestierte sich nicht nur in gesonderten Einstellungs- und Ausbildungsstrukturen, sie äußerte sich auch im Verwaltungsalltag. Im Vergleich der Erzählungen aller befragten Verwaltungsbeschäftigten mit Einwanderungsgeschichte fällt auf, dass die jungen Frauen, die zu Beginn der aktiven Einstellungspolitik die Ausbildung in Bezirk C aufgenommen hatten, mehr und deutlicher davon berichteten, wie sie mit herabwürdigenden Äußerungen und Stigmatisierungen konfrontiert worden waren. Anschaulich werden solche Erfahrungen beispielsweise in der folgenden längeren Passage aus dem Interview mit Günay Kaya, welche die jungen Frauen vehement gegen mehr oder weniger subtile Zuschreibungen von mangelnder Eignung und Leistung verteidigte:

„Wir wurden alle eingestellt. Scheinbar konnten wir zeigen, ok wir wollen’s. Wir haben zwar alle ’nen Migrationshintergrund, aber wir sind nicht blöd. Wir können etwas und wir wollen das auch beweisen. […] Wir haben alle die Probezeit bestanden, wir haben alle die Ausbildung abgeschlossen, es gab keine von unserer Gruppe, die mit dem Projekt angefangen hat und die Ausbildung im Bezirksamt gemacht hat, es gab keine einzige, die nicht ihren Abschluss geschafft hat. Wir haben alle unsere Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten absolviert. […] Es wird ja immer nachgehalten „Du hast ’nen Migrationshintergrund“- das durfte ich mir zum Beispiel während meiner Ausbildung anhören, da kam ich in ’ne Abteilung […], da meinte ernsthaft die zuständige Sachbearbeiterin, also sie war jetzt nicht meine Praxisanleiterin, aber ihre Arbeitskollegin halt, und zu dem Zeitpunkt leider auch dann meine Arbeitskollegin, die aber auch ’n bisschen anders eingestellt war. Also eher ein bisschen rassistisch eingestellt war. War kurz vor Weihnachten, […] da meinte sie zu mir, wieso ich denn so dreist bin und die christlichen Feiertage nutze als Ausländerin. Oder dass ich dumm sei wie Brot und wie man mich hat einstellen können. […] Die hat’s mir ins Gesicht gesagt. Wo ich dann dachte: Ok, brichst du jetzt die Ausbildung ab? Bin nach Hause gekommen, hab geheult, hab mit meiner Mutter darüber geredet. Daraufhin meinte sie nur- das ist das eigentlich das, was mir eigentlich den Halt immer wieder gibt- sie meinte eigentlich nur: Pass mal auf, du hast die Ausbildung angefangen, jetzt schließ sie bitte auch ab und ignorier das, was andere über dich denken, sagen, tun, machen, lassen, solange du nicht persönlich angegriffen wirst. Soll sie doch denken, du bist dumm. Vielleicht beneidet sie dich einfach, dass du so jung bist und so früh mit deiner Ausbildung angefangen hast. Und dass du vielleicht sogar erfolgreicher als sie wirst. Vielleicht sieht sie dich als Konkurrentin für ihre Zukunft. Weil „wat soll man mit ’ner alten Schabracke“, denkt sie sich vielleicht. Mach einfach weiter, hör nicht auf andere und fertig, aus, Ende“ (Int_M4, §48 ff.).

Die Vorurteile und rassistischen Kommentare, von denen Günay berichtete, stellten ihre Eignung für die Verwaltungstätigkeit in zweierlei Hinsicht infrage: Durch die Unterstellung unzureichenden Könnens sowie durch den Vorwurf, nicht der ‚christlich-deutschen‘ Norm zu entsprechen, die bislang in der Belegschaft vorherrschte. Abgesprochen wurde ihr, in anderen Worten, den formalen und informellen Mitgliedschaftserwartungen zu genügen. Es fällt dabei auf, dass Günay diese Erfahrungen in erster Linie mit dem „Migrationshintergrund“ verband – und nicht etwa mit ethnisch-nationalen oder religiösen Differenzierungen, die dabei gezogen wurden. Dass sie selbst diese Kategorie verwendet, kann einerseits als Ausdruck davon gedeutet werden, dass sich der ‚Migrationshintergrund‘ in Deutschland mittlerweile als Label für die ‚Anderen‘ etabliert hat, das – wie auch in dem zitierten Ausschnitt – synonym für die früher dominierende Kategorie der ‚Ausländer‘ fungiert (Mannitz und Schneider 2014). Andererseits spiegelt sich hierin aber auch wider, dass es sich beim ‚Migrationshintergrund‘ um diejenige Kategorie handelte, über die die Frauen offiziell als defizitäre ‚Andere‘ in die Verwaltung eingeführt wurden. Die Narration macht somit sichtbar, dass die politische und administrative Differenzierungskategorie und die sie begleitende Semantik auch prägt, wie die dadurch Unterschiedenen im Alltag wahrgenommen werden und wie sie sich selbst beschreiben. ‚Migrationshintergrund‘ war für Günay ein mit Defizitannahmen konnotiertes Stigma. Das macht auf die Kehrseite des als Qualifikationsmaßnahme gerahmten Einstellungskanals aufmerksam: Er konnte im organisationalen Alltag auch Stigmatisierung befördern.

Interessant ist in der zitierten Passage Günays Strategie, mit der erfahrenen Stigmatisierung und Diskriminierung umzugehen. Sie legt sie ihrer Mutter in den Mund, doch kann sie als Teil ihrer rückblickenden Erzählung und in ihrer Ausführlichkeit so interpretiert werden, dass Günay sie sich selbst zu eigen gemacht hat. Günay deutet die Erfahrung um: Statt auf die ethnische Differenzierung ‚Deutsch‘ vs. ‚Migrationshintergrund‘ wird sie auf die Altersdifferenz alt vs. jung zurückgeführt. Damit de-ethnisiert Günay nicht nur die Differenzerfahrung und befreit sich von dem Stigma des ‚Migrationshintergrunds‘, sondern rückt sich zugleich auch in die, relativ gesehen, stärkere Position – verkörpert sie doch die Zukunft der Verwaltung, während die Kollegin und deren Haltung als Relikte aus der Vergangenheit erscheinen. Es zeigt sich also eine Strategie des „renversement du stigmate“ (Wieviorka 2006, S. 126), der Umkehrung des Stigmas.

Die Kehrseite der Sondermaßnahme geht auch aus der Erzählung von Sevim Güner hervor, einer anderen damals eingestellten Auszubildenden. Sevim gehörte ebenfalls zu den ersten jungen Frauen, die aus den Vorbereitungskursen eingestellt worden waren. Mittlerweile arbeitete sie im Sozialamt des Bezirks. Sie berichtete ähnlich wie Günay Kaya von spürbarer Ablehnung und „komischen Sprüchen“ von Kollegen: „Bei manchen Kollegen […] haste schon gesehen, ja, hm um Gottes Willen, die waren da total dagegen. Also die haben es jetzt nicht direkt gesagt, aber man hat es ja schon gemerkt, wie sie sich verhalten haben“ (Int_M1, §164). Von den Auszubildenden-Kollegen wurde den jungen Frauen mit ‚Migrationshintergrund‘ ihre Einstellung als ungerechte Bevorzugung vorgehalten:

„Die haben schon manchmal so gesagt: „Öh, nur weil ihr halt mit Migrationshintergrund seid, habt ihr die Stelle bekommen.“ […] die haben immer gedacht, weil wir durch dieses Projekt eingestellt wurden- […] dann hab ich halt gesagt: „Ja, wir sind vom Projekt eingestellt worden, aber es wurden ja nicht alle eingestellt, weil viele das nicht bestanden haben.“ Man sollte schon Leistung bringen, so war das nicht. Nur weil jetzt Bezirksamt [C] dafür- oder die Senatsverwaltung für dieses Projekt Geld bezahlt hat, hieß es ja nicht, dass die jetzt alle einstellen mussten“ (Int_M1, §158).

Die von Sevim geschilderten Erfahrungen verdeutlichen die Ambivalenz der besonderen Rekrutierungsmaßnahme: Sie eröffnete zwar einerseits Einstellungsmöglichkeiten für die jungen Frauen, bot aber andererseits auch einen Ansatzpunkt für den Vorwurf, dass die darüber Eingestellten die regulären Kriterien eigentlich nicht erfüllten. Dies verdeutlicht das Dilemma, das ‚positiven Maßnahmen‘ wie dieser inhärent ist: Zwar stellen sie Zugangschancen her, aber zugleich bergen sie das Risiko, die zugrunde gelegten Differenzierungen – hier den ‚Migrationshintergrund‘ – als Stigma zu zementieren (siehe Baer 2010, S. 16). In diesem Fall wurde die Zuschreibung mangelnder Qualifikation noch zusätzlich durch die dominierende Semantik gestützt, die die positive Maßnahme begleitete: Wie beschrieben war die Maßnahme von Beginn an nicht als Beitrag zum Abbau struktureller Benachteiligung, sondern zur Förderung einer defizitär ausgestatteten Gruppe gerahmt.

In Sevim Güners Erzählung lässt sich ebenfalls eine Strategie der Umdeutung des Stigmas feststellen. Sie schrieb die erfahrenen Vorurteile der lokalen Herkunft der betreffenden Auszubildenden-Kollegen aus Ostberliner Bezirken zu:

„weil die das ja immer aus der Presse immer so kannten, ne? wie das ist bei den Türken oder bei den Arabern und so, die hatten immer schlechte Vorurteile. Und erst nach paar Jahren […], da haben sie dann langsam angefangen zuzugeben: „Ey, ihr seid doch anders, und wir haben [uns] das ganz anders wirklich vorgestellt.“ […] Ja, aber […] – also das war am Anfang, erstes Ausbildungsjahr, war wirklich fast wie ’n Kampf. Kann ich sagen. Aber nur mit denen, die aus den anderen Bezirken kommen“ (Int_M1, §231).

In dieser Deutung zeigt sich wieder die Relevanz der räumlichen Differenzierung zwischen West- und Ostberlin für die Einwandererkinder (siehe auch Abschn. 8.3). Diese Differenzierung ermöglichte es Sevim, ihre Erfahrungen zu rationalisieren: Sie konnten mit dem fehlenden persönlichen Kontakt der Ostberliner zu Personen türkischer oder arabischer Herkunft erklärt werden, ähnlich wie wir es bereits bei den türkeistämmigen Befragten in Verwaltung B gesehen haben (siehe Abschn. 8.3). Damit wurde nicht nur möglich, die Vorurteile von der eigenen Person und Herkunft zu trennen; die räumliche Deutung ließ zugleich die Position der ‚Anderen‘ umkehren. In Bezirk C waren die ‚Anderen‘ nicht die dort einheimischen Auszubildenden türkischen oder arabischen Hintergrunds, sondern diejenigen, die „aus den anderen Bezirken kommen“, wie Sevim formulierte. Der genannte „Kampf“ gegen die Vorurteile, der angelehnt an Axel Honneth auch als „Kampf um Anerkennung“ (Honneth 1994) bezeichnet werden kann, führte, wie es scheint aber auch zu Veränderungen: zum Abbau der negativen Stereotype und zur Akzeptanz in der Gruppe.

Die vorherrschende Defizitsemantik konnte sich schließlich auch auf die weiteren Karrierechancen auswirken. Für Auszubildende heißt das zunächst: die Übernahme in ein festes Beschäftigungsverhältnis. Im Fall von Sevim Güner waren die Auswirkungen positiv. Dabei spielte eine Form der ‚doppelten Differenzierung‘ eine Rolle (siehe dazu auch Abschn. 7.1.3). Sevim erhielt genau wegen des ‚Migrationshintergrunds‘ besondere Anerkennung von einem der Abteilungsleiter des Bezirksamts, ihrem späteren Vorgesetzten:

„Dann hat er zu mir auch gesagt: „Och Frau Güner, ich find das schön, weil“- weil ich- er meinte zu mir, nicht dass ich jetzt direkt der Einzelfall bin, aber er fand es schon schön, hat er schon paarmal gesagt, dass ich sowieso ganz anders bin und- Obwohl anders? Wir sind so. Also (lachend) was heißt „anders“? Meine Familie und meine Freunde, die sind auch so, genauso wie ich, aber natürlich gibt’s hier auch andere, Extremisten, darüber brauchen wir jetzt gar nicht zu reden (lachend), aber ja, das hat er dann immer gesagt, also, mit Migrationshintergrund, das findet er auch toll, dass ich das gemacht habe, dass ich ja, wie gesagt, es mit 24 bei mir so klick gemacht hat [sie hatte ihr Fachabitur abgebrochen und mehrere Jahre gejobbt, bevor sie über den Vorbereitungskurs zur Ausbildung kam], und ja, dass ich mich bemüht habe (..) ja. (..) Eigentlich mag ich nicht so oft über mich so reden, das ist mir jetzt voll, voll (lacht), voll komisch (lacht)“ (Int_M1, §171 f.).

In einer problem- und defizitorientierten Sichtweise wurde Sevims ‚wider Erwarten‘ gut verlaufender Werdegang als „Einzelfall“ aufgefasst und sie selbst als „anders“ als die anderen mit ‚Migrationshintergrund‘ wahrgenommen. In ihrer Darstellung wird deutlich, dass diese Besonderung gegenüber ihrem Umfeld ihrer Selbstwahrnehmung und -beschreibung widersprach. Die Fremdwahrnehmung als ‚Ausnahme von der Regel‘ zog eine besondere Förderung durch den Abteilungsleiter nach sich: Als eine der sehr wenigen Auszubildenden ihres Jahrgangs wurde sie direkt im Anschluss an die Ausbildung in eine feste Stelle in seiner Abteilung übernommen und nur ein Jahr später, wiederum mit seiner Unterstützung, auf eine höher dotierte Stelle befördert. Sie wurde sogar gefragt, ob sie nicht auch in der Partei, der er angehörte, aktiv werden wolle, „weil ich ja den türkischen Migrationshintergrund habe, würde sich doch gut machen und so“ (Int_M1, §192), was sie jedoch ausschlug. Es bestätigt sich hier, dass die Defizitzuschreibungen sich für Einzelne sogar begünstigend auf den Zugang zu Stellen auswirken können (siehe Abschn. 7.1.3). Die zugrunde liegenden negativen gruppenbezogenen Stereotype werden dadurch jedoch nicht irritiert, sondern vielmehr bekräftigt.Footnote 2

Einen Kontrastfall zu Seim Güner illustriert die Erzählung von Gülsen Aydin. Sie absolvierte ebenfalls Mitte der 2000er Jahre ihre Ausbildung in Bezirk C und arbeitete dort nun im Schulamt. Auch sie schilderte rassistische Kommentare und stigmatisierendes Verhalten von Kollegen in ihrer Ausbildungszeit. Ihrer Wahrnehmung nach schlug sich dies auch in der Bewertung wider und damit in den Chancen, nach der Ausbildung übernommen zu werden:

„Da bin ich wirklich jeden Tag heulend nach Hause gerannt. Und dann haben die mir für Teamfähigkeit ’ne fünf gegeben, wo ich dachte: Ihr könnt mich mal […], ich bin alles andere als teamunfähig, das kann man mir nicht sagen. Das war gar nicht schön, überhaupt nicht. […] Ich war im ersten Ausbildungsjahr. Und da ist man immer so’n bissl eingeschüchtert irgendwie, also ich war damals total schüchtern. […] da halt sagt man nichts Falsches lieber. Weil man hofft ja noch, dass man übernommen wird“ (Int_M2, §82 ff.).

Gülsens Beispiel verdeutlicht noch einmal, dass es in der hierarchisch abhängigen Position als Auszubildende nur schwer möglich war, Rassismus und Diskriminierung zu benennen und zu melden. Ihre weitere Erzählung deutet darauf hin, dass solche Erfahrungen Folgen hatten. Sie meinte, dass sie sich zwar in ihrer aktuellen Stelle wohlfühle und das Gefühl habe, von den Kollegen als Mitarbeiterin und Person anerkannt zu werden, aber es schien ein prekäres Zugehörigkeitsgefühl zu sein. Sie schien damit zu rechnen, immer wieder aufs Neue Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren zu können.

Zusammenfassend betrachtet hatte die Defizitsemantik, welche die besondere Rekrutierungsmaßnahme der Vorbereitungskurse begleitete, Folgen für die neu Eingestellten mit ‚Migrationshintergrund‘: Sie äußerte sich in Erfahrungen von Stigmatisierung, Diskriminierung und Vorurteilen, die die formale und informelle Eignung – die Qualifikation und ‚kulturelle Passung‘ – für die Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung in Zweifel zogen. Es zeigte sich, dass dies unter Umständen auch die Karrierechancen beeinflussen konnte – in Form einer ‚doppelten Differenzierung‘ paradoxerweise sogar positiv. Damit wird deutlich, dass allein Zahlen, die nach außen eine wachsende Diversität in der Belegschaft signalisieren, wenig darüber aussagen, in welcher Weise ethnische und migrationsbezogene Differenz intern wahrgenommen werden und wie darauf reagiert wird. Kontrastiert man die Außendarstellung mit den Erfahrungen der Beschäftigten erweist sich die statistische Diversität als nur eine Form der Beschreibung von Diversität in der Belegschaft, während die Deutungen des ‚Migrationshintergrunds‘, die im Alltag der Verwaltung relevant waren, potenziell Widersprüchliches kommunizierten: Öffnung auf der einen Seite, Stigmatisierung auf der anderen. Dies zeigt, dass in den Verwaltungen unterschiedliche Konstruktionen von ethnischer und migrationsbezogener Differenz parallel wirksam sein können.

Die Erzählungen der Beschäftigten mit ‚Migrationshintergrund‘ offenbaren jedoch auch, dass sie keine passiven Adressatinnen von Defizitzuschreibungen und diskriminierenden Praktiken sind. Sie werden als Akteure sichtbar, die Strategien entwickelten, um trotz Stigmatisierungs- und Diskriminierungserfahrungen ihren Werdegang weiterzuverfolgen und nicht etwa die Ausbildung abzubrechen. Die erwähnten Konflikte um die pauschal verordneten Deutschkurse deuten außerdem an, dass die Auszubildenden auch in ihrer hierarchisch untergeordneten Position nicht unbeteiligt an Veränderungen in der Verwaltung sind: In diesem Fall trugen der geäußerte Unmut oder die Verweigerung der Teilnahme offenbar dazu bei, dass die diskriminierende Sonderbehandlung wieder abgeschafft wurde. Dies kann als Anzeichen dafür gelesen werden, dass die Einstellung der neuen Kolleginnen in der Organisation institutionalisierte Stereotype und Vorstellungen davon, was ein ‚Migrationshintergrund‘ bedeutet und erfordert, irritierten. Dass solche Irritationen im Austausch unter Kollegen Veränderungen in bestehenden Sichtweisen anstoßen können, wurde bereits festgestellt (siehe Abschn. 8.3). Hier ergeben sich zudem Hinweise darauf, dass auch ein subversives Nicht-Fügen in Erwartungen, die an den ‚Migrationshintergrund‘ geknüpft sind, diese Erwartungen und daran anschließende diskriminierende Praktiken herausfordern kann. Die ‚interkulturelle Vermittlung‘, die die neuen Beschäftigten, ob gewollt oder nicht, ausüben, kann auch Reibung und Konflikt beinhalten.

Verfolgt man die weiteren Entwicklungen in Verwaltung C, können in der Tat Veränderungen festgestellt werden. Es kam zu einer ‚Normalisierung‘ der Rekrutierung von Auszubildenden mit Migrationshintergrund, die auch die begleitende Semantik betraf.

9.2 Normalisierung des Eintritts von Auszubildenden mit Migrationshintergrund

Die Sondermaßnahme der Rekrutierung junger Frauen mit Migrationshintergrund über die Vorbereitungskurse wurde 2010, nach vier Jahren, wieder eingestellt. Dies geschah nicht ohne Konflikte mit dem Träger, aus dessen Sicht es sich um einen abrupten Abbruch der Kooperation handelte, der ähnlich unvermittelt gekommen sei, wie deren Beginn (Int_Kurs1, §24). In den vier Jahren hatten über diese Kurse mehr als 30 junge Frauen die Ausbildung in Bezirksamt C aufgenommen (Int_Kurs1, §18). Von der Personal- und Ausbildungsleitung wurde die Beendigung der Maßnahme damit begründet, dass die „Qualität“ nachgelassen habe und Frauen darunter gewesen seien, die die Ausbildung nicht erfolgreich abgeschlossen hätten (Int_C6, §16; Int_C4, §116). Außerdem habe das separate Einstellungsverfahren organisatorischen Mehraufwand erfordert sowie letztlich „ja doch eine Bevorteilung“ (Int_C4, §116) der darüber eingestellten Auszubildenden bedeutet. Es wurde somit auf die doppelten Folgeprobleme der Sonderstruktur verwiesen, die einerseits die alltägliche Arbeit, andererseits den Konflikt mit der Norm der ‚differenzblinden‘ Gleichbehandlung betrafen. Hinzu kam jedoch ein weiterer Grund: Es bestand schlicht kein Bedarf mehr für einen solchen zusätzlichen Einstellungskanal. Mittlerweile gelangten auf dem regulären Weg mehr und mehr junge Menschen aus eingewanderten Familien in die Verwaltungsausbildung; die Zahlen lagen seit Mitte der 2000er Jahre regelmäßig bei um die 30 % pro Jahrgang. Die Maßnahme hatte damit eine wichtige Funktion verloren, die sie ursprünglich erfüllte, nämlich das Bezirksamt als ‚gutes Beispiel‘ für Ausbildungsförderung darzustellen (siehe Abschn. 9.1.1). Die Mitarbeiter im Personal- und Ausbildungsbereich betonten, dass für die Einstellungszahlen inzwischen keine Sondermaßnahmen mehr vonnöten seien. So etwa der Personalleiter Herr Niemöller:

„Es hat sich wirklich gezeigt, dass von sich aus sich schon unheimlich viele Menschen mit dem Migrationshintergrund bei uns bewerben, so dass wir also immer auf unsere Quoten gekommen sind, die weit über denen der anderen Verwaltungen liegen, und von daher waren wir da immer auf der sicheren Seite und mussten jetzt nicht zusätzlich Werbung machen, abgesehen von der Werbung, die man ohnehin tut“ (Int_C6, §44).

Ganz ähnlich unterstrich Frau Schubert, die ehemalige, langjährige Ausbildungsleiterin:

„Also wir achten natürlich darauf, dass wir Auszubildende mit Migrationshintergrund tatsächlich einstellen, aber die Wunschvorgabe in Berlin sind ja 25 Prozent und da liegen wir sozusagen ohne Mühe, ohne Anstrengung, ohne irgendwas, immer deutlich drüber, also immer so zwischen dreißig und vierzig Prozent. Einfach aufgrund der Bewerberstruktur, die da ist, und wie die Bewerber sich präsentieren. Also das ist keine gezielte Selektion“ (Int_C4, §138).

Dass nun offenbar über das reguläre Rekrutierungsverfahren der hohe Anteil an Auszubildenden mit Migrationshintergrund erreicht wurde, kontrastiert deutlich mit den Verwaltungen A und B, wo ‚Migrationshintergründe‘ unter den Auszubildenden zu diesem Zeitpunkt weiterhin – oder wieder – die Ausnahme waren. In diese Verstetigung der Rekrutierung junger Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte spielen verschiedene Faktoren hinein, die in den folgenden Abschnitten ausgeführt werden: das reguläre organisationale Rekrutierungsinteresse (Abschn. 9.2.1), der lokale Kontext (Abschn. 9.2.2) sowie die Vermittlerrolle der Beschäftigten aus Einwandererfamilien (Abschn. 9.2.3).

9.2.1 Organisationales Rekrutierungsinteresse

Die regulären Rekrutierungspraktiken in Verwaltung C unterschieden sich zum Zeitpunkt meiner Untersuchung in mehreren Aspekten von den beschriebenen Praktiken in den Verwaltungen A und B. Über den Vergleich lassen sich Merkmale ausmachen, die in Verwaltung C den Zugang von Nachwuchskräften aus eingewanderten Familien nun auch ohne Sonderstruktur begünstigten. Zunächst betraf dies das Einstellungsverfahren selbst. Wie die zitierten Personalverantwortlichen unterstrichen, wurden migrationsbezogene Kategorien im beobachteten Verfahren nicht (mehr) in besonderer Weise berücksichtigt. Jedoch schienen die regulären Selektionskriterien mehr Inklusionschancen zu eröffnen als in den anderen beiden Fällen. Für die Erstselektion der Kandidaten wandte man ein neues Testverfahren an, das nicht mehr auf Schulnoten basierte (siehe Abschn. 6.1). Die Selektion reproduzierte damit weniger die schulischen Selektionen und Bewertungen, welche, wie erläutert, Kinder aus Arbeiter- und Einwandererhaushalten benachteiligen können (siehe Abschn. 3.2.2 und 6.1). Auch fand keine Priorisierung der ‚klassischen‘ Zielgruppe statt, die sich direkt nach dem Mittleren Schulabschluss bewarb, wie etwa in Verwaltung A (siehe Abschn. 7.1.1). Auch eine solche ‚klassische‘ Präferenz kann sich, wie angemerkt, möglicherweise benachteiligend für Bewerber aus Einwandererfamilien, die in einem sozialen Aufstieg begriffen sind, auswirken. Zudem wurden insgesamt mehr Kandidatinnen zu Auswahlgesprächen eingeladen, die dann die Chance hatten, sich persönlich zu bewähren. Zwar können mit dem erhobenen (und verfügbaren) Material die Auswahlverfahren nicht empirisch darauf untersucht werden, welche Unterschiede sie tatsächlich produzierten, jedoch war auffällig, dass von den Kandidaten mit Migrationshintergrund, die in dem von mir verfolgten Ausbildungsjahr in Bezirksamt C eingestellt wurden, ein guter Teil nach den Selektionskriterien der anderen beiden Verwaltungen bereits in der ersten Auswahletappe aussortiert worden wären (etwa aufgrund nichtlinearer Bildungskarrieren wie ein abgebrochenes Studium) (Prot_C1, §17 ff.).

Darüber hinaus stach in Verwaltung C, verglichen mit den anderen beiden Fällen, vor allem die Werbung für die Ausbildung hervor. Werbeaktivitäten, so kann allgemein angenommen werden, sind nicht ohne Folgen für die eingehenden Bewerbungen, aus denen sich in Verwaltung C offenbar „einfach“ und „ohne Mühe“ Auszubildende mit Migrationshintergrund rekrutieren ließen, wie die Personalzuständigen betonten (siehe oben und Int_C3, §95 ff.). Auf die Werbeaktivitäten konzentrieren sich die kommenden Abschnitte. Dabei werden mehrere Merkmale aufgezeigt, die zum Abbau der beschriebenen symbolischen und informationellen Barrieren beitragen konnten, welche für Einwandererkinder die Bewerbung für die Verwaltungsausbildung weniger wahrscheinlich machten (siehe Abschn. 7.2.1).

Zum Zeitpunkt meiner Untersuchung wurde der Werbung für die Ausbildungsmöglichkeiten in Verwaltung C ein sehr großer Stellenwert beigemessen. Das Bezirksamt war auf Ausbildungs- und Berufsmessen vertreten, die Mitarbeiterinnen besuchten Schulen im Bezirk, um die Ausbildungsmöglichkeiten vorzustellen, und bemühten sich um eine ansprechende Außendarstellung, etwa indem ein Präsentationsstand für Messen angeschafft wurde. Die Werbeaktivitäten hatten Ende der 2000er Jahre zugenommen (Dok_B2010a, S. 32). Hintergrund war, dass auch in Bezirksamt C, wie in den anderen Verwaltungen, eine rückläufige Zahl an geeigneten Bewerbungen und eine Veränderung der Bildungswege bei den jungen Menschen festgestellt wurden (Int_C4, §149). Man antizipierte, dass zukünftig größere Anstrengungen unternommen werden müssten, um bei der Konkurrenz auf dem Ausbildungsmarkt mithalten zu können. So betonte etwa Frau Hoffmann, eine Mitarbeiterin aus dem Ausbildungsbereich:

„Das [ist] auch ’ne Frage, die weiter gestellt werden muss, und wo neue Ideen hier im Bereich kommen müssen: „Wie komme ich an geeignete Bewerber?“ Weil die Bewerber suchen wir nicht mehr aus, die suchen sich uns aus. […] also wir haben nicht mehr diese- dass wir sagen können: „Naja, wir haben ja genügend“, so ist es nicht. Wir müssen sehr viel tun dafür, dass wir attraktiv für die Bewerber sind, […] wenn jemand entscheiden muss, ob er in [C] arbeitet oder die Ausbildung annimmt oder in der Senatsverwaltung, müssen wir sehr drauf achten, dass wir freundlich sind, dass wir attraktiv für den Bewerber sind, also unsere Außenwirkung ist extrem wichtig“ (Int_C3, §59 ff.).

Ähnlich wie in Verwaltung B war es auch in diesem Bezirksamt eine engagierte Ausbildungsleiterin, Frau Schubert, welche die Bemühungen vorantrieb, das Bezirksamt als attraktiven Arbeitgeber darzustellen. Darüber hinaus – und im Unterschied zu den anderen beiden Fällen – maß jedoch auch die Leitungsebene der Ausbildung von Nachwuchskräften eine große Bedeutung zu. Allen voran der Bezirksbürgermeister, der dem Personalressort vorstand: „Das ist eins seiner Babys, sag ich jetzt mal, der passt da ganz genau auf. Der will auch hier alles sehen“ (Int_C3, §85), berichtete Frau Hoffmann. Auch der Bezirksbürgermeister hatte offenbar den kommenden Einstellungsbedarf aufgrund der alternden Mitarbeiterschaft wahrgenommen (Int_C3, §3). Das Engagement für die Ausbildung diente zugleich der Außendarstellung des Bezirksamts: Die Ausbildung werde als eines der „Aushängeschilder“ (Int_C3, §85) des Bezirksamts betrachtet, erzählte Frau Hoffmann, und man habe dafür auch schon einen Preis gewonnen. Das von der politischen Leitung mitgetragene Interesse manifestierte sich etwa darin, dass das Bezirksamt vergleichsweise viele Ausbildungsplätze anbot und als eine der ersten Berliner Verwaltungen außerdem duale Studiengänge einführte als eine Möglichkeit, Nachwuchs auch für höhere Laufbahnebenen zu gewinnen. Zudem erhielt die Ausbildungsleiterin Unterstützung für ihre Vorschläge, das Auswahlverfahren zu modernisieren. Zwar erwähnten auch in Verwaltung C die Mitarbeiterinnen die begrenzten Mittel, die ihnen für Werbeaktivitäten zur Verfügung stünden, doch schien der Ausbildungsbereich nicht zuletzt aufgrund der Unterstützung durch die Leitungsebene besser mit finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet zu sein als in den Verwaltungen A und B.

Im Rahmen der Werbeaktivitäten nahm die Beteiligung an ‚Berlin braucht Dich!‘ eine wichtige Rolle ein. Die ursprünglich ‚politisch entschiedene‘ Teilnahme des Bezirksamts wurde von der Ausbildungsleiterin Frau Schubert aktiv fortgesetzt. Sie übernahm eine Funktion im Koordinierungsgremium der Kampagne und führte die von ‚Berlin braucht Dich!‘ entwickelten Maßnahmen im Bezirksamt ein. Anders als die Verwaltungen A und B stellte das Bezirksamt regelmäßig mehrere Praktikumsplätze für Schüler mit Migrationshintergrund zur Verfügung, wie es das Modell der Berufsorientierung von ‚Berlin braucht Dich!‘ vorsah. Die Beteiligung an dem Projekt wurde nicht nur fortgeführt, weil sie von der politischen Leitung gewünscht war, um integrationspolitischen Einsatz zu demonstrieren. Dahinter stand auch ein personalbezogenes Interesse. Frau Schubert stellte den „Nutzen“ heraus, den sie in der aktiven Beteiligung sah:

„Damit hab’ ich natürlich das Rathaus oder das Bezirksamt [C] als Arbeitgebermarke nach vorne gebracht. Weil ganz vielen, wenn Sie hier auf die Straße gehen, ist es überhaupt nicht bewusst, dass man hier ausgebildet werden kann. Es ist einfach nicht bekannt, aus welchen Gründen auch immer, und es ist dann natürlich auch ’ne Werbeplattform für uns, [uns] als Arbeitgeber nach vorne zu bringen und zu sagen: „Seht, wir haben hier ’ne super tolle Ausbildung, wir haben die Chancen nach der Ausbildung, seht her, wie toll wir sind.““ (Int_C2, §66).

Die Beschreibung veranschaulicht, dass die Kampagne als eine Möglichkeit aufgefasst wurde, die Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten öffentlichkeitswirksam zu präsentieren und neue Zielgruppen zu erreichen. Die von ‚Berlin braucht Dich!‘ geschaffenen Strukturen knüpften damit an die eigenen Rekrutierungsrationalitäten an. Die Ausbildungsleiterin betonte, man habe „extrem davon profitiert“ (Int_C2, §132), über die Präsenz von ‚Berlin braucht Dich!‘ bei Ausbildungsmessen und die Kooperationen des Projekts mit Schulen potenzielle Interessentinnen anzusprechen. Das professionell gestaltete Werbematerial unterstützte die Bemühungen um ein modernes, attraktives Image zusätzlich. Frau Schubert zeigte sich außerdem überzeugt, dass das Konzept von ‚Berlin braucht Dich!‘, Jugendliche früh an potenzielle Arbeitgeber heranzuführen, ganz im eigenen Interesse der Verwaltung war: „Also ich bin da total begeistert von, weil das richtig durchdacht ist, das ist natürlich vom logistischen Aufwand noch relativ groß, aber das ist genau der Weg, um Jugendliche zu binden“ (Int_C2, §60). Der Zeit- und Arbeitsaufwand, den das Projekt erforderte, war daher aus ihrer Sicht kein sinnloser Ressourceneinsatz. Diese Ansicht war Konsens unter den Mitarbeiterinnen (Int_C3, §99; Int_C4, §148 ff.). Die zusätzliche Arbeit, die das Engagement im Koordinierungsgremium bedeutete, diente für Frau Schubert ebenfalls dem personalbezogenen Interesse der Verwaltung: „Dadurch konnten natürlich bestimmte Dinge viel stärker forciert werden, angeregt werden, umgesetzt werden, und man war immer am Puls der Zeit“ (Int_C2, §62).

Vergleicht man an dieser Stelle die Wahrnehmung des senatsgeförderten Projekts ‚Berlin braucht Dich!‘ in Verwaltung C mit der Sichtweise der Mitarbeiterinnen in den Verwaltungen A und B, treten deutliche Unterschiede hervor. Zur Erinnerung: In diesen beiden Fällen war das Projekt als ein von außen herangetragenes integrationspolitisches Instrument aufgefasst worden, das sich nicht in die internen Routinen und Rekrutierungslogiken fügte. Die erwartete Beteiligung beschränkte sich daher auf ein symbolisches, von der eigentlichen Praxis ‚entkoppeltes‘ Zugeständnis auf Papier (siehe Abschn. 7.1.2) oder war im Laufe der Zeit zurückgegangen (siehe Abschn. 8.2.2). In Verwaltung C hingegen fungierte das Senatsprojekt als Instrument für die Lösung des internen, personalbezogenen Problems: nämlich in einer sich verschlechternden Bewerbersituation weiterhin genug geeignete Kandidaten für die vorgesehenen Stellen zu finden. ‚Berlin braucht Dich!‘ wurde hier nicht mehr, wie zu Beginn, als integrationspolitische Sondermaßnahme verstanden, sondern nun als reguläre Maßnahme, um einen erweiterten Personenkreis für die Verwaltung zu gewinnen.

Dies verdeutlicht auch die Art und Weise, wie über ‚Berlin braucht Dich!‘ im Ausbildungsbereich gesprochen wurde. Die spezielle Adressatengruppe, junge Menschen mit Migrationshintergrund, wurde dabei kaum mehr erwähnt. Die folgende Darstellung von Frau Hoffmann veranschaulicht, wie die integrationspolitische Zielsetzung umgedeutet und mit der regulären Rekrutierungspraxis verknüpft wurde:

„Bei dem Projekt geht’s ja hauptsächlich um Migration, aber das versuchen wir natürlich auch so ein bisschen mit einzusetzen. […] Im Morgenmagazin [eine TV-Sendung; CL] hatten wir’n Trailer und da war auch Frau Bayrak, da ging’s auch um Migration im Öffentlichen Dienst, das sind natürlich Aushängeschilder – für uns. Und das nutzen wir auch“ (Int_C3, §99).

Für Frau Hoffmann war die genannte türkeistämmige Auszubildende weniger ein „Aushängeschild“ für das Engagement des Bezirksamts für die Einstellung von ‚Migranten‘ in den Öffentlichen Dienst, um die sich der erwähnte TV-Beitrag drehte. Sie war Aushängeschild für das Bezirksamt als Arbeitgeber. Jedoch war die massenmediale Sichtbarkeit, die der Ausbildung im Bezirksamt in integrationspolitischen Zusammenhängen zuteilwurde, für Frau Hoffmann zugleich eine willkommene Gelegenheit, die Ausbildungsmöglichkeiten auch jenseits eines solchen Migrationsbezugs zu präsentieren. Dass mit der Kampagne junge Menschen aus Einwandererfamilien adressiert wurden, erscheint aus dieser Perspektive als ‚Nebenprodukt‘. Im Kontrast zu den Fällen der Verwaltungen A und B kann gerade in dieser Umdeutung der integrationspolitischen Sondermaßnahme in ein Mittel, um die registrierten Nachwuchsprobleme zu lösen, eine wesentliche Erklärung dafür gesehen werden, weshalb sich in Verwaltung C die Beteiligung an der Maßnahme verstetigt hatte. Die Ansprache potenzieller Bewerber mit familiärer Migrationsgeschichte wurde derart Teil der regulären Rekrutierungspraktiken.

Diese Entwicklung – dass die anfänglichen Sondermaßnahmen zur Rekrutierung von Auszubildenden mit Migrationshintergrund in die Regelstrukturen eingebettet wurden – kann zunächst auf den beschriebenen günstigen organisationalen Kontext zurückgeführt werden: Förderlich war das Zusammenwirken einer engagierten Ausbildungsleiterin, die das Ziel verfolgte, das Bezirksamt zu einem attraktiven Arbeitgeber zu machen, und eines Bürgermeisters, der nicht nur integrationspolitische Themen nach außen sichtbar besetzte – und damit die Einführung besonderer Maßnahmen initiiert hatte –, sondern auch intern an Personalfragen interessiert war. Darüber hinaus war in diesem Prozess auch die Lokalität von Bedeutung, konkret: die migrationsbedingte Diversität der lokalen Bewohnerschaft. Dies wird im folgenden Abschnitt dargelegt.

9.2.2 Lokale Normalität von Diversität

Auf den ersten Blick scheint es naheliegend, dass man in Verwaltung C aufgrund des hohen Migrantenanteils in der Wohnbevölkerung des Bezirks besondere Bemühungen unternahm, um Beschäftigte migrantischen Hintergrunds zu rekrutieren. So lautete etwa auch das regelmäßige Argument der Personalzuständigen anderer Bezirksverwaltungen, das zugleich begründete, dass der eigene Handlungsbedarf geringer sei (siehe Abschn. 7.1.1). Die mögliche Bedeutung der migrationsbedingten Diversität ‚vor Ort‘ für Veränderungen in der administrativen Rekrutierungspraxis soll hier genauer untersucht werden. Dazu greife ich auf die theoretischen Überlegungen zur Beziehung zwischen lokalen Verwaltungen und lokalem Raum zurück (siehe Kap. 3). Sie ermöglichen, drei verschiedene Aspekte zu identifizieren, die Lokalität für Verwaltung C relevant machten und in ihrer Verknüpfung eine räumliche Orientierung der Rekrutierungspraktiken bewirkten.

Der lokale Raum wurde in Verwaltung C zunächst in Form des „Administrativraums“ (Klüter 1999, S. 197) relevant: das heißt in Form des territorialen, durch die Bezirksgrenzen markierten Zuständigkeitsbereichs der Verwaltung (siehe Abschn. 3.1.2). In Bezirk C lagen viele der Schulen, mit denen ‚Berlin braucht Dich!‘ kooperierte, da dort ein hoher Anteil der integrationspolitischen Zielgruppe unter den Schülerinnen vertreten war. Mit einem an ‚administrativräumlichen‘ Grenzen orientierten Beobachtungsschema bot es sich für den Ausbildungsbereich daher an, die neu entstehenden Kooperationsstrukturen zu nutzen, gehörten die lokalen Schulen und Schüler doch ohnehin zu ‚naheliegenden‘ Adressaten von Werbeaktivitäten. Der räumliche Schwerpunkt von ‚Berlin braucht Dich!‘, der in Bezirksamt B als Begründung für das nur begrenzte eigene Engagement fungierte (siehe Abschn. 8.2.3), begünstigte im Fall von Bezirksamt C somit, dass das Projekt angenommen wurde. Dies betraf nicht nur die politisch motivierte Entscheidung, eine aktive Rolle in dem Projekt einzunehmen, sondern auch, dass das Engagement unter personalbezogenen Erwägungen fortgeführt wurde und sich verstetigte. Zudem brachte der lokale Fokus der Verwaltungspraxis mit sich, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund allein aus demografischen Gründen zu zentralen Adressaten von Werbung für die Ausbildungsmöglichkeiten wurden, also auch jenseits integrationspolitischer Zielsetzungen. So stammte von den Schulabgängern in Bezirk C mittlerweile ein hoher Anteil aus Einwandererfamilien. Sie gehörten potenziell zu den Personen, von denen Frau Schubert konstatierte, wie oben zitiert, dass es ihnen „überhaupt nicht bewusst“ sei, dass das Rathaus ein möglicher Arbeitgeber darstellt. Die migrationsbedingte Diversität in der jüngeren Generation machte es kaum möglich, Einwandererkinder in den Werbeaktivitäten nicht zu berücksichtigen, wenn zur Nachwuchssicherung neue Zielgruppen gewonnen werden sollten oder mussten. In dieser Hinsicht deutete auch der Leiter von ‚Berlin braucht Dich!‘ das Engagement der Ausbildungsverantwortlichen in Verwaltung C:

„Die waren natürlich drauf angewiesen sich zu öffnen, weil um sie rum der Anteil immer mehr wuchs, auch der Wohnbevölkerung und auch in den Schulen, und man musste die irgendwie ansprechen, ja? Irgendwann ist auch mal Schluss, ja? Also wo man sagt, es kommen eben nicht mehr genug Bewerbungen rein. […] und da ist natürlich klar, dass so ein Bezirksamt nur lebt, wenn es überlebt und nur Chancen hat auf viele Bewerbungen, wenn die auch kooperieren mit den Schulen“ (Int_Sen1, §64).

Gezielte Strategien, die unternommen wurden, um junge Menschen mit Migrationshintergrund anzusprechen, etwa, dass Auszubildende mit Migrationshintergrund zu Besuchen in lokalen Schulen mitgenommen wurden (Int_C3, §99), bildeten in diesem Kontext weniger eine Reaktion auf integrationspolitische Erwartungen als vielmehr eine notwendige Anpassung an demografische Veränderungen, die auf das interne Interesse am Erhalt des Personalbestands antworteten.

Doch ist allein dieses Argument nicht ausreichend, um zu erklären, wie und weshalb die lokale Bevölkerung für die Rekrutierungspraxis relevant wurde. Die Bewohner des Bezirks bildeten zwar eine naheliegende, aber keine zwangsläufige Zielgruppe der Ausbildung. Bewerbungen gingen nicht nur aus allen Berliner Bezirken und aus dem Umland ein, sondern auch aus weiter entfernten Bundesländern. Das Beispiel von Verwaltung A veranschaulicht zudem, dass hohe Anteile an Schülern mit Migrationshintergrund an lokalen Schulen nicht als ein Problem wahrgenommen zu werden brauchen, das eine Veränderung der Rekrutierungspraxis erfordert (siehe Abschn. 7.2).

Im Fall von Verwaltung C wird noch ein zweiter Aspekt sichtbar, durch den Lokalität für die Rekrutierungspraktiken eine Rolle spielte. Er betrifft die raumbezogenen Selbstbeschreibungen der Verwaltung: das heißt besondere Eigenschaften des Bezirks, auf die sich die Verwaltung bezieht und die als Orientierungspunkte und Legitimationsressourcen für die Praxis fungieren können (siehe Abschn. 3.1.4). In den Beschreibungen von Bezirk C, die in der Verwaltung kursierten, war die Prägung des Bezirks durch Migration sehr präsent. Zum Zeitpunkt der Untersuchung umfasste das verschiedene Semantiken: Neben dem oben genannten Problemdiskurs wurde einwanderungsbedingte Vielfalt auch als die ‚Normalität‘ im Bezirk beschrieben. Die Befragten nannten geradezu mantra-artig die große Anzahl unterschiedlicher Herkunftsnationen, die in der lokalen Bevölkerung vertreten seien (Int_C1, §68; Int_C3, §61; Int_C4, §250; Int_C6, §14; Int_C7, §18). Die Mitarbeiterinnen in der Ausbildungsabteilung begründeten damit, weshalb aus ihrer Sicht die Verwaltung im Vergleich zu anderen Verwaltungen offener für Beschäftigte mit Migrationshintergrund sei. So etwa Frau Hoeck:

„Naja, dass andere Behörden mit Aus- mit Migrationshintergrund Probleme haben, det kann ick mir vorstellen, und det weiß ick auch. Bloß [C] nicht. [C] ist halt eben ’n großer Bezirk, der viele mit Migrationshintergrund hat. Det ist einfach so in [C]. Also wir haben damit nie Probl- also nie will ick nicht sagen, aber wir ham da so gut wie nie Probleme gehabt“ (Int_C4, §256).

Die Beschreibung von Bezirk C als Einwanderungsbezirk, wo ‚Migrationshintergründe‘ zur Normalität gehörten, stützt die Darstellung der Mitarbeiterin, dass die eigene Praxis der Einstellung von Auszubildenden mit Migrationshintergrund ebenfalls normal und unspektakulär ablaufe. Durch den Bezug auf die lokale Bevölkerung erscheinen die Verwaltung und der Ausbildungsbereich als – ortsbedingt – ‚natürliche‘ Vorreiter in der ‚Öffnung‘ des Personals. Die lokale Diversität bestätigt die organisationale Offenheit für Diversität. Interne Konflikte und Widerstände, wie sie zumindest zu Beginn der aktiven Einstellungspolitik aufgetreten waren (siehe Abschn. 9.1.2), werden dadurch überblendet. Bemerkenswert ist die Umdeutung, die die migrantische Bevölkerung des Bezirks in dieser Beschreibung als ‚lokaler Normalität‘ erfährt: Sie erscheint weniger als eine ‚Problemgruppe‘, die den Bezirk als ‚Problembezirk‘ stigmatisiert, sondern fungiert als positiv verwertbare Eigenschaft, die hilft, die Offenheit der Verwaltung und die Fortschrittlichkeit der eigenen Praxis zu bekräftigen. Eine solche artikulierte Beschreibung von Diversität als zugleich lokaler und organisationaler ‚Normalität‘ plausibilisiert und bestätigt die eigenen Rekrutierungspraktiken.

Die Semantik einer ‚lokalen Normalität‘ von migrationsbedingter Diversität wurde durch alltägliche Eindrücke und Interaktionen aktualisiert. Das Rathaus des Bezirks, in dem die Personalabteilung angesiedelt war, lag inmitten eines sichtbar migrantisch geprägten Quartiers. Selbst Verwaltungspersonal, das kaum Publikumskontakt hatte, wie die Mitarbeiterinnen im Ausbildungsbereich, kam somit täglich mit migrantisch geprägtem Leben in Berührung. Solche alltäglichen Erfahrungen nannte der Personalleiter in seiner Begründung, weshalb die Einstellung von Auszubildenden aus Einwandererfamilien mittlerweile zur Regel geworden war:

„Es wird hier grade in [C] sozusagen ein Stück weit als selbstverständlich angesehen, weil man sich halt auch ständig – man braucht bloß die [X-Straße] oder [Y-Straße] rauf- und runtergehen, wenn man hier jeden Tag arbeitet, das gehört zum Umfeld dazu. Und von daher ist das jetzt nicht so ein Augenmerk, wo man ganz gezielt drauf schaut. Es hat sich in der Tat dann ergeben. […] Und ein Großteil der Beschäftigten wohnt ja halt auch hier, und von daher hat man tagtäglich damit zu tun, und von daher ist es einem nicht fremd, wie es vielleicht in anderen Städten oder Gemeinden der Fall ist“ (Int_C6, §82).

Diese Beschreibung der lokalen Umgebung macht darauf aufmerksam, dass auch der physische Standort einer Verwaltung beeinflusst, wie migrationsbedingte Vielfalt von den Verwaltungsakteuren wahrgenommen wird. Diese alltägliche Sichtbarkeit und Erfahrbarkeit von Diversität vor Ort kann als ein dritter Aspekt ausgemacht werden, durch den sich Lokalität auf die Praktiken in Verwaltung C auswirkte. Wie konstruktivistische Raumtheorien betonen, hat dabei die individuelle Wahrnehmung der lokalen Diversität durch einzelne Beschäftigte nicht automatisch auch organisationale Relevanz.Footnote 3 Die individuellen Eindrücke können jedoch in der organisationalen Praxis relevant werden, wenn sie in die Kommunikation eingehen: etwa wenn raumbezogene Wahrnehmungen in alltäglichen Gesprächen unter den Beschäftigten zum Thema werden, Entscheidungen motivieren und begründen und ggf. als Besonderheit des Bezirks in die Selbstbeschreibungen der Verwaltung hineinspielen.

Die lokal sichtbare und erfahrbare Diversität am Standort von Bezirksamt C stand im Kontrast zu den Bezirksämtern A und B. Nicht nur im insgesamt weniger migrantisch geprägten Bezirk B, auch in Bezirk A, der einen relativ hohen statistischen Anteil an Bevölkerung mit Migrationshintergrund aufwies, wurde dies am konkreten Ort des Rathauses nicht in besonderer Weise sichtbar. Die Beschäftigten waren somit im Alltag deutlich weniger damit konfrontiert. Für den Fall von Verwaltung A kann im Vergleich zu Verwaltung C daher angenommen werden, dass auch diese weniger ausgeprägte alltägliche Erfahrbarkeit von Diversität eine Rolle dafür spielte, dass die bestehenden Routinen kaum infrage gestellt wurden. Auf sie konnte sich die bezirkliche Selbstbeschreibung stützen, dass man nicht zu den ‚typischen‘ Einwanderungsbezirken gehöre, welche wiederum ermöglichte zu begründen, weshalb man keinen besonderen Bedarf habe, sich mehr um Personal mit Einwanderungsgeschichte zu bemühen (siehe Abschn. 7.1.2 und 7.3.2).

Dass migrationsbedingte Diversität zu den besonderen Charakteristika von Bezirk C gehörte, wurde den Verwaltungsakteuren auch über Fremdwahrnehmungen gespiegelt. Anschaulich wurde das während meiner Feldforschung bei einem Treffen in Bezirksamt C von Ausbildungsverantwortlichen unterschiedlicher Berliner Verwaltungen und Organisationen, an dem ich als Praktikantin von Verwaltung B teilnahm. In den Gesprächen der Teilnehmenden war die Umgebung des Bezirksamts wiederkehrend Thema: Es wurde etwa vom Mittagessen beim Libanesen geschwärmt, über die vielen Frauen mit Kopftuch auf dem Platz vor dem Rathaus gesprochen und gewitzelt, ob man in der Runde denn Deutsch spreche, denn „wenn man auf die Straße schaut, weiß man das ja nicht“ (Prot_B3, §87). Solche Fremdwahrnehmungen bestätigten wiederum die Selbstbeschreibung der Verwaltung als Verwaltung eines Bezirks, in dem migrantische Bevölkerung und Diversität zur alltäglich erfahrbaren Realität gehörten.

Diese drei Aspekte der Lokalität und der dort verorteten und beobachteten migrationsbedingten Diversität sind in ihrer Wirkweise eng miteinander verflochten und bedingen sich wechselseitig: Die beobachteten Gegebenheiten im ‚administrativräumlichen‘ Zuständigkeitsbereich und die alltäglichen Erfahrungen ‚vor Ort‘ speisen Selbstbeschreibungen und Fremdwahrnehmungen des Bezirks. Diese stellen wiederum Repräsentationen und Deutungsschemata bereit, die beeinflussen können, welche lokalen Gegebenheiten von der Verwaltung als Probleme wahrgenommen werden und welche Form politischer und administrativer Bearbeitung sie nach sich ziehen. In diesem Wechselspiel bildete in Bezirksamt C auch für die Mitarbeiterinnen an der Basis migrationsbedingte Diversität eine lokale, demografische und alltäglich sichtbar präsente Realität. Die Lokalität der Verwaltung, verstanden als spezifische räumliche Beobachtungs- und Beschreibungsweise, stellt sich somit als ein Faktor dar, der eine stabilisierende Funktion für die administrativen Praktiken erfüllt:Footnote 4 Die Beobachtung und Beschreibung einer ‚lokalen Normalität‘ von Diversität unterstützte in Verwaltung C, dass die integrationspolitisch eingeführten besonderen Rekrutierungsmaßnahmen im Ausbildungsbereich fortgeführt wurden und sich als Teil der regulären Strukturen institutionalisierten.

Die Semantik der ‚Normalität‘ von migrationsbedingter Vielfalt im Bezirk trug nicht nur zur Verstetigung und Stabilisierung der Rekrutierungspraktiken bei. Sie wurde auch für die Ansprache potenzieller Bewerberinnen mobilisiert und so strategisch in der Praxis eingesetzt. Wie diese Semantik wiederum den Eintritt von Personen mit Einwanderungsgeschichte in die Verwaltung fördern konnte, wird im folgenden Abschnitt untersucht. Anschaulich wurde die Semantik insbesondere in der visuellen Außendarstellung des Bezirksamts. Die Visualisierung von Diversität als ‚Normalität‘ zeigte sich zunächst auf der Internetseite mit den Informationen zu Ausbildungsplätzen und Einstellungsmodalitäten, die als virtuelle Fassade des Bezirksamts gelten kann.Footnote 5 Auf der Seite blickt man auf eine Gruppe junger Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Haarfarbe und Geschlechts, die, in jugendlicher Alltagskleidung (Jeans, Turnschuhe), ein großes Plakat halten, auf dem der Slogan „Ausbildung im Bezirksamt [C] & DU“ prangt. Sowohl durch die direkte Ansprache der Betrachtenden in der zweiten Person Singular und in Großbuchstaben als auch durch die sichtbare Diversität der abgebildeten Personen, von denen man sich vorstellen kann, dass sie tatsächlich Auszubildende des Bezirksamts sind, stellt diese Darstellung eine Identifikation mit der Ausbildungsoption und dem Arbeitgeber her, die junge Menschen ‚nicht-deutscher‘ Herkunft miteinschließt. So lässt sich diese Darstellung als Strategie deuten, gerade auch Personengruppen anzusprechen, die bislang wenig in der Verwaltung repräsentiert waren. Neben jungen Menschen aus Einwandererfamilien gehören dazu auch junge Männer.

Lokal eingebettet wurde diese Visualisierung von Diversität als ‚Normalität‘ in einem professionell produzierten Videoclip, der die Möglichkeiten der Ausbildung und des dualen Studiums im Bezirksamt vorstellte (Dok_C2016). Der Clip wurde neben der Bezirkswebsite auch auf das Internetportal YouTube gestellt. Das Bezirksamt adaptierte damit Methoden ‚viralen Marketings‘ über soziale Netzwerke, was die bereits genannten Bemühungen um ein attraktives und modernes Image demonstriert. Der Clip ist an die erwarteten Sehgewohnheiten und Interessen der Zielgruppe junger Menschen angepasst. Er ist wie ein Musikclip geschnitten und orientiert sich in den Motiven, der Sprache und der Musik an großstädtischer Jugendkultur: Am Beginn steht ein Graffiti-Sprayer, der in Bomberjacke und Baseball-Cap ein Graffiti des Bezirksamts an eine Hauswand sprüht; unterlegt ist der Clip durch einen eigens dafür produzierten Hip-Hop-Titel. Auch hier steht der Slogan „[C] und DU“ zentral, ergänzt um den Slogan „[C] macht glücklich“, der etwa im Graffiti des Bezirksamts prangt (siehe Abb. 9.1). Das Wort „glücklich“ wird in den wichtigsten Migrantensprachen des Bezirks (russisch, spanisch, türkisch, englisch, arabisch) abgebildet. Damit werden Eingewanderte und ihre Kinder und Kindeskinder als Teil des Bezirks repräsentiert und adressiert.

Abb. 9.1
figure 1

Ausschnitt eines Werbeclips von Verwaltung C. (YouTube, Screenshot) (https://www.youtube.com/watch?v=W3hAOvprtKU [Zugriff: 12.02.2019])

Die ‚Story‘, die der Clip erzählt, fokussiert visuell und durch den gerappten Text auf den Bezirk. Sie (re-)produziert dabei eine spezifische lokale Identität: In den sehr kurz geschnittenen Bildsequenzen wird sowohl auf das Image als rauer und armer Bezirk angespielt, etwa über Bilder von grauen Wohnblöcken und versprayten Hauseingängen, als auch der Wandel repräsentiert, der im Zuge der seit einigen Jahren im Bezirk ablaufenden Gentrifizierung stattfand, z. B. indem neue, von jungen Menschen besuchten Cafés abgebildet werden. Die Entwicklung „vom Problembezirk zum Szeneviertel“ wird auch im Text genannt, der eine Art Hymne auf den Bezirk darstellt und eine coole, kollektive Identität der Bezirksbewohner konstruiert. Der Bezirk wird als im positiven Sinne vielfältig, dynamisch, lässig, urban und als für junge Menschen jeglicher Herkunft attraktiv und „faszinierend“ dargestellt. Das durch Graffiti und Hip-Hop stilisierte ‚Ghetto‘-Image erscheint dabei als zusätzlich reizvolles Moment, welches die Besonderheit des Bezirks im Vergleich zu anderen Bezirken ausmacht. Das negative Image als ‚Problembezirk‘ wird somit ins Positive gewendet.

Visuell und im Rap werden auch Bezüge zu migrationsbedingter Vielfalt hergestellt. Das geschieht eher implizit und ist in die Gesamtnarration eingebettet, etwa durch kurze Sequenzen, die Menschen sichtbar unterschiedlichen ‚ethnischen‘ Hintergrunds in der U-Bahn und auf einem türkischen Markt zeigen oder durch die Textzeile: „Wir sind alle gleich, lila, pink, schwarz, weiß“. Ähnlich beiläufig wird im Clip Diversität in der Mitarbeiterschaft repräsentiert: Die Einstiegsmöglichkeiten ins Bezirksamt über die Ausbildung und das duale Studium werden von zwei Personen vorgestellt, einem jungen dunkelhaarigen Mann, der sich mit einem türkischen Namen vorstellt, und einer jungen blonden Frau mit deutschem Namen. Damit werden unterschiedliche Personengruppen angesprochen und können sich in der Darstellung der Verwaltungstätigkeit wiederfinden, ohne dass die türkische oder migrantische Herkunft in den Vordergrund gerückt würde. Sie wirkt wie eine Selbstverständlichkeit im Verwaltungspersonal, auf die nur noch der Name hinweist. Über diese Darstellung des Bezirks und des Bezirksamts präsentiert der Werbe-Clip somit Diversität als den Normalfall im Personal. Die lokale Einbettung schafft dabei zum einen Identifikationsmöglichkeiten mit der Bezirksverwaltung, die dadurch nicht als eine unpersönliche, nüchterne Behörde erscheint; zum anderen verleiht sie der Beschreibung Authentizität und Glaubwürdigkeit. Es bedarf keiner expliziten Erwähnung mehr, etwa in einem speziellen Zusatz, dass Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund erwünscht seien, um insbesondere auch diese Personengruppe anzusprechen.

Die visuelle Außendarstellung sticht wiederum im Vergleich zu den Verwaltungen A und B ins Auge. Dort waren die entsprechenden Internetauftritte vorwiegend durch anonyme Agenturfotos von Menschen in Business-Kleidung oder mit Bewerbungsunterlagen illustriert. Eine vergleichbare direkte Ansprache junger Menschen sichtbar unterschiedlicher Herkunft über jugendkulturelle und lokale Identifikationspunkte fand nicht statt. Besonders offensichtlich wurden die Unterschiede in der visuellen Darstellung am Beispiel eines Flyers, mit dem in Verwaltung B für die Ausbildungsplätze geworben wurde (Dok_B2014c). Er informiert sachlich und in altmodisch wirkendem Design über den Beruf der Verwaltungsfachangestellten und die Ausbildung. Illustriert wird das durch das Foto einer jungen blonden Frau am Schreibtisch, mit Telefonhörer am Ohr, umgeben von Computerbildschirm, Zimmerpflanze und Kaffeetasse. Die Verwaltungstätigkeit sowie die sie ausübenden Personen werden auf diese Weise klassisch und recht klischeehaft abgebildet. Der Flyer von Verwaltung B weist ebenfalls Elemente auf, mit denen Menschen unterschiedlicher Herkunft angesprochen werden sollten: Am unteren Blattende findet sich der Satz „Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung“ in verschiedenen Sprachen (vietnamesisch, russisch, türkisch, englisch) abgedruckt. Diese Referenz auf migrationsbedingte Diversität in der Zielgruppe bildete jedoch klar einen Zusatz, der am Rande platziert war, im Vergleich zur Werbung von Verwaltung C, in der Diversität in die allgemeine Darstellung eingewoben war. Betrachtet man die beschriebenen Aktivitäten und Formen, über die sich Verwaltung C für potenzielle Bewerber darstellte – insbesondere im Vergleich zu den Werbepraktiken der Verwaltungen A und B –, ist durchaus denkbar, dass sie sich auf die Bewerbungs- und Eintrittsentscheidungen von jungen Menschen aus Einwandererfamilien positiv auswirkten und dazu beitrugen, dass diese zunehmend zur ‚Normalität‘ der Auszubildenden gehörten.

Abschließend soll noch weiterer Aspekt des beschriebenen Werbeclips hervorgehoben werden. Es fällt auf, dass gerade ein türkeistämmiger junger Mann die Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten repräsentiert. Dies steht im deutlichen Kontrast zur Beschreibung ‚türkischer‘ und ‚arabischer‘ junger Männer, vor allem derjenigen aus den ‚typischen‘ Einwanderungsbezirken, die wir etwa in Verwaltung A gesehen hatten: Dort wurden diese Personen als ‚Verwaltungs-Andere‘ konstruiert, von denen erwartet wurde, dass sie die Leistungs- und Verhaltenserwartungen an Verwaltungsmitglieder tendenziell nicht erfüllten (siehe Abschn. 7.1.1). Im Vergleich mit diesen zugleich ethnischen, geschlechtlichen und räumlich konnotierten Defizitzuschreibungen lässt sich die Darstellung eines vorbildhaften türkeistämmigen Verwaltungsfachangestellten in zweierlei Hinsicht deuten. Zunächst kann sie als gezielte Ansprache einer Personengruppe verstanden werden, die in dem Ausbildungsberuf doppelt, als Mann und mit Migrationshintergrund, unterrepräsentiert ist, also als eine naheliegende Strategie, um in Reaktion auf die beobachteten und antizipierten Rekrutierungsprobleme den Bewerberpool zu vergrößern. Zugleich kann sie signalisieren, dass sich die Wahrnehmung dieser Personengruppe verändert hatte. Solche Veränderungen deuteten sich auch an anderen Stellen an. So wurden in dem von mir verfolgten Einstellungsjahr in Bezirksamt C gleich mehrere türkeistämmige junge Männer eingestellt. Für die neue Ausbildungsleiterin, Frau Keller, gehörte das ansprechende Auftreten genau jener Bewerber zu den Eindrücken, die ihr aus den Auswahlgesprächen besonders im Gedächtnis geblieben waren:

„Positiv überrascht war ich, dass männliche Bewerber also mit Migrationshintergrund besser vorbereitet waren als deutsche junge Männer, die manchmal so rein vom äußerlichen Eindruck so schlußig [sic] rübergekommen sind, so „pff, nehmt mich oder lasst es bleiben, interessiert mich eigentlich gar nicht“. […] grade auch hier […] junge Männer mit Migrationshintergrund [aus C], ob jetzt kurdisch oder türkisch oder ooch arabisch, die hatten sich, wie man halt so landläufig die Vorstellung hat, zum Vorstellungsgespräch angezogen, Hemd, Jacke, manchmal sogar mit Krawatte, sind ordentlich und vorbereitet mit ’ner Mappe oder mit der erbetenen Präsentation hier auch aufgelaufen“ (Int_C5, §24).

Zwar werden auch in dieser Beschreibung dieselben intersektionalen Differenzierungen gezogen – ethnisch, geschlechtlich und räumlich –, die den oben genannten Konstruktionen einer defizitbehafteten Gruppe zugrunde lagen: Allein die Tatsache, dass das Auftreten junger Männer bestimmter ethnisch-nationaler Gruppen und aus Bezirk [C] registriert wurde, weist darauf hin, dass es sich um ein eingespieltes Beobachtungsraster handelte; die positive Überraschung trägt den Kontrast mit davor bestehenden negativen Stereotypen in sich. Jedoch schienen bei Frau Keller die Stereotype irritiert worden zu sein: Nicht ein Ausnahmebeispiel von der vermuteten Regel überraschte dadurch, dass es den Erwartungen an zukünftige Verwaltungsmitglieder entsprach, sondern das Kollektiv selbst. In Verbindung mit der Beobachtung, dass mehrere männliche türkeistämmige Auszubildender eingestellt worden waren, kann dies als Bestätigung dafür gedeutet werden, dass die Darstellung eines türkeistämmigen Verwaltungsfachangestellten im Werbeclip auch Ausdruck von Veränderungen in der Verwaltung war: Veränderungen sowohl hinsichtlich des Zugangs von Kandidaten aus Einwandererfamilien wie auch hinsichtlich der Deutung ethnischer und migrationsbezogener Differenz.

Fasst man die voranstehenden Ausführungen zur Bedeutung der Lokalität in dem beobachteten Veränderungsprozess zusammen, kann festgehalten werden, dass der lokale Raum – in Form der Beobachtung und Beschreibung von Diversität als ‚lokaler Normalität‘ – in doppelter Hinsicht eine Rolle spielte: Die Lokalität der Verwaltung unterstützte und stabilisierte in dieser Weise, dass Bemühungen um Nachwuchskräfte migrantischen Hintergrunds in die regulären Rekrutierungspraktiken eingingen und sich verstetigten; und sie bildete zugleich einen strategischer Bestandteil dieser Praktiken selbst, der Identifikationsmöglichkeiten mit der Verwaltung schaffte und den Bemühungen Authentizität und Glaubwürdigkeit verlieh.

9.2.3 Die Vermittlerrolle der Beschäftigten aus Einwandererfamilien

Neben den organisationalen Strukturen und der Lokalität, deren Bedeutung in den letzten beiden Abschnitten dargelegt wurde, spielte für die ‚Normalisierung‘ des Zugangs von jungen Menschen aus Einwandererfamilien zu Verwaltung C noch ein weiterer Faktor eine Rolle. Auch die Außenwirkung der bereits eingestellten Auszubildenden und Beschäftigten selbst wirkte sich positiv aus.

Aus vielen Erzählungen der befragten Beschäftigten migrantischen Hintergrunds – in Verwaltung C wie in anderen Verwaltungen – geht hervor, dass sie in ihrem persönlichen Umfeld, in dem öffentliche Verwaltung und Öffentlicher Dienst bislang wenig als mögliche Arbeitgeber im Blick waren, über die Tätigkeit und die Einstiegsmöglichkeiten informierten. Wie dargelegt, war bereits ihre eigene Entscheidung zur Bewerbung für die öffentliche Verwaltung oft durch Hinweise aus dem sozialen Umfeld motiviert worden (siehe Abschn. 7.2.1). Dies zeigte die große Bedeutung von sozialen Netzwerken und sozialem Kapital für die Wege in die öffentliche Verwaltung. Diese Bedeutung wird nun auch von der ‚Innenseite‘ der Organisation aus sichtbar. Die neuen Beschäftigten repräsentierten jetzt selbst die relevanten Kontakte, über die sich die Berufsoption nach Außen verbreitete. Teilweise nannten sie konkret Freunde oder Verwandte, die sich auf ihren Rat hin beworben hatten und nun selbst in der Verwaltung eine Ausbildung absolvierten. Es ließ sich somit direkt mitverfolgen, wie sich die sozialen Netzwerke zwischen den ‚Verwaltungsinneren‘ und der ‚Umwelt‘ möglicher Bewerber mit Einwanderungshintergrund ausweiteten. So berichtete beispielsweise Faruk Yildiz, zur Zeit der Feldforschung Auszubildender in Verwaltung C, wie er seiner Freundin, die ihr Jurastudium abbrechen wollte, zur Bewerbung geraten hatte: „Ich hab’ ihr dann auch gesagt, es gibt keine andere Ausbildung, die rechtslastiger ist als der Beruf des Verwaltungsfachangestellten, und versuch’ das doch mal so zu kombinieren, so Praxis und Schule, das magst du doch. Dann hat sie sich beworben und hat es dann auch geschafft“ (Int_M9, §160). Diese Außenwirkung veranschaulicht auch die Schilderung von Handan Dogan, die nach ihrer Ausbildung mittlerweile fest in Bezirksamt C übernommen worden war:

„Seitdem ich die Ausbildung abgeschlossen hab, hab ich jetzt von mehreren Freundinnen gehört: Schick mir mal die Adresse, ich will mich da auch mal bewerben oder- erst dann ist es irgendwie so überhaupt Thema geworden, ich glaub, vorher war das- also es müsste vielleicht ein bisschen mehr angesprochen werden, und den Migranten auch mal mehr gezeigt werden, dass es so ’ne Möglichkeit gibt. […] also mein Freundeskreis und mein Bekanntenkreis hat sich da nicht so viele Gedanken drum gemacht. Aber wenn die jetzt hören, so öffentliche Verwaltung, dann finden sie es schon gut und denken, das ist ein sicherer Job, und viele fragen dann auch. […] Also die Leute haben schon Interesse“ (Int_M7, §174).

Die Ausschnitte verdeutlichen, dass die Beschäftigten zu Vermittlerinnen und Multiplikatoren werden können, die dazu beitragen, die konstatierten symbolischen und informationellen Barrieren vor einer Bewerbung abzubauen. Eine Ausbildung in der öffentlichen Verwaltung kommt damit etwa als solide Alternative zum Studium in den Blick, das nach einem absolvierten Abitur insbesondere bei sozial aufsteigenden Kindern aus Einwandererfamilien vermutlich näher liegt, aber auch einen besonders steinigen Aufstiegsweg bedeuten kann (siehe Lang et al. 2016, S. 106–112).

In die Vermittlerrolle gerieten die neuen Beschäftigten auch im beruflichen Alltag im Kontakt mit Publikum migrantischen Hintergrunds. Dies illustriert beispielsweise die Situation, von der eine weitere Befragte, die bereits oben zitierte Sevim Güner, berichtete:

„Ich hatte letztens- von einem Hilfeempfänger die Tochter ist gekommen, auch türkischer Migrationshintergrund, […] da hat sie meinen Namen gesehen […], hat sie gleich gefragt, ob ich Türkin bin. […] und dann hat sie gesagt „Ah, das ist ja cool.“ Und dann hat sie mich gefragt, wie ich die Ausbildung gemacht habe, und „Das ist ja echt toll“, und „Kann man sich bewerben?““ (Int_M1, §253).

Die beschriebene Reaktion der Bürgerin verdeutlicht, dass aus Einwandererfamilien stammende Beschäftigte durch ihre schiere sichtbare Präsenz in administrativen Stellen ein besonderes Identifikationspotenzial für Außenstehende mit Einwanderungsgeschichte verkörpern. Sie machen die öffentliche Verwaltung als mögliches Berufsfeld für Personen denkbar, die bislang Behörden nur von der Publikumsseite aus kennen und etwa als ‚Hilfeempfänger‘ vermutlich nicht nur positive Erfahrungen gemacht haben.

Die neuen Beschäftigten fungieren somit als Vermittlungs- und Verknüpfungsinstanzen zwischen ‚Innen‘ und ‚Außen‘, zwischen der bislang ‚ethnisch deutsch‘ dominierten Verwaltung und der städtischen Bevölkerung mit Einwanderungsgeschichte. Sie tragen nun selbst dazu bei, das Bild der Verwaltung nach außen zu verändern. Dies kann weitere Veränderungsprozesse im Personal begünstigen: Nimmt man an, dass die Beschäftigten dabei nicht nur die öffentliche Verwaltung allgemein als ein mögliches Tätigkeitsfeld für Eingewanderte und ihre Nachkommen repräsentieren, sondern auch die konkrete Verwaltung, in der sie selbst arbeiten, deutet dies darauf hin, dass die im Vergleich größere Zahl an neuen Beschäftigten mit Migrationshintergrund in Bezirksamt C eine eigene Dynamik entwickeln konnte: Mit ihrer Außenwirkung konnten sie dazu beitragen, dass sich mehr Interessierte mit Migrationshintergrund gerade in Verwaltung C bewarben und sich mehr für die Ausbildung gerade dort entschieden statt für andere Verwaltungen. Die Vermittlerrolle der Beschäftigten aus Einwandererfamilien zwischen ‚Innen‘ und ‚Außen‘ stellt sich somit als ein Faktor dar, der an den steigenden Zahlen von Interessenten aus Einwandererfamilien für die Tätigkeit in Verwaltung C mit beteiligt war.

Diese Wirkung der neuen Beschäftigten nach Außen kann als eine zweite Facette ihrer Vermittlerrolle festgehalten werden, neben der bereits beschriebenen Rolle als ‚interkulturelle Vermittler‘ im Inneren der Verwaltung (siehe Abschn. 8.3 und 9.1.2). In der Literatur wird eine solche Vermittlerrolle von Angehörigen ethnischer Minderheiten häufig mit dem Begriff „cultural brokers“ bezeichnet. Damit werden Akteure beschrieben, die beide ‚Kulturen‘ – die mehrheitsgesellschaftlichen wie die der Minderheiten – kennen und die Kluft zwischen mehrheitsgesellschaftlichen Kontexten und ‚ethnic communities‘ überbrücken (z. B. Gentemann und Whitehead 1983; Lee 1998; Stovel und Shaw 2012, S. 152; Cooper 2014). Während der Begriff des ‚brokers‘ – oder Vermittlers – die Rolle der Beschäftigten aus Einwandererfamilien treffend beschreibt, verdeutlichen die alltäglichen Vermittlungspraktiken der hier befragten Beschäftigten aus Einwandererfamilien, dass dabei nicht nur ‚cultural brokerage‘ im klassischen Sinne betrieben wird. Die Vermittlungspraktiken umfassen auch berufsrelevante Informationen und wirken zudem in die Organisation hinein. Es ist diese mehrfache Vermittlerrolle, durch die die Beschäftigten aus Einwandererfamilien ihrerseits zum Prozess der Veränderung der Verwaltungen und ihres Personals beitragen.

9.3 Normalität von Diversität in der Verwaltung?

Dass in Verwaltung C nun jährlich relativ viele junge Menschen aus Einwandererfamilien die Verwaltungsausbildung aufnahmen, spiegelte sich in der Art und Weise wider, wie Diversität im Personal thematisiert wurde. In meinen Interviews und Gesprächen wurde wiederkehrend betont, dass Auszubildende mit Migrationshintergrund zur Normalität gehörten, etwa wenn die Ausbildungsleiterin, Frau Keller, erklärte:

„Das ist ganz normal in [C]. Also kein spezielles Thema. Wir haben zu Jahresanfang auch wieder für’s letzte Jahr unsere Statistiken gemacht, aber explizites Thema – dafür ist es einfach zu normal. Wir haben im [letzten] Jahrgang von den Verwaltungsfachangestellten knapp 30 %. Das ist keine Minderheit mehr, wenn man so will. Also von daher, das ist kein Thema, det is’ Tagesgeschäft“ (Int_C5, §38).

An dieser Darstellung fällt im Vergleich zu Verwaltung A die unterschiedliche Bedeutung auf, die die Beschreibung des Themas als „kein Thema“ transportiert. Dort war diese Beschreibung Ausdruck ‚differenzblinder‘ Rekrutierung, die auch ausblenden ließ, dass relativ wenige Personen aus Einwandererfamilien in die Ausbildung gelangten. Hier hingegen drückt sie aus, dass es kein Thema mehr ist, da sich die zahlenmäßige Zusammensetzung verändert hatte. Die so beschriebene ‚Normalität‘ von Nachwuchskräften aus Einwandererfamilien wird abschließend näher beleuchtet. Nachgegangen wird der Frage, ob und wie sich damit auch die Sicht auf und Bedeutung von migrationsbezogener und ethnischer Differenz in der Verwaltung veränderte. Waren solche Unterscheidungen nun auch weniger relevant?

Zum einen konnten Anzeichen für eine abnehmende Bedeutung ethnischer Differenzierungen im Verwaltungsalltag beobachtet werden. Ging aus den oben dargelegten Erzählungen der Mitarbeiterinnen, die zu Beginn der gezielten Einstellungspolitik in die Ausbildung gelangt waren, noch hervor, dass sie sich als defizitäre ‚Andere‘ stigmatisiert erfuhren (siehe Abschn. 9.1.2), nahmen sich die später Eingestellten kaum mehr als etwas Besonderes wahr.Footnote 6 Ihre Eindrücke klingen ähnlich wie die Darstellung der zitierten Ausbildungsleiterin. Faruk Yildiz, der gerade seine Ausbildung absolvierte, etwa berichtete:

„In [C] ist mir das schon aufgefallen, dass es schon auch viele gibt, die ’nen Migrationshintergrund haben auch. […] Also denen bin ich auch schon begegnet, doch, schon einige. Da merkt man auch, dass sich da [C] da ganz gut bemüht, dann auch diese Leute zu halten“ (Int_M9, §116).

Teilweise wurden solche Beobachtungen mit derselben Semantik der ‚lokalen Normalität‘ von Menschen migrantischen Hintergrunds im Bezirk erklärt, die auch von den Personalzuständigen mobilisiert wurde (siehe Abschn. 9.2.2). So meinte beispielsweise Anastasia Guseva, die kurz vor dem Ende ihrer Ausbildung stand:

„Also ich fühl mich nicht als Ausnahme (leicht lachend) oder so. […] aber ich denke, das ist auch dadurch, weil [C] ist ja sowieso- also die kennen das ja schon alle. […] vielleicht in ’ner anderen Verwaltung, […], oder in ’ner kleineren Stadt, wo wenig Ausländer sind, oder jemand mit Migrationshintergrund (lacht), vielleicht merkt man das dort irgendwie, aber hier in [C]- also nein“ (Int_M10, §68).

Für die Befragte lag die Begründung nahe, dass die erfahrene geringe Bedeutung ihres (ukrainischen) Hintergrunds mit der lokalen Bevölkerung zu tun habe. Dies bekräftigte die in der Organisation verbreitete Darstellung, dass man quasi natürlich, aufgrund des lokalen Kontexts für migrantische Mitarbeiter offen sei. Eine Darstellung, die, wie beschrieben, in den Hintergrund rücken ließ, dass auch hier eine nennenswerte Veränderung bei den Beschäftigten mit Migrationshintergrund erst einige Jahre zuvor eingesetzt hatte und nicht konfliktlos abgelaufen war.

Die Wahrnehmung, keine ‚Ausnahme‘ darzustellen, bedeutete jedoch nicht, dass der ‚Migrationshintergrund‘ im Verwaltungsalltag kein Thema mehr war. Trotz der wachsenden Zahlen an Auszubildenden aus Einwandererfamilien waren die Befragten weiterhin meist die einzigen nicht ‚ethnisch Deutschen‘ in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen. Dort waren sie mit mehr oder weniger stereotypen Fragen zu ihrer Herkunft und Kultur (wie Essgewohnheiten, Heiratstraditionen, religiösen Praktiken) konfrontiert. Dies galt generell für einen Großteil aller Befragten, auch derjenigen in den anderen untersuchten Behörden. Die Befragten in Verwaltung C nahmen solche Fragen jedoch zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht mehr als stigmatisierend und diskriminierend wahr, was vor allem im Kontrast zu den oben dargelegten Erfahrungen aus der frühen Phase gezielter Rekrutierung auffällt. Anschaulich wird dies etwa in der Erzählung von Seda Altug, die nach absolvierter Ausbildung mittlerweile in der Personalabteilung arbeitete:

„Also ich hatt’ noch nie so Situationen gehabt, wo ich so anders wahrgenommen wurde, also weder- also im negativen Sinne erst recht nicht, gar nicht, im positiven Sinn halt, das war halt einfach nur, weil die Kollegen halt so neugierig waren und gefragt haben. Klar, wenn die jetzt so Fragen stellen, und man erzählt dann, ne? Wie das bei uns ist und Türkisch dies und das, das war dann immer für sie so sehr abwechslungsreich, mal anders, also die fanden’s immer so toll. […] Aber ansonsten im negativen Sinn überhaupt nicht. Also- Wobei, es gibt ja in [C] auch sehr viele Azubis mit Migrationshintergrund, schon seit Jahren, ja? Und deswegen, ich glaub, die kennen’s schon, und für die ist es halt was ganz Normales, dass man auch Leute mit Migrationshintergrund hat, und deswegen, also ich hab’ noch nie solche Situationen gehabt“ (Int_M8, §127).

Sedas Schilderung zeigt, dass auch ihr türkischer Hintergrund im Verwaltungsalltag als Differenz wahrgenommen wurde, an die sich Fragen anschlossen. Doch geht daraus hervor, dass sie solche Fragen nicht als Infragestellen ihrer professionellen oder ‚kulturellen‘ Eignung erfuhr, wie es der Fall für die Auszubildenden in den Anfangsjahren der gezielten Einstellungspolitik war. Die Anerkennung als kompetente Mitarbeiterin und als eine in die Belegschaft passende Kollegin stand nicht in Zweifel. Ähnlich deuteten auch die anderen Befragten die Besonderung, die sie erfuhren, nicht als abwertende „VerAnderung“ (Reuter 2002), sondern als Ausdruck von Interesse oder Unwissenheit. Jedoch stieß hier – anders als in Bezirksamt B, wo von ‚Ostberlinern‘ von vornherein wenig ‚kulturelles‘ Wissen erwartet wurde (siehe Abschn. 8.3) – eine offenkundige ‚interkulturelle‘ Unkenntnis der Kollegen teils auf Verwunderung, entsprach sie doch nicht dem Bild der ‚interkulturell offenen‘ Verwaltung in einem Einwanderungsbezirk. So wunderte sich etwa Faruk Yildiz darüber, dass Kollegen meinten, alle muslimischen Frauen trügen Kopftuch, aber nicht wüssten, dass Muslime kein Schweinefleisch essen: „In einem Bezirk wie [C] sollte man schon erwarten, dass mehr Wissen über andere Kulturen da ist“ (Int_M9, §168).

Die Unterschiede in den Narrationen zwischen den früher und später Eingestellten können sicherlich auch dem Zufall des konkreten Kreises an Arbeitskollegen geschuldet sein, in den die jeweiligen Befragten gelangt waren. In ihrer Deutlichkeit lassen sie sich aber auch als Folge von Verschiebungen in der Art und Weise deuten, wie migrationsbezogene Differenzierungen in der Organisation beobachtet und beschrieben wurden: Verschiebungen von einer dominierenden Defizitsemantik zu einer Semantik der ‚Normalität‘. Dass sich der Blick auf ‚Migrationshintergründe‘ verändert hatte, vermuteten die Befragten auch selbst. So nahm etwa Handan Dogan an, dass sich viele Mitarbeiter inzwischen mit Kollegen mit Migrationshintergrund „abgefunden“ hätten: „Ich glaub, das ist gar nicht mehr so was Besonderes, […] vielleicht noch vor ein paar Jahren, aber mittlerweile?“ (Int_M7, §153). Die Erzählungen deuten auf eine abnehmende Relevanz solcher Differenzierungen als Marker von Differenz im Verwaltungspersonal hin. Ein ‚Migrationshintergrund‘ oder eine bestimmte ethnisch-nationale Herkunft schien deutlich weniger als zu Beginn der neuen Einstellungspolitik Erwartungen an potenzielle Defizite in der Erfüllung der Mitgliedsrolle hervorzurufen. Zwar wurden ethnische Unterschiede noch thematisiert, aber sie schienen nicht mehr – oder weniger – als Unterschiede zu fungieren, die für die Organisation „einen Unterschied machen“ (Bateson 1987, S. 123; Luhmann 2000a, S. 57).

An diesem Veränderungsprozess waren die Beschäftigten aus Einwandererfamilien ihrerseits beteiligt. Wie beschrieben irritierten sie institutionalisierte kulturalisierende Stereotype und Erwartungen nahmen die Rolle ‚interkultureller Vermittlerinnen‘ ein (siehe Abschn. 8.3). Anschaulich wird dies beispielsweise in der folgenden Schilderung von Günay Kaya, die zu den relativ früh Eingestellten gehörte. Sie nahm diese Rolle bewusst an:

„In den dreieinhalb Jahren [auf der aktuellen Stelle] hab’ ich wirklich so viel geschafft, meinen Kollegen nahe zu bringen, dass sie die Leute so zu akzeptieren haben, wie sie sind. Egal, ob deutsch, Türke oder sonstige Ausländer. Die werden nicht dafür bezahlt- Wir, als Angestellte, werden nicht dafür bezahlt, dass wir die Leute beurteilen, sondern dass wir […] unsere Dienste verrichten. Und das habe ich- also dafür hab’ ich echt gekämpft, dass die endlich mal diese Einstellung haben. Dass die nicht nur denken „Ey, der Kunde ist ein Südländer, verarscht uns eh von vorne bis hinten“. […] Ich habe denen versucht zu zeigen, dass auch ein Südländer sich den Allerwertesten aufreißen kann. Ich habe denen versucht zu zeigen, dass anderweitige Kulturen nicht unbedingt schlecht sein müssen. Meine Kollegen, als sie zu meiner Hochzeit gekommen sind […] – vor meiner Hochzeitsfeier hatten sie Vorurteile, haben gemeint: „Ja, das kann’s nicht sein, sie können sich das nicht vorstellen“. Nach meiner Hochzeitsfeier haben sie gesagt: „Das war die beste Hochzeitsfeier, auf der wir je waren!“ Also, ja, ich hab’ tatsächlich beweisen können, dass es auch anders geht“ (Int_M4, §182).

Die alltäglichen und auch privaten Interaktionen, die Günay beschreibt, trugen aus ihrer Sicht zum Abbau von stereotypen Repräsentationen der ‚Anderen‘ im Kollegenkreis bei. Ihre Schilderung illustriert, dass dies wiederum Folgen haben konnte, nicht nur für die Kommunikation unter Kollegen, sondern auch für alltägliche Rassismen in der administrativen Praxis.

Gab es somit verschiedene Anzeichen dafür, dass sich in Verwaltung C die Sicht auf migrationsbezogene und ethnische Differenz allmählich veränderte, lässt sich auch beobachten, dass bestimmte Differenzen weiterhin eine Rolle spielten. Die ‚Normalität von Diversität‘ unter den Beschäftigten wies blinde Flecken auf. Aufschlussreich dafür, wie die angestammten Verwaltungsmitarbeiterinnen ‚Normalität‘ deuteten, ist der folgende Ausschnitt aus einem Interview mit Frau Hoeck und Frau Schmidt, zwei Mitarbeiterinnen des Ausbildungsbereichs. Sie schildern darin, wie sich für sie die Präsenz der Auszubildenden aus Einwandererfamilien äußerte:

Frau Hoeck: „Also eigentlich spielt det gar keene Rolle für uns. Die sprechen perfekt Deutsch.“

Frau Schmidt: „Teilweise merkt man’s auch gar nicht mehr. // Frau Hoeck: Nee, nee // Also, so man merkt det überhaupt- ja, die sind also wirklich schon, hört sich blöd an, aber irgendwie schon so eingedeutscht. // Frau Hoeck: Mhm (bejahend) // […] Wir hatten jetzt ’ne Dame, die war aus Indien, hätte die nicht so ausgesehen, hätte man ihr det nicht angemerkt. […] Also manche haben so’n leichten Akzent noch, aber ansonsten merkt man’s überhaupt nicht. Und wenn man nicht nachfragt, erzählen die ooch nüscht, also so.“

Frau Hoeck: „Nee, war auch nie ’n Problem, muss ick sagen, von Anfang an nicht. War’n keene Probleme.“

Frau Schmidt: „Also ich find ja die kulturellen Hintergründe immer sehr spannend, wenn sie denn so erzählen. Weil es ja doch was ganz anderes ist. […] Mit den speziellen Feiertagen, die sie dann haben, wenn sie dann sagen so: „Ich brauch unbedingt frei“ – dann: Was ist denn da?“

Frau Hoeck: „Zuckerfest oder irgendwie so was.“

Frau Schmidt: „Zuckerfest oder weeß ick wat da alles ist.“ […]

Frau Hoeck: „Nö, ist schon interessant, aber wie gesagt man merkt’s nicht mehr, wir haben keene Probleme damit und unsere Praktikastellen auch nicht. Also, wenn sie Probleme haben sind det ganz normale Probleme, wie zu spät kommen, wie nicht melden und solche Sachen, aber sonst?“ (Int_M4, §233 ff.).

An dieser Gesprächspassage sind zwei Aspekte interessant. Zum einen macht sie die Folgen der alltäglichen ‚interkulturellen Sensibilisierung‘ durch die neuen Beschäftigten anschaulich, die offenbar tatsächlich die kulturellen Wissensbestände der ‚alteingesessenen‘ Mitarbeiterinnen erweiterte. Zum anderen werden mehrere Punkte geäußert, die für die Mitarbeiterinnen bedeuteten, dass die ‚Migrationshintergründe‘ der Auszubildenden „keine Rolle“ spielten und „keine Probleme“ bereiteten. Dazu gehörte in erster Linie, dass sie „perfekt“ die deutsche Sprache beherrschten. Die ergänzende Beschreibung, dass sie „eingedeutscht“ seien, signalisiert, dass auch darüber hinaus kaum Unterschiede im Vergleich zu ‚deutschen‘ Auszubildenden bemerkbar waren. Offenbar hatten sich die Personen an die institutionalisierten, insbesondere informellen Verhaltenserwartungen angepasst. Merkmale wie die Hautfarbe, ein leichter Akzent oder andere Feiertage deuteten zwar noch auf den ‚nicht deutschen‘ Hintergrund hin, doch waren dies aus Sicht der Verwaltungsakteurinnen offenbar keine Unterschiede, die für die Arbeit relevant waren. Die ‚Normalität‘ von Auszubildenden und Mitarbeiterinnen aus Einwandererfamilien zeigt sich hier als deren unproblematisches Einfügen in die Mitgliedschaftsrolle.

Problematischer war dagegen Differenz, die sichtbar und sperrig blieb. Dafür stand insbesondere das muslimische Kopftuch. Formal war, wie beschrieben, das Tragen religiöser Symbole in der öffentlichen Verwaltung zulässig, abgesehen von einigen hoheitlichen Tätigkeiten (siehe Abgeordnetenhaus von Berlin 2005). Informell war es in jedoch Verwaltung C nicht vorgesehen, Frauen mit Kopftuch einzustellen (siehe Abschn. 9.1.2). Hierzu Frau Schubert, die langjährige Ausbildungsleiterin:

„Wir sind bestrebt, dass wir keine Auszubildenden mit Kopftuch hier einsetzen, wir können’s keinem verbieten, wir schließen auch keinen deswegen aus dem Bewerberverfahren aus, um Gottes Willen, aber das sind genau die Schwellenängste und Barrieren, die wir abbauen möchten, wenn wir Menschen mit Migrationshintergrund hier beschäftigen. Und also um einmal Hemmnisse für Bürger mit Migrationshintergrund abzubauen, ist es wichtig, eben deren Nationalitäten hier auch vertreten zu haben, aber wir wollen natürlich keine Hemmnisse aufbauen für normale [Bürger aus C], die sich dann durchaus oder vielleicht erschrecken, wenn ihnen da jemand im Bürgeramt mit’m Kopftuch entgegen sitzt“ (Int_C2, §160).

Aus Sicht dieser Personalzuständigen stellte das Kopftuch eine problematische Form der Differenz dar. Statt Barrieren abzubauen, wie es die Intention hinter der Einstellung von Beschäftigten mit Migrationshintergrund sei, würde sie eher Barrieren aufbauen. Die Unterscheidung zwischen den „normalen“ Bürgern und denjenigen „mit Migrationshintergrund“ stellt dabei eine Hierarchie im Publikum der Verwaltung her: Die ‚Norm‘, an der sich demnach die Verwaltung zu orientieren habe, bildet das Publikum ohne Migrationshintergrund. Dessen (erwartete) Erwartungen an das Verwaltungspersonal fungieren als ‚legitimer‘ Grund dafür, das Kopftuch in der Verwaltung abzulehnen. Dem wurden die rechtlichen Regeln – das Diskriminierungsverbot – nachgeordnet. So war mehr Diversität in der Mitarbeiterschaft zwar erwünscht, aber dies umfasste, so lässt sich hier deuten, nur Diversität, die mit den etablierten ‚Normalitätsvorstellungen‘ von Verwaltung konform ging. Die beschriebene Problematisierung des Kopftuchs verweist erneut auf die Unterscheidung von Lentin und Titley zwischen „good diversity“ und „bad diversity“ (Lentin und Titley 2011, S. 160): Als ‚good diversity‘ kann aus Verwaltungssicht das von Frau Schmidt im voranstehenden Ausschnitt beschriebene ‚eingedeutschte‘ Einfügen in die bestehenden informellen Erwartungen an Verwaltungsbeschäftigte verstanden werden, sowohl die organisationsintern bestehenden Erwartungen als auch diejenigen, die dem Publikum zugeschrieben werden. Als ‚bad diversity‘ hingegen erscheint Differenz, die sichtbar bleibt, die diese Erwartungen potenziell herausfordert und von der angenommen wird, dass sie Folgeprobleme für die organisationale Ordnung nach sich ziehen kann. Solche Einschätzungen darüber, inwiefern Kandidaten den informellen Verhaltenserwartungen und Normalitätsvorstellungen entsprechen, können, wie dargelegt wurde, Personalentscheidungen orientieren, indem sie Unsicherheit reduzieren (siehe Abschn. 6.2). Die Folge ist eine mehr oder weniger unterschwellige Präferenz für diejenigen Kandidaten, die zu den etablierten Normalitätsvorstellungen zu passen scheinen, und ein Ausschluss derjenigen Kandidaten, deren ‚Passung‘ ungewiss ist. Im Fall des muslimischen Kopftuchs fand dieser Ausschluss recht offensichtlich statt.

Die Frage des Kopftuchs bringt den blinden Fleck der zunehmenden ‚Normalität‘ von Beschäftigten aus Einwandererfamilien, die in Verwaltung C beobachtet werden konnte, zum Vorschein. Es handelte sich um eine Inklusion, die von der Exklusion bestimmter, als problematisch unterschiedener Personengruppen begleitet war. Inklusion und Exklusion sind dabei eng verknüpft. Die dargestellten Bemühungen um mehr Beschäftigte mit Migrationshintergrund, von deren Erfolg die Einstellungszahlen zeugen, überdecken den diskriminierenden Ausschluss unerwünschter Diversität. Sie können Ausschlüsse sogar legitimieren: Folgt man der zitierten Darstellung der Ausbildungsleiterin, werde das verfolgte und positiv belegte Ziel – die Öffnung der Verwaltung – konterkariert, wenn sich unter den Eingestellten mit Migrationshintergrund auch Mitarbeiterinnen mit Kopftuch befänden. Dies verdeutlicht, dass die Beschreibung einer ‚Normalität‘ von Diversität in der Verwaltung die Kontinuität von Ausschlüssen in sich tragen und sogar unterstützen kann. Sara Ahmed beschreibt solche Kontinuitäten als Reproduktion von „whiteness“: Durch das Herausstellen der erwarteten ‚diversity‘ könne die ‚weiße‘, mehrheitsgesellschaftliche Norm, die in den Organisationsstrukturen institutionalisiert ist, geschützt und bestärkt werden (Ahmed 2012, S. 147, 151). Die beobachteten Irritationen von institutionalisierten Wissensbeständen und stereotypen Sichtweisen durch die ‚Normalisierung‘ von Eintritten junger Menschen aus Einwandererfamilien deuten jedoch auch an, dass solche organisationalen Normalitätsvorstellungen nicht statisch reproduziert werden. Auf längere Frist kann sich verschieben, was in die ‚Normalität‘ eingeschlossen ist und welche Differenz ausgeschlossen bleibt. Dies macht darauf aufmerksam, dass organisationale ‚whiteness‘ in ihrer Dynamik untersucht werden muss.

Gegen Ende meiner Feldforschung wurde der Umgang mit dem unerwünschten Kopftuch in Verwaltung C herausgefordert. Auslöser war, dass eine junge Frau mit Kopftuch, deren Bewerbung im Rechtsamt abgelehnt wurde, dem Bezirksamt öffentliche Diskriminierung vorwarf. Dies rief eine Debatte hervor und das Bezirksamt war gezwungen, sich zu positionieren. Die politische Leitung entschied daraufhin, entsprechend den gesetzlichen Regelungen, dass die Kandidatin einen Platz bekommen könne, jedoch keine „hoheitliche Aufgaben mit Außenwirkung“ ausüben dürfe (Dok_C2015). Im Rahmen meiner Forschung war nicht abzusehen, inwiefern dieser Fall Folgen für die Einstellungschancen weiterer Bewerberinnen mit Kopftuch haben würde. Doch er verdeutlichte, dass sich auch verändern kann, welche ethnischen Differenzierungen inwiefern für die Verwaltung relevant werden, und dass die (potenziellen) Beschäftigten aus Einwandererfamilien in diesen Veränderungsprozess aktiv hineinwirken.

9.4 Fazit Fallstudie C

Ausgangspunkt der Fallstudie war die Beobachtung, dass es in Verwaltung C regelmäßig zu hohen Einstellungszahlen von Auszubildenden mit Migrationshintergrund kam, wodurch sie sich deutlich von den Verwaltungen A und B unterschied. Daran schloss die Frage an, was diese Unterschiede hervorbrachte und inwiefern sich in diesem Kontext auch die Sicht auf ethnische und migrationsbezogene Differenz in der Verwaltung veränderte. Zusammenfassend können verschiedene Faktoren festgehalten werden, die in Verwaltung C zu Veränderungen bei der Beschäftigung von Eingewanderten und ihren Nachkommen beitrugen.

Ähnlich wie in den Fällen der Verwaltungen A und B spielten zunächst Veränderungen im institutionellen Kontext eine wichtige Rolle dafür, dass in Verwaltung C das ‚Problem‘ der Rekrutierung von Auszubildenden aus Einwandererfamilien aufkam. Vor dem Hintergrund neuer integrationspolitischer Konzepte und Förderprogramme wurden Mitte der 2000er Jahre lokale Maßnahmen eingeführt, um den Zugang zur Ausbildung zu verbessern. Konkret umfasste dies, dass man einen besonderen Rekrutierungskanal über Vorbereitungskurse für junge Frauen mit ‚Migrationshintergrund‘ einrichtete und sich aktiv an der Senatskampagne ‚Berlin braucht Dich!‘ beteiligte.

Weiter zeigt sich, dass ein Zusammenspiel organisationaler und lokaler Faktoren wesentlich dafür war, dass diese Sondermaßnahmen eingeführt wurden und dass sich Bemühungen um Auszubildende mit Migrationshintergrund über die Jahre verstetigten. Zum einen fügten sich solche Maßnahmen in die öffentlichkeitswirksam betriebene, ‚pragmatische‘ Integrationspolitik des Bezirksbürgermeisters ein, die wiederum auf der Beschreibung des Bezirks als ‚problematischer‘ Einwanderungsbezirk gründete. Dieses bezirkliche Image bedeutete zugleich, dass es kaum möglich war, mit ‚legitimen Gründen‘ integrationspolitischen Handlungsbedarf zurückzuweisen. Entscheidend dafür, dass der politisch initiierte Sonderfokus über die Jahre in die reguläre Rekrutierungspraxis einging, war, zum anderen, dass sich ein internes organisationales Interesse entwickelte, junge Menschen aus Einwandererfamilien für die Ausbildung zu gewinnen. Entsprechende Bemühungen wurden von einer engagierten Ausbildungsleiterin personalbezogen umgedeutet. Sie strebte danach, das Bezirksamt als attraktiven Arbeitgeber zu positionieren, um antizipierten Nachwuchsproblemen entgegenzuwirken. Unterstützt wurde dieses Engagement vom Bezirksbürgermeister, der an Nachwuchsförderung im Allgemeinen interessiert war. Im Unterschied zu den Verwaltungen A und B war die Rekrutierung von Nachwuchskräften hier somit ein Thema, das auch von der Verwaltungsspitze verfolgt und mit Ressourcen unterstützt wurde. Vor diesem Hintergrund griff man die öffentlichkeitswirksame Kampagne ‚Berlin braucht Dich!‘ als ein Instrument auf, das dem generellen Rekrutierungsinteresse dienlich war, man modernisierte das Auswahlverfahren und ergriff weitere Werbemaßnahmen, um neue Zielgruppen zu erreichen. Die Ansprache junger Menschen aus Einwandererfamilien bildete dabei einen regulären, nicht mehr spezifisch markierten Bestandteil. Verglichen mit der Werbung, die in den Verwaltungen A und B betrieben wurde, schienen sich die Werbestrategien von Verwaltung C förderlicher auf die Bewerbungsentscheidungen junger Menschen aus Einwandererfamilien auswirken zu können.

Im Vergleich zu den Fällen der Verwaltungen A und B wird deutlich, dass gerade diese Institutionalisierung der Ansprache junger Menschen mit Migrationshintergrund in den Regelstrukturen eine wesentliche Rolle dafür spielte, dass es in Verwaltung C zu längerfristigen Veränderungen bei der Beschäftigung kam. Anfängliche differenzierende Sonderstrukturen – die Vorbereitungskurse – wurden abgeschafft. Bemühungen um junge Menschen aus Einwandererfamilien stellten damit keine integrationspolitische Sondermaßnahme mehr dar, die von den Personalakteuren möglicherweise für nicht kompatibel mit den eigenen Rekrutierungslogiken befunden werden konnte. Vielmehr knüpften sie an ein genuines organisationales Rekrutierungsproblem an: nämlich angesichts demografischer Veränderungen auch zukünftig ausreichend geeignete Nachwuchskräfte zu gewinnen. Dass junge Menschen aus Einwandererfamilien im Rahmen der regulären Rekrutierungspraxis berücksichtigt wurden, löste die Spannung zwischen dem Postulat ‚differenzblinder‘ Gleichbehandlung und politischen Differenzierungserwartungen auf.

Dass sich diese Rekrutierungspraktiken stabilisierten, wurde außerdem durch die Lokalität begünstigt: Migrationsbedingte Diversität war als eine demografische ‚Normalität‘ im Bezirk statistisch sichtbar und alltäglich erfahrbar; sie prägte die bezirklichen Selbstbeschreibungen und Fremdwahrnehmungen. Somit waren die Rekrutierungsbemühungen auch für die beteiligten Personalzuständigen plausibel. Die Diversität ‚innerhalb‘ und ‚außerhalb‘ des Bezirksamts fügten sich ein in ein gemeinsames Narrativ. Die Betonung der lokalen Diversität bestärkte die Selbstbeschreibung der Verwaltung, offen für migrationsbedingte Diversität zu sein; sie verlieh dem Bezirksamt wiederum in der Außendarstellung für potenzielle Bewerber Glaubwürdigkeit und Authentizität. Die Veränderungen in den Rekrutierungspraktiken stützten sich somit auch auf bestimmte räumlich konnotierte Konstruktionen und Deutungen von migrationsbedingter Diversität.

Darüber hinaus wurde sichtbar, dass sich im Zuge der ‚Normalisierung‘ der Rekrutierung von Auszubildenden aus Einwandererfamilien in Verwaltung C auch die Wahrnehmung und Beschreibung von ethnischer bzw. migrationsbezogener Differenz veränderte. So lag anfänglich den politisch motivierten Maßnahmen noch eine Defizitsemantik zugrunde, die die Zielgruppe mit ‚Migrationshintergrund‘ als potenziell unzureichend qualifiziert und förderbedürftig beschrieb. Diese Beschreibungsform unterstrich einerseits das integrationspolitische Engagement des Bezirksamts und des Bürgermeisters; andererseits trug sie zu Erfahrungen von Stigmatisierung und Diskriminierung bei den neuen Auszubildenden bei. Durch die zunehmende ‚Normalität‘ von Diversität bei den Nachwuchskräften schienen ethnische und migrationsbezogene Differenzierungen (mit deren intersektionalen Codierungen) an Relevanz zu verlieren. Der Fall von Verwaltung C veranschaulicht damit das enge Wechselverhältnis zwischen dem Wandel von Strukturen und Semantiken. Jedoch offenbarten sich auch blinde Flecken in der ‚Normalität‘ von Diversität. Es handelte sich um ‚Normalität‘ im Sinne der institutionalisierten Vorstellungen von ‚Normalmitgliedern‘, die den etablierten (informellen) Mitgliedschaftserwartungen entsprechen. Sie ging einher mit dem Ausschluss von Differenz, die als ‚nicht passend‘ erachtet wurde. Dazu gehörte weiterhin insbesondere das muslimische Kopftuch.

Als zusätzlicher Faktor, der Veränderungen bei der Beschäftigung von Eingewanderten und Einwandererkindern ermöglichte, kann schließlich die Steigerungsdynamik identifiziert werden, die deren Eintritte in die Verwaltung selbst auslösten. Die Präsenz von zunehmend sichtbaren und zählbaren Auszubildenden mit Migrationshintergrund bescherten dem Bezirksamt Aufmerksamkeit und Anerkennung aus der Umwelt. Die neuen Karrieren in die Verwaltung bestätigten somit die veränderten Rekrutierungspraktiken – nicht zuletzt auch deshalb, weil sie sich für die beteiligten Personen als ‚unproblematisch‘ erwiesen. Darüber hinaus trugen die neuen Beschäftigten in ihrer Vermittlerrolle zwischen ‚Innen‘ und ‚Außen‘ auch selbst dazu bei, dass informationelle und symbolische Zugangsbarrieren vor der Verwaltung abgebaut wurden. Die Entscheidungen weiterer Personen aus Einwandererfamilien zu Bewerbung und Eintritt wurden damit wahrscheinlicher.