Zusammenfassung
Der Beitrag beschreibt, wie sich publizierte Dokumente, beispielsweise Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge oder Parlamentsprotokolle, zur Analyse von aktuellen und historischen Entwicklungen der Kinder- und Jugendhilfe verwenden lassen. Dabei wird zunächst geklärt, welche Fragestellungen mithilfe von veröffentlichten Dokumenten sinnvoll bearbeitet werden können. Dem folgt eine forschungspraktisch orientierte Darstellung methodischer Zugänge sowie ein kurzer Vergleich von inhaltsanalytischen und diskursanalytischen Verfahren. Exemplarisch werden Befunde aus einer Inhaltsanalyse zur westdeutschen Heimgeschichte vorgestellt. Der Beitrag schließt mit einer kurzen Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen von Dokumentenanalysen.
Dr. Felix Berth, Wissenschaftlicher Referent, Deutsches Jugendinstitut.
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Notes
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Unter einem Dokument werden nach Glaser (2010, S. 366) Äußerungen verstanden, die nicht durch eigenständige Beobachtungen, Befragungen und Tests erhoben wurden. Dazu zählen amtliche Akten ebenso wie Zeitschriftenbeiträge oder Plenarprotokolle aus Parlamenten. Weil sich dieser Beitrag auf öffentliche Debatten über die Kinder- und Jugendhilfe konzentriert, liegt der Fokus auf publizierten Dokumenten. Zu Aktenanalysen s. die Beiträge von Lehmann und Klug, Schneider und Gahleitner sowie Ernst et al. in diesem Band.
- 2.
Gleichwohl könnte man dies durchaus infrage stellen: Im Jahr 2005 erschien der Siebte Familienbericht der Bundesregierung, der mit seinem Fokus auf „Zeit, Geld und Infrastruktur“ ein neues familienpolitisches Konzept entwickelte (BMFSFJ 2006). Im Jahr 2007 begann eine intensive politische Debatte über den Ausbau der Kindertagesbetreuung (Berth 2007); auch das Nationale Zentrum Frühe Hilfen wurde damals gegründet (NZFH 2010). Möglicherweise zeigt sich in diesen Entwicklungen ein neues Bild von „guter Kindheit“ im Sinne von Bischoff und Betz (2011) – allerdings wäre, wenn man dies vermutet, das ältere Bild von „guter Kindheit“ ebenfalls beschreibungsbedürftig.
- 3.
Greift man auf Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge zu, die seit den 1990er-Jahren erschienen und in elektronischen Datenbanken als Volltexte verfügbar sind, entscheidet die Wahl des Mediums über den technischen Zugang: Ein Korpus mit Beiträgen aus der FAZ wird sinnvollerweise im elektronischen FAZ-Archiv zusammengestellt; ein Korpus mit Beiträgen aus der BILD-Zeitung greift auf das Springer-Archiv zu etc.. Bei Recherchen, die weiter zurückreichen und deshalb auf die älteren Zeitungsausschnitt-Sammlungen der Archive zurückgreifen müssen, ist eine weitere Entscheidung nötig. Denn hier finden sich bei den Themen der Kinder- und Jugendhilfe nach meinen Erfahrungen in den Archiven von Frankfurter Allgemeiner Zeitung, Süddeutscher Zeitung und Spiegel erheblich weniger Treffer als in der (überdies für Wissenschaftler kostenlos zugänglichen) Pressedokumentation des Deutschen Bundestags mit ihrem umfangreichen Altarchiv, welches Presse-Ausschnitte von 1949 bis 1999 enthält (https://www.bundestag.de/pressedokumentation).
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Wobei die These „Kleiner Korpus = simple Analyse“ vor allem für Inhaltsanalysen gilt. In Diskursanalysen lässt sich auch eine geringe Zahl von Dokumenten anhand komplexer Fragen betrachten (siehe dazu das folgende Kapitel).
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In der Forschung hat sich neben dem Begriff der Kategorie auch der Begriff Code etabliert. Ersterer stammt vor allem aus Inhaltsanalysen, letzterer wird insbesondere in der Grounded Theory verwendet. Einheitliche Definitionen sind nicht in Sicht; Kuckarts (2016, S. 36) gibt deshalb das Bemühen um trennscharfe Definitionen auf und gebraucht beide Termini synonym. Dieser Beitrag folgt Kuckartz´ Vorschlag, indem er den Begriff „Code“ vermeidet und von „Kategorien“ spricht, wenn Texte oder Textpassagen in einer Auswertung mit kurzen Schlagworten klassifiziert werden.
Literatur
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Berth, F. (2019). Analysen von publizierten Dokumenten. In: Begemann, MC., Birkelbach, K. (eds) Forschungsdaten für die Kinder- und Jugendhilfe. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23143-9_18
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