Ziel der Prozessvorbereitung im Sinne einer nachfolgenden Implementierung ist eine präzise Spezifikation von Prozessen mit der Beschreibung der Prozessstrategie und der Prozesslogik. Die Vorbereitung umfasst die Aktivitätsbündel auf der rechten Seite des offenen Zyklus, dies sind die Analyse, die Modellierung, die Validierung und die Optimierung (siehe Abb. 5.1). Das Ergebnis dieser Aktivitätsbündel ist eine Prozessbeschreibung, die präzise genug für die Umsetzung ist. Die Vorbereitung teilt sich in die Aktivitäten Analyse mit Modellierung, Validierung und Optimierung auf. Diese Aktivitäten werden nicht in einer strengen Reihenfolge durchgeführt, sondern die jeweiligen Tätigkeitsschwerpunkte können zwischen den Aktivitäten häufig wechseln. Die Abbildung zeigt die Einordnung der Vorbereitung in das gesamte Prozessmanagementmodell.

Abb. 5.1
figure 1

Einordnung der Vorbereitung in das Prozessmanagementmodell

In den folgenden Abschnitten werden ausgewählte Methoden für diese Aktivitätsbündel vorgestellt.

5.1 Analyse und Modellierung

Analyse und Modellbildung kann nicht scharf getrennt werden. Schwerpunkt der Analyse sind die strategischen Aspekte von Prozessen, während in der Modellierung auf die Prozesslogik fokussiert wird. In der Analyse wird also der Anfang, mit dem zugehörigen Input, das Ende mit dem erzeugten Output und das damit befriedigte Kundenbedürfnis klargelegt. In der Analyse werden auch der Rahmen und die wesentlichen Aspekte der Prozesslogik abgesteckt.

In der Praxis wird allerdings bei der Überarbeitung von Prozessen in dieser Phase kaum die Prozesslogik des Ist-Zustands explizit beschrieben. Die Analyse der aktuellen Prozesslogik erfolgt im Rahmen der Definition des gewünschten Sollprozesses. Der ausschließliche Bezug zur Ist-Situation macht in der Regel wenig Sinn und ist auch für alle Beteiligten zumeist unangenehm zu dokumentieren – Was wurde in letzter Zeit „falsch“ gemacht?

Solange man das Werkzeug ‚natürliche Sprache‘ benutzt, befindet man sich eher in der Aktivität Analyse als Modellierung. Der Übergang von der natürlichen Sprache zu einer formaleren Prozessmodellierungssprache entspricht dem Übergang in Modellierungsaktivitäten. Der Modellierung kann eine mehr oder weniger intensive Analysemethode vorausgehen. In Extremfällen wird unmittelbar ein Prozessmodell ohne vorangehende natürlich sprachliche Analyse erstellt. Allerdings ist zu empfehlen, dass zumindest die strategischen Aspekte des betrachteten Prozesses bekannt und definiert sind.

In der Folge werden Richtlinien zur Artikulation und Abstimmung von prozessrelevantem Wissen vorgestellt, welche methodisch und werkzeugtechnisch unterstützt werden können. Ein wesentliches Element stellt dabei das Verständnis von Rollen dar, welche die Beteiligten als relevant für die Abwicklung von Prozessen erachten. Darüber hinaus empfiehlt sich, die Austauchbeziehungen zwischen Akteuren zu betrachten, zur weiteren Gestaltung von Prozessen deren Qualität zu bewerten und daraus gegebenenfalls Änderungspotenzial abzuleiten.

5.1.1 Allgemeines zu Artikulation und Abstimmung

Wissen über Arbeitsabläufe und organisationale Prozesse ruht in den meisten Fällen in den Köpfen von Handlungsträgern. Daher kommt einer kontextsensitiven strukturierten Erhebung und Analyse entscheidende Bedeutung zu. Die Erhebung dient der Artikulation von Erfahrungswissen und wird in den meisten Fällen im Rahmen der Modellierung durchgeführt. Wird sie allerdings bereits vorab bearbeitet, dann kann in GPM-Projekten mit der Vielfalt von Ansätzen zur Aufgaben- oder Problembewältigung strukturierter umgegangen werden. Allerdings spielen in diesem Zusammenhang die Abstimmung und der Abgleich unterschiedlicher Ansätze eine wesentliche Rolle. Deren Unterstützung trägt wesentlich zu einer integrationsfähigen Lösungsbildung trotz hoher Vielfalt und individueller Zugänge zur Aufgabenerfüllung bei. In diesem Abschnitt wird daher auf die Erhebungs- und Aushandlungsmethoden sowie Instrumente eingegangen, welche Individuen Artikulation im Rahmen kollektiver Reflexions- und Aushandlungsprozesse ermöglicht.

Wie Menschen ihre Arbeit durchführen, wie sie auf Vorgaben oder Abweichungen reagieren und wie sie mit anderen kooperieren, wird wesentlich von ihrer Wahrnehmung der organisationalen Realität geprägt. Die Interpretation der wahrgenommenen Rahmenbedingungen sowie die Ableitung der als adäquat erachteten Reaktion von Akteuren kann mit der kognitionswissenschaftlichen Theorie der mentalen Modelle erklärt werden. Diese Theorie kann auch als Grundlage verwendet werden, um von den operativ tätigen Personen ausgehende Lern- und Veränderungsprozesse in Organisationen zu erklären. In diesem Abschnitt bildet sie deshalb die Grundlage für die Ableitung von Maßnahmen, die Arbeitende in die Lage versetzen sollen, sich ihrer Arbeitsabläufe und der diese prägenden organisationalen Zusammenhänge und Rahmenbedingungen bewusst zu werden.

Das Konzept der „mentalen Modelle“ wird verwendet, um zu erklären „wie Menschen die Welt verstehen – genauer: wie sie ihr Wissen benutzen, um sich bestimmte Phänomene der Welt subjektiv plausibel zu machen [1]“. Mentale Modelle sind dabei Erklärungsmodelle der Welt, die von Menschen auf Basis von Alltagserfahrungen, bisherigem Wissen und darauf basierenden Schlussfolgerungen gebildet werden. Ein mentales Modell wird vom jeweiligen Individuum als Basis verwendet, um die Welt zu verstehen und gegebenenfalls Vorhersagen über deren Verhalten zu bilden [1].

Das mentale Modelle prägende Wissen kann auf Alltagserfahrung basieren oder durch Vermittlung oder Instruktion begründet werden. Die Modifikation und Erweiterung der eigenen Wissensbasen und die (Weiter-) Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten, die für die Ableitung von Schlussfolgerungen notwendig sind, bezeichnet Seel als „Lernen“. Lernen ist „mit der Verarbeitung individueller Erfahrungen mit sowie vermittelter Information über die Welt, ihre Struktur und Evidenz verbunden und kann als ein Prozess permanenter konzeptueller Veränderungen verstanden werden.“[1] Lernen setzt damit die Fähigkeit und Bereitschaft voraus, „vermittelte Weltauffassungen zu verstehen, zu akzeptieren und sodann den eigenen gedanklichen Konstruktionen zugrunde zu legen“[1].

Die Veränderung mentaler Modelle über Arbeitsprozesse weist zwei grundlegende Schwierigkeiten auf. Bei bereits als nicht adäquat erkannten mentalen Modellen besteht grundsätzlich die Bereitschaft zur Veränderung (im Sinne einer Anpassung des mentalen Modells an die als verändert wahrgenommene Umweltbedingungen), die Herausforderung besteht allerdings darin, an die notwendige Information zu gelangen und adäquat dargeboten zu bekommen. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich in Situationen, in denen nicht alle involvierten Individuen die Situation als „problematisch“ wahrnehmen und deshalb keine grundlegende Bereitschaft zeigen, ihre der Arbeit zugrunde liegenden Annahmen (also ihre mentalen Modelle) zu verändern. Dies tritt vor allem in Situationen auf, in denen die kollaborative Reflexion nicht aus einer allgemein wahrgenommenen Problemsituation heraus durchgeführt, sondern entweder mit rein planendem Charakter angestoßen wird, oder welche nur von einzelnen beteiligten Individuen als „problematisch“ wahrgenommen werden.

Diesen Problemen kann mit einer expliziten Unterstützung des Reflexionsprozesses begegnet werden. Eine derartige Unterstützung muss sicherstellen, dass Artefakte zur Repräsentation der individuellen mentalen Modelle geschaffen werden, die dann die Grundlage für die gegenseitige Verständlichmachung der jeweiligen Sichten auf den Arbeitsprozess bedienen kann. Derartige Artefakte können dazu dienen, Aspekte eines Arbeitsprozesses abzustimmen und sicherzustellen, dass die in Artefakten kodierte ostensive Sicht auf einen Arbeitsprozess durch darauf aufbauendes performatives subjektives Handlungswissen in der Arbeitspraxis umgesetzt werden kann. Aus methodischer Sicht muss dazu sichergestellt werden, dass alle am realen Arbeitsprozess beteiligten Personen organisatorisch und methodisch in der Lage sind, sich am kollaborativen Lernprozess zu beteiligen. Dies bedingt vor allem, dass sie die verwendeten Ausdrucksformen verstehen und aktiv einsetzen können. Dies ist wiederum eine Lernherausforderung, die explizit adressiert werden muss.

Eine in den Bildungswissenschaften weithin akzeptierte Möglichkeit zur Externalisierung und Abstimmung mentaler Modelle ist die Bildung konzeptioneller Modelle. Gleichzeitig können derartige Modelle die Grundlage für die Spezifikation von Arbeitsprozessen und die Konfiguration von Arbeitsunterstützungssystemen bilden, sofern sie sich einer formal spezifizierten Semantik bedienen (wie etwa die BPMN oder S-BPM). Konzeptionelle Modelle stellen also ein Mittel dar, Arbeitende in die Lage zu versetzen, ihre Arbeit zu reflektieren, abzustimmen, die Ergebnisse dieser Abstimmungsprozesse für die Dritte zugänglich zu machen und diese im Rahmen der existierenden Systemgrenzen zur Unterstützung der eigenen Arbeitsabläufe nutzbar zu machen.

Modelle sind Abbildungen der Realität, die zu einem bestimmten Zweck gebildet werden. Modelle repräsentieren nie das reale Phänomen als Ganzes, sondern enthalten nur jene Aspekte der Realität, die vom Modellbildenden als relevant für die jeweilige Zielerreichung erachtet werden. Für die Modellbildung stellt sich damit die Frage nach der Definitionsmacht dieser Modelle und der durch sie abgebildeten sozialen Realität. Sofern ein Modell nicht nur einen das modellbildende Individuum betreffenden Zweck erfüllt, sondern von anderen Personen genutzt wird, beeinflusst das Modell die mentalen Modelle dieser Personen und damit auch deren Verhalten.

Die aktive Involvierung operativ Tätiger in die Spezifikation von Arbeitsprozessen stellt deshalb eine Möglichkeit für deren selbstermächtigte Gestaltung ihrer Arbeit dar. Dazu ist es jedoch notwendig, dass operativ Tätige in die Lage versetzt werden, derartige Modelle zu verstehen, selbst zu gestalten, und deren Wirkung auf ihre Arbeitsprozesse abschätzen zu können. In aktuellen Ansätzen wird hingegen nach wie vor von der Notwendigkeit eines Prozess-Analysten ausgegangen, der die Sichtweisen der Arbeitenden in ein Prozessmodell übersetzt. Dies kann zu Abweichungen zwischen dem realen Arbeitsprozess und dessen Modellrepräsentation führen. Außerdem nimmt diese Vorgehensweise den operativ tätigen Personen die Möglichkeit im Sinne des modellbasierten Lernens ihre mentalen Modelle zu schärfen und mit jenen der anderen Beteiligten abzustimmen.

Um operativ Tätige in die Lage zu versetzen, derartige Modelle zu verstehen, muss das Erlernen von grundlegenden Ansätzen zur Erstellung und Interpretation konzeptioneller Modelle Gegenstand der Aus- oder Weiterbildung sein. Arbeitende müssen jene Modelle erkennen können, die den Systemen zugrunde liegen, in die sie eingebettet sind. Darüber hinaus sollen sie die Implikationen von externen oder selbst durchgeführten Änderungen an diesen Modellen abschätzen und Interventionen dementsprechend planen können.

Dazu müssen folgende Punkte methodisch unterstützt werden:

  • die Ermöglichung der individuellen Artikulation eigener mentaler Modelle über Arbeit, um eine individuelle Reflexion zu ermöglichen und dadurch Lücken und Inkonsistenzen individuell wahrnehmbar zu machen, sowie zu verhindern, dass Sichtweisen einzelner Personen nicht berücksichtigt werden und diese in der Folge keinen Bezug zu ihrer Arbeitsrealität herstellen können

  • die Unterstützung der Vereinbarung eines gemeinsamen Vokabulars, um unterschiedliche Verständnisse von Begriffen zu identifizieren und sich in der Folge eindeutig über die gegenständliche Arbeit austauschen zu können, und zu verhindern, dass das gleiche reale Phänomen mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnet wird – oder dass umgekehrt der gleiche Begriff für unterschiedliche reale Phänomene verwendet wird

  • die Unterstützung der Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses über die kollaborative Arbeit, um eine Grundlage für die Reflexion der individuellen mentalen Modelle anzubieten, und damit in Verbindung stehend,

  • eine Unterstützung bei der Identifikation und Auflösung von konfliktionierenden Sichtweisen, um Unterschiede in jenen mentalen Modellen, die die Kollaboration zwischen Akteuren unmittelbar betreffen, sichtbar zu machen und deren Abstimmung zu ermöglichen.

In den folgenden Abschnitten werden einige Methoden gezeigt, mit denen diese Anforderungen umgesetzt wurden.

5.1.2 Compare/WP

Die oben beschriebenen Anforderungen werden in der Methode „CoMPArE/WP“ exemplarisch umgesetzt. CoMPArE/WP steht für „Collaborative Multi-perspective Articulation and Elicitation of Work Processes“. Bei der Anwendung von CoMPArE/WP wird anhand der Reflexion über einen realen kollaborativen Arbeitsprozess Bewusstsein über die Zusammenarbeit in einem konkreten Einzelfall geschaffen. Aufgrund ihrer Verankerung an konkreten Arbeitsprozessen eignet sich die Methode auch als Mittel zur Organisationsentwicklung. Die Kooperationsform der Methode wird grundsätzlich durch deren Durchführung mit einer Kartenlegetechnik festgelegt. Die teilnehmenden operativ Tätigen sind die wesentlichen Akteure und führen die Komponenten eigenverantwortlich durch, wobei Artikulations- und Nachfrage-Rollen wechseln können. Die konkrete Ausgestaltung der Kooperation ist in den Komponenten unterschiedlich und deshalb in der dort angeführten Prozedur beschrieben. Zur Unterstützung der Durchführung steht ein Facilitator bereit, der jedoch nicht inhaltlich interveniert.

Die Methode soll bei der Artikulation und Abstimmung von mentalen Modellen über Arbeit unterstützen und gleichzeitig grundlegende Fähigkeiten zu deren Ausdruck in konzeptionellen Modellen vermitteln. Die Kombination diese beiden Teilziele hat Auswirkungen auf das Rahmenwerk der Methode. Aus Sicht der Vermittlung von Modellierungskompetenz ist es sinnvoll, die notwendigen Fähigkeiten schrittweise mit steigender Komplexität einzuführen. Aus Sicht der Artikulationsunterstützung ist ein Vorgehen in drei Komponenten argumentierbar. Die Abb. 5.2 gibt eine Übersicht über diese drei Komponenten.

Abb. 5.2
figure 2

Drei Komponenten von CoMPArE/WP

Komponente 1 dient der Findung eines gemeinsamen Verständnisses darüber, wo und wie der abzustimmende Arbeitsprozess beginnt und endet, sowie der Findung eines gemeinsamen Vokabulars. Komponente 2 dient der Artikulation und Reflexionen des jeweiligen individuellen Arbeitsbeitrages. Alle Teilnehmer erstellen hier individuell und ohne Interaktion mit anderen ein strukturiertes Modell ihrer Sichtweise auf ihren jeweiligen Arbeitsbeitrag. Durch die einheitlich strukturierte Darstellung der individuellen Beiträge ist in Komponente 3 eine kollaborative Abstimmung derselben möglich. Durch diese Abstimmung sollen konfliktionierende Sichtweisen aufgedeckt werden eine gemeinsame Sicht auf den gesamten Arbeitsprozess entstehen.

In diesen Komponenten sind die Ziele der Kompetenzentwicklung im Modellierungsbereich zu verankern. In Komponente 1 ist die Verbalisierung von mentalen Modellen und die darauf aufbauende Konzeptbildung zu vermitteln. In Komponente 2 muss das Beschreiben der verbalisierten Inhalte mittels eines vorgegebenen Kategorienschemas und einer Notation vermittelt werden. Dabei muss festgelegt werden, welche Elemente des Kategorienschemas in der Verantwortlichkeit des artikulierenden Individuums stehen und welche als Verhandlungsgegenstände bei der Abstimmung in Komponente 3 validiert und gegebenenfalls abstrahiert werden müssen bzw. zur Disposition stehen.

Konkrete Umsetzung von Komponente 1. Nicht alle Teilnehmer haben notwendigerweise ein gemeinsames Verständnis über die Konzepte, mit denen sie ihre Arbeit beschreiben. Um die vorhandenen mentalen Modelle so weit abzustimmen, dass ein gemeinsames Vokabular eine Zusammenarbeit ermöglicht, kann kollaboratives Concept Mapping eingesetzt werden. Zusätzlich kann ebenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass ein gemeinsames Verständnis über die Grenzen des abzustimmenden Arbeitsprozesses gegeben ist. Auch hier kann Concept Mapping zur Klärung beitragen. Neben der inhaltlichen Dimension ermöglichen Concept Maps einen niederschwelligen Einstieg in die Welt der konzeptuellen Modellierung, da sie die Bedeutung von Modellelementen nicht vorgeben, sondern diese während der Modellierung durch die beteiligten Personen festlegen lassen. Dies erleichtert die Abbildung der individuellen mentalen Modelle in die explizite Repräsentation und vermeidet die Notwendigkeit, neben der Abstimmung mit den anderen beteiligten Personen auch noch eine Übersetzung auf ein Modell mit formal definierte Semantik durchführen zu müssen.

Im Rahmen dieser Komponente werden die Teilnehmer aufgefordert, alle relevanten Aspekte der Arbeitsumgebung zu beschreiben, in die der zu reflektierende Arbeitsprozess eingebettet ist. Dies erfolgt, indem jeder Aspekt individuell einzeln auf einer Karte notiert wird. Bei der Zusammenführung der individuell gesammelten Aspekte werden die Karten reihum einzeln auf einer gemeinsamen Arbeitsfläche angeordnet. Die Aspekte können zueinander in Beziehung gesetzt werden. Karten mit unterschiedlichen Begriffen für den gleichen Aspekt werden überlappend angeordnet. Hierarchische oder kausale Beziehungen zwischen Aspekten können durch das explizite Zeichen von Verbindungen, aber auch durch die räumliche Anordnung der Karten dargestellt werden.

Das Beispiel in der folgenden Abb. 5.3, das in diesem Abschnitt durchgängig zur Erläuterung der Methode herangezogen wird, zeigt eine Concept Map mit relevanten Aspekten für die Beantragung eines Urlaubs in einem Unternehmen. Die Aspekte wurden durch räumliche Anordnung zueinander in Beziehung gesetzt. Die überlappenden Elemente zeigen Aspekte, die von mehreren Teilnehmern genannt und mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnet werden.

Abb. 5.3
figure 3

Concept Map zum Thema Beantragung eines Urlaubs

Konkrete Umsetzung der Komponenten 2 und 3. Die Komponenten 2 und 3 fokussieren auf die Artikulation und Abstimmung des wahrgenommenen Ablaufs eines Arbeitsprozesses und der darin ablaufenden Interaktion. Die Modellbildung in Komponente 2 erfolgt dabei durch alle beteiligten Personen individuell, ohne Interaktion mit Anderen. So werden Überlagerungseffekte vermieden und unterschiedliche Sichtweisen für die nächste Komponente explizit aufgedeckt. Die beteiligten Personen beschreiben dabei, welche Arbeitsschritte sie aus ihrer Sicht zur Erreichung des Arbeitsziels beitragen, mit wem sie interagieren und in welcher Form diese Interaktion erfolgt.

Die Aushandlung einer gemeinsamen Sichtweise in Komponente 3 und die damit einhergehende Erstellung eines gemeinsamen Models erfolgt wiederum mittels einer strukturierten Vorgehensweise, die komplexere Modellierungsaufgaben heranführen soll und eine einheitlich aufbereitete Modell-Repräsentation gewährleistet. Dabei werden die zuvor erstellten Modelle weiterverwendet. Das Strukturierungsschema trennt jene Modellaspekte, die in der Verantwortung der jeweiligen Arbeitenden bleiben, von jenen, die Gegenstand der Aushandlung sind.

Zur Darstellung der Arbeitsprozesse wird in diesem Schritt eine strukturierte Darstellungsform mit vorab spezifizierter Semantik verwendet. Diese ist an den gängigen Kategorie-Schemata zur Beschreibung kollaborativer Arbeitsprozesse orientiert (siehe Abb. 5.4). Zum Einsatz kommen dabei die Kategorien WER, WAS und AUSTAUSCH (M3). WER (blau in der Abbildung) bezieht sich auf die Akteure im Arbeitsprozess, WAS (rot in der Abbildung) wird verwendet, um aktive Beiträge im Rahmen des Arbeitsprozesses zu beschreiben. AUSTAUSCH (gelb in der Abbildung) wird im Kontext kollaborativer Arbeitsprozesse verwendet, um die Weitergabe oder den Austausch von Informationen oder Material zwischen Akteuren im Rahmen der eigenen Tätigkeiten zu charakterisieren. Im Sinne der einfacheren Verwendbarkeit werden diese Kategorien nicht exakt spezifiziert und lassen bewusst Interpretationsspielraum im konkreten Einsatz – so kann ein WER Element etwa eine konkrete Person, eine Rolle, eine Abteilung oder eine gesamte Organisation darstellen. WAS-Elemente verbleiben in der Verantwortung der einzelnen Teilnehmer, WER und AUSTAUSCH-Elemente sind in Komponente 3 Gegenstand der Abstimmung und sollten zu einem gemeinsamen Verständnis hin entwickelt werden.

Abb. 5.4
figure 4

Individuelle Modelle in der vorgestellten Notation

Individuelle Artikulation

In Komponente 2 beschreiben die beteiligten Personen individuell mithilfe der Elemente, WAS sie im Arbeitsprozess beitragen, WER mit ihnen interagiert, und in welcher Form dieser AUSTAUSCH stattfindet. Zur Unterstützung des Artikulationsprozesses wurde ein Strukturierungsschema entwickelt, dass die erstellten Modelle in einer einheitlichen Form aufbereitet und deren Zusammenführung im nächsten Schritt ermöglicht. Das Strukturierungsschema gibt – wie in der obenstehenden Abbildung ersichtlich – die räumliche Anordnung der Modellelemente vor.

Operativ Tätige repräsentieren sich selbst durch ein WER-Element, unter dem die wahrgenommenen Beiträge zum Arbeitsprozess als sequenziell angeordnete WAS-Elemente platziert werden. Für alle anderen Akteure, mit denen eine Interaktion wahrgenommen wird, wir ein weiteres WER-Element platziert, unter dem jeweils die Interaktion durch AUSTAUSCH-Elemente näher spezifiziert wird. Deren vertikale Positionierungen bestimmen, ob eine eingehende Ressource erwartet wird (Platzierung oberhalb des davon abhängigen WAS-Elements), oder ob diese zur Verfügung gestellt wird (Platzierung oberhalb des erzeugenden WAS-Elements).

Die obenstehende Abbildung zeigt drei individuelle Modelle zu dem oben beschriebenen Beispiel-Prozess, die entsprechend diesem Strukturierungsschema erstellt wurden. Im Beispiel ist ersichtlich, dass es an dieser Stelle zu inhaltlich divergenten Repräsentationen vor allem im Bereich der AUSTAUSCH-Elemente kommen kann (vgl. „Antrag“ vs. „vollständiger Antrag“ in der obenstehenden Abbildung). Diese Divergenzen werden in Komponente 3 explizit sichtbar und sind dann Gegenstand der Aushandlung einer gemeinsamen Sichtweise.

Kollaborative Abstimmung

Grundlage der kollaborativen Abstimmung sind die in Komponente 2 erstellten individuellen konzeptionellen Modelle. Die folgende Abb. 5.5 zeigt exemplarisch einen Abstimmungsprozess für zwei der im Beispiel repräsentierten Akteure. Die gemeinsame Modellbildung erfolgt wiederum auf einer gemeinsamen Arbeitsoberfläche (siehe folgende Abbildung Mitte). Jener Teilnehmende, welche auch den realen Arbeitsprozess auslöst, beginnt mit der Beschreibung der eigenen Beiträge zum Arbeitsprozess und fügt der Oberfläche die entsprechenden Modelle-Elemente hinzu (Schritte 1–2 in der folgenden Abbildung).

Abb. 5.5
figure 5

Kollaborative Abstimmung

Die übrigen Teilnehmenden intervenieren hier nur nachfragend zur Vermeidung von Missverständnissen oder zur Offenlegung von Unklarheiten. Eine aktive Beteiligung der anderen erfolgt, sobald das erste AUSTAUSCH Element zum Einsatz kommt (Schritte 3–4). Sofern eine grundlegend gemeinsame Sichtweise auf den Arbeitsprozess existiert, sollte an dieser Stelle einer der Teilnehmenden ein entsprechend zuzuordnendes AUSTAUSCH-Element einbringen können (Schritte 5–7).

Ist dies der Fall, so wird der Beschreibungsprozess durch diese Person fortgesetzt (ab Schritt 8). Bei einer grundsätzlichen Passung, die sich jedoch in der Bezeichnung des Elementes – etwa durch unterschiedliche Abstraktionsebenen – unterscheidet, muss diese mehrfache Bezeichnung aufgelöst werden oder die semantische Äquivalenz der beiden Elemente durch überlappendes Anordnen dargestellt werden (z. B. Schritt 7). Falls kein zuzuordnendes Element vorhanden ist, wird eine grundsätzlich divergierende Repräsentation sichtbar. Diese kann auf mangelndes Relevanzbewusstsein eines Austausches zurückzuführen sein. Dies bedeutet, dass dem angesprochenen Teilnehmenden die Interaktion zwar bewusst war, aber im Kontext des Arbeitsprozesses als nicht relevant erschien. Falls eine wahrgenommene Interaktionserfordernis eines Teilnehmenden nicht erwidert wird, muss es jedoch zu tiefer gehenden Aushandlungsprozessen kommen.

Der initiale Abstimmungsprozess endet, sobald alle Teilnehmenden ihre individuellen Modelle erläutert und zum gemeinsamen Modell hinzugefügt haben. Dieser Externalisierungs-Phase folgt eine kollaborative Reflexionsphase, im Rahmen derer der Arbeitsprozess anhand des gemeinsamen Modells durchgegangen und hinsichtlich seiner Passung auf die individuellen Sichtweisen der Beteiligten diskutiert wird. Etwaige notwendige Modifikationen werden an dieser Stelle nach einer Konsensbildung der jeweils Betroffenen durchgeführt.

Das Ergebnis der Anwendung der Methode stellt nun eine konsensuale Repräsentation des kollaborativen Arbeitsprozesses dar. Aufgrund der eingeschränkten Ausdrucksstärke der eingesetzten Modellierungssprache ist an dieser Stelle die Abbildung von – ansonsten in Prozessbeschreibungen üblichen – Arbeitsvarianten oder Entscheidungen nicht möglich. Die Entscheidung für eine semantisch auf wenige Elemente beschränkte Modellierungssprache fiel aufgrund didaktischer Kriterien, da empirische Belege zeigen, dass unerfahrene Modellierende ihre Sichtweisen auf einen Arbeitsprozess initial einfacher narrativ anhand eines konkreten Falles beschreiben können.

Entscheidungen hinsichtlich der konkreten Umsetzung des Arbeitsprozesses sind bei der fallbasierten Beschreibung bereits getroffen. Damit ist eine explizite Repräsentation derselben im Rahmen der Modellierung nicht notwendig. Eine vollständige Beschreibung des Arbeitsprozesses bedingt somit eine mehrfache Durchführung der Methode oder deren Erweiterung um weitere Verfeinerungsschritte, die aber an dieser Stelle nicht näher betrachtet werden sollen.

Im Sinne der Bildung von Modellierungskompetenz liegt der Fokus in Komponente 1 auf der Hinführung zur für die Modellbildung notwendige Abstraktion und Konzeptualisierung von Wahrnehmungen der realen Welt. In Komponente 2 erfolgt die durch Strukturhilfen angeleitete Darstellung und Reflexion der eigenen Arbeitswahrnehmung in konzeptionellen Modellen und deren Beschreibung mittels vorgegebener Strukturelemente. Komponente 3 fokussiert in der Folge auf Modell-Verständnis (der anderen individuellen Modelle), -Interpretation (hinsichtlich deren Auswirkungen auf das eigene Modell) und –Aushandlung (der gemeinsam vertretbaren Sicht) von Modellinhalten, wodurch letztendlich die Kompetenz zur selbstermächtigenden Beeinflussung von Arbeitsprozessen vermittelt wird.

Zur Auseinandersetzung mit der Wirkung einer konkreten Anwendung der Methode muss der Begriff der „Selbstermächtigung“ gefasst werden. „Selbstermächtigung“ kann nach Liebert (2015) folgendermaßen verstanden werden: „[Der] Begriff der Selbstermächtigung […] fordert […] dazu auf, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, seine individuellen Ansprüche nicht nur zu formulieren, sondern auch – aktiv – durch ‚Selbsttätigkeit‘ umzusetzen –, auch wenn dies bedeutet, gegen die eingespielten Regeln und etablierten Strukturen der institutionellen Ordnungen zu verstoßen.“

Die Methode soll nun zur „Selbstermächtigung“ im Sinne dieser Definition führen. Der Anspruch, Arbeitende in die Lage zu versetzen, „individuelle Ansprüche […] zu formulieren“, ist das grundlegende Gestaltungsziel der vorgeschlagenen Methode. Die Zielsetzung, dazu zu befähigen, „diese [Ansprüche] auch – aktiv – durch Selbsttätigkeit umzusetzen“ wird im Kontext durch Arbeitsbeeinflussungssystem gesteuerter Arbeitsprozesse insofern entsprochen, als dass operativ Tätige dazu befähigt werden, die konzeptionelle Modellierung von Arbeitsprozessen als jene „Sprache“, die zu Konfiguration existierender Arbeitsbeeinflussungssystemen verwendet wird, nicht nur zu verstehen, sondern auch selbst zum Einsatz zu bringen. Dies soll dazu führen, dass diese sozio-technischen Systeme – wie zu Beginn argumentiert – als Arbeitsunterstützungssysteme einsetzen zu können, die den Arbeitsprozess und die zur Zielerreichung notwendige Kollaboration für die handelnden Individuen erleichtern können. Die Befähigung, diese „Umwidmung“ vorantreiben zu können, bildet die Grundlage dafür „die institutionelle Ordnung […] infrage zu stellen und in letzter Konsequenz durch neue Formen der ‚freien‘ Selbstorganisation zu überwinden.“

Die Akzeptanz existierender organisationaler und technischer Rahmenbedingungen und der Unabdingbarkeit ihres weiteren Einsatzes, die – wie in der Einleitung dargestellt – einen Ausgangspunkt dieser Methode bildet, stellt gleichzeitig die größte Herausforderung bei der Ermöglichung von Selbstermächtigung im organisationalen Kontext dar. Die Verwendung dieser Unterstützungssysteme ermöglicht nicht nur eine Fremdsteuerung, sondern auch eine Selbstdisziplinierung im Sinne der Erreichung vorgegebener Ziele, die mit der Verfügbarkeit technischer Unterstützung bei Planung und (Selbst- wie Fremd-)Kontrolle sogar erleichtert wird.

Die Verwendung der Werkzeuge des klassischen Geschäftsprozessmanagements zur Bildung von Reflexions- und Gestaltungskompetenz von Arbeitsprozessen birgt darüber hinaus für operativ Tätige das Potenzial, die entwickelten Kompetenzen auch zur Optimierung von Arbeitsprozessen aus betriebswirtschaftlicher Perspektive einzusetzen bzw. dazu angehalten zu werden. Während dies nicht per-se dem Konzept der Selbstermächtigung entgegensteht, kann gleichzeitig auch nicht von einer Kohärenz der Interessen beider Gestaltungsperspektiven ausgegangen werden. Im Sinne einer nachhaltigen Verankerung der selbstermächtigten Gestaltung von Arbeitsprozessen in Organisationen muss diese Kohärenz aber angestrebt und auch explizit sichtbar gemacht werden. Dies stellt eine große Herausforderung im Kontext des Einsatzes von Geschäftsprozessmodellierung zur Organisationsentwicklung dar und muss als solche auch vor und während des Einsatzes der vorgestellten oder ähnlicher Methoden der akteurszentrierten Geschäftsprozesserhebung und -modellierung berücksichtigt werden.

5.1.3 Bewusstmachen von prozessrelevantem Veränderungspotenzial

In der Folge wird zunächst die Value Network Analysis vorgestellt, wie sie im Wissensmanagement zur Bearbeitung von Leistungsbeziehungen zwischen vernetzten Akteuren eingeführt wurde, ehe ihr Potenzial für die Prozessanalyse- und -modellierung detailliert wird.

5.1.3.1 Value Network Analysis

Betrachten wir, wie eingangs erwähnt, die Wertschöpfung von Organisationen, und damit die Ebene der leistungsbezogenen Austauschbeziehungen zwischen Akteuren, so können im Rahmen von Arbeitsvorgängen tangible von intangible Austauschbeziehungen im Netzwerk von Akteuren unterscheiden werden. Tangibler Austausch wird durch Energie- und Materialflüsse bestimmt. Intangibler Austausch, wie Wissen, verweist auf kognitive Prozesse und handlungsleitende Information. Werden nun TeilnehmerInnen und Austauschbeziehungen beschrieben, kann so die Struktur einer Organisation oder eines Netzwerks erfasst werden.

Austauschbeziehungen stellen die molekulare Ebene ökonomischer Aktivitäten dar. Somit besteht Wertschöpfung nicht nur aus tangiblen Transaktionen, sondern auch aus darüber hinausreichenden, intangiblen Transaktionen. Diese beziehen sich vor allem auf den kognitiven Austausch, da nachhaltiger Erfolg einer Organisation auf Informationsaustausch, Wissensteilung und offenen kognitiven Pfaden, die situationsgerechte Entscheidungsfindung (und damit erfolgreiches Bestehen einer Organisation) ermöglichen, beruht. Wissen und intangible Elemente verhalten sich allerdings anders als physische Ressourcen im Geschäftsleben, sodass sie nicht als tangibel betrachtet werden können. Sie konstituieren aufgrund ihrer Nähe zu lebenden Systemen eine eigene Kategorie von Austausch, und unterscheiden sich vom tangiblen Austausch mit Bezug zu Gütern, Dienstleistungen und Erträgen.

Tangibler Austausch

ist nach Allee [2] definiert über Transaktionen, die Güter, Dienstleistungen oder Erträge beinhalten, z. B. physische Güter, Verträge, Rechnungen, Liefer- und Empfangsbestätigungen, Anfragen, Aufforderungen, Bietereinladungen, Zahlungen. Wesentlich dabei ist, dass wissensintensive Produkte und Dienstleistungen, welche Erträge bewirken und für die Zahlungen als ein Teil einer Dienstleistung oder eines Produkts geleistet werden bzw. aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung zu leisten sind, auch als tangible Transaktionen betrachtet werden.

Intangibler Austausch

von Wissen und Leistung unterstützt Kernprozesse und damit die klassische Wertschöpfungskette, unterliegt aber keinerlei vertraglicher Verpflichtung. Intangibles sind ‚Extras‘ bzw. (kleine) Aufmerksamkeiten, die Personen einander zukommen lassen, um Beziehungen aufzubauen und Abläufe ohne Störungen bzw. angenehm ablaufen zu lassen. Intangible Transaktionen inkludieren den Austausch strategischer Information, Planungswissen, fachlich-operatives Wissen, gemeinsame Planungsaktivitäten, kollaborative Gestaltung, und policy-Entwicklung. Intangible Transaktionen sind folglich nicht vertraglich vereinbarte Leistungen zum Nutzen oder zur Unterstützung von Organisationen bzw. ihrer Mitglieder. Sie können von einer Person oder Gruppe zu anderen ausgeweitet werden, indem beispielsweise ein Experte für eine bestimmte Zeit von einer Organisationseinheit zur Mitarbeit aufgefordert wird, für den dies Prestige bedeutet. Anerkennung hilft oft in der Beziehungsarbeit, sodass intangible benefits echte Motivationsfaktoren für rege Beteiligung und aktive Teilnahme an Gruppenaktivitäten darstellen.

Intangibles stellen das Kernstück allen menschlichen Handelns dar, und bestimmen somit auch sozio-ökonomisches Handeln. Intangible Transaktionen werden bewusst gesetzt. Sie können herbeigeführt und erkannt werden. Soll verstanden werden, wie intangibles Wert generieren, ist zunächst zu verstehen, wie sie als negoziables in ökonomischen Austauschbeziehungen sichtbar werden und wirken. Sie sind oft nicht unmittelbar sichtbar, vielmehr ‚verpackt‘ in Dienstleistungen oder Produkten. Ein typisches Beispiel ist, Verständnis für eine Kundensituation aufzubauen (intangibel), bevor eine Leistung (tangibel) angeboten wird. Für eine Praxisgemeinschaft ist unmittelbar der störungsfreie Gang von Prozessen von Bedeutung. So sind jene Transaktionen wesentlich, welche (auch) mittels intangibles gewährleisten, dass ein gemeinsamer Zweck des Handelns sichergestellt ist. Es gilt dies nun methodisch zu berücksichtigen.

In einem Value Network werden mittels komplexer dynamischer Austauschvorgängen zwischen zwei oder mehreren Individuen, Gruppen oder Organisationen tangible und intangible Werte generiert, die den Gegenstand der reflektierenden Gestaltung darstellen.

5.1.3.2 Holomapping

Die auf Vernetzung beruhende Sichtweise zur organisationalen Wertgenerierung bringt eine neue Form der Organisationsmodellierung mit sich, jeder Austausch einen Mechanismus bzw. ein Medium als enabler für Transaktionen erfordert. Diese können Arbeitsmittel wie e-mail oder face-to-face-Interaktionen in Communities of Practice sein. Typische intangibles betreffen, wie oben bereits angesprochen, Wissen zur Informationsgewinnung von Kunden und Feedback zu (Produkt-)Entwicklungen.

Die Darstellung tangibler und intangibler Austauschprozesse in einem Diagramm mit Flusselementen erlaubt die Dynamik von lebenden Systemen abzubilden. Zunächst werden die Teilnehmer oder Rollen (auch Gruppen, Teams oder Organisationseinheiten, aber keine technischen Hilfsmittel) dokumentiert – sie bilden die Knoten des Netzwerks und werden oval visualisiert. Die Teilnehmer senden oder ergänzen sogenannte deliverables an andere Teilnehmer. Pfeile zeigen die Richtung an, welche die deliverables im Verlauf einer bestimmten Transaktion nehmen, bezeichnet mit dem jeweiligen deliverable.

Transaktionen oder Aktivitäten werden als gerichtete Kanten (Pfeile) dargestellt, wobei der Ursprung bei einem Teilnehmer und das Ende bei einem anderen Teilnehmer zu sein hat. Der Pfeil zeigt Bewegung an und gibt die Richtung vor, in die etwas zwischen zwei Teilnehmern geschieht. Im Gegensatz zu Teilnehmern, welche zeitstabil sind, sind Transaktionen zeitlich begrenzt und flüchtig. Sie besitzen einen Startpunkt, eine Dauer und einen Abschluss.

Deliverables hingegen sind echte ‚Dinge‘, die sich von einem Teilnehmer zu einem anderen bewegen. Ein deliverable kann materiell (tangible) sein, wie ein Dokument oder ein Tisch, oder ideell (nicht am Materie gebunden), wie eine Nachricht oder eine Anforderung, die nur verbal überbracht wird. Deliverables können auch intangibel sein, wie beispielsweise Wissen über einen bestimmten Sachverhalt (kognitiv) oder ein Gefallen (sozial/emotional). Pfeile sind immer nur in eine Richtung zulässig – sie umfassen eine einzige Transaktion. Beidseitige gerichtete Pfeile sind bedeutungslos, vielmehr verunmöglichen sie eine Analyse der Abläufe und Austauschbeziehungen.

Ein Austausch tritt dann auf, sobald eine Transaktion in einem deliverable resultiert, das zurückkommt. Er muss in der praktischen Handlungswelt in Organisationen nicht zwangsläufig gegeben sein. Tritt er allerdings auf, kann sich ein Value Network etablieren, mit Transaktionen als molekulare Elemente der Wertegenerierung.

Wesentlich ist im Rahmen von Veränderungsprozessen die Ermächtigung der Beteiligten, und somit die Erstellung der Kommunikationslandkarte mit tangiblen und intangiblen Beziehungen (Holomap) durch die betroffenen Rollenträger, ebenso wie die Bearbeitung der erhobenen Daten durch diese im Rahmen der 3 Value Network-Analysen.

Im Rahmen der Wissensgenerierung bzw. Wissenserhebung zu Beginn der Bearbeitung der Netzwerkstruktur überlegt jeder einzelne Teilnehmer seine Rolle, welche er dann den anderen Teilnehmern mitteilt. So werden Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Rollen, die oft nicht bekannt sind, explizit und klarer. Die Rollen werden als Knoten symbolisiert, der Austausch von materiellen oder ideellen Werten wird in Form von Linien dargestellt, die die Rollen miteinander verbinden. Die Modellierung bildet die Basis für die anschließenden Analysen zur Wissensauswertung und -verarbeitung.

5.1.3.3 Exchange Analysis

Ausgangsbasis für die Exchange Analyse stellt die Holomap dar. Wie bereits erwähnt, beziehen sich Tangibles (materielle Wertflüsse) im Netzwerk dabei auf den materiellen Austausch zwischen Personen (typischerweise Waren, Dienstleistungen und Umsatzerlöse). Sie repräsentieren Transaktionen, die auf Verträgen basieren. Intangibles (nicht-materielle, ideelle Wertflüsse) basieren im Unterschied zu tangibles auf Wissen oder einem bestimmten Zusatznutzen. Sie sind nicht vertraglich fixiert oder kostenpflichtig. Oft erhobene intangibles sind strategische Informationen, Prozess- oder Planungswissen sowie bestehende emotionale Komponenten wie gegenseitiges Vertrauen, gemeinsames Interesse, Wissensbedarf, Sicherheit etc. – siehe auch Abb. 5.6 mit Holomap zu Customer Service.

Abb. 5.6
figure 6

Auszug einer Holomap zu Customer Service

Die Exchange-Analyse untersucht ein Value Network auf seine Schlüssigkeit, Robustheit und Nachhaltigkeit. Sie gibt Einblick über die aktuelle Struktur und Dynamik des Netzwerks. Folgende Fragestellungen sollen die Exchange-Analyse unterstützen: Wie fließen die Werte durch die Organisation? Zeichnet sich eine bestimmte Logik ab? Ist das Verhältnis des Austauschs von materiellen und ideellen Werten ausgeglichen oder überwiegt eine bestimmte Art des Austausches? Zeigt das Muster im Value Network reziproke Wertflüsse auf oder gibt es beispielsweise Teilnehmer, die mehr Wertflüsse erhalten als bereitstellen? Gibt es im Netzwerk ineffektive Verbindungen, die Wertflüsse nicht weitergeben?

Durch diese Fragen soll überprüft werden, ob das Netzwerk seinen Zweck erfüllt, fehlende Endknoten oder Verknüpfungen zu erkennen sind, und wie die Struktur des Netzwerkes optimiert werden kann. Sie gewährleisten einen generellen Überblick über Wertschöpfung und Wertverlust. Die Exchange Analyse soll als Anregung zum Dialog dienen, komplexe Systeme zu verstehen und Systemdenken [3] fördern. Die Exchange-Analyse zu Customer Service, etwa in der Annahme, es handelt sich um die Organisation facebook, zeigt mehrere Befunde: Customer Service ist aus Sicht der Produktentwicklung tangible Senke – es empfängt nur Feature List. Der Verkauf bekommt zwar Lifestyle-info, aber keine vertrauensbezogene Information. Die Übersetzung von Unsicherheit lastet auf Customer Service zu Verkauf und zu Produkt-Entwicklung. Diese erste Auswertung kann ein Indiz für die in Abbildung gezeigte Informationsgebarung sein, wo Features zwar eine bestimmte Form der Rückkoppelung ermöglichen, die aber seitens der NutzerInnen gegebenenfalls mit Anfragen, die Unsicherheit widerspiegeln, quittiert wird.

5.1.3.4 Impact Analysis

Die Impact-Analyse (Wirkanalyse) untersucht die Auswirkung jedes einzelnen Werte-Input auf die Teilnehmer und legt so ihren Fokus auf die Empfangenden von Werte-Inputs. Diese Analyse zeigt also auf, welcher Input welche Reaktionen und Aktivitäten auslöst und wie sich dieser auf die materiellen und ideellen Vermögensgegenstände der betroffenen Empfänger auswirkt. Anschließend werden Kosten und Nutzen von Werte-inputs mit niedrig, mittel oder hoch bewertet.

Um einen besseren Überblick über diese Fragen zu erlangen, werden für jeden einzelnen Empfänger von Werte-inputs die Antworten in eine Tabelle eingetragen und die Ist-Situation analysiert. Die Tabelle zeigt die Impact-Analyse auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse aus der Exchange-Analyse eines Customer Service-Mitarbeiters. In der Tabelle wird abgebildet, von wem Input für welche Aktivitäten kommt und welche Auswirkungen in Form materieller oder ideeller Werteflüsse wahrgenommen werden. Wesentlich für die Abschätzung von Veränderungspotenzial sind die Spalteneinträge zu den allgemeinen Kosten und Risiken sowie zum Nutzen von dem angesprochenen Input.

Die Daten der initialen Auswertung (Exchange-Analyse) stellen also eine Basis für die beiden weiteren Analysen dar, wobei aus der Sicht von erhaltenem Input (Impact-Analyse) und übermitteltem Output (Value Creation-Analyse) wertebasiert detaillierte Auswertungen von Transaktionen erfolgen und so Erkenntnisse für Veränderungsprozesse mit sich bringen.

So wird beispielsweise, wie in der Tabelle ersichtlich, ausgeführt, wann Features eine gelungene Form der Informationsrückkoppelung ermöglichen, um etwa Anfragen zu vermeiden, die Unsicherheit seitens der Nutzer widerspiegeln. Dies, selbst wenn der derzeitige Nutzen der Darstellung von Features seitens des Customer Service aufgrund mangelnder Verständlichkeit als gering eingeschätzt wird.

Aus den Einträgen der Tabelle zur Feature List wird ebenfalls der für die Wertschöpfung relevante Bezugspunkt ersichtlich, und zwar die Qualität der Auskunftsleistung an Kunden durch Customer Service-Mitarbeiter.

Aufbauend auf der Ist-Analyse können darauf folgend strategische Perspektiven abgeleitet werden und die Tabelle noch einmal im Vergleich dazu hinsichtlich ihrer geplanten, strategischen Aktivitäten (Soll-Analyse) ausgefüllt werden. Im gegenständlichen Fall kommt beispielsweise einer kundenorientierten Auskunftsleistung erhöhte Bedeutung zu.

5.1.3.5 Value Creation Analyse

Die Value Creation-Analyse analysiert wie Werte bestmöglich erschaffen, erhöht und eingesetzt werden können. Wie die Impact-Analyse betrachtet die Value Creation-Analyse auch die einzelne Rolle im Bezug zum gesamten System. Der Unterschied zur Impact-Analyse besteht darin, dass im Gegensatz zum Input diesmal der Sender oder Produzent von Output in seiner Rolle und mit seinen diesbezüglichen Aktivitäten betrachtet wird (siehe Abb. 5.7).

Abb. 5.7
figure 7

Teil einer Impact Analyse zu Customer Service

Jeder einzelne Sender von Werte-outputs wird analysiert, wie im Ist-Zustand Mehrwert und Wertezuwachs zum bestehenden Werte-output realisiert wird. Auch hierzu wird eine Kosten/Nutzenabschätzung vorgenommen.

Bei der in der Tabelle gezeigten Value Creation-Analyse (oder Wertschöpfungsanalyse) wurde anhand erzielter Arbeitsergebnisse analysiert, wie Werte bestmöglich erschaffen, erhöht und eingesetzt werden können. Die Tabelle zeigt die Analyse auf Basis der Daten der Exchange-Analyse eines Kundenberaters.

An Leistungsindikatoren können aus den Analysen die Anforderungen, die an den Verkauf sowie die Produktentwicklung gestellt werden, gefiltert werden. Die daraus entwickelte Strategie kann mit der Aussage ‚Verfügbarkeit bzw. Transparenz von Information‘ umrissen werden. So könnte als Veränderungsmaßnahme beschlossen werden, das identifizierte Wertschöpfungspotenzial im Value Network durch Erweiterung der tangiblen Informationsflüsse zwischen allen funktionalen Einheiten zu steigern.

Nach der Darstellung der Ist-Situation ermöglicht auch die Value Creation-Analyse strategische Perspektiven abzuleiten. Hier sollte sich die Frage gestellt werden, welche Möglichkeiten in Zukunft noch genützt werden sollen, um Wertoptimierung beim Werteoutput zu generieren. Hinsichtlich der konkreten Frage ‚Was soll getan werden, um eine Wertsteigerung, -ausweitung oder -optimierung von Output zu erzielen?‘ wird die Tab. 5.1 zur Analyse der Soll-Situation vergleichend ausgefüllt.

Tab. 5.1 Teil der fallbezogenen (Customer Service) Value Creation-Analyse

Wesentlich zur Entscheidungsunterstützung sind die Einträge in die Spalten ‚Kosten/Risiken‘ und ‚Nutzen‘. Hier kann sich die Einschätzung vor allem bei Kosten und Risiken bei der Soll-Situation relativieren, wenn beispielsweise Inhalte in Schulungen aufgenommen werden sollte, da es Know-How zur Erstellung entsprechender Unterlagen sowie der Bereitstellung effektiver Vermittlungsformate im Netzwerk gibt (etwa im Kontext ‚Report‘– dritter Tabelleneintrag in der Tabelle). Eine Soll-Aufstellung berücksichtigt zumeist Wissen über die Machbarkeit bzw. Verfügbarkeit von Ressourcen und damit verbundene Aufwände zur Umsetzung von Maßnahmen, und zwar ohne eine diesbezügliche Entscheidung vorwegzunehmen (siehe Auswertung).

5.1.3.6 Auswertung

Für die Auswertung werden in Tabellenform (Impact-Analyse, Exchange-Analyse, Value Creation-Analyse) tangibles und intangibles nach ihrer Bedeutung für die jeweilige(n) Rolle(n) bewertet. Anhand dieser Bewertungen werden Auswirkungen auf Beziehungen sichtbar und es können gezielt Maßnahmen gesetzt werden.

Bislang wurde mit der Durchführung der Exchange-Analyse Einblick über die aktuelle Struktur und Dynamik des Netzwerks geschaffen. Die Durchführung der Impact-Analyse erlaubt allen Teilnehmern ihre eigenen Rollen im Netzwerk kontextsensitiv zu erschließen. Die Impact-Analyse ermöglicht einen Überblick, welche Auswirkungen jede einzelne Wertetransaktion auf die Teilnehmer hat. Die Value Creation-Analyse erlaubt hingehen zu befinden, wie Werte bestmöglich geschaffen, erhöht und eingesetzt werden können, und gegebenenfalls auf andere Rollen wirken bzw. diese miteinbeziehen sollten. Anhand der abgeleiteten Leistungsindikatoren kann nun eine Strategie entwickelt werden, um das identifizierte Wertschöpfungspotenzial im Value Network zu steigern.

Typische Ergebnisse einer Auswertung zur Steigerung der Wertschöpfung umfassen die Berücksichtigung fehlender Austauschbeziehungen, also beispielsweise auf den gegenständlichen Fall bezogen:

  • Konkrete Anfragen an Kunden, um deren Anliegen (insbesondere jene, welche zur Verunsicherung von Kunden führen) aus Sicht der Produktentwicklung und des Verkaufs besser verstehen zu lernen – Customer Service nimmt hier eine Mittlerrolle ein, wodurch auch der tangible Report aufgewertet werden und das Feedback konkrete Hinweise zur Verbesserung bzw. Schaffung von Features beinhalten kann.

  • Feedback von Kunden, das sowohl den zukünftigen Umgang als auch den bisherigen Umgang mit Features, also im Besonderen die Produktentwicklung betrifft. Sobald die Verständlichkeit der Darstellung explizit adressiert wird, kann ein diesbezüglicher Informations(rück)fluss zur Produktentwicklung (und auch zum Verkauf) sichergestellt werden – eine weitere Maßnahme, die den kundengerechten Zugang zum Produkt erleichtert.

Beide Maßnahmen zeigen die Notwendigkeit vernetzter Darstellung von Austauschbeziehungen. Es ist nicht unbedingt die Unmittelbarkeit von Austauschbeziehungen, sondern vielmehr die Verkettung von Austauschbeziehungen, die Mehrwert bewirken kann. Würde beispielsweise die Produktentwicklung (z. B. Softwaredesigner) direkt mit Kunden beginnen zu kommunizieren, wäre zunächst eine bestimmte Gesprächsbasis herzustellen. Derartige Maßnahmen könnten für den zu erreichenden strategischen Zweck sogar kontraproduktiv sein und die bestehende Verunsicherung aufseiten der Kunden noch erhöhen, und damit dem angestrebten Ziel zuwider laufen.

Die Ergänzungen des Netzwerks (siehe Abb. 5.8) erlauben somit eine kontextsensitive Systembetrachtung der Wertschöpfung durch materielle und ideelle Leistungen, die zwischen den beteiligten Akteuren fließen sollten. Die vervollständigte Value Network Map, wie in der Abbildung gezeigt, bildet die Grundlage für die weitere Entwicklungsplanung. Sie zeigt die Anfrage an Kunden sowie das Feedback zur Verständlichkeit erstmals als tangible deliverable, wodurch sich die Informiertheit der Beteiligten durch die Transparenz und Verfügbarkeit von Information erhöhen soll. Langfristig anzustreben ist als intangibler Austausch zwischen Kunden und Customer Service ein durch wechselseitige Sicherheit geprägter Umgang, der sich mit Loyalität der Kunden zur Organisation ausdrücken lässt. Erst durch den offenen Austausch an Information wird nachhaltiges Customer Knowledge Management möglich.

Abb. 5.8
figure 8

Adaptiertes Netzwerk

Value Networks betrachten Systeme in ihrer Gesamtheit und berücksichtigen deren Komplexität. Sie ermöglichen die ganzheitliche Identifikation von materiellen als auch ideellen Werten. Letztere bestimmen jedenfalls indirekt die Qualität materieller Austauschbeziehungen und sind folglich bei der Entwicklung sozio-technischer Systeme mit zu berücksichtigen. Der durch Value Networks einnehmbare Fokus auf die beteiligten Individuen fördert die Sinnstiftung und Motivation derselben zur Beteiligung an Reflexion und aktiven Mitgestaltung. Die vorgestellten Erhebungen und Analysen erlauben die Explikation einzelner Rollen und deren direkt oder indirekt wahrgenommener Beitrag zur Wertschöpfung eines organisationalen Systems durch Akteure. Dies erleichtert die Rollenklärung sowie das Verständnis von Zusammenhängen, da diese mittels Wertaustauschbeziehungen grafisch in Holomaps visualisiert, und somit rollenspezifisch rückgekoppelt werden. Sie stellen somit einen viablen Ausgangspunkt partizipativer Gestaltung sozio-technischer Systeme dar.

5.1.3.7 Potenziale für Prozessanalyse und -modellierung

Für die Gestaltung von Prozessen und deren Modellierung lassen sich aus der Value Network Analysis mehrfach Potenziale schöpfen:

  • Die Value Network Analysis erlaubt die Repräsentation einer Situation, wie sie von Handlungsträgern wahrgenommen wird. Die Darstellung der Situation erfolgt anhand von Rollen, die durch Knoten eines Netzes von Akteuren repräsentiert werden. Da jeder Rollenträger diese Analyse durchführen kann, können individuell wahrgenommene Interaktionsmuster mit der Wahrnehmung anderer Rollenträger gegenübergestellt und abgeglichen werden. Somit erlaubt die Value Network Analysis die strukturierte Feststellung von unterschiedlich wahrgenommenen Interaktionsmustern zwischen Handlungsträgern aus deren Sicht, wobei die unterschiedlichen Interaktionsmuster auch kumuliert dargestellt werden können.

  • Die Erfassung und Darstellung der Ist-Situation stellt einen Referenzpunkt dar, von dem aus Veränderungspotenziale erschlossen werden können. Damit können für alle Beteiligten nachvollziehbar Änderungen von Interaktionen auf der Basis einer gemeinsamen Ausgangslage diskutiert werden.

  • Die Value Network Analysis erlaubt die Bestimmung von Rollen, welche nicht zwingend funktional in einer Organisation, etwa im Organigramm, zu finden ist. Die Rollenbestimmung orientiert sich an den Kommunikations- und Interaktionsmustern, welche im Rahmen der Aufgabenerfüllung und dem wahrgenommenen Organisationsgeschehen als relevant erachtet werden. Somit rücken die fachliche und die Interaktionsebene in den Vordergrund.

  • Im Rahmen der Erarbeitung von Veränderungsvorschlägen, werden anstelle von Forderungen einzelner Rollenträger Vorschläge an andere im Sinne individueller Angebote an das Kollektiv gemacht. Eine derartige Vorgangsweise stellt den Adressaten frei, dieses Potenzial zu nutzen. Sämtliche Angebote werden im Kontext ihrer Herkunft dargestellt und bezüglich ihrer organisationalen Wirksamkeit von den jeweilig vorschlagenden Handlungsträgern bewertet und können darauf aufbauend im Kollektiv abgestimmt werden.

  • Interaktionsbeziehungen werden differenziert nach vertraglich verpflichtenden Leistungen (tangibles) und nicht nur aus der jeweiligen Rolle nach vertragsmäßig geregelten Leistungen (intangibles). Damit wird bereits evident, in welcher Form die Bewältigung von Aufgaben erfolgt, ob eher nach formellen Grundsätzen oder Interaktionen, welche eine erfolgreiche Prozesserfüllung begünstigen, oder nach informellen Grundsätzen. Gleiches gilt für Änderungsvorschläge, die ebenfalls in formelle Strukturen (als Teil von funktionalen Rollenbeschreibungen) oder auf informeller Ebene angesiedelt (als freiwilliger Beitrag) sein können.

  • Die Veränderung einer Ist-Situation in einen Soll-Zustand kann auf mehreren Wegen erfolgen: i) eine informelle (intangible) Interaktion wird formeller Teil einer Rolle (tangible); ii) eine formelle (tangible) Interaktion wird weggelassen oder informeller Teil einer Rolle (intangible); iii) eine tangible bzw. intangible Beziehung wird neu eingeführt und ergänzt bestehende Interaktionsmuster.

  • Interaktionsbeziehungen sind direkt überführbar in konkrete Prozessschritte, da sie zeitlich aneinandergereiht die Erfüllung von Aufgaben durch die Rollenträger repräsentieren. Somit kann aus einer Holomap ein Prozessmodell abgeleitet werden, welches den Austausch von Leistungen zwischen Akteuren (im Gegensatz zu linearisierten Funktionsschritten) in den Mittelpunkt stellt.

Insgesamt stellt die Value Network Analysis eine diagrammatisch/tabellarische Technik zur Organisationsentwicklung mit dem Ziel von Prozessdefinitionen bzw. ausführbaren Prozessen dar, welche eine Abbildung von Interaktionsstrukturen auf kommunikationsorientierte Ansätze wie S-BPM direkt unterstützt. Sämtliche Informationen werden dabei aus der Sicht von beteiligten bzw. verantwortlichen Rollenträgern generiert [4, 5, 6, 7].

5.1.4 Strukturierte Aktivsätze

Im Folgenden wird eine Vorgehensweise beschrieben, die ausgehend von natürlich sprachlichen Beschreibung zu einem formalen Verhaltensmodell führt. Diese Vorgehensweise orientiert sich an den Aktivsätzen von natürlichen Sprachen. Der Ablauf wird an Hand des Projekts Poly Energy Net (NET), einem vom Deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Ansatz, eingeführt. In diesem Projekt galt es eine Lösung für ein sich selbst organisierendes verteiltes Energieversorgungssystem zu entwickeln. In den folgenden Abschnitten wird gezeigt, wie die dazugehörige Software entwickelt wurde, und zwar ausgehend von einer allgemeinen Beschreibung bis hin zu einem präzisen Modell, das dann in einer ersten Stufe auf Basis von Prozessspezifikationen in ein Programm umgesetzt wurde.

5.1.4.1 Allgemeines

Die in der Folge vorgestellten Schritte, die von einer informellen Beschreibung eines Prozesses zu einem formalen Modell des Ablaufs führen, müssen nicht in der angegebenen Reihenfolge ausgeführt werden. Die Schritte dienen vielmehr dem Ziel einer präzisen Prozessbeschreibung. Stellt sich in einem Schritt heraus, dass in einem vorangegangenen Schritt etwas vergessen wurde, oder stellt es sich heraus, dass es vorteilhafter ist, Teilabläufe anders zu gestalten, so wird diese Änderung in dem momentan bearbeiteten Schritt aufgenommen. Diese Änderung wird nicht in den vorangegangenen Beschreibungen nachgezogen. Um einen ersten Entwurf einer Prozessbeschreibung zu erstellen, können die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Vorgehensweisen aus Design Thinking eingesetzt werden.

Alle Dokumente der vorangegangenen Beschreibungen sind nach Abschluss einer detaillierteren Beschreibung standardmäßig obsolet und nicht mehr gültig, ausgenommen, in einer Beschreibung wird explizit darauf hingewiesen, dass eine vorangegangene Beschreibung noch gültig ist (z. B. als Übersichtsdokument). Erfahrungsgemäß gelingt es, nicht mehrere Dokumente konsistent zu halten. Es sollte daher nur ein gültiges Dokument geben, sodass nach Abschluss der Vorbereitung ein formales Verhaltensmodell zur Verfügung stehen kann. Änderungen sollten in der Regel nur noch an diesem Modell vorgenommen werden.

Bei der Erstellung eines Prozessmodells kann auch mit einem beliebigen Schritt begonnen werden. So können beispielsweise bei einer natürlich sprachlichen Beschreibung nur Aktivsätze verwendet werden. Damit fallen die Schritte, welche eine Beschreibung in beliebiger Form in eine aktive Beschreibungsform transformieren, weg. Es kann auch mit der Identifizierung der Handelnden begonnen und mit der Detaillierung jedes Handelnden fortgesetzt werden, einschließlich der Kommunikation mit anderen Handelnden. Die konkrete Vorgehensweise hängt von den Umständen und den Vorlieben der Beteiligten ab.

5.1.4.2 Natürlich sprachliche Beschreibung der Prozesse

Das Prozessgeschehen wird mehr oder minder strukturiert in natürlicher Sprache erzählt. Es gibt keinerlei Vorgabe hinsichtlich der Struktur des zu erstellenden Dokuments oder des zu verwendenden Vokabulars. Die Ersteller einer Prozessbeschreibung können ihren Vorlieben folgen. Das Bild (siehe Abb. 5.9) zeigt einen Textauszug aus der groben Anforderungsbeschreibung an das Energiemanagementsystem.

Abb. 5.9
figure 9

Anforderungen an ein Holares Energiemanagementsystem

Die anfängliche freie Verwendung der natürlichen Sprache erfordert von den Beteiligten keine speziellen Methodenkenntnisse. Die Erfordernis solcher Kenntnisse könnte eine große Hürde für das Einbinden von Betroffenen aus den verschiedenen Fachbereichen darstellen.

Textuelle Beschreibungen können durch geeignete Bilder ergänzt werden. Das folgende Bild (siehe Abb. 5.10) zeigt eine funktionale Struktur des zu erstellenden Systems. Eine solche funktionale Struktur ist eine erste Annäherung an die Spezifikation eines Prozesssystems.

Abb. 5.10
figure 10

Funktionsblöcke eines Holaren Energiemanagementsystems

Aufbauend auf diese mehr strukturellen Beschreibungen kann eine erste ablauforientierte Spezifikation erstellt werden. Einen Auszug einer Ablaufbeschreibung zeigt das folgende Bild (siehe Abb. 5.11).

Abb. 5.11
figure 11

Dynamik eines Holaren Managementsystems

Ergänzt wird diese Ablaufbeschreibung durch eine Illustration der Auswirkungen auf ein holares Energienetz. In der obigen Abbildung wird auf einige Elemente (Schalter) im folgenden Bild (siehe Abb. 5.12) verwiesen.

Abb. 5.12
figure 12

(Quelle: B.A.U.M.)

Beispiel eines Holaren Energiemanagementsystems

Die am Anfang verwendeten Werkzeuge für eine erste Anforderungsdefinition und Ablaufspezifikation sind nicht strukturiert. Es können einfach Texte und ergänzende Zeichnungen beliebiger Art verwendet werden. In den nachfolgenden Schritten wird diese unschematische Beschreibung eines Prozesses Zug um Zug in eine präzise Ablaufbeschreibung überführt.

5.1.4.3 Prozessbeschreibungen in Aktivform

Informelle Prozessbeschreibung in natürlicher Sprache enthalten sehr oft Passivsätze (siehe auch obige Ablaufbeschreibung). Passivsätze enthalten allerdings keine direkte Aussage über den Ausführenden einer Aktion. Passivsätze werden dann verwendet, wenn der Ausführende einer Aktion nicht wesentlich ist. Allerdings ist dies bei Prozessen nicht gegeben. Prozessbeschreibungen müssen den Ausführenden einer Handlung enthalten. Es gilt nun alle Passivsätze in Aktivsätze umzuwandeln. Dazu müssen zunächst die aktiven Elemente identifiziert werden. Aktive Elemente können Menschen, Softwaresysteme die automatisch ablaufen und bestimmte Aktivitäten ausführen, physikalische Systeme oder beliebige Kombinationen aus diesen Grundelementen sein. So kann in unserem Beispiel die Leitstation eine Kombination aus Software, Menschen und elektrischen Systemen sein. Die Software fordert einen Bediener auf einen bestimmten Messwert abzulesen und ihn einzugeben. Die Software veranlasst abhängig vom eingegebenen Messwert, dass ein Schalter geschlossen wird.

Um zu vermeiden, dass eine Prozessbeschreibung zu sehr vom organisatorischen und technischen Umfeld abhängig ist, werden abstrakte Handelnde eingeführt. Solche abstrakte Handelnde sind Entitäten, die Nachrichten senden, empfangen oder interne Tätigkeiten ausführen. Das folgende Bild (siehe Abb. 5.13) zeigt das Funktionsdiagramm mit zugeordneten aktiven Elementen. Diese abstrakten aktiven Elemente werden als Subjekte bezeichnet, in Anlehnung an die Subjekte in Aktivsätzen. Subjekte sind die Rollen in Prozessen.

Abb. 5.13
figure 13

Subjektorientierte Betrachtung eines Holaren Energiemanagementsystems

Die Aufgaben der identifizierten Subjekte können für ein besseres Verständnis wie in Tab. 5.2 gezeigt kurz beschrieben werden.

Tab. 5.2 Aufgaben der identifizierten Subjekte

Durch die Einführung von Handelnden in Form von Subjekten können nun alle Passivsätze durch entsprechende Aktivsätze ersetzt werden. Damit wird die Prozessbeschreibung vollständiger. Das folgende Bild (siehe Tab. 5.3) zeigt eine Prozessbeschreibung mit Aktivsätzen in Tabellenform. Die Nummerierung der Sätze gibt bereits den Kontrollfluss wider. Die Nummer der Nachfolgeaktion wird in der so benannten Spalte angegeben. Hängt die Nachfolgeaktion von bestimmten Ergebnissen der Aktion ab, wird diese Bedingung in der Spalte Nachfolgeaktion mit beschrieben. Abhängig von der gültigen Bedingung kann es eine andere Nachfolgeaktion geben.

Tab. 5.3 Ablauf im Holaren System

Eine Tabelle mit dem Kontrollfluss eines Prozesses kann der Ausgangspunkt für ein kontrollflussorientiertes Prozessmodell sein. Die einzelnen Handelnden sind die Swim Lanes in BPMN bzw. in einer Swim-Lane-orientierten EPK oder in UML-Zustandsdiagrammen. Allerdings sollten diese Modellierungsmethoden nur verwendet werden, wenn in einem Prozess keine asynchronen Ereignisse wie z. B. die Möglichkeit Bestellungen zu ändern vorkommen, und die Parallelität der Handelnden nicht modelliert werden soll. Darüber hinaus sollte die Anzahl der Handelnden nicht zu hoch sein.

Swim Lane-Darstellungen sind in der Regel flach, d. h. es gibt keine Hierarchien von Swim Lanes. Eine größere Anzahl als fünf Swim Lanes führt zu unübersichtlichen Darstellungen. So hat ein Service Prozess mindestens die Swim Lanes Kunde, Call Center, First Level Support, Abrechnung und gegebenenfalls Kundenrückmeldung. Die Erfahrung zeigt, dass in realen Prozessen in der Regel etwa 10 Handelnde und mehr involviert sind. Unübersichtlich werden Swim Lane Diagramme auch dann, sobald der Kontrollfluss mehrere Swim Lanes kreuzen muss, um in eine andere Swim Lane zu wechseln.

Bei organisations- oder unternehmensübergreifenden Prozessen in einem verteilten Umfeld sind Kontrollflüsse keine handhabbare Darstellung. In einer verteilten Umgebung sind Nachrichten die anschaulichere Art die Zusammenarbeit von einzelnen Handelnden zu modellieren.

5.1.4.4 Tabellarische rollenorientierte Beschreibung

Im letzten Schritt vor der eigentlichen Prozessmodellierung wird die Prozessbeschreibung entsprechend der Handelnden strukturiert. Alle Sätze mit denselben Handelnden als Subjekt werden in einer Tabelle zusammengefasst. Dazu kann es notwendig sein, dass die Prozessbeschreibung mit Interaktionen zwischen Subjekten ergänzt werden muss. Phrasen wie „informiert Subjekt xy“ oder „tritt in Verbindung mit“ usw. werden ersetzt durch Sende und Empfangsaktionen (siehe Tab. 5.4). Der Satz 2 „Netzüberwacher meldet Situation an Leitstelle“ im Bild in Abschn. 5.1.4.3. wird in eine Sende und eine Empfangsaktion umgewandelt. Im folgenden Bild entspricht dies der Aktion 2 (Netzüberwacher sendet Status-Schwarz an Leitstand“ im Tabellenabschnitt für den Netzüberwacher. Das Gegenstück dazu ist der Satz Nr. 1 im Tabellenabschnitt Leitstand.

Tab. 5.4 Ablauf im Holaren System (Präziser)

Nach dem Erstellen der Verhaltenstabellen kann ein formales Modell in einer geeigneten Modellierungssprache abgeleitet werden. Es sollte dabei eine Sprache verwendet werden, in der die für wichtig erachteten Aspekte des betrachteten Prozesses anschaulich und präzise ausgedrückt werden können. In unserem Beispiel haben wir S-BPM ausgewählt. Abb. 5.14 zeigt in der linken Hälfte die Netzwerkstruktur des betrachteten Prozesses. Die Rechtecke mit den abgerundeten Ecken stellen die beteiligten Handelnden dar. Die Pfeile zwischen den Handelnden sind mit den ausgetauschten Nachrichten beschriftet. Die Zahlen an den Nachrichtennamen entsprechen den Satznummern in der obigen Tabelle.

Abb. 5.14
figure 14

Verhaltensbeschreibung des Subjekts Holonkoordinator

Das Diagramm rechts neben der Prozessstruktur zeigt das Verhalten des Subjekts Holonkoordinator. Die Kreise mit den Buchstaben E und S sind Kommunikationszustände. Übergänge von Kreisen mit einem E sind mit den in diesem Zustand erwarteten Nachrichten beschriftet. Die Übergänge nach S-Zuständen sind mit den in diesem Zustand gesendeten Nachrichten beschriftet. Alle anderen Übergänge definieren lokale Operationen auf lokalen Daten.

5.1.5 Prozessmodellierung

5.1.5.1 Auswahl der Modellierungssprache

In der Folge werden exemplarisch einige Faktoren angeführt, welche die Auswahl einer geeigneten Modellierungsnotation bzw. -sprache erleichtern sollen. Dazu zählen die Rahmenbedingungen eines BPM-Vorhabens, die Handhabbarkeit der Sprache sowie die Unterstützung der nachgelagerten Aktivitäten wie Validierung [8, 9, 10, 11, 12].

Bezüglich Rahmenbedingungen interessiert vor allem die Frage ‚Was sind die Eigenschaften des zu modellierenden Sachverhalts?‘ Bestimmend für die Auswahl einer Modellierungssprache sollten vor allem die folgenden Eigenschaften eines Sachverhalts sein:

  • Asynchrone Ereignisse: Liegen derartige Ereignisse vor, dann sollte eine entsprechende Modellierungssprache die Möglichkeit bieten, die damit verbundene Parallelisierung von Prozessen oder Prozessschritten derart abzubilden, dass gegebenenfalls eine Ausführung die Parallelität widerspiegelt. Dies bedeutet, dass die Modellierungssprache Konstrukte zur Darstellung asynchroner Ereignisse enthält, welche diese zeitliche Qualität explizit enthält. Damit kann zur Ausführungszeit entsprechend eine Laufzeitumgebung konfiguriert werden.

  • Organisations- und unternehmensübergreifend: Ist ein Sachverhalt nicht nur für eine bestimmte Organisation oder deren Einheit, sondern auch für vernetzte Partner relevant, die außerhalb der unmittelbaren Tätigkeitsbereiche liegt, wie beispielsweise in der Zulieferindustrie, dann sollten ausgewiesene Modellierungsmechanismen oder Sprachkonstrukte zur Verfügung stehen, welche eine Kapselung organisationsexterner Sachverhalte ermöglicht. Damit wird eine Einbettung externer Akteure einer Organisation möglich, ohne im Detail deren Abläufe kennen und repräsentieren zu müssen.

  • Anzahl der Handelnden: Diese Kenngröße scheint auf den ersten Blick nicht unbedingt relevant für die Auswahl einer Modellierungssprache. Sie gewinnt allerdings an Bedeutung, wenn es zum einen um die Komplexität von Prozessen geht, und zum anderen um die Verständlichkeit der Modelle. Schließlich spielt auch die Instanz-Modellbeziehung in diesen Faktor herein. Besteht eine Vielzahl an handelnden Akteuren, dann sollte eine Notation auch Modellierungsmechanismen oder Sprachkonstrukte aufweisen, welche diese sowohl sichtbar macht, als auch aggregiert oder mittels anderer Perspektiven (z. B. Funktionssicht) zugänglich macht.

Bezüglich Handhabbarkeit interessiert vor allem die Frage ‚Wie soll der Sachverhalt beschrieben werden?‘ Bestimmend für die Auswahl einer Modellierungssprache sollten vor allem die folgenden Eigenschaften bzw. Qualität einer Modellierungssprache sein:

  • Anzahl der Symbole: Die Anzahl der Symbole kann zum einen mächtige Modelle einfach überschaubar gestalten lassen, aber zum anderen eine unerwünschte Verkürzung von Sachverhalten mit sich bringen.

  • Definition der Symbole: Der Gebrauch der Symbole sollte eindeutig, d. h. objektiv nachvollziehbar für Modellierende sein. Dies erleichtert die Effektivität und Effizienz bei der Erstellung von Modellen.

  • Verfügbarkeit der Werkzeuge zur Modellbeschreibung: Die Verfügbarkeit von digitalen Werkzeugen zur einfachen und korrekten Darstellung von Sachverhalten bestimmt die Gebrauchstauglichkeit einer Modellierungssprache mit. Ein Syntaxeditor bei diagrammatischen Sprachen hilft beispielsweise, syntaktisch korrekte Modelle zu erstellen sowie umfangreiche Sachverhalte gebrauchstauglich zu strukturieren.

  • Möglichkeiten der Hierarchisierung von Modellen: Diese Eigenschaft erlaubt, vernetzte Sachverhalten aus einer top-down Perspektive zu erschließen. Dadurch wird üblicherweise die Lesbarkeit von Modellen erleichtert und damit die Verständlichkeit abgebildeter Sachverhalte für nicht unmittelbar Beteiligte erhöht.

Bezüglich Unterstützung weiterer Aktivitäten interessiert vor allem die Frage ‚Wie ist die Unterstützung des Modells für nächste Schritte?‘ Für die Auswahl einer Modellierungssprache sollten in diesem Kontext vor allem die folgenden Features einer Modellierungssprache betrachtet werden:

  • Validierungswerkzeuge: Kann ein Modell validiert werden? Dies bedeutet, dass mittels eines Werkzeugs festgestellt werden kann, ob die Notation und damit alle verwendeten Sprache im Sinne der Syntax der Sprache sowie im Sinn der Intention des abgebildeten Sachverhalts korrekt verwendet wurden.

  • Optimierungswerkzeuge: Kann ein Prozess mithilfe seines Modells optimiert werden? Die Optimierung ist der erstmaligen Modellierung und Validierung nachgelagert und zielt auf die optimale Verteilung von Aufgaben und optimale Nutzung von Ressourcen ab. So soll mittels eines Werkzeugs festgestellt werden können, ob die Notation und damit alle verwendeten Sprachen die Optimierung von modellierten Prozessen durch entsprechende Konstrukte der Sprachen oder durch spezielle Mechanismen zulässt bzw. aktiv (etwa durch Vorschläge oder Referenzmodelle) unterstützt.

  • Werkzeuge für die organisatorische Einbettung: Kann die Integration eines modellierten Prozesses in eine Organisation mithilfe eines Werkzeugs realisiert werden? Dieser Schritt ist der erste zur Implementierung von Prozessen und erfordert, dass mittels eines Werkzeugs bestimmte werden kann, welche Aufgaben- oder Rollenträger bzw. welche Organisationseinheiten den abgebildeten Sachverhalt in der Praxis ausführen können sollen. Auf dieser Basis kann danach entsprechende Zuordnung zur organisationalen Umsetzung von Prozessmodellen getroffen (und nach Bedarf wieder geändert) werden.

  • Werkzeuge für die technische Einbettung: Kann die Integration eines modellierten Prozesses in eine (informations-)technische Infrastruktur bzw. Informationssystemarchitektur mithilfe eines Werkzeugs realisiert werden? Dieser Schritt ist der zweite erforderliche zur Implementierung von Prozessen und bedarf der Bestimmung mittels eines Werkzeugs, welche technischen Systems den abgebildeten Sachverhalt in der Praxis ausführen können. Auf dieser Basis kann danach entsprechende Zuordnung zur technischen Umsetzung von Prozessmodellen getroffen (und nach Bedarf wieder geändert) werden.

  • Werkzeuge für die Inbetriebnahme und den Betrieb: Können die Inbetriebnahme und der Betrieb eines modellierten Prozesses in einer Organisation mithilfe eines Werkzeugs unterstützt bzw. sichergestellt werden? Dieser Schritt ist erforderlich, sobald ein Prozess ‚produktiv‘ geschaltet wird, d. h. nach seiner organisationalen und technischen Implementierung in den operativen Betrieb einer Organisation überführt bzw. in deren operativen Praxis wirksam wird. In diesem Kontext sollte ein Werkzeug helfen, die Einführungsphase eines modellierten Prozesses zu unterstützen, also etwa die Reihenfolge festzulegen, welche Prozessschritte in welcher Reihenfolge in den operativen Betrieb übernommen werden. Ein entsprechendes Werkzeug sollte auch die Überwachung des Einsatzes von implementierten Prozessen unterstützen und so helfen. den operativen Betrieb einer Organisation sicherzustellen und deren Weiterentwicklung effektiv zu unterstützen. Letzteres kann etwa durch Annotation an Prozessmodellen, welche Ausführungshindernisse markieren, erfolgen.

5.1.5.2 Modellierung durch Konstruktion

Bei der Konstruktion eines Prozessmodells beginnt die Modellierung mit einem „leeren Blatt Papier“. Mit den Informationen aus der Prozessanalyse wird Schritt für Schritt der Prozess beschrieben. Die erforderlichen Aktivitäten umfassen, abhängig vom gewählten Ansatz, mehrere Aktivitäten:

  • Beschreibung der Prozesse mit ihren Beziehungen (Prozessnetzwerk)

  • Identifikation des zu beschreibenden Prozesses

  • Identifikation der an dem Prozess beteiligten Akteure bzw. Systeme

  • Festlegen der zwischen den Akteuren bzw. Systemen ausgetauschten Informationen im Rahmen des Kontroll-, Daten- und Nachrichtenflusses zur Bearbeitung von Geschäftsfällen. Dies inkludiert auch die Umsetzung von Geschäftsregeln, da sie das Verhalten von Akteuren und Systemen unmittelbar beeinflussen.

  • Beschreiben des Verhaltens der einzelnen Akteure bzw. Systeme, insbesondere durch Funktionsschritte und deren zeitlich-kausalem Zusammenhang entsprechend dem modellierten Sachverhalt.

  • Definition der Geschäftsobjekte bzw. Daten und deren Verwendung.

Diese Aktivitäten werden entsprechend der ausgewählten Sprache in einer bestimmten Reihenfolge gesetzt und führen dem entsprechend zu unterschiedlich detaillierten Darstellungen von Sachverhalten.

5.1.5.3 Modellierung durch Restriktion

Neben der Modellierung durch Konstruktion gibt es grundsätzlich noch die Möglichkeit der Modellierung durch Restriktion. Dabei wird von allgemeinen Prozessmodellen ausgegangen. Ein typisches Beispiel ist der kommunikationsorientierte Zugang, wie bei S-BPM verfolgt. Im universalen Prozessmodell kann jeder an einem Prozess beteiligte Akteur bzw. System an jedes andere beteiligte System bzw. jeden anderen Akteur jederzeit eine Nachricht senden bzw. von diesem empfangen.

Diese Nachricht hat den allgemeinen Namen ‚Nachricht‘ und kann als Geschäftsobjekt beliebige Medien übertragen. Das Ergebnis ist ein Universalprozess, der durch die Anzahl seiner Subjekte gekennzeichnet ist. Diese werden als Kästen mit Subjekt 1..n gekennzeichnet. Deren wechselseitige Interaktionsmöglichkeiten werden durch vorab gesetzte Pfeile zwischen den Subjekt-Kästchen gekennzeichnet. Daraus resultiert für jedes Subjekt ein gleichartiges initiales Verhalten.

Im Rahmen der Modellierung durch Restriktion wird in folgenden Schritten zu einem detaillierten Sachverhalt vorgegangen: i) Anzahl der Subjekte und Subjektbezeichner bestimmen, ii) Kommunikationspfade reduzieren; iii) Nachrichtentypen spezifizieren, iv) Verhalten der Subjekte spezifisch anpassen, v) Geschäftsobjekte spezifizieren und verfeinern.

Werden andere, etwa funktionsorientierte Ansätze gewählt, dann können grundsätzliche Strukturen verallgemeinert, etwa in Form von Referenzmodellen, zur Verfügung gestellt werden. Dabei werden auch verhaltensorientiere Muster zum Einsatz kommen, etwa vorangegangene Ereignisse zu Funktionen oder Bedingungen, die nach Abarbeiten einer Funktion den weiteren Verlauf von Geschäftsprozessen bestimmen.

5.1.5.4 Kombination

Während bei der Konstruktion von Prozessmodellen die Modellierung mit einem „leeren Blatt Papier“ beginnt, und um Informationen aus der Prozessanalyse Schritt für Schritt erweitert wird, wird bei der Modellierung durch Restriktion von einer verallgemeinerten Struktur von Prozessmodellen und deren Bestandteile ausgegangen. Ein typisches Beispiel einer Kombination beider Ansätze stellt der Fall dar, der dem ‚middle-out‘ Ansatz entspricht. Eine Instanz dieses Falls ist, mit einer Konstruktion zu beginnen, und sobald ein (wiederkehrendes) Muster auftritt, ein Referenzmodell zum Einsatz zu bringen und zu reduzieren bzw. zu konkretisieren.

Weitere Anwendungsinstanzen wären ein Mustervergleich sowie der Start mit wiederkehrenden (Routine-)Prozessen. Letztere kehren den obig genannten Fall um, und erlauben, spezielle Ausprägungen von Prozessverläufen in generalisierte Prozessarchitekturen einzubetten. Der Mustervergleich hingegen stellt eine Art Kontrollvorgang dar, wobei mittels eines verallgemeinerten Musters die Vollständigkeit bzw. Korrektheit eines Modells überprüft werden kann.

5.2 Qualitätskontrolle: Validierung und Optimierung

Die Validierung steht in enger Beziehung zur Modellierung. In der Modellierung wird der Prozessablauf entsprechend der Zielsetzung beschrieben, Dies bedeutet, dass während der Modellierungstätigkeit folgernde die Frage mitschwingt: ‚Entspricht das Modell den gesetzten qualitativen und quantitativen Zielen? Die Prüfung, ob ein Prozessmodell den gesetzten Zielen entspricht, wird als Validierung bzw. Optimierung bezeichnet. Somit laufen während der Modellierung permanent Validierung und Optimierung mit. Nach der Entscheidung die Modellierung abzuschließen, ist wird nun abschließend geprüft, ob das Gesamtmodell den gesetzten Zielen entspricht.

Eine Validierung zeigt, ob der Prozess alle Anforderungen erfüllt und die beabsichtigten Ergebnisse erreicht. Wesentlich ist für einen Prozess auch ob damit die gewünschten Ergebnisse mit dem geringsten möglichen Aufwand erreicht werden. Die Qualitätskontrolle bei Geschäftsprozessen hat also zwei wesentliche Aufgaben. Sie soll die Effektivität und die Effizienz von Prozessen prüfen. Effektivität bedeutet, dass der Prozess die an ihn gestellten Anforderungen erfüllt, d. h. das gewünschte Ergebnis (Output) liefert. Effizient ist der Prozess dann, wenn dieser mit möglichst geringem finanziellen und zeitlichen Mitteleinsatz ausgeführt werden kann, um das gewünschte Ergebnis zu liefern. Dies soll durch die Optimierung erreicht werden.

Diese Qualitätskontrollen müssen möglichst frühzeitig einsetzen, und zwar bevor IT-Systeme aufwendig entwickelt und die späteren Anwender geschult werden. Das folgende Bild (siehe Abb. 5.15) fasst die einzelnen Aspekte der Validierung und Optimierung zusammen. Die Überprüfung eines Prozessmodells wird durch entsprechende Werkzeuge und Referenzmodelle unterstützt. Für die Validierung gibt es manuell Hilfsmittel wie z. B. Checklisten oder Rollenspiele, während für die Optimierung Simulationssoftware eingesetzt werden muss. Die Ergebnisse der Überprüfung werden aufbereitet und in ToDo-Listen zur Abarbeitung eingetragen, d. h. es wird erneut mit Modellierungsaktivitäten gestartet. Dieser Zyklus wiederholt sich, bis die Überprüfung zu einem als gut genug betrachteten Ergebnis führt.

Abb. 5.15
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Struktur der Qualitätssicherung eines Prozessmodells

5.2.1 Validierung

Voraussetzung für die Validierung ist ein Modell, das den zu repräsentierenden Sachverhalt wiedergibt. Es wird überprüft, ob das Modell das erwartete Ergebnis gemäß den spezifizierten Qualitätsmerkmalen liefert, und ob der Prozess zur Erreichung der Ziele des Unternehmens beiträgt. Dieser Aspekt wird als semantische Richtigkeit bezeichnet. Diese ergibt sich aus dem Konsens der Führungskräfte sowie der Fach- und Methodenexperten, die das Modell als zutreffend erachten.

Von der semantischen Richtigkeit ist die syntaktische Gültigkeit abzugrenzen, welche die Einhaltung der festgelegten Beschreibungsregeln betrifft, d. h. sind die Beschreibungsmittel entsprechend der Vorgaben zur Modellierungssprache eingesetzt.

5.2.1.1 Manuelle Prozessvalidierung

Das folgende Bild (siehe Abb. 5.16) zeigt eine allgemeine Vorgehensweise bei der manuellen Validierung. Hier wird mithilfe von Checklisten die Prozessdokumentation überprüft. Die Prozessdokumentation umfasst die Beschreibung der Ziele, Inputs, Ergebnisse, auslösende Ereignisse und natürlich das Modell des Prozesses. Die Prozessdokumentation soll von allen betroffenen Parteien eines Prozesses an Hand der Checklisten überprüft werden.

Abb. 5.16
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Ablauf einer manuellen Prozessprüfung

Die Befunde der einzelnen Parteien werden konsolidiert und in einem gemeinsamen Workshop geklärt sowie gemeinsam die notwendigen Überarbeitungen festgelegt. Dieser Zyklus wiederholt sich bis gemeinsam entschieden ist, dass keine weiteren Überarbeitungen mehr notwendig mehr sind.

Zur Vorbereitung eines Reviews wird die Prozessbeschreibung und eine Checkliste, nach der die Prozessbeschreibung geprüft werden soll, kommuniziert. Diese Checkliste enthält Fragen, die die Gutachter bezüglich des Prozesses beantworten sollen.

Beispiele für solche Fragen sind:

  • Unterstützt der Prozess die Ziele des Unternehmens?

  • Sind die Ziele des Prozesses definiert?

  • Ist der Nutzen des Prozesses in der Zielsetzung klar beschrieben und ist ersichtlich, welche Wertschöpfung er für wen liefert?

  • Welche Risiken birgt der Prozess?

  • Ist ein Prozessverantwortlicher (Process Owner) benannt?

  • Sind die Befugnisse des Prozessverantwortlichen (Process Owner) festgelegt und sind diese ausreichend?

  • Gibt es Kennzahlen, mit denen die Zielerreichung bewertet werden kann?

  • Sind die Messverfahren für die Kennzahlen eindeutig festgelegt?

  • Werden die Zielwerte für die Kennzahlen des Prozesses systematisch festgelegt und liefern sie eine Aussage über den Wertbeitrag des Prozesses?

  • Unterstützt der Prozess die Politik und Strategie des Unternehmens bzw. der IT-Organisation?

  • Ist der Prozessablauf beschrieben?

  • Sind die Eingaben und Ergebnisse des Prozesses beschrieben?

  • Ist klar, wer (Organisationen, Rollen, Personen) welche Eingaben liefert und welche Ergebnisse entgegennimmt?

  • Werden die Beschreibungskonventionen für Prozesse eingehalten?

  • Ist definiert, wer für die einzelnen Schritte des Prozesses verantwortlich ist (Organisationen, Rollen oder Personen)?

  • Ist das Vorgehen in dem Prozess auf die Interessensgruppen (beispielsweise Kunden) ausgerichtet?

  • Ist das Vorgehen im Prozess klar begründet?

  • Gibt es neben der Prozessbeschreibung noch ausreichend Hilfsmittel für die Ausführung des Prozesses (Checklisten, Arbeitsanweisungen etc.)?

  • Ist der Geltungsbereich des Prozesses eindeutig festgelegt?

  • Sind die Beziehungen des Prozesses zu anderen Prozessen beschrieben bzw. definiert?

Die obige Frageliste ist nur exemplarisch und nicht vollständig. In Unternehmen werden Fragelisten mit bis zu 100 Fragen verwendet.

Das Lesen von umfangreichen Prozessdokumentationen und deren Abgleich mit langen Checklisten ist sehr ermüdend. Die Erfahrung zeigt, dass mit zunehmender Seitenzahl die Intensität der Prüfung nachlässt. Die ersten Seiten werden noch genau gelesen. Dann nimmt die Genauigkeit immer mehr ab. Um die Schwächen einer visuellen Begutachtung zu kompensieren, wurde eine stärker formalisierte Version des Reviews entwickelt, der „Walk Through“, der sich überwiegend auf das Prozessmodell bezieht.

5.2.1.2 Walk Throughs

Ähnlich wie bei der Code Inspection in der Programmierung, wird beim Walk Through ein Prozess gemeinsam mit ausgewählten Prozessbeteiligten Schritt für Schritt besprochen. Um das schrittweise Durchgehen lebendiger zu gestalten, kann eine formale Prozessbeschreibung mithilfe eines praktischen Beispiels durchlaufen werden. Ein Prozessbeteiligter geht anhand eines konkreten Beispiels die Geschäftsprozessbeschreibung schrittweise durch. Zu jedem Prozessschritt stellt ein Experte gezielte Fragen, um die Effektivität der Prozessbeschreibung zu hinterfragen.

Es werden beispielsweise das Verständnis der Fachbegriffe, die fachliche Notwendigkeit sowie die Vollständigkeit der Prozessbeschreibung hinterfragt. Auf diese Weise wird die Prozessbeschreibung überprüft. Ein Walk Through wird mit etwa zwei bis vier Prozessbeteiligten durchgeführt, die verschiedene Benutzergruppen vertreten.

Die „Autoren“ der Prozessbeschreibung (beispielsweise Prozess-Manager), sollten sich dabei im Hintergrund halten, damit Kritik offen formuliert werden kann. Alle Kritikpunkte und Anregungen werden gesammelt, dokumentiert und anschließend mit den Prozess-Beteiligten ausgewertet. Diese Auswertung führt zu einer Überarbeitung des Prozesses. Das folgende Bild gibt einen Eindruck von einem Walk-Through-Workshop. Es zeigt auch, dass dies bei der Verwendung von Swim-Lane-Methoden im Rahmen der Modellierung zu einer aufwendigen Angelegenheit werden kann. Mit Swim Lanes können Prozessmodelle nicht hierarchisch beschrieben werden, sodass komplexe Modelle sehr viel Platz benötigen.

Die schrittweise Analyse eines Prozesses kann durch entsprechende Werkzeuge unterstützt werden. Das verwendete Werkzeug zeigt das Prozessmodell am Bildschirm, und der aktuelle Prozessschritt wird farblich hervorgehoben.

5.2.1.3 Rollenspiele

Die nächste Steigerung für eine erlebbare Überprüfung von Prozessmodellen sind Rollenspiele. Diese sind insbesondere dann gut einsetzbar, wenn kommunikationsorientierte Modellierungssprachen verwendet werden. Die Handelnden sind dann bereits identifiziert und diese Rollen werden dann geeigneten Personen zugeordnet. Von einem Spielleiter werden Prozessanstöße ausgelöst und die notwendigen Eingaben zur Verfügung gestellt. Diese Prozessinstanzen werden dann von den einzelnen Rolleninhabern gemäß den Prozessbeschreibungen abgearbeitet. Diese „Prozessabläufe“ werden von anderen Betroffenen beobachtet und die identifizierten Auffälligkeiten werden notiert. Nach der Abarbeitung von einigen Prozessinstanzen werden die Befunde bewertet und notwendige Anpassungen identifiziert.

Die Ausführung von Rollenspielen kann durch geeignete IT-Werkzeuge unterstützt werden. Die Rolleninhaber eines Rollenspiels erhalten ihre Rollenbeschreibung nicht auf Papier, sie werden mittels Software, die insbesondere die Ablauflogik implementiert, durch den Prozess geführt. Diese Software wird dabei unmittelbar und automatisch aus dem Prozessmodell generiert. Voraussetzung dafür ist dass die Semantik der verwendeten Prozessmodellierungssprache eindeutig definiert ist. Dies ist beispielsweise für BPMN bedingt und für EPKs gar nicht der Fall, jedoch bei S-BPM dank einer eindeutigen, formalen Semantik erfüllt.

Das folgende Bild (siehe Abb. 5.17) zeigt, wie eine IT-gestützte Validierung aussehen kann. Der Vorteil eines IT-gestütztes Rollenspiels ist, dass die Vorbereitungszeit sehr gering ist und das Prozesserleben schon sehr nahe an der späteren Prozessausführung liegt.

Abb. 5.17
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Szenerie für ein IT-gestütztes Rollenspiel

5.2.2 Optimierung

Nach der Prüfung der Effektivität (liefern die Prozesse überhaupt das gewünschte Ergebnis?), muss überprüft werden, ob das Ergebnis mit dem geringsten möglichen Einsatz von Ressourcen zustande kommt. Eine Optimierung durch manuelle Prüfung, Walk Throughs oder Rollenspiele ist nur sehr eingeschränkt möglich. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse liefern nur eine Annäherung für die Ermittlung des Ressourcenbedarfs bei einer angenommenen Anzahl von Prozessdurchläufen. Eine systematische Ermittlung des Ressourcen- und Zeitbedarfs ist nur durch eine Simulation möglich. Voraussetzung für eine Simulation ist allerdings, dass das Prozessmodell ausführbar ist.

Bei der Simulation von Geschäftsprozessen werden die von einem Prozess verarbeiteten Geschäftsereignisse zufällig gemäß einer angenommenen Wahrscheinlichkeitsverteilung erzeugt. In der Regel ist dies die Exponentialverteilung mit einem vermuteten oder durch Beobachtung ermittelten Erwartungswert. Den einzelnen Arbeitsschritten werden die entsprechenden Ressourcen mit der benötigten Arbeitszeit zugeordnet. Die benötigte Arbeitszeit folgt in der Regel einer Normalverteilung mit aus Beobachtung ermittelten Erwartungswerten und Standardabweichungen.

Im Rahmen der Simulationsläufe werden Informationen über die Ablauffähigkeit von Prozessen, über Prozess-Schwachstellen und Ressourcenengpässe geliefert. Auf Basis der simulierten Prozesskennzahlen können bereits im Vorfeld kostenintensiver Prozessänderungen innerhalb eines Unternehmens verschiedene Alternativen bewertet und ein realitätsgetreues Benchmarking durchgeführt werden.

Moderne Werkzeuge und Simulationsmethoden ermöglichen die Analyse und Optimierung der Prozesse bezüglich der Kosten, der Durchlaufzeiten, der Auslastung oder der Engpässe. Zusätzlich bildet die Simulation der Geschäftsprozesse eine Ausgangsbasis zur Einführung der Prozesskostenrechnung anstelle der relativ ungenauen Zuschlagskalkulation. Die Gewinne bzw. Verluste der einzelnen Bereiche werden damit frühzeitig transparent.

Die Durchführung einer Simulationsuntersuchung setzt wie bereits erwähnt eine präzise Beschreibung des betrachteten Prozesses voraus. Dies bedeutet, dass zur Definition des Prozessablaufes eine formale Methode verwendet wird. Zusätzlich sind möglichst genaue Kenntnisse über die Wahrscheinlichkeitsverteilungen, deren Parameter und der untersuchten Kennzahlen notwendig. In der Praxis werden Simulationen wegen des damit verbundenen hohen Aufwandes nicht häufig eingesetzt, obwohl die gewonnenen Erkenntnisse überzeugend sein können.