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Digitalisierung der Wissensgesellschaft. Paradoxien des technologischen Wandels im Zeitalter von Crowdsourcing und Industrie 4.0

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Wissensökonomie und Digitalisierung

Zusammenfassung

Der Beitrag geht der Frage nach, welchen Stellenwert die fortschreitende Digitalisierung für die (Weiter-)Entwicklung einer Wissensgesellschaft und einer wissensbasierten Ökonomie besitzt. In jüngeren Debatten wird davon ausgegangen, dass die Digitalisierung eine neue Qualität von „Wissen“ erfordert und so dem Wissen in allen Bereichen des Sozialen, insbesondere aber in der Wirtschafts- und Arbeitswelt, eine größere Bedeutung zukommen wird. Gleichzeitig sind jedoch Entwicklungen evident, die diesen Annahmen widersprechen. Der zunehmenden Wissensbasierung stehen Tendenzen gegenüber, die die soziale Aneignung, Weiterentwicklung und Nutzung von Wissen eher behindern als fördern. Solche „Paradoxien“ werden anhand einiger Beispiele aufgezeigt und illustriert.

Die gegenwärtige digitale Transformation ist ein multidimensionales, vielschichtiges Phänomen, das ähnlich wie die Diagnosen zur postindustriellen, Wissens- oder Informationsgesellschaft nur in ihrer Einbettung in einen Prozess des gesellschaftlichen Wandels begriffen werden kann. Es wird argumentiert, dass sich die Effekte der Digitalisierung ohne notwendige Differenzierungen kaum realistisch einschätzen lassen. Zunächst werden daher zwei große Bereiche unterschieden, auf denen die Digitalisierung der Wirtschafts- und Arbeitswelt voranschreitet: Dies ist erstens die Digitalisierung traditioneller Wirtschaftssektoren (z. B. in Form von Industrie 4.0); zweitens geht es um die Emergenz der sog. „Plattformökonomie“ und dortige marktvermittelte Dienstleistungen. Es wird die These vertreten, dass die Ausweitung IT-bezogener Sektoren, die eine zunehmende Wissensbasierung implizieren, mit Sogeffekten auf andere, weniger wissensintensive Sektoren einhergeht. Die Wirkungen der Digitalisierung sind nicht einheitlich, sondern eher durch Ungleichzeitigkeit und Ambivalenz charakterisiert: So hebt die Digitalisierung professionalisierte und technisch qualifizierte Berufsbilder hervor, befördert aber gleichzeitig – in Spielarten des Clickwork und der Offline-Arbeit von Lieferdiensten – die De-Qualifizierung von Berufsbildern. Zwar werden frühere Offline-Tätigkeiten teil-digitalisiert, die Spielräume und Chancen, Wissen zu generieren und anzueignen werden jedoch durch die Intensivierung von Arbeit, den Wandel der Kontrollformen, schwindende Partizipationschancen und (betriebliche) Qualifikationsmöglichkeiten eingeschränkt.

Politische und verbandliche Regulierung ist gefordert, um den negativen Folgewirkungen der digitalen Transformation entgegenzutreten. Sie wird aber durch spezifische Charakteristika der Digitalisierung selbst erschwert: Bei zahlreichen Digitalisierungsspielarten handelt es sich um vergleichsweise junge Phänomene, die in ihren Auswirkungen noch schwer zu überschauen sind; digitale Techniken und Organisationsmodelle weisen eine enorme Wandlungsdynamik auf; und letztlich ist die Digitalisierung in vielen Feldern transnational strukturiert, was eine Regulierung jenseits des Nationalstaats unausweichlich macht. Eine Herausforderung besteht darin, Regulierungen zu entwickeln und durchzusetzen, die die positiven Aspekte der Digitalisierung befördern und auf diesem Wege das emanzipatorische Potenzial der Wissensgesellschaft aktivieren.

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Notes

  1. 1.

    Dass diese Perspektive Anknüpfungspunkte für eine Klassifizierung bietet, die sich auf die „readiness“ von Gesellschaften beziehen lässt, sich überhaupt zu Wissensgesellschaften zu entwickeln, sei hier nur eine Randnotiz. So liegt die Vermutung nahe, dass bestimmte Merkmale einer (National-) Gesellschaft eine umfassende Entwicklung zur Wissensgesellschaft mit den von Bell identifizierten Merkmalen eher behindern können; zu diesen Merkmalen zählen z. B. starre Strukturen und Autoritätsmuster, starke Normen und Institutionen, deren Nichtbefolgen mit strengen Sanktionen belegt wird. In vielen Punkten lassen sich Parallelen zu vor-rationalen Gesellschaften wie im Mittelalter ziehen, in denen individuelles Engagement von rigiden sozio-politischen Regeln gebremst wurde, wie z. B. Zunftordnungen. Die klerikale Deutungshoheit, die abweichende Erkenntnisse (z. B. das „heliozentrische Weltbild“) oder Thesen unter Strafe stellte, ist ein extremes Beispiel. Die Prozesse der Rationalisierung, wie Max Weber sie beschrieben hat, erscheinen als wichtige Voraussetzung für die wachsende Bedeutung von Wissen (Weber 1972).

  2. 2.

    Wann eine Prägung „wesentlich“ ist, ist sicher Auslegungssache. Wenn Tätigkeiten ohne digitale Technik nicht möglich sind, ist die Prägung offensichtlich gegeben. Ansonsten mögen auch ein hoher Anteil digitaler Techniken oder, dass ein großer Teil der täglichen Arbeitszeit durch digitale Techologien beeinflusst ist, als Kriterium gelten.

  3. 3.

    Gleichwohl ist die Vernetzung ein zentrales Merkmal von Industrie 4.0-Visionen (s. Hirsch-Kreinsen 2014).

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Hertwig, M. (2020). Digitalisierung der Wissensgesellschaft. Paradoxien des technologischen Wandels im Zeitalter von Crowdsourcing und Industrie 4.0. In: Kouli, Y., Pawlowsky, P., Hertwig, M. (eds) Wissensökonomie und Digitalisierung . Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22333-5_7

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