FormalPara Relevanz

Krisenrobustheit braucht mehr risikotragendes Eigenkapital. Die Besteuerung setzt jedoch einen Anreiz zur Überschuldung. Zinsen für Fremdkapital sind steuerlich abzugsfähig, nicht aber die notwendige Verzinsung des Eigenkapitals. Zuerst mit einer steuerlichen Diskriminierung des Eigenkapitals für niedrige Eigenkapitalquoten zu sorgen und nachher mit einer Verschärfung von regulatorischen Eigenkapitalstandards wieder das Gegenteil zu tun, macht wenig Sinn. Eine steuerliche Gleichstellung von Eigen- und Fremdkapital durch Berücksichtigung eines Steuerabzugs für Eigenkapitalzinsen könnte die Wirksamkeit der regulatorischen Mindeststandards wesentlich verbessern und für mehr Krisenrobustheit im Bankensektor sorgen. Die Banken würden freiwillig mehr Eigenkapital halten und eine vorsichtigere Geschäftspolitik anstreben.

Christian Keuschnigg und Michael Kogler

FormalPara Quelle

Der nachfolgende Text ist eine Zusammenfassung von: Schepens, Glenn (2016), Taxes and Bank Capital Structure, Journal of Financial Economics 120, 585–600.

Die Finanzkrise hat dringenden Handlungsbedarf bei der Regulierung von Banken und insbesondere bei den Kapitalvorschriften aufgezeigt. Viele Institute verfügten über ein zu geringes Eigenkapital, sodass sie Wertminderungen oder Kreditausfälle nicht selbst verkraften konnten und vielfach nur durch staatliche Hilfe vor einer Insolvenz bewahrt wurden. Dies verzerrt wiederum die Anreize der Banken: Kann ein Institut davon ausgehen, dass es im Falle einer drohenden Insolvenz vom Staat gerettet wird, so ist es oft vorteilhaft, mit so wenig teurem Eigenkapital wie möglich zu operieren und in risikoreichere (und damit meist ertragsreichere) Anlagen zu investieren. Dadurch erzielt eine Bank in guten Zeiten eine hohe Eigenkapitalrendite, während sie in schlechten Zeiten die Verluste nicht zur Gänze allein tragen muss.

Strengere Eigenkapitalvorschriften wirken solchen Fehlanreizen entgegen und zielen darauf ab, dass Banken über ausreichend Eigenkapital verfügen, um in Krisenzeiten auftretende Verluste abzudecken. Die Regulierung schreibt dabei nur eine Mindesteigenkapitalquote fest – darüber hinaus können Banken selbst über ihre Kapitalstruktur und über zusätzliche Eigenkapitalpuffer entscheiden. Dabei spielen steuerliche Aspekte eine wichtige Rolle: In den meisten Ländern wird Fremdfinanzierung steuerlich bevorzugt. Denn Fremdkapitalzinsen sind im Gegensatz zu Dividenden bzw. einer Eigenkapitalverzinsung von der Körperschaftssteuer abzugsfähig. Diese Ungleichbehandlung verteuert Eigenkapital im Vergleich zu Fremdkapital und schafft einen Anreiz zu übermäßiger Verschuldung. Eine Beseitigung der steuerlichen Diskriminierung von Eigenkapital könnte dazu beitragen, dass Banken ihre Eigenmittel freiwillig über die Mindestanforderungen hinaus erhöhen. Bei der Neugestaltung der Bankenregulierung (z. B. Basel III) wurde dieser Aspekt bisher jedoch häufig nur am Rande diskutiert.

Die Studie von Schepens rückt dieses Thema in den Mittelpunkt und untersucht die Auswirkungen einer Steuerreform in Belgien im Jahr 2006 auf die Kapitalstruktur und das Risikoverhalten von Banken. Diese Reform war einer der ersten Versuche, die bevorzugte Behandlung der Fremdfinanzierung weitgehend abzuschaffen. Konkret wurde ein steuerlicher Zinsabzug für Eigenkapital eingeführt, der sich am Durchschnittzins einer 10-jährigen belgischen Staatsanleihe orientiert. Unternehmen und Banken können damit die Kosten des Eigenkapitals bei der steuerlichen Gewinnermittlung abziehen. Damit wird die Finanzierung mit Fremd- und Eigenkapital steuerlich annähernd gleichbehandelt.

Die Abb. 1 zeigt die Entwicklung der durchschnittlichen Eigenkapitalquote von belgischen Banken im Vergleich zu anderen europäischen Banken, die als Kontrollgruppe dienen.

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Schepens, 2016, 586)

Entwicklung der Eigenkapitalquote von Banken in Belgien und in anderen Ländern.

Schepens untersucht für die Periode 2002 bis 2007 die Entwicklung der Kapitalstruktur von belgischen Banken im Vergleich zu einer Kontrollgruppe europäischer Banken mit vergleichbaren Charakteristiken, welche jedoch nicht von der Steuerreform betroffen waren. Dies entspricht einem Zeitraum von vier Jahren vor bzw. zwei Jahren nach Umsetzung der belgischen Steuerreform. Die Stichprobe umfasst 132 Banken, 33 davon aus Belgien. Die deskriptive Evidenz in Abb. 1 ist bereits ein erster Hinweis, dass die Einführung eines Zinsabzugs auf Eigenkapital den Verschuldungsanreiz verringern kann. Die durchschnittlichen Eigenkapitalquoten folgten bis 2005 einem ähnlichen Abwärtstrend. Nach Umsetzung der Reform stieg jene der belgischen Banken jedoch deutlich an, während die Eigenkapitalquoten der europäischen Banken weiter sanken.

Die empirischen Schätzungen bestätigen diesen ersten Eindruck. Die Steuerreform führte zu einem statistisch signifikanten Anstieg der Eigenkapitalquote einer belgischen Bank um 0,94 Prozentpunkte. Dieser Effekt ist auch ökonomisch bedeutsam, entspricht er doch einer Erhöhung von mehr als 13 % im Vergleich zur Eigenkapitalquote belgischer Banken, welche vor der Reform im Schnitt bei 6,8 % lag.

Die Abzugsfähigkeit von Eigenkapitalzinsen erhöht die Eigenkapitalquote im Durchschnitt um über 13 %.

Als Folge der Reform stieg der Eigenkapitalanteil einer durchschnittlichen Bank. Ob die Steuerpolitik die Regulierung sinnvoll ergänzen kann, hängt aber auch davon ab, welche Banken ihr Eigenkapital erhöhen. Geschieht dies vorwiegend bei jenen, die bereits vorher über eine gute Eigenmittelausstattung verfügten, trägt die Steuerpolitik eher weniger zu einer verbesserten Finanzmarktstabilität bei. Deshalb wird der Effekt der Steuerreform auf unterschiedlich kapitalisierte Banken geschätzt. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass die Reform die Eigenkapitalquoten sowohl von schwächer als auch von stärker kapitalisierten Banken in ähnlichem Umfang erhöhte.

Der Anstieg der Eigenkapitalquoten verbessert die Finanzmarktstabilität, weil damit die Widerstandsfähigkeit einer Bank in Krisenzeiten zunimmt. Für eine Bewertung aus realwirtschaftlicher Sicht ist allerdings entscheidend, wie der Anstieg der Eigenkapitalquote zustande kommt: durch eine tatsächliche Erhöhung der Eigenmittel oder durch eine Verringerung der Kreditvergabe, damit die Bank auch das zur Refinanzierung notwendige Fremdkapital abbauen kann (sogenanntes Deleveraging). Da die Eigenkapitalquote dem Anteil der Eigenmittel an den Aktiva der Bank entspricht, führen beide Wege zu einem Anstieg. Vor allem in Krisenzeiten wäre eine Einschränkung der Kreditvergabe jedoch ungünstig, da sie eine schnelle Erholung der Wirtschaft gefährdet.

Die belgische Steuerreform hat einen Anstieg der Eigenkapitalquote vorwiegend auf dem Weg höherer Eigenmittel eingeleitet. Während die Eigenmittel von belgischen Banken um rund 15,9 % gewachsen sind, hatte die Steuerreform keinen signifikanten Effekt auf das Volumen von Aktiva oder Krediten. Die Steigerung des Eigenkapitals ist u. a. das Ergebnis davon, dass Gewinne in größerem Umfang einbehalten und nicht an die Anteilseigner ausgeschüttet wurden. Die Gewinnrücklagen gemessen am Gewinn vor Steuern stiegen als Folge der Reform um 22,7 %.

Während die Eigenmittel bei belgischen Banken durch die Steuerreform durchschnittlich um 15,9 % gewachsen sind, hat sich das Volumen von Aktiva oder Krediten kaum verändert.

Eine höhere Eigenkapitalquote verringert zunächst automatisch das Risiko einer Insolvenz, da die Bank besser in der Lage ist, Kreditausfälle und andere Verluste zu absorbieren. Gleichzeitig beeinflusst sie auch das Risikoverhalten, das heißt, die Bereitschaft einer Bank, Kredite an riskantere Schuldner zu vergeben oder in unsichere Anlagen zu investieren. Daher schätzt Schepens den Effekt der Steuerreform auf das Risikoverhalten und verwendet dazu verschiedene Risikomaße wie z. B. den Z-ScoreFootnote 1, die Standardabweichung der Erträge oder den Anteil an notleidenden Krediten. Zudem unterscheidet er zwischen den Effekten auf stark bzw. schwach kapitalisierte Banken. Die Resultate zeigen, dass die Risikobereitschaft bei schwächer kapitalisierten Banken durch die Steuerreform sank, während keine signifikanten Veränderungen bei besser kapitalisierten Banken zu verzeichnen waren. Dies könnte daran liegen, dass gut mit Eigenkapital ausgestattete Banken bereits vor der Reform Anreize für eine vorsichtige Kreditvergabe hatten und ihre Kreditnehmer gründlich prüften und überwachten. Schlechter kapitalisierte Banken mit vernachlässigter Bonitätsprüfung haben dagegen mehr Möglichkeiten und mehr Anreize, die Kreditrisiken entscheidend zu verringern, wenn sie ihr Eigenkapital aufbauen.

Die Risikobereitschaft ging bei schwächer kapitalisierten Banken nach der Steuerreform zurück, während keine Veränderungen bei besser kapitalisierten Banken zu verzeichnen sind.

Insgesamt legen die Erfahrungen der belgischen Steuerpolitik nahe, dass eine Reform der Körperschaftssteuer – insbesondere eine Beseitigung der steuerlichen Diskriminierung von Eigenkapital und damit ein Abbau des steuerlichen Verschuldungsanreizes – die regulatorischen Kapitalvorschriften für Banken ergänzen und effektiv unterstützen kann. Eine solche Reform schafft Anreize, dass Banken zusätzliche Eigenkapitalpuffer aufbauen, und verringert damit das Risiko einer Insolvenz. Zudem begünstigt die Reform bei schwächer kapitalisierten Banken eine vorsichtigere Kreditvergabe.