Das verstörend leuchtende Geheimnis der fremden Welt. Zum Zwielicht bei Gertrud Leutenegger

Zusammenfassung

Bei der Schweizer Autorin Gertrud Leutenegger (*1948) ist immer wieder auffällig: Das erzählende Ich entwickelt ausgerechnet dank Kontakten zu fremden Menschen, fernen Ländern, ja exotischen Phänomenen ihre Identität. Dabei werden weit weg oder weit zurück liegende Welten mit den Traditionen und Erinnerungen aus der eigenen Heimat, das heisst vor allem aus der Innerschweiz und dem Tessin, konfrontiert. Das erzählende weibliche Ich wird so zu einer »Übergangsfigur«, zu einer »Mittlerin« zwischen Heimat und Fremde, zwischen einem Einst und einem Heute – und sie geht gerade so auf sich selbst zu.

Einheimische Traditionen öffnen einen Durchgang zu neuen, im pragmatisch-nüchternen Alltag oder gemäss der offiziellen Geschichtsschreibung ungeahnten Welten. Um ein Beispiel zu geben: Selbst Wilhelm Tell, eine Zentralgestalt des Schweizer Patriotismus und der eidgenössischen Identitätsfindung, insofern ein Einheimischer wie nur je einer, kennt als »ein verschlossener kundiger Säumer« nicht nur die heimatlichen »finsteren Schluchten«, sondern wittert auch mit besonderem Gespür die Andersheit, mithin den Wert fremder Menschen. Er zeigt sich in einem interessanten »Zwielicht«, das man ihm nicht nehmen sollte. Der Beitrag spürt solches Zwielicht, solche Dialektik zwischen Fremdem und Eigenem, auf.