Zusammenfassung
Anonymität, Liberalität, Mobilität, sozialer Wandel, eine Vielzahl von Lebensstilen und Subkulturen – alles das, was Henri Lefebvre „verdichtete Unterschiedlichkeit“ nannte – sind große Errungenschaften der europäischen Stadt (Siebel 2004). Sie zeichnen aber auch für Unsicherheit verantwortlich. Seit Jahren belegen Studien, dass trotz eines massiven Zuwachses an Sicherheitsleistungen das Unsicherheitsgefühl der Menschen, insbesondere in Großstädten, nicht ab, sondern eher sogar zugenommen hat (Zoche et al. 2010). Eine konkrete Manifestation dieser prekären Sicherheitslage findet sich auch in deutschen Städten. Darüber hinaus lässt die nun abermals losgetretene Debatte über Freiheit versus Sicherheit nichts Gutes erwarten, unterstellt sie doch, ein solcher Tausch sei tatsächlich möglich, während der ganze Sicherheitsboom nach 9/11 doch eines genau nicht erreicht hat: mehr Sicherheit für alle.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
Es handelt sich um das BMBF-geförderte Forschungsprojekt VERSS (Aspekte einer gerechten Verteilung von Sicherheit in der Stadt). Weitere Informationen zu dem Projekt unter: www.verss.de.
- 2.
Besonders deutlich wird dies mit der Zunahme der kommunalen Kriminalprävention in deutschen Städten, aber auch durch die Novellierung von Sicherheits- und Ordnungsgesetzen und die Ausweitung von Kontrolltechniken, vgl. dazu Siebel (2002, S. 70 f.).
- 3.
Für einen Verknüpfungsversuch zwischen Theorie und Praxis der Anerkennung vgl. Wetzel (2010).
- 4.
So lautet der Untertitel der Arbeit Kampf um Anerkennung (Honneth 1992).
- 5.
Aus der Vielzahl der Veröffentlichungen, in denen sich Honneth mit dem Thema der Anerkennung auseinandersetzt, seien nur Kampf um Anerkennung (1992) und eine aktuelle zur Verdinglichung (2015) angeführt.
- 6.
Vgl. dazu unsere Ausführungen im dritten Abschnitt.
- 7.
Vgl. dazu die alternative Unterscheidung zwischen der Politik und dem Politischen in der französischen Philosophie der Gegenwart. Während die Politik für die parlamentarisch organisierte Form und die Verwaltung steht, ist mit dem Politischen eine Infragestellung eben dieser Ordnung durch außer-ordentliche Interventionen im Sinne eines Streithandelns gemeint. Vgl. dazu Bedorf und Röttgers (2010).
- 8.
„Die Frage der Verteilungsgerechtigkeit ist nicht unabhängig zu sehen von den Strukturen, in denen Güter hervorgebracht und verteilt werden. Sie ist nicht die Frage, wie ein abstrakter ‚Verteiler‘ Dinge unter die Menschen bringt, sondern sie ist die Frage, wie diese Dinge in die Welt gekommen sind, unter welchen Bedingungen sie produziert wurden, und wer darüber bestimmt, wer in den Genuss von Gütern wie Wohnung, Arbeit, Einkommen, medizinische Versorgung, Erziehung und Ausbildung kommt.“ (Forst 2013, S. 63).
- 9.
- 10.
Ein Konflikt liegt in einem allgemeinen Sinn immer dann vor, wenn zwei Ansprüche von verschiedenen Beteiligten geäußert werden und diese verhandelt beziehungsweise gelöst werden müssen. Dies kann sowohl in einen Konsens, aber auch in einen Streit münden, was weitere Auseinandersetzungen zur Folge haben kann, vgl. dazu grundlegend die Arbeit von Georg Simmel über den Streit (1992, S. 284 f.).
- 11.
Damit dies gelingt, bedarf es einer Streitkultur, vgl. dazu den instruktiven, von Gunther Gebhard et al. herausgegebenen Band StreitKulturen (2008).
- 12.
Selbstverständlich gibt es mehr oder weniger offensichtliche Sicherheitsprobleme (etwa Terrorismus oder Naturkatastrophen), aber auch bei diesen ‚Fällen’ geraten Sicherheit und Freiheit fast zwangsläufig in einen Konflikt, vgl. dazu Koch (2014).
- 13.
Diese Forschungslücke wird durch quantitative Erhebungen und Angst-Studien nur unzureichend geschlossen; es fehlen qualitative Studien, die die Diskrepanz zwischen symbolischer Vermittlung und subjektiven Sinngehalten ausleuchten.
- 14.
Der Darstellung liegen Erhebungen unter Aktiven aus Gruppen des zivilgesellschaftlichen und bewegungsförmigen Engagements zugrunde. Neben problemzentrierten Interviews mit sowohl leitfadengestützten als auch narrativen Elementen greifen wir auf Aufzeichnungen aus teilnehmenden Beobachtungen zurück. Der Erhebungszeitraum der hier berücksichtigten Daten lag zwischen September 2014 und August 2015. Die verwendeten Gruppennamen sind Pseudonyme. Zugunsten der Lesbarkeit verzichten wir auf die vollständige Quellenangabe der Interviewzitate.
- 15.
Siehe Fn. 1.
- 16.
NIMBY ist das englische Akronym für Not In My Back Yard (Nicht in meinem Hinterhof).
Literatur
Balint, I., Dingeldein, H., & Lämmle, K. (Hrsg.). (2014). Protest, Empörung, Widerstand. Zur Analyse von Auflehnungsbewegungen. Konstanz: UVK.
Bedorf, T., & Röttgers, K. (Hrsg.). (2010). Das Politische und die Politik. Berlin: Suhrkamp.
BMFSFJ (2010). Hauptbericht des Freiwilligensurveys 2009. Zivilgesellschaft, soziales Kapital und freiwilliges Engagement in Deutschland 1999 – 2004 – 2009. http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/publikationen,did=165004.html. Zugegriffen: 29.11.2015.
Bode, I., Evers, A., & Klein, A. (Hrsg.). (2009). Bürgergesellschaft als Projekt. Eine Bestandsaufnahme zu Entwicklung und Förderung zivilgesellschaftlicher Potenziale in Deutschland. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Boltanski, L., & Chiapello, È. (2003). Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: UVK.
Bonacker, T. (2005). Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien. Eine Einführung (4. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Bude, H. (2014). Gesellschaft der Angst. Hamburg: Hamburger Edition.
Floeting, H. (Hrsg.). (2015). Sicherheit in der Stadt. Rahmenbedingungen – Praxisbeispiele – Internationale Erfahrungen. Berlin: Edition Difu.
Forst, R. (2007). Das Recht auf Rechtfertigung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Forst, R. (2013). „Gerechtigkeit ist ein ständiger Prozess“. Hohe Luft 2 (4): 60–67.
Fraser, N., & Honneth, A. (2003). Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse. Frankfurt a.M: Suhrkamp.
Frevel, B., & Schulze, V. (2012). Kooperative Sicherheitspolitik – Safety und Security Governance in Zeiten sich wandelnder Sicherheitskultur. In C. Daase, P. Offermann & V. Rauer (Hrsg.), Sicherheitskultur. Soziale und politische Praktiken der Gefahrenabwehr (S. 205–225). Frankfurt a.M./New York: Campus.
Gebhard, G., Geisler, O., & Schröter, S. (Hrsg.). (2008). StreitKulturen. Polemische und antagonistische Konstellationen in Geschichte und Gegenwart. Bielefeld: transcript.
Honneth, A. (1992). Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Honneth, A. (2011). Das Recht der Freiheit: Grundriss einer demokratischen Sittlichkeit. Berlin: Suhrkamp.
Iser, M. (2005). Gerechtigkeit und Anerkennung. In M. Möhring-Hesse (Hrsg.), Streit um die Gerechtigkeit – Themen und Kontroversen im gegenwärtigen Gerechtigkeitsdiskurs (S. 118–129). Schwalbach/Taunus: Wochenschau Verlag.
Keim, R. (2014). Das Paradigma der Beteiligung: Chance oder Vereinnahmung sozialer Bewegungen? In N. Gestring, R. Ruhne & J. Wehrheim (Hrsg.), Stadt und soziale Bewegungen (S. 179–197). Wiesbaden: Springer VS.
Koch, H. (2014). Freiheit und Sicherheit. In R. Ammicht Quinn (Hrsg.), Sicherheitsethik (S. 135–144). Wiesbaden: Springer VS.
Krasmann, S. (2003). Die Kriminalität der Gesellschaft. Zur Gouvernementalität der Gegenwart. Konstanz: UVK.
Liebig, S., & Lengfeld, H. (Hrsg.). (2002). Interdisziplinäre Gerechtigkeitsforschung. Zur Verknüpfung empirischer und normativer Perspektiven. Frankfurt a.M./New York: Campus.
Marcuse, P. (2009). From critical urban theory to the right to the city. City 13 (2/3): 185–196.
Mayer, M. (2013). Urbane soziale Bewegungen in der neoliberalen Stadt. sub\urban 1 (1): 155–168.
Menzl, M. (2014). Nimby-Proteste – Ausdruck neu erwachten Partizipationsinteresses oder eines zerfallenden Gemeinwesens? In N. Gestring et al. (Hrsg.), Stadt und soziale Bewegungen (65–81). Wiesbaden: Springer VS.
Przyborski, A., & Wohlrab-Sahr, M. (2010). Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch. (3. Aufl.). München: Oldenbourg Verlag.
R + V (1991 ff.). Die Ängste der Deutschen. https://www.ruv.de/de/presse/r_v_infocenter/studien/aengste-der-deutschen.jsp. Zugegriffen: 29.11.2015.
Rancière, J. (2002). Das Unvernehmen. Philosophie und Politik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Reitz, T., & Draheim, S. (2007). Schattenboxen im Neoliberalismus. Kritik und Perspektiven der deutschen Foucault-Rezeption. In C. Kaindl (Hrsg.), Subjekte im Neoliberalismus (S. 109–121). Marburg: BdWi-Verlag.
Scherr, A. (2014). Kriminalität, innere Sicherheit und soziale Unsicherheit. Sicherheitsdiskurse als Bearbeitung gesellschaftsstrukturell bedingter Ängste. Wiesbaden: Springer VS.
Selle, K. (2013). Über Bürgerbeteiligung hinaus Stadtentwicklung als Gemeinschaftsaufgabe? Analysen und Konzepte. Lemgo: Rohn Verlag.
Siebel, W. (Hrsg.). (2004). Die europäische Stadt. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Siebel, W. (2015). Die Kultur der Stadt. Berlin: Suhrkamp.
Simmel, G. (1992, [1908]). Der Streit. In ders., Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Band 11 der Gesamtausgabe (S. 284–382). Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Terpe, S. (2009). Ungerechtigkeit und Duldung. Die Deutung sozialer Ungleichheit und das Ausbleiben von Protest. Konstanz: UVK.
Tschentscher, A. (2009). Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit. Rationales Entscheiden, Diskursethik und prozedurales Recht. Baden-Baden: Nomos.
Ullrich, P. (2009). Überwachung und Prävention: Oder: das Ende der Kritik. In Leipziger Kamera (Hrsg.), Kontrollverluste: Interventionen gegen Überwachung (S. 57–67). Münster: Unrast.
Van Ooyen, R. Chr. (2006). Community Policing. In H.-J. Lange (Hrsg.), Wörterbuch zur Inneren Sicherheit (S. 44–48), Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Wæver, O. (1995). Securitization and Desecuritization. In R. D. Lipschutz (Hrsg.), On Security (S. 46–86). New York: Columbia University Press.
Wetzel, D. J. (2010). Alterität, Intersubjektivität und Anerkennung – zwischen Theorie und Praxis. In C. Czycholl (Hrsg.), Zwischen Normativität und Normalität. Theorie und Praxis der Anerkennung in interdisziplinärer Perspektive (S. 61–77). Essen: Klartext-Verlag.
Wetzel, D. J., & Claviez, T. (2016). Zur Aktualität von Jacques Rancière. Einleitung in sein Werk. Wiesbaden: Springer VS.
Wurtzbacher, J. (2008). Urbane Sicherheit und Partizipation. Stellenwert und Funktion bürgerschaftlicher Beteiligung an kommunaler Kriminalprävention. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Zoche, P., Kaufmann, S., & Haverkamp, R. (Hrsg.). (2010). Zivile Sicherheit. Gesellschaftliche Dimensionen gegenwärtiger Sicherheitspolitiken. Bielefeld: transcript.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2017 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Bescherer, P., Wetzel, D.J. (2017). Urbane Sicherheit – Gerechtigkeitsansprüche in Theorie und Praxis. Das Beispiel BürgerInnenbeteiligung. In: Frevel, B., Wendekamm, M. (eds) Sicherheitsproduktion zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft. Studien zur Inneren Sicherheit. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13435-8_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-13435-8_2
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-13434-1
Online ISBN: 978-3-658-13435-8
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)