Zusammenfassung
Alle Bürgerinnen und Bürger sind Verbraucher. Somit bilden Verbraucher die größte ökonomisch relevante Gruppe einer Volkswirtschaft. Gleichzeitig sind sie die einzige ökonomisch bedeutende Gruppe, die nicht oder zumindest wenig effektiv organisiert ist. Seit dem Jahrtausendwechsel gab es in Deutschland vermehrt Bestrebungen, Verbraucherpolitik auch wissenschaftlich zu bearbeiten bzw. zu erarbeiten, oder, mit anderen Worten, Verbraucherwissenschaften und Verbraucherforschung als wichtige Grundlage einer modernen Verbraucherpolitik zu begreifen. Ein zentrales Ergebnis der neueren Verbraucherforschung ist, anstatt von DER Verbraucherin oder DEM Verbraucher auszugehen, ein differenziertes Verbraucherverständnis anhand von situationsabhängigen Verhaltensmustern . Eine Erhebung aktueller Forschungsaktivitäten verdeutlicht den Fokus der Verbraucherforschung und der Verbraucherpolitik unter dem Paradigma der Institutionenökonomie und der Behavioral Economics . Als Wachstumsfelder für die zukünftige Verbraucherforschung können „Finanzdienstleistung en“, „Märkte der sozialen Sicherung “ und der „Datenschutz“ sowie die „Digitale Welt “ identifiziert werden.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
Gemeint ist die Special Message to Congress „Promoting the Consumer Interest“ des U.S.-Präsidenten J. F. Kennedy, in der er vier Grundrechte des Verbrauchers einführt (später ergänzt, siehe unten). Vgl. auch Garman 2004, S. 28–29.
- 2.
- 3.
Die Autoren der Studie merken dazu an: „Selbstverständlich wird damit kein Anspruch auf Vollständigkeit oder eine Vollerhebung verbunden. Aufgrund der prinzipiell möglichen personenbezogenen Forschung konnten auch Postdoktoranden, promovierte Mitarbeiter und Vergleichbare antworten. In Einzelfällen wurden auch Einzelaussagen von promovierenden Mitarbeitern zusätzlich zur Instituts- oder Lehrstuhlleitung akzeptiert. Die Erhebung startete im Mai 2011 und wurde um eine Nachfass- und Nacherhebungsphase bis Juli 2011 ergänzt“ (Oehler und Reisch 2012).
- 4.
Die Autoren der Studie merken dazu an: „Es ist nicht überraschend, dass in einem – so die Wahrnehmung der Autoren – bislang fragmentiert vorliegenden, noch nicht durch verfestigte (herrschende) Meinung abschließend definierten Forschungsfeld wie der Verbraucherforschung keine „fertige“ Grundgesamtheit vorliegen kann. Das Ziel der Studie ist es ja gerade, empirisch Strukturen zu eruieren, die sich in der abgelaufenen Dekade gebildet haben (könnten). In diesem Kontext erscheint es den Autoren wichtig, gerade nicht durch sehr einengende Vorabfestlegungen eine Art Eigendefinition der Verbraucherforschung zu initiieren, sondern im explorativen Sinne der empirischen Grundlagenforschung Leitlinien für die empirische Erhebung zu geben und dann mit den gewonnenen Ergebnissen in den akademischen Diskurs zu treten. Im Sinne dieses Vorgehens fällt die im Fragebogen (und in der Publikation in Abschn. 1) als Arbeitsdefinition gegebene Beschreibung eher „weich“ aus. Das Instrument der Mehrfachnennungen erlaubt dabei gerade, von den Befragten mehr Informationen zu erhalten“ (Oehler und Reisch 2012).
- 5.
Vgl. Oehler und Reisch 2012; vgl. auch Oehler und Reisch 2008; Oehler 2010, 2011a. Oehler und Reisch (2012): „Angesichts der Informationsflut und mancher Krisensymptome sind solche Arbeitsschwerpunkte eher zu erwarten. Zudem scheint dies auch in den Kontext der schon länger anhaltenden Diskussion z. B. einer „Ampelkennzeichnung“ im Lebensmittel-Bereich, aber auch der Vielfalt und Glaubwürdigkeit von „Gütesiegeln“ zu passen.“
Literatur
Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). (2012). Konzept für ein Informationssystem Verbraucherforschung (ISyVer) für öffentlich geförderte Verbraucherforschung. Version 1.0, 03.08.2012. Bonn: BLE.
European Commission. (2003). Italian presidency. Informal ministerial meeting on consumer policy. Rome, 21.11.2003.
Garman, T. E. (2004). Consumer economic issues in America. Cincinnati: Thomson.
Leonhäuser, I.-U., Hansen, U., Karg, G., Micklitz, H.-W., Reisch, L., & Wagner, G. (2004). Verbraucherpolitik-Forschung. Diskussionspapier des Wissenschaftlichen Beirats für Verbraucher- und Ernährungspolitik beim Bundesministerium für Verbraucherpolitik, Ernährung und Landwirtschaft. Berlin: BMELV.
Micklitz, H.-W. (2003). The necessity of a new concept for the further development of the consumer law in the EU. German Law Journal, 4, 1043–1064.
Micklitz, H.-W., Oehler, A., Piorkowsky, M.-B., Reisch, L., & Strünck, C. (2010). Der vertrauende, der verletzliche oder der verantwortungsvolle Verbraucher? Plädoyer für eine differenzierte Strategie in der Verbraucherpolitik. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats Verbraucher- und Ernährungspolitik beim BMELV. Berlin: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
North Carolina Cooperative Extension Service. (1991). Consumer rights and responsibilities. Raleigh: North Carolina Cooperative Extension Service.
Oehler, A. (1995). Die Erklärung des Verhaltens privater Anleger – Theoretischer Ansatz und empirische Analysen. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
Oehler, A. (2004). Anlegerschutz in einem markt- und intermediärbasierten System – Eine Analyse im Lichte der Neuen Institutionenökonomik, der Theorie der Finanzintermediation und der Behavioral Economics & Finance (Gutachten für den wissenschaftlichen Beirat für Verbraucher- und Ernährungspolitik beim BMELV). Berlin: BMELV.
Oehler, A. (2005). Verbraucherinformation als Motor des Qualitätswettbewerbs. In vzbv, Verbraucherzentrale Bundesverband (Hrsg.), Wirtschaftsfaktor Verbraucherinformation – Die Bedeutung von Information für funktionierende Märkte (S. 28–50). Berlin: BWV.
Oehler, A. (2006). Zur ganzheitlichen Konzeption des Verbraucherschutzes – eine ökonomische Perspektive. Verbraucher und Recht, 21, 294–300.
Oehler, A. (2010). Behavioral Economics meets Personal Finance: Ein „alter Hut“ in der forschungsgeleiteten Verbraucherpolitik? (Vortrag, Workshop des DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung und der FES Friedrich Ebert Stiftung „Wissenschaft und Politik im Gespräch – Perspektiven forschungsgeleiteter Verbraucherpolitik“). Berlin: DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung.
Oehler, A. (2011a). Behavioral Economics und Verbraucherpolitik: Grundsätzliche Überlegungen und Praxisbeispiele aus dem Bereich Verbraucherfinanzen. BankArchiv, 59, 707–727.
Oehler, A. (2011b). Check Verbraucherpolitik & Verbraucherverhalten: Mehr Realismus, mehr Verbraucherbeteiligung, mehr Unabhängigkeit?! (Parlamentarischer Abend). Berlin: vzbv.
Oehler, A. (2011c). Wie entscheiden Verbraucher und welchen Einfluss haben sie auf den Markt? (Konferenz Verbraucherpolitik). Berlin.
Oehler, A. (2012a). Klar, einfach, verständlich und vergleichbar: Chancen für eine standardisierte Produktinformation für alle Finanzdienstleistungen. Eine empirische Analyse. ZBB Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft, 24, 119–133.
Oehler, A. (2012b). Anbieter- und verbrauchergerechte Beratung und Information. Mehr Anlegerschutz durch standardisierte Beratungsprotokolle und Produktinformationsblätter. Studie im Auftrag des MLR Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden Württemberg, des Sparkassen Verband Baden-Württemberg, des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband e. V. Bamberg.
Oehler, A. (2013a). Neue alte Verbraucherleitbilder: Basis für die Verbraucherbildung? (Vortrag, HaBiFo-Jahrestagung Ethik – Konsum – Verbraucherbildung. Paderborn, Februar 2013). Zugleich erschienen: HiBiFo Haushalt in Bildung und Forschung, 2, 44–60.
Oehler, A. (2013b). Verbraucher und Wirtschaft: Modellwelten oder Realität? Lei d (t) bilder, Mythen und Lösungen. Vortrag, 1. Fachforum des Netzwerks Verbraucherforschung des BMELV „Alternativen zum Informationsparadigma der Verbraucherpolitik“. Zeppelin Universität, Friedrichshafen, Januar 2013. Zugleich erschienen: JVL Journal für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, 8, 234–240.
Oehler, A. (2015a). Good consumer information: The information paradigm at its (dead) end? Invited Talk, Workshop Where is law going if it is not going behavioral? European University Institute (EUI), Florence, Italy, 22./23. January.
Oehler, A. (2015b). Privat vorsorgen: Wohnt jedem Anfang ein Zauber inne? Interdisziplinärer Workshop Private Altersvorsorge. Universität Gießen/Universität Marburg, Schloss Rauischholzhausen, Invited Talk, 25./26. Juni.
Oehler, A., & Kenning, P. (2013). Evidenzbasierung ermöglichen! Auf dem Weg zu einer realitätsnahen und empirisch fundierten Verbraucherpolitik Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats Verbraucher- und Ernährungspolitik beim BMELV. Berlin: BMELV.
Oehler, A., & Reisch, L. A. (2008). Behavioral Economics – eine neue Grundlage für die Verbraucherpolitik? Studie im Auftrag des vzbv. Berlin: vzbv.
Oehler, A., & Reisch, L. A. (2012). Sie lebt! Zur Verbraucherforschung im deutschsprachigen Raum: Eine empirische Analyse. Journal für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, 2012(7), 105–115.
Oehler, A., & Wendt, S. (2016). Good Consumer Information: the Information Paradigm at its (Dead) End?. Journal of Consumer Policy, 40, 2017, forthcoming.
Reisch, L. A. (2003). Verbraucherforschung in Deutschland: Stand und Empfehlungen. Verbraucher und Recht, 18, 479–483.
Reisch, L. A. (2004). Principles and visions of a new consumer policy. Journal of Consumer Policy, 27, 1–42.
Reisch, L. A. (2005). Verbraucherforschung ohne wissenschaftliches Rückgrat: Neue Forschung braucht das Land. Politische Ökologie, 23, 23–25 (Bundesumweltministerium & Umweltbundesamt [Hrsg.]. Werte schöpfen: Ideen für nachhaltiges Konsumieren und Produzieren).
Reisch, L. A. (2011). Stellungnahme zu Fragen des Bundestagsausschusses ELV zu „Moderne verbraucherbezogene Forschung ausbauen“ (BT-Drs. 17/2343). Berlin.
vzbv, Verbraucherzentrale Bundesverband. (Hrsg.). (2005). Verbraucherforschung in Deutschland. Berlin: BWV.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2017 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
About this chapter
Cite this chapter
Oehler, A. (2017). Entwicklungspfade der Verbraucherwissenschaften. In: Kenning, P., Oehler, A., Reisch, L., Grugel, C. (eds) Verbraucherwissenschaften. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10926-4_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-10926-4_2
Published:
Publisher Name: Springer Gabler, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-10925-7
Online ISBN: 978-3-658-10926-4
eBook Packages: Business and Economics (German Language)