Zusammenfassung
Das in Art. 24 BRK enthaltene Recht von Menschen mit Behinderung auf inklusive Schulbildung verlangt eine weitreichende strukturelle und organisatorische Umstellung der Bildungssysteme in den deutschen Bundesländern. Der Begriff Inklusion geht über Integration hinaus und betont die Notwendigkeit der Anpassung des Schulsystems an die Anforderungen einer heterogenen Schülerschaft. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der Beitrag die Herausforderungen und Hindernisse bei der Umsetzung des Rechts auf inklusive Schulbildung. Er zeigt auf, dass sowohl die isolierte Betrachtung der Rechtslage als auch der tatsächlichen Implementationsprozesse für sich zu kurz greifen. Er zeigt die Notwendigkeit einer Verbindung der rechtlichen und empirischen Perspektiven im Rahmen der Implementationsforschung zur BRK auf. Eine entsprechende Verpflichtung zur (menschen-)rechtsgestützten Indikatorenbildung ergibt sich auch aus Art. 31 BRK.
Mit Blick auf standardisierte empirische Erhebungen stellt der Beitrag die verschiedenen rechtlichen Vorgaben des Art. 24 BRK dar. So wird zunächst der in den Anwendungsbereich der Konvention fallende Kreis von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung spezifiziert. Sodann werden unterschiedliche Organisationsformen wie Integrationsklassen, Einzelintegrationsmodelle, Sonder- und Förderklassen sowie Kooperationsklassen auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben der BRK untersucht. Art. 24 Abs. 2 BRK verlangt, dass im Rahmen des inklusiven Unterrichts die ausreichende Unterstützung und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung gewährleistet ist. Daraus folgt, wie dargelegt wird, das Recht auf eine dem Niveau der Förderschule zumindest äquivalente inklusive Förderung. Hierfür ist die Feststellung des individuellen Förderbedarfs wegen einer Behinderung eine notwendige Voraussetzung, womit jedoch Gefahren der Stigmatisierung und Aussonderung einhergehen („Ressourcen-Etikettierungs-Dilemma“).
Des Weiteren zeigt der Beitrag die rechtlichen Anforderungen an das Zugangsverfahren, das Lernumfeld und die sonstigen Kontextbedingungen auf und befasst sich dabei insbesondere mit der Verpflichtung zur Gewährleistung „angemessener Vorkehrungen“. Im Besonderen wird die Unterstützung durch Integrationshelfer thematisiert. Der Beitrag schließt mit einer tabellarischen Darstellung der Anforderungen, die nach Art. 31 BRK im Rahmen empirischer Erhebungen zu berücksichtigen sind.
Abstract
The right to an inclusive education for people with disabilities, specified in Article 24 of the UN Convention on the Rights of Persons with Disabilities, requires a comprehensive structural and organisational remodelling of the education systems of the German Länder. The term ‘inclusion’ implies more than ‘integration’, emphasising the need for the school system to adjust to the demands of a heterogeneous body of pupils. Given this background, the present chapter identifies challenges and obstacles faced in the implementation of the right to inclusive schooling. It demonstrates that an isolated examination whether of the legal framework or the practical implementation process does not of itself suffice. Rather, in researching the implementation of the Convention, it is essential to combine legal and empirical perspectives. Moreover, it follows from Article 31 that the design of research indicators must take account of legal concepts including the rights set out in the Convention.
With a view to developing standardised empirical surveys, the chapter outlines the legal requirements and concepts set out in Article 24 of the Convention. First, it specifies the group of pupils with disabilities who are covered by the Convention. This is followed by an examination of various teaching and organisational forms, such as integrated school classes, individual integration models, special needs classes and systems of cooperation between special needs and regular school classes, assessing their compatibility with Convention requirements. In the context of inclusive education, Article 24(2) of the Convention requires that children and young people with disabilities receive adequate support and assistance. This implies, as the chapter explains, a right to inclusive special needs support at least equivalent to that provided in a special needs school. Provision of this support means that a child’s disability-related special needs requirements have to be determined. However, this carries with it the risk of stigmatisation and segregation (also known as the ‘resources vs. labelling dilemma’).
In addition, the chapter identifies the legal standards that the school admissions process, the learning environment and the other contextual conditions must satisfy. It examines in particular the requirement to provide ‘reasonable accommodation’, highlighting the role of integration assistants. The chapter concludes with a table setting out various features derived from the right to inclusive education for incorporation into empirical surveys in accordance with Article 31 of the Convention.
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