Zusammenfassung
Bisherige koalitionstheoretische Modelle unterstellen als Motivationen der verhandelnden Akteure vor allem Policy- und/oder Ämterorientierung. Hierzu haben Shikano und Linhart (Party Politics 16(1): 111–130, 2010) ein statistisches Modell entwickelt, welches es ermöglicht, die Gewichtung von Policy- und Ämtermotivation von Parteien in Koalitionsbildungsprozessen zu schätzen. Ein überraschendes Ergebnis ihrer Analyse der Koalitionsbildung in den deutschen Bundesländern ist, dass die Sozialdemokraten deutlich stärker ämterorientiert sind, während die Unionsparteien und die Liberalen eine stärkere Policy-Motivation aufweisen. Die Autoren weisen als mögliche Erklärung darauf hin, dass trotz einer Nähe der ideologischen Positionen eher selten große Koalitionen in den Ländern zustande kommen. Auch wenn Shikano und Seibert (Estimating model parameters of coalition formation with policy and office motivation using German federal-state data, 2011) mit einer anderen Datengrundlage vergleichbare Ergebnisse replizieren konnten, bleiben die Gründe für das oben beschriebene Ergebnis offen. Um diese Lücke zu füllen, werden in diesem Papier einige hypothetische Koalitionsbildungsszenarien und die dazugehörigen Daten generiert und überprüft. Durch die Anwendung derselben statistischen Methode auf die generierten Daten werden Mechanismen identifiziert, die eine Schätzung der Gewichtungsparameter zwischen Policy- und Ämtermotivation beeinflussen. Das Ergebnis zeigt, dass es nicht die Häufigkeit der großen Koalition ist, sondern vielmehr die Existenz von sozial-liberalen Koalitionen auf Länderebene, die Einfluss auf die Ämterorientierung der SPD nimmt.
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Notes
- 1.
Das Winning-Kriterium ist im Hinblick auf die hier verwendete Nutzenfunktion von Sened anders definiert als üblich. In diesem Kontext meint winning nicht, dass eine Koalition über die Mehrheit der Parlamentssitze verfügt.
- 2.
Es ist nicht vollkommen korrekt dieses Kriterium als hinreichend zu bezeichnen, da mehr als eine Koalition mit diesem Kriterium vorhergesagt werden könnte. Genauer gesagt befindet sich die Bildung jeder Koalition, die dieses Kriterium erfüllt, im Gleichgewicht, da keine beteiligte Partei einen Anreiz hat, die Koalition zu verlassen und eine andere Koalition zu bilden. Unsere Definition betrifft die Untermenge der minimal gewinnenden Koalitionen, die wir in diesem Paper untersuchen. Bezüglich der gesamten Menge an möglichen Koalitionen würde diese Definition deutlich komplizierter werden und müsste überarbeitet werden.
- 3.
Die Schätzung beider Parameter γ i und β i ist auch via Maximum-Likelihood möglich. Allerdings ist β i zwischen 0 und 1 limitiert. Daher wählten Shikano und Linhart (2010) einen bayesianischen Ansatz, indem eine Beta-Verteilung als Prior für β i gesetzt wurde.
- 4.
Außerdem nimmt Sened an, dass der Nutzen von Oppositionsparteien immer gleich null ist. Diese Annahme basiert darauf, dass diese Parteien keine Ämter innehaben (u i off(C) = 0), sie aber auch nicht durch die Öffentlichkeit für den Policy-Outcome verantwortlich gemacht werden (u i pol(C) = 0). Daher sollten Oppositionsparteien keinen oder nur marginalen Einfluss auf die Policy-Outcomes nehmen können.
- 5.
Genauer messen die Autoren die Positionen der Bundesparteien anhand der Daten des Comparative Manifesto Project (CMP) auf der sozio-ökonomischen und der sozio-kulturellen Dimension (für Details siehe Linhart und Shikano 2009).
- 6.
Die Linke ist hier als fünfte Partei außer Acht gelassen worden, da sie keine allzu entscheidende Rolle innerhalb der Koalitionsbildungsprozesse auf Länderebene im gegebenen Zeitraum zu spielen scheint.
- 7.
Im Durchschnitt erlangten die SPD 34,6 %, die CDU 39,3 %, die Grünen 9,2 % und die FDP 8,4 % der Sitze in den Landtagen zwischen 1990 und 2010.
- 8.
Wenn die linken und rechten Positionen der Parteien ausgetauscht werden, entspricht selbstverständlich „A D“ der schwarz-grünen Koalition. Das heißt, dass die Implikationen der folgenden Ergebnisse bezüglich der sozial-liberalen Koalition auch für die schwarz-grüne Koalition gelten sollen.
- 9.
Konkret werden die folgenden Positionen als Durchschnitt benutzt: A: 0,19; B: 0,89; C: − 1,18; D: 0,55; siehe auch Abb. 2, untere Darstellung. Die Wahrscheinlichkeiten der Koalitionsbildung entsprechen denen in Szenario 5.
- 10.
Ferner kann man bei der Generierung von hypothetischen Koalitionsbildungsprozessen weitere Elemente wie die verschiedene Bedeutung der Ressourcen der ministerialen Ämter für einzelne Parteien berücksichtigen. Dies wäre aber noch ein weiterer Schritt, da dies die Erweiterung des theoretischen Modells bedeutet.
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Shikano, S., Seibert, S. (2014). Was verbirgt sich hinter der ämterorientierten SPD? Numerische Experimente mit der Gewichtung von Policy- und Ämtermotivation bei der Koalitionsbildung. In: Linhart, E., Kittel, B., Bächtiger, A. (eds) Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie. Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie, vol 8. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-05008-5_7
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-05008-5_7
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