Skip to main content

Die empirische Analyse sozialer Probleme

  • Chapter
Empirische Analyse sozialer Probleme

Zusammenfassung

Der zweite Teil des Buches führt systematisch in die Problemanalyse nach dem skizzierten Kokonmodell ein.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 29.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 29.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Notes

  1. 1.

    Bei aktuelleren Problemlagen ist die Rekonstruktion der frühen Definitionsprozesse mittels retrospektiver Interviews prinzipiell noch so lange möglich, wie sich ‚Aktivisten der ersten Stunde‘ identifizieren lassen; wegen der methodischen Problematik solcher rückschauenden Befragungen (vgl. etwa Nassehi 1994) ist es dabei stets sinnvoll,zumindest parallel auch Zeitdokumente (wie etwas Tagebücher) auszuwerten

  2. 2.

    Einen Überblick über verschiedene Ansätze auf diesem Gebiet bieten das „SAGE Handbook of Online Research Methods“ von Fielding, Lee und Blank (2008) sowie das Sammelwerk „SAGE internet research methods“ von Hughes (2012).

  3. 3.

    Ein Weg ist etwa die Rekonstruktion der Thematisierung in Internetquellen, die auf kollaborativer Textarbeit beruhen und dadurch kollektive Meinungsbildungsprozesse widerspiegeln – etwa des zeitlichen Verlaufs der Änderungen der Darstellung eines neuen Problems im Online-Lexikon Wikipedia (zu dieser Quelle generell vgl. Schlieker/Lehmann 2005).

  4. 4.

    Für beides ist nicht entscheidend, ob die Behauptung der eigenen Urheberschaft sachlich richtig ist, sondern nur, dass sie durch die Öffentlichkeit bzw. andere Akteure anerkannt wird.

  5. 5.

    Es liegen allerdings einige Untersuchungen vor, welche die besondere Rolle von Leitmedien als Themensetzer innerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit herausarbeiten. So gibt Wilke (2009) als besondere Merkmale für Leitmedien unter anderen deren publizistische Vorbildsfunktion und ihre Zitierhäufigkeit an. Ähnlich argumentieren Jarren und Vogel (2009), denen zufolge diese Medien von ihren Rezipienten eine besondere Beobachtungs- und Reflexionskompetenz zugeschrieben bekommen.

  6. 6.

    Dokumente, in denen die Internet-Aktivitäten solcher Gruppen abgebildet sind, lassen sich einerseits durch den Einsatz von Suchmaschinen leicht identifizieren und wegen der digitalen Form, in der sie vorliegen, auch problemlos weiterverarbeiten. Andererseits sind sie wegen der extremen Schnelllebigkeit der Netzwerkmedien oftmals von flüchtigem Charakter und werden auch nicht in jedem Fall durch WebArchivierungssysteme erfasst (Details hierzu siehe in den Teilkapiteln 6.4 und 6.5).

  7. 7.

    Auffällig ist, dass die Werteordnung in empirischen Studien meist unreflektiert als zeitstabil vorausgesetzt wird. Aus konstruktionistischer Sicht erscheint die Ausblendung dieser Veränderungsmöglichkeit als Folge einer Art, Denkverbot’. Zumindest im durch das Recht konstituierten Segment der Werteordnung ist die Bedeutung gesellschaftlicher Diskurse so offensichtlich, dass eine Berücksichtigung dieses Moments die objektive Bestimmtheit sozialer Probleme unübersehbar relativieren würde: Was heute als Straftatbestand eine Werteentscheidung der Rechtsordnung realisiert, kann morgen nach einer durch umfangreiche öffentlichen und fachlichen Debatten ausgelösten Strafrechtsreform normativ irrelevant sein.

  8. 8.

    Die konstruktionistische Problemtheorie ist keine allgemeine Gesellschaftstheorie – es wird deshalb bei theoretischen Setzungen von einem impliziten Standardmodell westlich-kapitalistischer Gesellschaften ausgegangen, deren Vorbild stets die USA zu sein scheinen (dies offenbar nur, weil die zentralen theoretischen Beiträge aus jenem Land stammen).

  9. 9.

    Eine ausführliche kritische Darstellung dieses Modells findet sich bei Peters (2002: 25-28).

  10. 10.

    „Die Annahme, daß ein amtlicher Plan und seine Ausführung praktisch ein und dasselbe seien, ist eine Verkennung der Tatsachen. Bei seiner Realisierung wird der Plan auf jeden Fall bis zu einem gewissen Ausmaß und häufig auch zu einem höheren Ausmaß modifiziert, gewendet und neu geformt“ (Blumer 1975: 111).

  11. 11.

    „Die Ausführung des Plans führt zu einem neuen Prozeß kollektiver Definition. Sie schafft das Gerüst für die Bildung neuer Richtlinien für das Handeln auf Seiten derjenigen, die vom sozialen Problem betroffen sind, und derjenigen, die vom Plan berührt werden“ (Blumer 1975: 111).

  12. 12.

    Details des Modells kritisiert Peters (2002: 39-40).

  13. 13.

    Nach Peters (2002: 80-89) bezieht die Figur der.Sachverhalte’ sich entweder auf Zustände oder auf Handlungen – oder eben auf eine Mischung von beidem.

  14. 14.

    Der Verdacht, es könnte hier um die Diskrepanz zwischen ökonomisch-materiellen und immateriellen Notlagen gehen, lässt sich anhand von Haferkamps Text weder bestätigen noch zurückweisen.

  15. 15.

    Bis zu diesem Punkt würde wohl auch Merton der Aussage zustimmen, für den Probleme ja nur insofern.soziale’ genannt werden dürfen, als sie gesellschaftliche Ursachen haben (vgl. Merton 1975: 116-117).

  16. 16.

    Zum Moralisieren als Diskursstrategie vgl. Teilkapitel 5.1.

  17. 17.

    Hier bietet sich nicht nur eine Analyse von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln, sondern auch die von Fernsehsendungen zum entsprechenden Thema an; dabei ist zu berücksichtigen, dass das lebensweltliche Wissen über soziale Probleme nicht nur in dokumentarischen, sondern – oftmals sogar wirkungsmächtiger – auch in fiktionalen bzw. hybriden Formaten transportiert wird (mehr dazu in Teilkapitel 6.2).

  18. 18.

    Die durch direkte Kommunikation (etwa bei Fachkongressen) vermittelten Wissensbestände müssen hier ausgeklammert werden, weil sie für die spätere Rekonstruktion ohnehin nur dann zur Verfügung stehen, wenn sie ihren Niederschlag in entsprechenden Veröffentlichungen gefunden haben.

  19. 19.

    Um die für die Komparatistik geeigneten Fragen zu finden, wird es in der Regel nötig sein, vor Beginn der Rekonstruktion der konsensualen Sachverhalte das der Problemdeutung unterliegende Problemmuster zumindest in groben Zügen zu rekonstruieren – entsprechend sollte die Reihenfolge der praktischen Analyseschritte gewählt werden.

  20. 20.

    „Öffentlichkeit ist in liberaldemokratischen Gesellschaften (…) ein Konkurrenzsystem in dem Sinne, daß Akteure, die spezifische Themen und Meinungen als öffentliche Themen definieren wollen, meist nicht allein und nicht unangefochten bleiben (…). Meist gibt es Protagonisten, die einen anderen Standpunkt vertreten und mit möglicherweise eindrucksvollen Argumenten die Priorität anderer Themen oder zum gleichen Thema das Gegenteil behaupten“ (Gerhards/Neidhardt 1991: 76– vgl. Leisering 1993: 489).

  21. 21.

    Gegendeutungen können auch in Form von.sozialen Problemen zweiten Grades’ auftreten, bei denen soziale Gegenbewegungen (vgl. Rucht 1991: 11) die Problematisierungen anderer Akteure ihrerseits problematisieren. Sie behaupten etwa, das wirkliche Problem sei nicht die große Verbreitung von Übergewichtigkeit unter Schulkindern, sondern die gesellschaftliche Diskriminierung von Menschen, die sich dem.allgemeinen Schlankheitswahn’ widersetzen – oder auch, dass die Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung sozial viel gefährlicher sei als die Kriminalität selbst. Probleme zweiten Grades folgen ähnlichen Karrierepfaden und bedienen sich derselben Diskursstrategien, wie die Problemwahrnehmungen, auf die sie antworten.

  22. 22.

    Dies ist auch der Grund, warum es für einen Akteur, der kein Interesse an einer bestimmten Problematisierung hat, meist sinnvoller ist, frühzeitig im Rahmen eines „Non-Agenda-Setting“ die öffentliche Thematisierung selbst zu torpedieren, als zu einem späteren Zeitpunkt einen Gegendiskurs zu initiieren (vgl. Strünck 2006).

  23. 23.

    Hier wird auch eine Grundannahme der konstruktionistischen Wissenssoziologie ganz praktisch verdeutlicht: Wissenschaftliches Wissen geht dem alltagsweltlichen Wissen nicht voraus, sondern schließt an dieses an. „Die Bedeutung theoretischen Denkens in Gesellschaft und Geschichte allzu wichtig zu nehmen, ist ein begreiflicher Fehler der Theoretiker“ (Berger/Luckmann 1991: 16).

  24. 24.

    Dies kann etwa daran liegen, dass eine bestimmte Problemdeutung Teil der dominierenden Weltanschauung einer Gesellschaft ist – wir finden solche Verknüpfungen etwa beim Hexenmuster zu Beginn der Neuzeit oder in Bezug auf die so genannte, Rassenhygiene’ im Dritten Reich. Hier sind Problemwahrnehmungen so eng mit grundlegenden Wirklichkeitsannahmen verknüpft, dass sie nur gemeinsam mit der vorherrschenden Weltanschauung, in die sie eingebunden sind, kritisiert und delegitimiert werden konnten. Eine absolute und fraglose Geltung einer Problemwahrnehmung ist stets das Ergebnis einer außergewöhnlichen Passung von Problemmuster und bereits gesellschaftlich anerkannten Wissensbeständen, die von handlungsmächtigen kollektiven Akteuren genutzt wird.

  25. 25.

    Ein empirisches Beispiel für ein solches Vorgehen findet sich bei Schetsche (1993: 127203). Dort konnte die Rekonstruktion der Vorgeschichte des in den neunziger Jahren gesellschaftlich hegemonialen Problemdiskurses zum.sexuellen Kindesmissbrauch’ die Existenz von zwei historisch aufeinander folgenden Problemdeutungen mit einem äußerst marginalen konsensualen Sachverhalt nachweisen – was in der Konsequenz zu einer wechselseitigen Relativierung des von den beiden konkurrierenden Problemdeutungen gezeichneten Bildes der sozialen Wirklichkeit führte.

  26. 26.

    Eine Repräsentativbefragung des Meinungsforschungsinstituts Emnid im Auftrag der Zeitschrift „Reader’s Digest“ zeigte, dass Ende 2006 zwar vierzig Prozent der Deutschen an intelligentes Leben außerhalb der Erde glaubten, jedoch nur 15% der Meinung waren, dass die Erde bereits Besuch von solchen, Aliens’ erhalten hat – nach der angenommenen Glaubwürdigkeit der UFO-Entführungsberichte wurde allerdings nicht gefragt (vgl. Kochanek 2007).

  27. 27.

    Einen in dieser Hinsicht ähnlichen Fall untersucht die Beispielanalyse zum „satanisch-rituellen Missbrauch“ im III. Teil dieses Buches.

  28. 28.

    Auf diese Limitierung des Begriffs soziale Probleme hatte bereits Merton (1975) deutlich hingewiesen.

  29. 29.

    Problemopfer bilden in diesem Verständnis eher eine passive Gruppe von, nur Betroffenen’, die mit der Entstehung des Phänomens.soziales Problem’ selbst nichts zu tun haben.

  30. 30.

    Ein Überblick über verschiedene Typologien der Problemakteure bei konstruktionistischen Ansätzen findet sich bei Sidler (1999: 115-117).

  31. 31.

    Bei der Betrachtung der Karriere sozialer Probleme sind zwei weitere Typen von ‚Akteuren‘zu berücksichtigen, die jedoch eher den Status von gesellschaftlichen Institutionen bzw. Instanzen haben, und deshalb gesondert betrachtet werden müssen:Massenmedien stellen gleichzeitig einen Akteur mit spezifischen Eigeninteressen und eine Klasse von Thematisierungsmedien dar (ihre spezifische Rolle wird im Kapitel 6 behandelt). Die unterschiedlichen Einrichtungen des Sozialstaates (unter diesem generellen Label sind staatliche Instanzen sinnvollerweise immer dann zu fassen, wenn sie im Bereich sozialer Probleme tätig sind) werden von anderen Akteuren adressiert, wenn es um die Bekämpfung von Notlagen geht – sie haben aber (wie im Kapitel 7 zu diskutieren ist) ganz eigene Interessen, was die Anerkennung sozialer Probleme und den fortgesetzten Umgang mit diesen angeht.

  32. 32.

    Diese Personen können sich sehr wohl an den gesellschaftlichen Debatten über das sie (vermeintlich) betreffende soziale Problem im Kontext gesellschaftlicher Gegendiskurse beteiligen, etwa in Form von Kampagnen zur Legalisierung bestimmter Drogen – in diesem Kontext können sie sich auch als Opfer staatlicher Drogenpolitik ansehen. Solch ein Opferstatus zweiten Grades ist hier jedoch nicht das Thema.

  33. 33.

    Sidler (1999: 200-201) und Groenemeyer/Hohage/Ratzka (2012: 135-136) liefern einige Begründungen, warum Betroffene eher selten zu den ersten Problematisierern gehören.

  34. 34.

    Ein weiteres Motiv für das advokatorische Engagement kann beim Einzelnen, aber auch bei bestimmten beruflichen Gruppen – namentlich jenen, „die ihre Tätigkeit noch nicht in einem nachfrageunabhängigen Amt institutionalisieren“ konnten (Giesen 1983: 234) – der Wunsch nach öffentlicher Aufmerksamkeit für die eigene Person oder die eigene Berufsgruppe sein.

  35. 35.

    In letzterer Hinsicht verhalten Advokaten sich wie die Gruppe von Soziologen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, latente in manifeste Probleme zu überführen. Der Unterschied zwischen diesen Problemsoziologen auf der einen und den Advokaten auf der anderen Seite besteht allerdings darin, dass erstere rollenwidrig, letztere jedoch rollengemäß im Modus der Parteilichkeit handeln.

  36. 36.

    Bei Scheerer (1986: 147-148) findet sich auch eine eingängige Definition dieser besonderen Gruppe von Akteuren.

  37. 37.

    Angemessen und sinnvoll ist die Verwendung des Begriffs sicherlich dort, wo Akteure ihr eigenes Moralsystem für gesellschaftlich verbindlich erklären und gleichzeitig verlangen, dass staatliche Instanzen dessen Einhaltung mit allen Mitteln (einschließlich denen des Strafrechts) sicherstellen; ein Beispiel hierfür geben Sack und Schlepper (2011) in ihrem Beitrag über Problemakteure im Bereich des Sexualstrafrechts.

  38. 38.

    Nach H. P. Peters (1994: 167) ist deren Status durch drei Kriterien bestimmt: „1. Verfügung über wissenschaftliches Sonderwissen, 2. Bereitstellung des Sonderwissens im Rahmen von Experte-Klient-Verhältnis und 3. Anwendung dieses Wissens zur Diagnose und Bewältigung von praktischen (nicht-wissenschaftlichen) Problemen“.

  39. 39.

    Ausgeschlossen vom Expertenstatus in dem hier gemeinten Sinne sind hingegen Personen, die sich, ohne eine systematische Ausbildung bzw. wissenschaftliche Kompetenz zu besitzen, in einem konkreten Problemfeld engagiert und in die hier anstehenden grundsätzlichen Fragen mehr oder weniger gut.eingearbeitet’ haben (vgl. H. P. Peters 1994: 167). Einen vermeintlichen Expertenstatus erhalten diese Individuen durch Selbstzuschreibung oder durch eine entsprechende Adressierung in den Massenmedien. Auch wenn einzelne dieser Personen große Kompetenz bezüglich des von ihnen bearbeiteten singulären Problems besitzen, sollten sie – aus grundsätzlichen Überlegungen zum Verhältnis zwischen Experten- und Laienstatus im Kontext gesellschaftlicher Wissensproduktion – analytisch besser dem Bereich der Advokaten oder Bewegungsprofessionellen (s. u.) zugeordnet werden.

  40. 40.

    Wenn es einer Profession gelingt, eine gesellschaftlich anerkannte Monopolstellung in der Zuständigkeit für die Bekämpfung eines Problems zu erreichen, wird dieses zu einer Art „Eigentum“ der betreffenden Disziplin (vgl. Gusfield 1989: 433).

  41. 41.

    Diese generelle Feststellung schließt keineswegs ein individuelles Engagement eines Experten zur Bekämpfung einer Problemlage aus, das advokatorische Züge annimmt. Ein solche Rollenvermischung birgt jedoch (aus den in Teil I, Kapitel 1 diskutieren Gründen) für den Wissenschaftler das Risiko, des eigenen Expertenstatus verlustig zu gehen. Für die Praktiker unter den Experten besteht diese Gefahr weniger, weil außergewöhnlicher Einsatz für die Klientel vom beruflichen Umfeld in den meisten Fällen positiv vermerkt und nur in Grenzfällen als.mangelnde professionelle Distanz’ negativ beurteilt wird. Dies ist auch der Grund, warum sich bei vielen Einzelproblemen in der Gruppe der Advokaten Personen mit einem beruflichen Expertenstatus finden (namentlich Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, neuerdings oftmals aber auch Psychologen und Psychotherapeuten).

  42. 42.

    Damit ist ein zentraler Unterschied zur Rolle der Advokaten formuliert, bei denen zwar auch diverse Eigeninteressen konstatiert werden können (etwa emotionale, soziale oder mediale Gratifikationen), deren Bestrebungen hinsichtlich der bekämpften Problemlagen in aller Regel aber als primär durch den Wunsch zur Linderung von Not motiviert angesehen werden müssen. Es kommt hinzu, dass die Rolle von Advokaten in den gesellschaftlichen Debatten über soziale Probleme deutungsstrukturell festgeschrieben ist: sie (be-)fördern Problematisierungen. Im Gegensatz dazu kann die Rolle von Experten durchaus vielfältiger, gelegentlich auch ambivalent sein; gerade wissenschaftliche Experten im engeren Sinne können ebenso auf Seiten der Problematisierer zu finden sein, wie unter den Akteuren, die einen Gegendiskurs führen.

  43. 43.

    „Soziale Probleme sind offenbar nicht unbedingt dazu da, gelöst zu werden, und politische Maßnahmen können durchaus andere Funktionen erfüllen oder Ziele verfolgen, als ihre Programmatik in Bezug auf die Bearbeitung sozialer Probleme angibt […] Gerade in Zeiten knapper Ressourcen und einer Überlastung des politischen Systems mit Ansprüchen wird die Beeinflussung der Deutungsmuster sozialer Probleme zu einer entscheidenden Ressource für die Erhaltung von Handlungsfähigkeit. Die Art der Definition eines sozialen Problems kann also selbst zu einem Objekt strategischer Politik werden“ (Groenemeyer 1999: 130).

  44. 44.

    Personen oder Gruppen mit entsprechenden Motiven werden gelegentlich im Kontext des Moralunternehmertums (siehe oben den Abschnitt über den Typus des Advokaten) einer kritischen Betrachtung unterzogen (vgl. Groenemeyer/Hohage/Ratzka 2012: 180-182).

  45. 45.

    Abhilfe oder wenigstens die Linderung von Not muss im Rahmen der bestehenden Sozialordnung möglich sein (vgl. Teil I, Kapitel 7).

  46. 46.

    Ein typisches Beispiel der achtziger und neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ist die Interpretation (und Erklärung) der primär durch Sexualkontakte und den Konsum, harter Drogen’ übertragenen HIV-Infektion als, Strafe Gottes für die Lasterhaftigkeit der Menschen’ (vgl. hierzu Stürmer/Salewski 2009: 270).

  47. 47.

    Auch wenn die geschilderte religiöse Nutzung von Problemwahrnehmungen analytisch wie ethisch-politisch vom religiös motivierten Engagement für deklarierte Problemopfer (wir finden dies häufig beim Typus des Advokaten) unterschieden werden muss, bleibt eine gewisse Ambivalenz zwischen altruistischen und strategischins trumentellen Motiven religiös orientierter Akteure doch bestehen. Zumindest immer dann, wenn das Engagement für Problemopfer nicht im Stillen geschieht, sondern auf öffentliche Resonanz angelegt ist, weist es über den Einsatz des Einzelnen hinaus und soll den vorbildlichen Charakter aller Anhänger des betreffenden Glaubenssystems und damit auch dessen moralische Hochwertigkeit vor den Augen der Welt belegen.

  48. 48.

    Nach der bis heute immer wieder zitierten Arbeit von Raschke (1988: 77) ist eine soziale Bewegung „ein mobilisierender kollektiver Akteur, der mit einer gewissen Kontinuität auf der Grundlage hoher symbolischer Integration und geringer Rollenspezifikation mittels variabler Organisations- und Aktionsformen das Ziel verfolgt, grundlegenderen sozialen Wandel herbeizuführen, zu verhindern oder rückgängig zu machen.“ Ausgangspunkt der Aktivitäten soll dabei jeweils die „strukturell verursachte Unzufriedenheit von Großgruppen“ sein (S. 117), primäres Ziel der „Protest gegen bestehende soziale Verhältnisse“ (Rammstedt 1978: 132).

  49. 49.

    Dies trifft etwa auf verschiedene Initiativen zum Umweltschutz zu, die sich in den 1960er Jahren zunächst für Erhaltung von lokalen Landschaften einsetzten und seither Themen wie die Erhaltung natürlicher Ressourcen, Kritik am wirtschaftlichen Wachstumsdenken und die globale Klimaproblematik aufgegriffen haben (vgl. Brand 2008: 224-230).

  50. 50.

    Weber (1980: 2) schränkt ein, dass ein solches „rationales Motivationsverstehen“ nur bei „rational orientiertem Zweckhandeln“ mit einem „Höchstmaß von Evidenz“ gelingen kann.

  51. 51.

    Solche Schemata werden im folgenden Kapitel 4 in Form problembezogener kollektiver Deutungsmuster näher zu untersuchen sein.

  52. 52.

    Die Deutung basiert dabei auf der – sozial evaluierten – Annahme, dass der beobachtete Handelnde den gleichen sozialen Deutungsschemata folgt wie der Beobachter, letzterer also jene Handlung aus eben den Motiven vollziehen würde, wenn er an Stelle des Handelnden wäre. Diese Einschränkung ist notwendig, weil Deutungsschemata durchaus unterschiedliche soziale Rollen kennen.

  53. 53.

    Bezeichnung in der Spieltheorie für Konkurrenzsituationen, in denen das begehrte Gut nicht vermehrbar ist: alles was ein Akteur gewinnt, muss ein anderer verlieren (für einen Überblick vgl. Holler/Illing 2006: passim).

  54. 54.

    Anders sieht die Situation hingegen bei abnehmender öffentlicher Aufmerksamkeit für ein Thema aus. Hier kann es zu Streit darüber kommen, wer, für ein bestimmtes Problem’ spricht (ein Betroffener, ein Experte, ein politischer Problemnutzer), wenn Medien sich, wegen der nun geringeren Bedeutung des Themas, auf einen einzigen Sprecher konzentrieren und eben nicht viele Stimmen konzertiert zu Wort kommen lassen.

  55. 55.

    Da ökonomischer Einfluss weitgehend unabhängig von der Thematisierung sozialer Probleme verteilt wird, ist hier primär an politische Macht im engeren Sinne zu denken, wie sie in demokratisch verfassten Gesellschaften durch Wahlen vergeben wird. Da diese Macht nicht nur eine auf Zeit ist, sondern auch im unmittelbaren Kontext öffentlich verhandelter Themen vergeben wird, können soziale Probleme in den entsprechenden politischen Meinungs- und Willensbildungsprozessen eine erhebliche Rolle spielen.

  56. 56.

    „Wissen über die Gesellschaft ist demnach Verwirklichung im doppelten Sinne des Wortes: Erfassen der objektivierten gesellschaftlichen Wirklichkeit und das ständige Produzieren eben dieser Wirklichkeit in einem“ (Berger/Luckmann 1991: 71).

  57. 57.

    Als, Wissen’ werden hier alle Annahmen, Interpretationen, Überzeugungen verstanden, die von handelnden Subjekten (hier Akteuren einer Problemwahrnehmung) für wahr gehalten werden, also sozial als Wirklichkeitswissen gelten (vgl. Knoblauch 2005: 156). Dies ist unabhängig davon, welcher Realitätsstatus diesem Wissen aus Sicht der Soziologie oder anderer wissenschaftlicher Disziplinen zukommt.

  58. 58.

    Im englischsprachigen Raum wird meist der Begrif, frames’ verwendet.

  59. 59.

    „In Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen heuristischen Deutungsmusterkonzept [Oevermanns] soll eine Theorie sozialer Deutungsmuster formuliert werden, die als tragfähiges theoretisches Fundament für die zukünftige empirische Analyse sozialer Wissensbestände und ihrer kollektiven Anwendung dienen kann. Die vorgenommene wissenssoziologische Rekonfiguration impliziert gleichzeitig einen Perspektivenwechsel:,Deutungsmuster’ wird von uns nicht als subjektorientiertes Schematakonzept, sondern als Formkategorie sozialen Wissens verstanden“ (Plaß/ Schetsche 2001: 512). Einen systematischen Vergleich dieser theoretischen Neuformulierung mit dem ursprünglichen Konzept Oevermanns liefert Kassner (2003).

  60. 60.

    Die gilt generell für jedes öffentliche Thema: „Damit ein Thema zu einem öffentlich diskutierten Thema werden kann, braucht man einen Begriff, der den Gegenstandsbereich bezeichnet, um den es geht. Nicht jeder Begriff zur Bezeichnung eines Gegenstands ist gut geeignet. Läßt sich ein komplexer Sachverhalt begrifflich entdifferenzieren (…), dann läßt sich leichter darüber kommunizieren: Rentenlüge, Natodoppelbeschluß, AKW sind Kürzel für einen weit über das Kürzel selbst hinausweisenden Zusammenhang, die einen komplexen Sachverhalt auf einen begrifflichen Punkt bringen, Aufmerksamkeit konzentrieren und damit eine Kommunikation über das Thema vereinfachen“ (Gerhards 1992: 310).

  61. 61.

    Wenn eine Situation keine Wahrnehmungspriorität erhält, wird sie schlicht ignoriert – dies wird in vielen Fällen ein un- oder halbbewusster Vorgang bleiben (vgl. Esser 1996: 13).

  62. 62.

    Dieser lebensweltliche Sprachgebrauch nimmt in intuitiver Weise eine sozialkonstruktivistische Erkenntnis vorweg: Die Ergebnisse ihres eigenen Handelns treten Menschen oftmals in Formen („Objektivationen“ bei Berger und Luckmann) entgegen, die Sozialbeziehungen wie objektive Sachverhalte erscheinen lassen.

  63. 63.

    Dies ist der Grund, aus dem etwa der Konsum von Marihuana im Alltag so wenig Beachtung findet, obwohl er von staatlichen und manchen gesellschaftlichen Instanzen als soziales Problem gehandelt wird: selbst Nichtkonsumenten sind sich vielfach unsicher, worin hier genau der Verstoß gegen die gesellschaftliche Werteordnung bestehen soll.

  64. 64.

    Die vergleichende Analyse von Problemwahrnehmungen zeigt auch, dass durch eine Problematisierung nicht nur ein Bezug auf die Werteordnung hergestellt werden kann, sondern die entsprechenden Werte in manchen Fällen (und zwar unabhängig davon, ob das politisch-administrative System selbst als primärer Akteur auftritt) durch die Problematisierung überhaupt erst in die gesellschaftliche Debatte eingeführt und zur staatlichen Anerkennung gebracht werden. Soziale Probleme beziehen sich also nicht nur auf die gesellschaftliche Werteordnung; als diskursive politische Phänomene beeinflussen sie diese oftmals auch – etwa indem Moralurteile einzelner gesellschaftlicher Gruppen mittels einer Problematisierung in allgemeingültige Rechtsnormen verwandelt werden (die dann wiederum, verallgemeinert zu Rechtsgütern, Bestandteil der staatlich garantierten Werteordnung werden).

  65. 65.

    Ein gutes Beispiel für diesen Zusammenhang stellen die Vorschläge zur Bekämpfung des Problems.kindliche Onanie’ zwischen dem 17. und dem frühen 20. Jahrhundert dar: Je nach Professionen der dominierenden Akteure wurden jeweils medizinische, pädagogische und psychologische Bekämpfungsstrategien favorisiert (vgl. Schmidt/ Schetsche 1996).

  66. 66.

    „Affektauslöser steuern den Aufbau der Emotionen, die der Träger der Deutung regelmäßig mit der Situation verbindet. Ihre Aktivierung verläuft parallel zum Aufruf des Situationsmodells und zum Setzen der Prioritätsattribute. Mit letzteren ist der Affektauslöser systematisch verknüpft: Gemeinsam motivieren sie das Subjekt dazu, gemäß der Handlungsanleitung tätig zu werden und dabei auch negative Nebenfolgen der Handlung in Kauf zu nehmen…“ (Schetsche 2000: 134).

  67. 67.

    Hier ist etwa an den immensen Aufwand von Zeit und anderen Ressourcen zu denken, den gerade viele Advokaten, ohne unmittelbar sichtbare Gratifikationen, über zum Teil lange Zeiträume zu erbringen bereit sind. Mitleid und Empörung können starke Handlungsmotive sein.

  68. 68.

    Was nun, affektive Bestandteile’ heißt, wurde damals, Affektauslöser’ genannt, der angesprochene, Bewertungsmaßstab’ ist weitgehend identisch mit der, Bewertung’; das Hintergrundwissen das hier als Teil der Problembeschreibung angesprochen ist, ist dort gesondert behandelt;,Prioritätsattribute’ sind nun Teil des, Erkennungsschemas’ (vgl. Schetsche 2000: 130-131).

  69. 69.

    Ein gutes Beispiel hierfür ist das soziale Problem der sexuellen Gewalt gegen Kinder, das im deutschsprachigen Raum nach dem zweiten Weltkrieg mittels zweier alternativer Problemmuster konstituiert wurde, die jedoch nur in einem schmalen Zeitfenster in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts tatsächlich um Anerkennung konkurrierten. Das Problemmuster, Triebverbrechen’ und das Problemmuster.Missbrauch’ wiesen signifikante Unterschiede hinsichtlich der Problemursachen, der Konturierung der jeweils Schuldigen, der Situationsdefinitionen und entsprechend auch der generellen Bekämpfungsvorschläge und konkreten Handlungsanleitungen auf (vgl. Schetsche 1996: 192-203). In anderen Fällen wird eine Unterscheidung nicht so einfach sein – letztlich ist es dann am Sozialforscher zu entscheiden, ob seine Rekonstruktion auf eine oder mehrere Problemmuster rekurriert.

  70. 70.

    Gegendiskurse dieser Art können sich zu, sozialen Problemen zweiten Grades’ entwickeln, wenn die Akteure behaupten, dass das, wirkliche Problem’ die gesellschaftliche Bekämpfung des vermeintlichen Problems wäre; also etwa die in der Bevölkerung zur Prävention erzeugte Kriminalitätsfurcht viel gefährlicher sei als die Kriminalität selbst.

  71. 71.

    Auszunehmen hiervon sind soziale Bewegungen, deren Subakteure ein Problem durchaus auch aufgrund unterschiedlicher Problemdeutungen bekämpfen können, solange sich nur die aktuellen Handlungsziele im Großen und Ganzen decken – hierin liegt auch der Grund für eine gewisse Instabilität dieses Akteurstypus. Ein aktuelles Beispiel sind hierfür die verschiedenen Gruppierungen, die – zum Teil parteiübergreifend – gegen das Bauprojekt, Stuttgart 21’ demonstriert haben, vgl. Baumgarten/ Rucht (2013: 113-114).

  72. 72.

    Aus psychologischer Sicht werden durch Diskursstrategien Affekte erzeugt und an das Problemmuster und seine Handlungsanleitungen gebunden. Ein Abweichen von deren, Geboten’ wird dann beim Subjekt ebenso Schuldgefühle erzeugen, wie es Empörung auslöst, wenn Dritte dem Problem nicht mit entsprechender Wahrnehmungsund Handlungspriorität begegnen.

  73. 73.

    Die genannten Beispiele stehen exemplarisch für eine Vielzahl von Strategien, mit denen soziale Probleme zugerichtet werden, um maximale Aufmerksamkeit zu erzielen.

  74. 74.

    Schetsche (1996: 89-90) spricht in diesem Zusammenhang von einer „Magie der großen Zahl“.

  75. 75.

    Konkret geschah die Manipulation dadurch, dass die Expertenschätzungen für die Hellfeld-Dunkelfeld-Relation aus dem Bereich der intrafamilialen Kontakte auf die Gesamtzahl der angezeigten Fälle sexuellen Missbrauchs angewendet wurde, obwohl dort, statistisch gesehen, die extrafamilialen Taten dominieren, bei denen von einem deutlich kleineren Dunkelfeld ausgegangen wurde – Ergebnis war eine um das Vierbis Fünffache überhöhte Dunkelfeldschätzung (vgl. Schetsche 1993: 296-298).

  76. 76.

    Siehe dazu ausführlich Kapitel 6.2

  77. 77.

    „So sind z. B. bestimmte Kategorien sozialer Probleme automatisch’ mit affektiven Reaktionen einer Empörung oder Ablehnung gekoppelt, noch bevor eine kognitive Reaktion möglicherweise zu einer anderen Bewertung der Situation kommt“ (Groenemeyer 1999: 119).

  78. 78.

    Gemeinsam werden diese ersten beiden Strategien in der Literatur oftmals unter dem Stichwort, Dramatisierung’ zusammengefasst (vgl. Hilgartner/Bosk 1988: 6; Neidhardt/Rucht 1993: 307).

  79. 79.

    Durch die Einbindung von Alltagsmythen in die Problematisierungen erhalten deren Problemmuster genau genommen nicht nur einen besonderen (abgeleiteten) Wirklichkeitsstatus, sondern sie demonstrieren gleichzeitig auch ihre Passung an nicht nur allgemein anerkannte, sondern sogar sozial unhinterfragbare Wissensbestände, was ihnen zusätzliche Legitimität verleiht.

  80. 80.

    Ein weiteres gutes Beispiel ist der Verbrecher-Mythos, der sich in praktisch allen Problemen findet, in denen es um strafrechtlich relevante Handlungen geht; dieser Mythos konstruiert das Bild eines Täters, der ein abstraktes Prinzip des Ur-Bösen zu personifizieren scheint (vgl. Strasser 1984: 10).

  81. 81.

    Vgl. exemplarisch die Monografien von Müller 1968 und Nuissl 1975.

  82. 82.

    Die Analyse der Karrieren verschiedenster sozialer Probleme zeigt, dass Problemwahrnehmungen sich ohne Diskursstrategien der geschilderten Art öffentlich nicht durchsetzen können – entsprechend könnte der Mangel an solchen Techniken auch erklären, warum manche Problematisierungen gesellschaftlich erfolglos bleiben.

  83. 83.

    Willy Viehöver (2008: 234) versteht Diskurse als Narrationen, die durch bestimmte erzählungstypischen Elemente strukturiert werden. Er versucht zu erklären, warum sich die Theorie der durch Menschen verursachten Treibhauskatastrophe gegen andere Prognosen zum Klimawandel durchgesetzt hat. Um einen institutionellen Erfolg zu haben, müssten alle Narrationen – auch die von wissenschaftlicher Seite – „erstens das Problem kommunikabel machen, indem sie einen konsistenten und kohärenten plot entfalte[n], der eine Konfliktstruktur […] sowie eine dramatische Handlungsund Zeitstruktur umfasst und hinreichend offen ist, um neue Ereignisse in einer mit der Grundaussage der Narration konsistenten Weise einzubinden. Zweitens muss der plot und entsprechende rhetorische Figuren [.] an das kulturelle Repertoire der anvisierten Rezipienten anschlussfähig sein und drittens hängt die institutionelle Resonanz auch von der Passung zwischen themenspezifischen Narrationen und den allgemeineren vorherrschenden meta-kulturellen Codes oder Narrationen (z. B. environmentalism) ab“ (S. 259-260, Hervorhebungen im Original).

  84. 84.

    Es kommt hinzu, dass Strategien wie jene des Moralisierens innerhalb einer Fachdisziplin ebenso wirksam sind wie in der allgemeinen Öffentlichkeit: Wer einer Problemwahrnehmung widerspricht, muss nicht nur (wegen des Verstoßes gegen die Interessen der eigenen Profession) den Verlust von Ansehen im Kollegenkreis, sondern eben auch moralische Empörung und die ihr folgende soziale Ausgrenzung fürchten.

  85. 85.

    Meckel und Kamps (2006: 55) sprechen in diesem Zusammenhang explizit von einer „Kommerzialisierung öffentlicher Kommunikation“.

  86. 86.

    Diese Aussage relativierende Daten finden sich bei Lucht (2006: 230-235).

  87. 87.

    Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk nimmt die Bedeutung solche Einnahmen immer mehr gegenüber den Erlösen aus den Gebühren zu, die alle Haushalte der Bundesrepublik zu entrichten gezwungen sind (vgl. Meyn 1994: 170; Lindschau 2007: 135); die primäre Bedeutung der Werbeeinnahmen besteht hier darin, dass sie – im Gegensatz zu den staatlich garantierten Einnahmen – in ihrer Höhe durch redaktionelle Aktivitäten mitbestimmt werden können, die wie beim privaten Rundfunk auf die Erhöhung der Einschaltquoten gerichtet sind.

  88. 88.

    Flusser (2003: 48) untersucht diesen Zusammenhang als „Synchronisation von Massenmedien und Konsensus“.

  89. 89.

    Eine statistisch-formale Untersuchung der Konjunkturverläufe von Themen in den Massenmedien findet sich bei Kolb (2005: passim); er unterscheidet aufgrund empirischer Untersuchungen und methodischer Diskussionen fünf Phasen einer medialen Themenkonjunktur: Latenzphase, Aufschwungphase, Etablierungsphase, Abschwungphase, Marginalisierungsphase (S. 301-302).

  90. 90.

    Hier wird meist angenommen, dass die in der klassischen Medieninhaltsforschung als, Sex-and-Crime’ zusammengefassten Themen besondere Aufmerksamkeit finden (vgl. Gusfield 1989: 433; Krüger 1995: 86).

  91. 91.

    Bei anderen Problemen wird der Visualisierbarkeit durch ethische Überlegungen oder gar staatliche Normen enge Grenzen gesetzt – beispielsweise bei Darstellungen zum Problem der, Kinderpornographie’.

  92. 92.

    Besonderer Vorteile in der Darstellung haben hier Probleme, von denen nicht nur (von der Sache her) jederzeit eine Person des persönlichen Umfelds betroffen sein könnte, sondern bei der sich aufgrund der angenommenen großen Verbreitung des Phänomens auch mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich bereits selbstdeklarierte Problemopfer in diesem Kreis finden (in der heutigen Zeit etwa Problemwahrnehmungen, in denen es um Essstörungen geht).

  93. 93.

    Es ist zu fragen, ob die im 20. Jahrhundert für die meisten Medien konstitutive Trennung in dokumentarische und fiktionale Inhalte heute in dieser Form noch gültig ist (vgl. dazu bereits Gusfield 1989: 344 und Roegele 1989: 14) – dem kann an dieser Stelle aber nicht nachgegangen werden.

  94. 94.

    Nur in Ausnahmefällen gelingt es einem fiktionalen Format (etwa einem Kinofilm) die breite Öffentlichkeit auf ein soziales Problem hinzuweisen, das vorher dort so noch gar nicht diskutiert worden ist; historische Fälle sind hier die Filme „Rebel Without a Cause“ (USA 1955) über Jugendgewalt und „One Flew Over the Cuckoo’s Nest“ (USA 1975) über bestimmte Formen psychiatrischer Behandlung.

  95. 95.

    Organisatorisch wird diese Vereinheitlichung, bei allen scheinbaren Differenzen (etwa in den politischen Ausrichtungen) zwischen den verschiedenen Medien, dadurch sichergestellt, dass ein Großteil der verbreiteten Informationen von einer kleinen Zahl von Einrichtungen in das mediale System eingespeist werden: Einige wenige Nachrichten-, Bild- und Filmagenturen versorgen weltweit eine Vielzahl von Fernseh- und Rundfunksender, Zeitungen und Zeitschriften mit Informationen. Entsprechend gleichförmig sind die Berichte und Bilder, oftmals sogar die Kommentare. Die Arbeitsweise der Massenmedien zielt jedoch nicht nur auf eine Vereinheitlichung der Weltdeutung der Rezipienten, sondern sie basiert gleichzeitig auch auf einem solcherart vereinheitlichten Weltbild, auf gemeinsamen Interessen und auch auf einer Art, Einheitsgeschmack’ ihrer Konsumenten, auf kollektiven Informations- und Unterhaltungswünschen eben, von denen die genannten Nachrichtenfaktoren ein Ausfluss sind. „Das Massenprodukt ist nicht nur standardisiert, sondern setzt auch einen standardisierten und anonymen Konsumenten voraus, dessen Verhalten oder Aufmerksamkeit sich erst nachträglich feststellen läßt“ (Rötzer 1998: 80). Bei einer solchen, an der Aufmerksamkeit der (statistisch erfassten) Zuschauer orientierten Verbreitung von Informationen und Deutungen führt auch eine zunehmende Zahl einzelner Medien nicht zu einer Diversifikation, sondern im Gegenteil zu einer stärkeren Vereinheitlichung der prozessierten Wissensbestände. Diese scheinbare Paradoxie erklärt sich dadurch, dass durch die Verschärfung der Konkurrenzsituation von einem Medium neu eingeführte und beim Publikum erfolgreiche Sende- und Präsentationsformen, Themen und Deutungen um den Preis des eigenen Erfolges sofort von allen anderen Medien reproduziert werden müssen (vgl. Münch 1995: 124).

  96. 96.

    Zur Frage der normativen Kontrolle von Netzwerkmedien vgl. Schetsche 2002.

  97. 97.

    Marchil, Beiler und Zenker (2008: 195-197) beschreiben den Sonderfall von Journalisten, die Recherchen über das Internet durchführen. Während auch hier Suchmaschinen am häufigsten verwendet werden, nutzen viele die Onlineangebote redaktioneller Medien (z. B. Spiegel Online), verschiedene Archive und Datenbanken, sowie die Onlineenzyklopädie Wikipedia.

  98. 98.

    Interessanterweise haben die zunehmende Zahl an Artikeln sowie der internen und externen Verlinkungen bei Wikipedia dazu geführt, dass diese Enzyklopädie mittlerweile bei fast jeder Google-Suchanfrage auf der ersten Seite oder sogar an erster Stelle genannt wird, vgl. Marchil/Beiler/Zenker (2008: 223).

  99. 99.

    Ein Versuch hierzu unternahmen Schweiger und Jungnickel (2011) in ihrer Untersuchung zur Resonanz von Pressemitteilungen im Internet.

  100. 100.

    Eine Vielzahl von Dokumenten, die heute prinzipiell über das Netz verfügbar sind, werden von Suchmaschinen nicht erfasst: Dieses, Deep Web’ besteht hauptsächlich aus den Inhalten von Datenbanken, die zwar vom einzelnen Nutzer abgefragt, aber nicht in ihrer Gesamtheit von Suchmaschinen erschlossen werden können, vgl. Weilemann (2012: 19-20).

  101. 101.

    Suchparameter: Nur nach Texten in deutscher Sprache suchen, Ergebnisse nicht filtern, keine Einschränkungen in Format, Datum, Position oder Lizenz.

  102. 102.

    Dies macht auch deutlich, dass Abfragen mittels eines einzelnen Suchbegriffs (wie in der ersten Untersuchungsstrategie) täuschen können.

  103. 103.

    Die Ende des zwanzigsten Jahrhunderts die deutsche Medienwissenschaft dominierende These war dabei, dass Massenmedien nicht beeinflussen, was Rezipienten im Einzelnen, denken’, sondern lediglich, welche Themen sie für relevant bzw. welche gesellschaftlichen Fragen sie aktuell für lösungsbedürftig halten (zu diesem so genannten Agenda-Setting-Approach vgl. Schulz 1989: 139; Brosius 1994: 270; Funk/ Weiß 1995: 21).

  104. 104.

    Die Ausnahme können hier Probleme ganz am Beginn ihrer Themenkarriere sein – beispielsweise wenn die Diskussion sich auf spezifische Foren beschränkt, die überwiegend oder ausschließlich von Experten genutzt werden (etwa weil sie Laien von der aktiven Teilnahme ausschließen).

  105. 105.

    Ein kaum zu überschätzender Vorteil der Untersuchung von Netzdokumenten besteht darin, dass sie bereits in digitaler Form vorliegen, also in den meisten Fällen unmittelbar in den Dokumentenkorpus der Untersuchung überführt werden können.

  106. 106.

    Wegen der großen Unterschiede in den Reaktionen des politisch-administrativen Systems, bei den vorgeschlagenen und realisierten Bekämpfungsmaßnahmen sowie den Institutionalisierungspraxen im Einzelfall, kann in diesem Kapitel lediglich sehr pauschal auf einige sehr grundsätzliche Zusammenhänge verwiesen werden, aus denen sich analytische Leitlinien für die empirische Analyse im Einzelfall ergeben.

  107. 107.

    Der spezielle Fall, dass staatliche Instanzen selbst als primärer Akteur auftreten, kann hier nicht untersucht werden (vgl. dazu Schetsche 1996: 152-155; Groenemeyer 1999: 132).

  108. 108.

    Eine ausführliche Darstellung der konkurrierenden Theorien zur Entwicklung des Wohlfahrtstaates nach 1945 findet sich bei Wintermann 2005: 25-67.

  109. 109.

    Wie etwa sein Monopol legitimer physischer Gewalt, was von den die gesellschaftsimmanente Lösbarkeit bestimmter Problemlagen negierenden revolutionären Bewegungen regelmäßig verweigert wird.

  110. 110.

    In anderen Fällen adressieren etwa Advokaten oder Experten unter Ausschaltung des medialen Vermittlungssystems unmittelbar Funktionsträger des politisch-administrativen Systems.

  111. 111.

    Groenemeyer (1991: 131) führt drei konkrete Strategien an, mit deren Hilfe Ansprüche von Akteuren auf Problembekämpfung abgewiesen bzw. politisch neutralisiert werden: (1) die Verringerung der öffentlichen Sichtbarkeit des Problems, (2) die Transformation des sozialen in ein technisches Problem, für das Experten zuständig sind, und (3) die Delegitimierung der Problemwahrnehmung, etwa durch die Diffamierung der als Anspruchssteller auftretenden Akteure.

  112. 112.

    ,Entscheidung’ kann dabei aber auch bedeuten, nach Außen hin jede Entscheidung über ein (politisch unerwünschtes) Thema zu vermeiden (vgl. Strünck 2006).

  113. 113.

    Für den Bereich globaler Umweltprobleme (wie, Ozonloch’ und, Klimawandel’) etwa greift dieses Modell aus strukturellen Gründen zu kurz (vgl. dazu die umfangreichen Befunde und Diskussionen bei Grüner 2004: passim).

  114. 114.

    Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang, dass politische Entscheidungsträger auch über rationale Interessen verfügen können, die nicht an den eigenen Wahlerfolg gebunden sind – beispielsweise eine Bindung an ökonomisch potente Interessengruppen, die ihnen im Falle eines politischen Scheiterns eine nachfolgende Karriere außerhalb des politischen Systems garantieren. (Zur Rolle von Interessengruppen bei der politischen Entscheidungsfindung generell vgl. Kamps 2006: 182-185 und Strünck 2006.)

  115. 115.

    Handlungstheoretisches Paradigma in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, das davon ausgeht, dass Individuen wie Kollektive Vor- und Nachteile alternativer Handlungen rational abwägen und schließlich entsprechend der Maximierung des eigenen Nutzens handeln.

  116. 116.

    „Die Intentionalität des Handelns ist hier eine systematische Bedingung für die Teilnahme an politischen oder ökonomischen Praktiken: wer sich nicht intentional, also zweckorientiert und folgenbezogen verhalten will, muß aus diesem System ausscheiden…. Staatliches Handeln läßt sich… als intentionales Handeln mit institutionalisierter Folgeabschätzung interpretieren“ (Halfmann 1984: 299).

  117. 117.

    Nicht gesagt ist damit, dass zwischen der politischen und der diskursstrategischen Logik ein Widerspruch bestehen muss: Wenn eine Problemwahrnehmung erst einmal medial und in der Bevölkerung anerkannt ist, realisieren die Akteure die erstere Logik, indem sie der letzteren folgen.

  118. 118.

    „Die Art der Definition von sozialen Problemen und Ansprüchen bestimmt mit, ob sie innerhalb des politischen Systems überhaupt auf bedeutsame Relevanzstrukturen stoßen oder durch das Netz von Zuständigkeiten fallen, in welcher politischen Arena sie platziert werden und in welcher Weise und mit welcher Strategie sie von den Akteuren innerhalb der politischen Netze bearbeitet werden“ (Groenemeyer 1999: 127).

  119. 119.

    Die Wohlfahrtsverbände arbeiten dabei primär auf Basis von im weitesten Sinne öffentlichen Mitteln (vgl. Goll 1991: 308), sie sind machtvolle sozialpolitische Akteure (vgl. Kaufmann 1987: 32), die staatliche Mittel zur Aufrechterhaltung ihrer Existenz benötigen und deshalb ganz spezifische Eigeninteressen vertreten (vgl. Merchel 1989: 53-54).

  120. 120.

    Sie sind allesamt dem „Handbuch soziale Probleme“ (Albrecht/Groenemeyer 2012) entnommen, das in der zweiten Auflage in Einzelartikeln 25 „ausgewählte soziale Probleme“ untersucht; vgl. Peters (2002: 109).

  121. 121.

    Im Zweifelsfalle, etwa wenn die schnelle Lösung eines Problems politisch unerwünscht ist, kann diese Phase zeitlich viele Jahre in Anspruch nehmen – so dass etwa die Notwendigkeit, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, in spätere Legislaturperioden verschoben wird.

  122. 122.

    Grenzen bestehen hier insofern, als dass die bürokratischen Instanzen der Normerzeugung (etwa die Justizministerien) wie jene der Normkontrolle und Sanktionierung (die Polizei und staatliche Aufsichtsämter) nur ein bestimmtes Arbeitspensum zu bewältigen in der Lage sind.

  123. 123.

    Aus Sicht der Soziologie sozialer Probleme wird die Bedeutung des Strafrechts als Bekämpfungsmaßnahme ausführlich bei Peters (2002: 145-156) diskutiert.

  124. 124.

    Zur Funktion symbolischer Politik generell vgl. Edelman 1976 und Lübbe 2001.

  125. 125.

    Wie dies geschieht, wird jedoch nur ausnahmsweise ausgeführt: Dorenburg u. a. (1987: 201) sprechen von einer Monetarisierung der Bekämpfungsmaßnahmen und einer Individualisierung der Problemlage; Steinert (1981: 50-51) schildert die Bürokratisierung der Problembearbeitung in staatlichen Institutionen.

  126. 126.

    Auch bei der Analyse der politischen Karriere’ von sozialen Problemen steht deshalb nicht die Frage nach mehr oder weniger konsensualen Sachverhalten (etwa Betroffenenzahlen, individuellen und sozialen Folgen oder erfolgreichen Bekämpfungsstrategien) im Mittelpunkt, sondern die Frage nach der politischen Funktionalisierbarkeit der Problemwahrnehmung, etwa nach den Chancen für eine Inszenierung erfolgreicher Bekämpfungsmaßnahmen mit dem Ziel, das öffentliche Ansehen (und damit die Wahlchancen) der politischen Akteure zu erhöhen.

  127. 127.

    Die persönlichen Perspektiven der Mitglieder des betreffenden bürokratischen Stabes sind hier unmittelbar mit der Entwicklung der entsprechenden Problemlage verbunden. Es entstehen folglich spezifische Interessenlagen dieser Organisation (etwa die, auf eine Verstetigung der Problembekämpfung hin zu arbeiten und jeden Versuch einer grundlegenden Lösung notfalls zu torpedieren).

  128. 128.

    Hans Ebli (2003: 21-24) beschreibt diesen Vorgang anhand des Beispiels der Entstehung von Schuldnerberatungsstellen in Deutschland.

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2014 Springer Fachmedien Wiesbaden

About this chapter

Cite this chapter

Schetsche, M. (2014). Die empirische Analyse sozialer Probleme. In: Empirische Analyse sozialer Probleme. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02280-8_2

Download citation

Publish with us

Policies and ethics