Zusammenfassung
Der Gleichbehandlungsgrundsatz der Medizin wird von ausländischen Patienten, Migranten und Flüchtlingen auf eine Probe gestellt, die im praktischen Alltag oft nicht bestanden wird. Für sie potenzieren sich die Risiken, mit ihren Bedürfnissen durch – oder neben – das medizinische Versorgungsnetz zu fallen, zumal, wenn sie der Unterschicht angehören. Migration ist die menschliche Seite der Globalisierung. Der international orientierten Medizin als Wissenschaft steht eine weltfremde, wenig kreative medizinische Praxis bei der Behandlung der Fremden gegenüber. Wie die „soziale Taubstummheit“ überwunden werden kann, Verständigung (in „leichter Sprache“) zu Verständnis wird und die unentdeckten Ressourcen dieser Patienten genutzt werden können, um die allgemeinen Therapieziele zu erreichen, ist Inhalt dieses Kapitels. Die medizinische Versorgung von Flüchtlingen und Migranten ist der klassenmedizinische Testfall für unsere Medizin und unsere Gesellschaft.
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Notes
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Das Deutsche Rote Kreuz hat eine Broschüre herausgegeben mit dem Titel: „Gesundheitsversorgung für EU-Bürgerinnen und EU-Bürger in Deutschland – Handreichung zu den rechtlichen Grundlagen“ Bestellung über: koesslem@DRK.de oder www.DRK.de oder DRK, Generalsekretariat, Melanie Kößler, Carstennstr. 58, D-12205 Berlin. Eine wichtige Quelle von Informationsmaterial, Veranstaltungen und geplanten Projekten ist der „Infodienst Migration und öffentliche Gesundheit“ (kontakt@id-migration.de) der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): http://www.infodienst.bzga.de
- 2.
Eine Juso-Arbeitsgruppe unter Leitung von Ralf Stegner hat dem Parteivorstand der SPD am 4.3.2013 „Empfehlungen für eine humanitäre Flüchtlingspolitik“ vorgelegt. Unter der Überschrift „Freiheit einzuklagen für die Verfolgten und Ohnmächtigen“ (Willy Brandt 1987) wird darin u. a. gefordert: die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Flughafenverfahrens, Aufhebung der Residenzpflicht, Zugang zum Arbeitsmarkt spätestens nach 6 Monaten und eine menschenrechtskonforme „Fortentwicklung“ der Frontex-Einsätze (www.ralf-stegner.de/blog/aid/5884).
- 3.
Die „Wilhelmsburger Ärzteschaft“ ist ein eingetragener Verein und wurde im Jahr 2004 mit dem Ziel gegründet, die medizinische Versorgung auf der Insel für alle auch zukünftig zu sichern und neue Versorgungsstrukturen zu entwickeln. Ich möchte besonders meinen verehrten Kollegen Joachim Eppers erwähnen, der jahrzehntelang als Hausarzt die große Wilhelmsburger Sinti-Siedlung vorbildlich betreute, viel Dankbarkeit empfing und eine große Trauergemeinde vereinte nach seinem frühen plötzlichen Tod in der Praxis.
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Siehe auch Broschüre der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration zum Thema „Das kultursensible Krankenhaus. Ansätze zur interkulturellen Öffnung.“ Diese Broschüre wurde von im Krankenhaus tätigen Mitgliedern des bundesweiten Arbeitskreises Migration und öffentliche Gesundheit – angesiedelt bei der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration – erarbeitet und stellt die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten mit Zuwanderungsgeschichte im Krankenhaus in den Mittelpunkt. www.integrationsbeauftragte.de
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Kalvelage, B. (2014). Aesculap und andere Ausländer. In: Klassenmedizin. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-54749-2_6
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