Zusammenfassung
Das moderne Krankenhaus ist janusköpfig: rettender Zufluchtsort und angstmachende totale Institution, um Kundenfreundlichkeit bemühter Dienstleister und ökonomisch kalkulierender Wirtschaftsbetrieb, Ort medizinischer Großtaten und von Behandlungsfehlern, mit einer auf Teamwork basierenden Arbeitsanforderung und einer antiquierten hierarchischen Struktur. Patienten im Krankenhaus werden ihrer sozialen Bezüge und Attribute im wahrsten Sinne des Wortes entkleidet, eine uniforme Anstaltskleidung kann diesen Effekt verstärken. Trotz dieser Egalisierung sind sie untereinander bereits durch ihre Unterbringung unterscheidbar: die einen auf der „Privat-Station“ – die anderen oft da, wo und wenn Platz ist. Die sozialen Ungleichheiten können auch im Krankenhaus Einfluss auf die Behandlung haben. Das moderne Krankenhaus vollführt derzeit eine exemplarische Gratwanderung zwischen Wertschöpfung und Markt auf der ökonomischen und Wertschätzung und Moral auf der medizinisch-ärztlichen Seite.
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Notes
- 1.
Die Redaktion des VdÄÄ (Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte) ging davon aus, der Text ihres Programms sei lesbarer, wenn „wir alle Geschlechter in der von uns gewählten weiblichen Form einschließen“. Beim Thema Tradition und Hierarchie im Krankenhaus wird damit allerdings die Wirklichkeit bis zur Unwahrheit verzerrt, so als schreibe man gendermäßig korrekt, aber historisch unwahr, dass im Mittelalter Priesterinnen über das Los der Hexen entschieden … Die von den durchgehend weiblichen Formen ausgehende Hoffnung auf eine Verweiblichung und Enthierarchisierung der Medizin auf allen Ebenen wird von mir geteilt. Eine Quote wäre hier noch dringlicher geboten als in der (übrigen) Wirtschaft.
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Kalvelage, B. (2014). Hierarchie: Das Sakrament der heiligen Herrschaft. In: Klassenmedizin. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-54749-2_5
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