Zusammenfassung
Bei vielen Anwendungen der Kausalanalyse stehen Forscher regelmäßig vor dem Problem, dass die relevanten Kernhypothesen nur eingeschränkt in gesicherter Form vorliegen. So ist zwar oft Erfahrungswissen vorhanden, sodass vermeintlich wichtige Hypothesen abgeleitet werden können, es besteht jedoch Unsicherheit darüber, ob diese einen interessierenden Sachverhalt bzw. Entscheidungstatbestand angemessen abbilden. Im Kern steht der Forscher damit nicht nur vor dem „Problem“ der Prüfung der Gültigkeit von Hypothesen, sondern auch vor der Evaluation des Hypothesensystems insgesamt.
Der Forschungsprozess umfasst damit meist mehr als „lediglich“ die konfirmatorische Prüfung eines Hypothesensystems. Vielmehr gilt es, herauszufinden, ob und auf welche Weise auch andere Einflussgrößen die Zielgrößen beeinflussen, und es sind bisher nicht spezifizierte Hypothesen zu explorieren. Universelle Strukturgleichungsmodelle (USM) stellen ein Methodenverbund dar, der eine entdeckende Modellierung von Strukturgleichungsmodellen ermöglicht. Mit dieser Methodik, die „quasi konfirmatorischen“ angewendet werden kann, wird der klassische PLS-Ansatz um Neuronale Netze erweitert. Die USM erlaubt es so,
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auch unbekannte nichtlineare Beziehungen zu entdecken und diese auch graphisch zu verdeutlichen;
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Interaktions-/Moderationseffekte zwischen postulierten Ursachen aufzudecken und zu quantifizieren;
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Variablen mit unterschiedlichem Skalenniveau (Nominalskala; Intervallskala) zu verarbeiten.
Kapitel 16 bietet einen Einblick in die Relevanz und Anwendung dieses Methodenverbundes, der unter dem Softwarepaket NEUSREL (www.neusrel.de) zur Verfügung steht. Es stellt dar, dass der Verzicht auf fragwürdige Annahmen vollständigere Modelle ermöglicht. Diese erhöhteVollständigkeit eröffnet in Kombination mit der zugleich erhöhten prädiktiven Validität neue Anwendungsfelder.
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Notes
- 1.
Im Rahmen der Kovarianzstrukturanalyse können derartige Fragestellungen unter Rückgriff auf die Modification Indices bearbeitet werden (vgl. Kap. 11.2). Diese zeigen auf, welche zusätzlichen Beziehungen neben den spezifizierten Hypothesen einen besseren Modell-Fit versprechen, so dass hierüber Anhaltspunkte auf unberücksichtigte Kernhypothesen (Beziehungen) abgeleitet werden können.
- 2.
Neuronale Netze liefern in vielen Anwendungen, bei denen große Datenmengen vorliegen, oft sehr gute Ergebnisse etwa zu Prognosezwecken. Jedoch besteht zumeist das Problem, aus der Netzstruktur interessierende Sachverhalte ableiten zu können. So bleibt üblicherweise verborgen, welche Faktoren besonders wichtig sind oder wie die Wirkbeziehungen konkret aussehen.
- 3.
A-priori Wahrscheinlichkeiten in Form von subjektiven Wahrscheinlichkeiten können u. a. durch Wettspiele, an denen Themenexperten teilnehmen, ermittelt werden. Das Einbringen von subjektiven Wahrscheinlichkeiten ist im Falle von kleinen Stichproben empfehlenswert (Buckler 2001). Eine apriori Wahrscheinlichkeit von 50 % entspricht dem konventionellen Vorgehen, bei dem ein Pfad zugelassen wird, d. h. auch herkömmliche PLS-Modelle implizieren eine a-priori Wahrscheinlichkeit von 50 % bzw. 0 %.
- 4.
Der Vorschlag von Tenenhaus et al. (2005, S. 173) eines globalen Gütemaßes für PLS-Anwendungen testet im Prinzip nicht die Gesamtstruktur, sondern nimmt lediglich eine aggregierte Betrachtung der Güte der Messmodelle sowie des Strukturmodells vor.
- 5.
Die Software NEUSREL bietet neben den hier erwähnten Funktionen weitere interessante Analysefunktionen und Kennzahlen, wie formative als auch reflektive Latente Variablen, nichtlineare Latente Variablen, Fallgewichtungen, Pfadkoeffizienten je Fall, Segmentauswertungen, nicht-rekusive Pfadmodelle, Zeitreihendatenverarbeitung oder der Nachweis der Kausalrichtung durch eine neuartige Analyse der Residuenverteilung. Die Software berechnet zum Vergleich auch immer ein konventionelles PLS-Modell.
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Hierzu muss die SPSS-Datendatei, die üblicherweise im SAV-Format vorliegt, als CSV- oder XLS-Datei abgespeichert werden und kann dann problemlos in das Excel-Datenblatt kopiert werden.
- 7.
Bzgl. der notwendigen Stichprobengröße stellt USM aufgrund der Besonderheiten des Bayes’schen Ansatzes für Neuronale Netze (anders als bei klassischen Neuronalen Netzen) a-priori keine erhöhten Anforderungen im Vergleich zu PLS (Buckler und Hennig-Thurau 2008, S. 65). Daher konnte eine Analyse des Beispieldatensatzes mit N = 192 „problemlos“ vorgenommen werden.
- 8.
Dieses Ergebnis ist dabei konform mit den Analysen in Kap. 11.3.2 bei denen anhand der Modification Indices auch dieser Pfad als besonders relevant identifiziert wurde.
- 9.
NEUSREL findet in jüngster Zeit insbesondere Anwendung in der Unternehmenspraxis, da die Methodik die Komplexität der realen Zusammenhänge meist besser abzubilden weiß. Im Ergebnis führt beispielsweise das Aufzeigen von Nichtlinearitäten oft zu qualitativ anderen Handlungsempfehlungen und hilft Fehlentscheidungen zu vermeiden. Wichtige Anwendungsfelder sind die betriebliche Kundenbindungsforschung, Treiberanalysen zur optimierten Marketingbudgetverteilung, der Modellierung der Preisbereitschaftshebel sowie Analyse der Kundenpräferenzen zur Optimierung von Segmentierung und Positionierung auf Märkten.
Literatur
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Buckler, F. (2001). NEUSREL: Neuer Kausalanalyseansatz auf Basis Neuronaler Netze als Instrument der Marketingforschung. Göttingen: Cuvillier.
Buckler, F., & Hennig-Thurau, T. (2008). Identifying hidden structures in marketing’s structural models through universal structure modeling: An explorative neural network complement to LISREL and PLS. Marketing Journal of Research and Management, 4, 47–66.
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Homburg, C., Koschate, N., & Hoyer, W. D. (2005). Do satisfied customers really pay more? A study of the relationship between customer satisfaction and willingness to pay. Journal of Marketing, 69, 84–96.
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Tenenhaus, M., Vinzi, V. E., Chatelin, Y.-M., & Lauro, C. (2005). PLS path modeling. Computational Statistics & Data Analysis, 48, 159–205.
Weiterführende Literatur
Buckler, F. (2009). Causal analysis to the rescue: How to find success factors from survey data. Marketing Research, 21(3), 6–11.
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Weiber, R., Mühlhaus, D. (2014). Universelle Strukturgleichungsmodelle (USM). In: Strukturgleichungsmodellierung. Springer-Lehrbuch. Springer Gabler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-35012-2_16
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