Abstract
In der Zeit zwischen etwa 1630 und etwa 1800 (als aus noch zu diskutierenden Gründen eine abermalige tiefgreifende Wende in der Mathematik eintrat) war die Gruppe derjenigen Gelehrten, die sich auf eine aus heutiger Sicht für die historische Entwicklung wesentliche Weise mit Mathematik beschäftigten, zahlenmäßig klein und leicht zu überblicken. Sie standen im allgemeinen in Kontakt miteinander, wenn auch auf andere Weise als später, nämlich nicht durch Kongresse oder Fachzeitschriften, sondern durch die Verbreitung ihrer Bücher und gedruckten Einzelschriften, durch wissenschaftliche Gesprächszirkel an verschiedenen zentralen Orten, die übrigens teilweise die Keimzellen der späteren Akademien gebildet haben, die gedruckten Arbeits- bzw. Sitzungsberichte dieser Akademien (die praktisch die ersten wissenschaftlichen Zeitschriften waren) sowie durch Briefwechsel und persönliche Besuche. Eine besondere Rolle hat der in Paris lebende Minoritenpater Marin Mersenne gespielt, der ab etwa 1623 bis zu seinem Tode 1648 fast alle wichtigen Gelehrten Europas durch Briefwechsel und bei sich organisierte persönliche Zusammenk ünfte in Kontakt miteinander brachte. Bis auf ganz wenige Ausnahmen fühlten sich alle diese Männer als Naturphilosophen, d.h. sie betrieben Mathematik in engster Verbindung mit Philosophie, Astronomie, Geodäsie und Kartographie, Mechanik, Optik, Akustik und anderen Keimen einer allmählich wachsenden Physik und Technik. Mathematik war in dieser Zeit noch ebenso in diese damals aktuellen Anwendungsgebiete eingebettet wie bis zur Renaissance die Trigonometrie in die Astronomie. Eine Spezialisierung innerhalb der Mathematik gab es nicht, und abgesehen davon, daß einige Gelehrte wie Newton, Hobbes oder Huygens die Bezeichnung Geometrie für den Rahmen der antiken Geometrie reserviert wissen wollten und einige andere wie Descartes und Huygens die neuen infinitesimalen Methoden mit großem Mißtrauen betrachteten, hätte kaum ein Mathematiker dieser Zeit unseren Versuch verstanden, die neue koordinatenorientierte Geometrie von der sich damals stürmisch entwickelnden Infinitesimalmathematik zu trennen. In der Tat sind, wie schon bemerkt, die Grundaufgaben der Analysis fast ausnahmslos von geometrischer Art: Es geht um die Definition der Begriffe Kurve, Fläche, Körper, Tangente, Tangentialebene, Evolute und Evolvente, um die Berechnung von Krümmung, Bogenlängen, Flächen- und Rauminhalten. Es geht darum, die Form gewisser durch geometrische oder physikalische Forderungen bestimmter Kurven, Flächen oder Körper zu bestimmen wie z.B. beim Problem der Loxodromen, der Kettenlinie oder der Brachystochronen (Kurven, auf denen sich ein Massenpunkt unter dem Einfluß der Schwerkraft in kürzester Zeit vom Punkt Azum tiefer gelegenen Punkt Bbewegt), um Gleichgewichtsfiguren rotierender Massen usw. Auch die ersten Fragen nach dem Maximum oder Minimum von Funktionen waren, wie wir bei Kepler gesehen haben, von geometrischer Art.
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Scriba, C.J., Schreiber, P. (2010). Die Entwicklung der Geometrie im 17. und 18. Jahrhundert. In: 5000 Jahre Geometrie. Vom Zählstein zum Computer. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-02362-0_7
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