Zusammenfassung
„Karlsruhe schafft ein Grundrecht für Kinder“ titelte die Süddeutsche Zeitung am 02. April 2008, nachdem das Bundesverfassungsgericht am Tag zuvor in einem aufsehenerregenden Verfahren geurteilt hatte, dass „umgangsunwillige Elternteile“ in der Regel zwar nicht mit Zwangsmitteln zum Umgang mit ihren Kindern gezwungen werden dürfen, dass die Verfassung aber ein „Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung“ postuliere, das Eltern zu beachten und der Gesetzgeber durch geeignete gesetzliche Maßnahmen zu sichern und auszugestalten hätten (Süddeutsche Zeitung vom 2.4.2008, S. 1). Nun kennt der Wortlaut des deutschen Grundgesetzes ein solches „Kindergrundrecht“ eigentlich nicht. Die Karlsruher Richterinnen und Richter glauben es aber in Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes ausfindig gemacht zu haben. Dort heißt es: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ Das Grundgesetz postuliert damit ausdrücklich Rechte und Pflichten der Elternverantwortung (vgl. z. B. auch schon BVerfGE 56, 363); Träger dieses Grundrechtes waren bislang jedoch ausschließlich die Eltern(teile) und nicht die Kinder selbst. Diese besaßen bis zu diesem Urteil lediglich einen „Anspruch“ auf Pflege, Erziehung und Beaufsichtigung durch die Eltern (vgl. Jarass/Pieroth 2004: 265 f. und BVerfGE 68, 256: 269), ohne dass dieser aber explizit subjektive grundrechtliche Qualität aufgewiesen hätte. Nun aber spricht das Bundesverfassungsgericht von einem „Recht“ des Kindes auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern. Dem Elterngrundrecht wird damit ein „ungeschriebenes Kindergrundrecht“ an die Seite gestellt (SZ vom 2.4.2008, S. 2).
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Kneip, S. (2011). Spiel über Bande. Intendierter und nicht-intendierter Verfassungswandel durch Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. In: Hönnige, C., Kneip, S., Lorenz, A. (eds) Verfassungswandel im Mehrebenensystem. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-94046-5_10
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