Skip to main content

Begriff des Antisemitismus

  • Chapter
Radikaler Antisemitismus
  • 4440 Accesses

Zusammenfassung

Der Schriftsteller Wilhelm Marr, dessen antisemitische Agitationstätigkeit in den Jahren 1879/80 ihren Höhepunkt erreichte, gilt gemeinhin als derjenige, der den Begriff des »Antisemitismus« geprägt hat, auch wenn es vereinzelt Hinweise auf frühere, folgenlos gebliebene Wortverwendungen in Lexika gibt (vgl. Nipperdey/Rürup 1972: 129).

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 39.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 49.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Notes

  1. 1.

    Zur Einordnung und Interpretation der Marxschen Ausführungen zur »Judenfrage« gibt es eine lange Kontroverse, die sich zwischen den Polen derer bewegt, die Marx’ Verwendung antijüdischer Stereotype kontextualisiert oder historisiert, während die andere Seite diese als antisemitisch beschreibt (vgl. hierzu Claussen 2005, zuerst 1987, Haury 2002 vs. Silberner 1949 und 1983, Kloke 1990, Poliakov 1992, Brumlik 2000).

  2. 2.

    Dieses Stereotyp gewann mit der Verkündung der Transsubstantiationslehre Bedeutung. Diese geht davon aus, dass sich beim Abendmahl Brot (die geweihte Hostie) und Wein in den Leib und das Blut Christi verwandeln und damit eine zentrale religiöse Bedeutung gewinnen (vgl. Bergmann 2008: 12).

  3. 3.

    Zu einer ausführlichen Rekonstruktion der Geschichte der Judendfeindschaft und der sich wandelnden Zuschreibungen vgl. Hirsch/Schuder (1999) und Schoeps/Schlör (1999, zuerst 1995).

  4. 4.

    Bergmann nennt hier die Pflicht zur Kennzeichnung ihrer Kleidung (Bergmann 2008: 13). Das erinnert meiner Ansicht nach schon an die Kennzeichnungspflicht durch den »gelben Stern« im Nationalsozialismus. Während jedoch im Jahr 1215 das Stigma religiös begründet war, wurde es im Nationalsozialismus »rassisch« bzw. rassistisch begründet.

  5. 5.

    Die Essener oder Essäer werden als eine Richtung der jüdischen Tradition beschrieben, die sowohl das Zinsverbot als auch den Handelsgewinn verdammten und damit die Tätigkeit des Kaufmanns verachteten (vgl. Hirsch/Schuder 1999: 49 f.).

  6. 6.

    So heißt es im zweiten Buch Moses, Exodus (22, 24): »Wenn du meinem Volke, einem Armen neben dir, Geld leihst, so sollst du ihm gegenüber nicht wie ein Wucherer handeln. Ihr dürft ihm keinen Zins auferlegen« (86). Und im dritten Buch Moses, Leviticus (25, 36): »Du darfst von ihm [dem Bruder, C. G.] nicht Zins und Zuschlag nehmen […]« und im nächsten Satz »Du darfst ihm also dein Geld nicht um Zins ausleihen und Lebensmittel nicht um einen Zuschlag« (zitiert nach Hamp/Stenzel/Kürzinger 1994). Das Zinsverbot galt dabei zu Beginn, und wie es im AT verwendet wird, noch nicht universal, sondern nur in Bezug auf »das Eigene«: »Du darfst von deinem Volksgenossen keinen Zins nehmen, weder Zins für Geld noch Zins für Nahrungsmittel, noch Zins für irgend etwas, das man auf Zins leihen kann« (Moses, Deuteronomium, 23,20), Und weiter: »Von einem Ausländer darfst du Zins nehmen, aber von einem Volksgenossen darfst du keine Zinsen nehmen« (Moses, Deuteronomium, 23, 21).

  7. 7.

    Die Juden wurden durch die Lockerung des christlichen Zinsverbotes und damit christlicher Konkurrenz auf die Geldleihe für ärmere Schichten verdrängt und stellten durch die Geschichte eine überwiegend verarmte Gruppe dar. Bereits Engels wies auf diesen Tatbestand in einem Brief an den österreichischen Bankangestellten Isidor Ehrenfreund hin: »Dazu kommt, daß der Antisemitismus die ganze Sachlage verfälscht. Er kennt nicht einmal die Juden, die er niederschreit. Sonst würde er wissen, daß hier in England und in Amerika, dank den osteuropäischen Antisemiten, und in der Türkei, dank der spanischen Inquisition, es Tausende und aber Tausende jüdischer Proletarier gibt; und zwar sind diese jüdischen Arbeiter die am schlimmsten Ausgebeuteten und die Allerelendesten«, Engels 1890, zitiert nach Hirsch/Schuder 1999: 72

  8. 8.

    Dies wurde für den Fall der neurechten Zeitschrift »Junge Freiheit« untersucht (vgl. Wamper 2008) mit dem Ergebnis, dass ein Autorenspektrum auf christliche Stereotype Bezug nimmt. Das von mir ausgewertete Material, auch der Jungen Freiheit, zeigt jedoch, dass diese Stereotype nur in die Struktur des modernen völkischnationalen Antisemitismus eingebaut werden.

  9. 9.

    Der Antijudaismus wurde nicht völlig vom modernen Antisemitismus abgelöst, sondern beide Formen sind nach wie vor präsent, überlagern sich teilweise, sind aber meiner Ansicht nach dennoch voneinander zu unterscheiden. Wie einige Studien gezeigt haben, ist der moderne Antisemitismus ohne den Nationalismus nicht denkbar, und die Konstruktion »der Juden« als Dritte oder Anti-Prinzip zur Nation ist typisch für ihn (vgl. Holz 2001; Haury 2002; Postone 2005,Frindte 2006, Achinger 2007), nicht jedoch für den Antijudaismus. Diese Untersuchung hat ergeben, dass antijudaistische Stereotype, gepaart mit modernem Antisemitismus, im rechten Spektrum, und zwar in der »Jungen Freiheit«, der »Deutschen Stimme« und in »Nation & Europa« vorkommen, die antijudaistischen Stereotype jedoch meist dafür verwandt werden, um die Form des modernen Antisemitismus zu reproduzieren. Die Überlagerung von Antijudaismus und Antisemitismus wird auch in der aktuellen Studie von Regina Wamper am Beispiel der Jungen Freiheit nachgewiesen (Wamper 2008), dort wird jedoch dahingehend argumentiert, dass damit die These eines Bruchs der beiden Phänomene zu verabschieden sei und von einer Überlagerung ausgegangen werden müsse. Die begrifflichen Konsequenzen aus diesen Überlegungen werden aber nicht weiter gefasst.

  10. 10.

    Im Unterschied zu vielen anderen Theorien sieht Arendt im Nationalismus nicht deshalb die Bedingung des Antisemitismus, weil er als Gegenbild zu »den Juden« entworfen wird, sondern sie sieht in der spezifischen Stellung der Juden als »Finanziers« des Nationalstaats die Bedingung für den modernen Antisemitismus (vgl. Arendt 2005: 62). Ausgangspunkt des Antisemitismus in ihrer Theorie sind reale Konflikt- und Konkurrenzsituationen zwischen Juden und Christen im 18. und 19. Jahrhundert, die danach an Bedeutung verloren und sich spätestens im 20. Jahrhundert das Verhältnis umdrehte und antijüdische Vorurteile eine von der Realität entkoppelte Wirklichkeit führten (vgl. dazu ausführlicher auch: Salzborn 2010a: 120).

  11. 11.

    Vgl. zur Unterscheidung von Antisemitismus und Xenophobie auch Holz, 2001: 99 f. und 2008: 211 ff.

  12. 12.

    Einen neueren Versuch der Systematisierung des Verhältnisses zwischen Antisemitismus und Nation hat Salzborn vorgelegt (Salzborn 2010b), welcher insbesondere auf die Notwendigkeit der Differenzierung unterschiedlicher Nationskonzepte (»ethnic nation« vs. »civic nation«) verweist und daher die unmittelbare Verknüpfung von Antisemitismus und Nation kritisiert, wie das in ähnlicher Weise auch Detlev Claussen und Ulrich Bielefeld vertreten haben (vgl. Claussen 2011, Bielefeld 2011). Dagegen sei eingewandt, dass es sich bei dieser Trennung der Nationskonzepte zumeist um idealtypische und nicht realtypische Differenzierungen handelt (vgl. hierzu auch Minkenberg 1998: 74ff.) Die empirischen Analysen zeigen jedenfalls, dass als Grundlage des Antisemitismus das Konzept der (»ethnic nation«) Relevanz hat (vgl. Holz 2001), weshalb die Begriffsbildung (»ethnisch/völkisch-nationaler Antisemitisus«) zur Spezifizierung beitragen könnte.

  13. 13.

    So etwa das Verständnis von Dux, 2008.

  14. 14.

    Dux hat zu Recht auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Bedingungen von Konstrukten zu rekonstruieren, um ein historisches Verständnis der Konstrukte zu erlangen (vgl. Dux 2008: 181). Er wendet sich gegen einen radikal konstruktivistischen Zugang zum Phänomen Nationalismus und will seine »Ausprägung im Nationalstaat aus den Erfahrungen und der Beobachtung der Entwicklung von Marktgesellschaft hervorgegangen« (ebd.: 181) wissen. Er geht davon aus, dass der Nationalismus aus rekonstruierbaren Erfahrungen in modernen Marktgesellschaften sowie »der Verarbeitung der Erfahrung in Gedanken und damit der explikativen Struktur« (ebd.: 181) hervorgegangen ist. Im Gegensatz zu Dux jedoch lese ich die »imagined community« als »vorgestellte Gemeinschaft« und nicht als »erfundene« wie Dux dies tut. Auch Dux geht davon aus, dass sich der Nationalismus zuerst in Gedanken formiert hat, »bevor er sich in politische Praxen eingebracht hat« (ebd.: 181). Vorstellungen entstehen zwar unter Bedingungen und werden in bestimmten historischen Kontexten ermöglicht, es gibt aber immer Variationen. Die Eigenschaften, die einer »Nation« zugeschrieben werden, entspringen zwar vielleicht historisch erklärbaren Bedürfnissen und Motivationen, sind aber nicht materiell ableitbar. Dass es dennoch sozialgeschichtliche und -strukturelle Kontexte gibt, die Bedingung für die Ausbildung des Nationalismus waren, wird damit nicht bestritten. Diese lassen sich empirisch rekonstruieren.

  15. 15.

    Das Wort »verfolgen« wurde im Neuhochdeutschen häufig im Sinne von »[feindselig] nachstellen«, »nach dem Leben trachten« verwendet. Vgl. Dudenredaktion (2001: 230).

  16. 16.

    Die Entstehung antisemitischer Parteien und Bewegungen, wie der »Antisemiten Liga«, des »Deutschen Antisemitenbundes« oder des provisorischen Dachverbandes »Deutsche Antisemitische Vereinigung«, sowie Publikationen, wie die »Antisemitische Correspondenz«, die sich den Antisemitismus öffentlich auf die Fahne schrieben, ist in den späten siebziger und achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts zu verorten (vgl. Rürup 1972: 146 f.).

  17. 17.

    Eine ausführliche Analyse dieses Text bezüglich seiner Sinnstruktur des Antisemitismus bietet Holz (2001: 165 ff.).

  18. 18.

    Zu einem Überblick über die Kontroverse vgl. Heinsohn 1995: 40–49, Jäckel/Rohwer 1987, Holz 2001: 360–363.

  19. 19.

    Zum Antisemitismus in Westdeutschland nach 1945 vgl. Haury 2002: 127 ff., zum Vergleich mit dem Antisemitismus in der DDR und in Österreich: Lepsius 1989, Marin 2000, Wodak 1990; zum Philosemitismus der Nachkriegsgesellschaft vgl. Stern 1991.

  20. 20.

    Hierbei handelte es sich um einen Kommentar aus der Kronenzeitung zur Waldheim-Affäre im Jahr 1986.

  21. 21.

    Vgl. zum Antisemitismus von links eine der ersten umfassenden wissenschaftlichen Studien von Martin Kloke (Kloke 1994, zuerst 1991). 39

  22. 22.

    Von palästinensischer Seite wird die „Zweite Intifada“ auch als „Al-Aqsa-Intifada“ nach der gleichnahmigen Moschee auf dem von Christen, Juden und Muslimen gleichermaßen als heilig betrachteten Jerusalemer Tempelberg bezeichnet. Mit dem Tempelberg-Besuch des damaligen israelischen Oppostionspolitikers Ariel Scharon begann nach palästinensischer Interpretation dort die sogenannte „Intifada“, d.h. ein bewaffneter Aufstand, um die israelische »Besatzung« »abzuschütteln«.

  23. 23.

    Dies mag auch damit zusammenhängen, dass der Nahostkonflikt seither zu »einem zentralen Agitations- und Mobilisierungsthema extremistischer Kräfte in Europa geworden [ist], die sich des Nahen Ostens als einer Art Projektionsfläche bedienen und sich über besonders radikale, antiisraelische Deutungen mit diesem Zeitgeist-Thema neue politische Erfolge erhoffen« (Rens mann 2006).

  24. 24.

    Vgl. hierzu die Analysen von Brumlick (Brumlick 1991), Haury (Haury 2002) und Holz (Holz 2001).

  25. 25.

    Vgl. relativierend dazu: Schmidt 2010.

  26. 26.

    Vgl. hierzu die Analyse von Kraushaar (Kraushaar 2013).

  27. 27.

    Die Maschine wurde von zwei Mitgliedern der »Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP)« und zwei Mitgliedern der »Revolutionären Zellen, Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann, entführt. Als Organisator gilt Wadi Haddad von der »PFLP«. Es sollten damit Inhaftierte in Gefängnissen in Deutschland, Frankreich, Israel und der Schweiz freigepresst werden, u. a. Mitglieder der »RAF« und der »Bewegung 2. Juni«. Anhand ihrer israelischen Reisepässe sowie teilweise vermeintlich jüdischer Namen wurden die jüdischen von den nichtjüdischen Geiseln getrennt und danach die nichtjüdischen Geiseln freigelassen. Diese Selektion wurde von Wilfried Böse durchgeführt.

  28. 28.

    Es existierten zum Beispiel Vereinigungen wie die »Antisemitenliga« oder der »Deutsche Anti-semitenbund« (vgl. Bergmann 2002: 43 f.).

  29. 29.

    Bezogen auf die Schweiz und den Antisemitismus der Linken, muss die Studie »Die schweizerische Linke und Israel. Israelbegeisterung, Antizionismus und Antisemitismus zwischen 1967 und 1991« von Christina Späti (2006) erwähnt werden. Was Österreich anbelangt, sei die Arbeit von Margit Reiter (2000) »Unter AntisemitismusVerdacht. Die österreichische Linke und Israel nach der Shoah« aus dem Jahre 2000 hervorgehoben.

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2013 Springer Fachmedien Wiesbaden

About this chapter

Cite this chapter

Globisch, C. (2013). Begriff des Antisemitismus. In: Radikaler Antisemitismus. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-93156-2_2

Download citation

Publish with us

Policies and ethics