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Auszug

Allgemein wird, wie bereits dargestellt, die Unterscheidung im Hinblick auf den Formalisierungsgrad von Lernen und Bildung über die Unterscheidung zwischen Schule und nicht Schule zum Ausgangspunkt gemacht. In den Grundoperationen der Distinktionstheorie, wird jedoch prinzipiell davon ausgegangen, dass das „[w]as ein Ding ist, und was es nicht ist, ... in der Form identisch gleich [ist]“ (Spencer-Brown 1999: xi). Dieses Prinzip gründet auf der Annahme, dass eine einheitliche Form, Definition oder Unterscheidung die Grenze oder Beschreibung, „sowohl des Dinges als auch dessen, was es nicht ist“ (ebd.) bestimmt. Daraus lässt sich die These ableiten, dass es die Schule ist, die darüber bestimmt was das eine (eben Schule) und was das andere (nicht Schule) ist, da Schule das zentrale semantische Unterscheidungskriterium ist. Da die schulbezogene Bildungsdebatte jedoch nicht der thematische Gegenstand dieser Arbeit ist, sondern die Lern- und Bildungsdebatte in der Sozialpädagogik, stellt sich hier die Frage, welche Unterscheidung bzw. welche Form hier Pate steht. In den aktuellen Debatten um Lernen und Bildung wurde dieser Bereich bislang mit den (Bindestrich-) Begriffen nonformell oder nicht-formell beschrieben. Diese irreführende und zu kurz greifende Bezeichnung markiert das Ergebnis eines Vergleichs, der sich an einer Unterscheidung zwischen Formalitätsgraden orientiert. Die Schnittstelle zwischen der terminologischen Unterscheidung und Distinktionstheorie liegt in der Ausdifferenzierung der Form, die sozusagen als kleinster gemeinsamer Nenner vorausgesetzt wird und distinktionstheoretisch auf ihren semantischen Kern hin überprüft werden soll.168

Diese Vorstellung wird gestützt durch spezifische Begrifflichkeiten, die im Wesentlichen durch die diachrone Perspektive hervortreten (vgl. Kap. 3). In allen Bereichen werden in Bezug auf Bildung zum Beispiel Autonomie, Emanzipation, Selbstbestimmung und Lernen in unterschiedlicher Gewichtung thematisiert. Hier stellt sich die Frage, wieso das überhaupt möglich ist. Eine erste (weitere) Vermutung stellt sich hier ein: ist möglicherweise theoretisch immer das Gleiche gemeint und nur ob der praktischen Umsetzung unterscheiden sich die Bereiche?

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Literatur

  1. Allen pädagogischen Grundbegriffen wie Erziehung, Sozialisation und Bildung liegt implizit oder explizit ein Verständnis von Lernen zugrunde. Anders ausgedrückt: In Konkretisierung pädagogischer Realität geht es um Lernen. Lernen ist somit die Voraussetzung und Bedingung für Erziehung, Sozialisation und Bildung: Der Mensch kann nicht nicht lernen. Der Formalisierungs-bzw. Institutionalisierungsgrad im Sinne einer Erzeugungsdidaktik (Klemm 1999) (wo wird gelernt = wie wird gelernt = was wird gelernt / Schule = formelles Lernen = formelle Bildung) setzt die Idee des Unterscheidens voraus, die es gilt, neu zu bestimmen.

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  2. Manfred Spitzer (2004) belegt die Aussage, dass „Menschen wirklich zum Lernen geboren sind“ (ebd.: 65) über den Verweis auf das Lernen von Säuglingen und Kindern: „Sie können es am besten, sie sind dafür gemacht; und wir hatten noch keine Chance, es ihnen abzugewöhnen. Zweijährige verhalten sich ihrer Umgebung gegenüber nicht wie Reflexautomaten oder mit Fakten zu füllende Behälter. Sie versuchen vielmehr aktiv ihre Umgebung zu begreifen, indem sie kleine Tests durchführen und — ganz ähnlich wie Wissenschaftler — Hypothesen darüber prüfen, wie sich die Dinge sowohl verhalten. Dreijährige lernen alle 90 Minuten ein neues Wort, und mit fünf Jahren beherrschen Kinder nicht nur bereits Tausende von Wörtern, sondern vor allem auch deren Gebrauch und damit die komplizierte Grammatik der Muttersprache“ (ebd.; zur Relevanz des kompetenten Säuglings für die Psychoanalyse: vgl. Dornes 1999).

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  3. Bereits der amerikanische Reformpädagoge John Holt wies darauf hin, dass es ein Irrglaube sei, wenn Schulen, Lehrer oder Eltern denken würden, es sei ihre Aufgabe, „bei den Kindern Lernprozesse eintreten zu lassen, und dass diese nur dann eintreten würden, weil sie sie eintreten ließen“ (Holt 1999: 45).

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  4. Auch die Psychoanalyse hat entdeckt, dass „Säuglinge ihren körperlichen Bedürfnissen keineswegs passiv ausgeliefert sind“ wie bislang angenommen wurde und geht von einem „kompetenten Säugling“ aus (vgl. Dornes 1999).

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  5. Als Reformpädagoge und Kritiker des vorherrschenden amerikanischen Schulsystems versuchte er die Weltsicht der Kinder und ihre emotionale Intelligenz verstärkt in den Blick zu nehmen (vgl. Holt 1999).

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  6. Damit sei, so Klaus Prange (2004), „nicht Belehren“ im „Sinne von »Eintrichtern«“ (ebd.: 397) gemeint und auch nicht bloße Übung „dessen, was wir in einer zwar unvollkommenen, aber steigerungsfähigen Weise schon können“ (ebd.).

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  7. Prange weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass, ob der nur einseitigen Betonung des Lehraspekts, jedoch die Möglichkeit besteht, eben diese (Lehr-)Form unter Ausblendung des Vorwissens auszunutzen, die es Autoritäten ermöglicht, „wenn sie an einer Aufgabe, an einem Beispiel oder sonst an einer Gegebenheit etwas zeigen, was der Lernende von sich aus sehen und sich zu eigen machen soll“ (ebd.: 397).

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  8. Daran angeschlossen wurden nach Prange wiederum Fragen nach der „Formsubstanz“ (Prange 2004: 397).

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  9. Der Begriff der Lernfähigkeit, der nach Langewand (1994) einen zentralen Einflussfaktor auf die Bestimmung der sachlichen Bildungsdimension darstellt, verweise durch Einbeziehung und Verwendung des Bildungsbegriffs auf den Einfluss der Systemtheorie, die diesen zur Selbstvergewisserung über Funktion und Leistung des deutschen Erziehungssystems verwende. Bildung werde in diesem Zusammenhang definiert als der „Versuch des Erziehungssystems, die eigene Rolle gegenüber der gesellschaftlichen Umwelt (Familie, Wissenschaft, Staat usw.) zu finden“ (ebd.: 83). Während im 18. Jahrhundert und in einer Vorläuferstufe der Begriff Bildung noch an die Idee von humaner Perfektion angeknüpfte, wurde stattdessen seit dem 20. Jahrhundert eher der Begriff der „Lernfähigkeit“ verwendet (vgl. ebd.: 83).

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  10. Thomas Höhne (2003) beschreibt dies ähnlich, wenn er konstatiert, dass das Individuum Informationen zumeist im Hinblick auf wichtig — nicht wichtig verarbeite und so eine Entscheidung ausführt. Relevant für das Treffen von Entscheidungen sei die Bedeutungszuweisung der Information als Zustandsveränderung im Sinne von besser oder schlechter. Diese basiere im Wesentlichen auf der Vorerfahrung die die Einzelne gemacht hätte. Hier stelle Selbststeuerung eine der zentralen, personenbezogenen Ressourcen zur Konstruktion von Wissen dar: Die Selbststeuerung erfolge bewusst und selbsttätig oder „selbstreferentiell“ (vgl. ebd.: 255).

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  11. Dies wird nach Treml (1995) allgemein mit dem Begriff der „Prägung“ (ebd.) umschrieben und stelle die Ur-Form von Lernen in einer Umwelt dar und fände durch unterschiedliche Verhaltensweisen wie Sprechen, Lächeln oder Weinen statt (vgl. ebd.; Mollenhauer 1993).

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  12. Dabei ginge es (vordergründig) nicht, wie Micha Brumlik im Hinblick auf die Verbindung von „Bildung und Glück“ (2002) betont, um ein Wiederaufleben der Debatte um notwendige „Tugenden“ oder „Werte“ in einer Gesellschaft, nicht um „moralisierende Zumutungen der Gesellschaft, sich so oder so zu verhalten“, es gehe vielmehr um die Frage, „über welche Fähigkeiten, heute spricht man von Handlungskompetenz oder auch von »Schlüsselqualifikationen«, Individuen verfügen müssen, um sich gesellschaftlichen Zumutungen gegenüber behaupten und ein glückliches Leben im Verein mit anderen anstreben zu können“ (ebd.: 14).

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  13. Nach Kirchhöfer (2002) sei es insbesondere „das Spielen und Vorformen des Arbeitens, in denen das Kind lernt informell zu lernen“ und erst in der Ontogenese entstehe „aus einem beiläufigen Lernen die Kompetenz informell zu lernen“ (ebd.: 31).

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  14. In der Phylogenese betont sie die langfristige Notwendigkeit von (genetischem) Lernen, in der Ontogenese die kurzfristige, flexible Notwendigkeit zu (nicht genetischem) Lernen durch Veränderungen in der Umwelt (vgl. Treml 1995).

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  15. Treml führt hier den Begriff „Irreversibilität“ (ebd.: 95) ein, dies scheint jedoch gerade im Hinblick auf neurophysiologische Studien nicht mehr angebracht zu sein (siehe dazu: „Nachwachsende Nervenzellen — Forscher entdecken einen Jungbrunnen im Gehirn“. In: Der Spiegel: 2006, Heft 20)

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  16. Auf der Unterscheidung zwischen genetischem und nicht genetischem Lernen bauen die verschiedensten Vorstellungen von Lernen auf: Lernen durch Gewohnheit (Übung, Training), latentes Lernen (Mitlernen), Erziehung (funktionales Lernen), Sozialisation (intentionales Lernen), inzidentielles Lernen (beiläufiges Lernen), die wiederum die Begründung für einen wissenschaftlich fundierten Lernbegriff darstellen und unterschiedliche Lerntheorien hervorbrachten (vgl. Treml 1995; zur Rezeption in den erziehungswissenschaftlichen Lerndiskursen vgl. ausführlich Thomas Höhne 2003).

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  17. Treml (1995) unterscheidet hier zwischen einem genetischen Lernen, das auf „bestimmte (äußere) phänotypische und (innere) genotypische Merkmale, die ein Lebewesen vollständig determiniert bei seiner Geburt mit auf die Welt bringt“ (ebd.: 94) zielt. Davon unterschieden werden die Merkmale, „die sich nach der Geburt aufgrund der genetischen Vorschriften entwickeln“ (ebd.). Diese nicht genetischen Merkmale, allgemein unter den Begriff der „Reifung“ (ebd.) subsumiert, werden in der aktuellen Debatte, in der es ja um Heranwachsende geht, zum Beispiel auf Lernen durch und über körperliche Reifung, nicht thematisiert. Der eigene kindliche oder jugendliche Körper wird damit als Lernort überhaupt nicht in den Blick genommen. Daraus lässt sich folgern, dass die aktuellen Lern-und Bildungsdiskurse körperlos bleiben und nur auf kognitive Reifung zielen.

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  18. Baumert (2002) verweist auch darauf, dass zum Beispiel Schule stellvertretend Erfahrung vermittelt. Dies stelle bisher ein zentrales Unterscheidungskriterium zwischen Schule und Kinder-und Jugendhilfe dar.

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  19. Eine Vielzahl von Beispielen für diese Widersprüchlichkeit findet sich bspw. in dem Band „Bildung von unten Denken. Aufwachsen in erschwerten Lebenssituationen — Provokationen für die Pädagogik“ (2006), die Werner Baur, Wolfgang Mack und Joachim Schroeder anlässlich des 60. Geburtstags von Gotthilf Gerhard Hiller herausgebracht haben.

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  20. Die Gleichstellung von „richtigem, nützlichem, lobenswertem Lernen“ mit „fremdkontrolliertem, formiertem Lernen“ findet nach Holzkamp (1995) nur öffentliche Akzeptanz, „weil (bzw. soweit) sie sich in den verschiedenen lokalen Zentren bis ins Privatleben hinein die tendenzielle Gleichsetzung von Lernen mit fremdkontrolliert-formiertem Lernen der administrativ verordneten Lehrlernformierung der Schule aufgrund ähnlicher funktionaler Einbettung entgegenkommt, die Macht also in den Bereich der Betroffenen hinein diffundiert“ (ebd.: 525).

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  21. Das Gewicht informeller Bildungsprozesse repräsentiere sich, so Thiersch (2004), in der Kraft der sozialen Bewegungen, aus denen informelle Lernprozesse entspringen und aus denen heraus sie „immer wieder neu“ (ebd.: 251) bestätigt werden. Hier wäre eine Klärung im Hinblick auf Lernschwierigkeiten und Lernaufwand notwendig, wie sie sich in der Familie oder in Beziehungen ergeben. Auch würde sich so das Gewicht informeller Lernprozesse „in sich selbst“ und parallel „zu und neben“ schulischem Lernen in Bildungsinstitutionen differenzieren (vgl. ebd.).

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  22. Claus Tully (1994) wertet eigeninitiatives und informelles Handeln als Versuch, fehlende formale Ordnungsraster zu substituieren (vgl. ebd.: 27, vgl. ausführlich dazu Kap. 6.3).

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  23. In diesem Zusammenhang stellt sich mit Alexander Hamedinger (1998) (nur) die Frage: „Was ist Raum? Ist er wirklich nur eine Vorstellung, eine Form der Anschauung, wie es Kant formuliert und damit eine Bewusstseinskategorie des Subjektes, also ein »mentaler Raum« oder handelt es sich hier schlichtweg um eine Kategorie der Faktizität, um ein empirisches Faktum, das objektiv vorgegeben ist und wie die Gegenstände der Naturwissenschaft zu instrumentalisieren ist“ (ebd.: 146)?

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  24. Mit Verweis auf die Ausführungen von Anthony Giddens (1997) kann vermutet werden, dass diese Orte (»locales») „als Bezugsrahmen für Interaktionen verfügbar“ (ebd.: 170) konstruiert werden, „während umgekehrt diese Interaktionsbezugsrahmen für die Spezifizierung der Kontextualität des Raumes verantwortlich sind“ (ebd.). Giddens macht dies in seinen Untersuchungen durch ein Beispiel deutlich: „Ein »Haus« wird als solches nur erfasst, wenn der Beobachter erkennt, daß es sich um eine »Wohnung« mit einer Reihe anderer Eigenschaften handelt, die sich aus dem jeweiligen spezifischen Gebrauch im menschlichen Handeln ergeben“ (ebd.; Menck 1999).

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  25. Ganztagsbildung, so Prange, sei eben nicht die „ganze Bildung“ (vgl. ebd.).

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(2008). Lernen. In: Lernen zwischen Formalität und Informalität. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91167-0_7

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