Auszug
Nachdem in Kapitel 5 die Barrieren und in Kapitel 6 die Qualität wohlfahrtsstaatlicher Inklusion behandelt wurden, werden im folgenden Kapitel institutionelle Mechanismen untersucht, die in zeitlicher Perspektive Einfluss auf Inklusions- und Exklusionskarrieren nehmen und zwischen Teilhabe und Ausgrenzung vermitteln. Hier lassen sich zwei Mechanismen unterscheiden: Zum einen sind in die soziale Sicherung bei Erwerbslosigkeit zeitliche Abstufungen eingebaut, die eine Dynamik des Statusverlustes in Gang setzen (Kronauer 2002: 185) und im Fall längerer Erwerbslosigkeit den Ausgrenzungsdruck noch verschärfen. So ist die Arbeitslosenversicherung nur für eine bestimmte Dauer für Erwerbslose, die ihre Anspruchsbedingungen erfüllen, zuständig. Nach Ablauf dieser Frist sind Langzeitarbeitslose auf nachgelagerte Sicherungssysteme angewiesen, die ein niedrigeres Leistungsniveau und restriktivere Bedingungen aufweisen (vgl. Kapitel 6). Zum anderen sind „[d]ie Institutionen der sozialen Sicherung im Fall von Erwerbslosigkeit [...] aber nicht nur Durchlaufstationen. Sie fungieren selbst als Weichensteller in die Ausgrenzung oder aus bedrohlichen Lagen heraus“ (Kronauer 2002: 187).
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Literatur
Laut Strengmann-Kuhn (2003b: Tab. 3) lag die Arbeitslosenhilfe in über 70 Prozent der Fälle unter dem durchschnittlichen Sozialhilfeniveau für Alleinstehende.
Für eine Kritik der irreführenden Unterscheidung in passive und aktive Systeme vgl. Sinfield 1997. Sinfield argumentiert darin, dass die neuerdings als passiv betrachteten Leistungen zur Einkommenssicherung immer schon aktivierenden Charakter in dem Sinn hatten, dass sie Suchprozesse und optimales ‚Matching ‘von Bewerber und Stelle unterstützt, Qualifikationsverluste durch den Zwang zur Annahme des nächst besten Jobs verhindert und allgemein die Mobilität am Arbeitsmarkt gefördert haben.
Van Berkel und Roche sprechen in diesem Zusammenhang von „institutioneller Aktivierung“ (van Berkel/ Roche 2002: 216)
In Deutschland wird der Begriff der Aktivierung häufig in einem breiteren Sinne verwendet, um ein neues Verständnis von Wohlfahrtsstaatlichkeit insgesamt zu bezeichnen (Mezger/ West 2000, Lamping/Schridde/Plaß u.a. 2002, von Bandemer/Hilbert 2001). Dem Leitbild nach soll eine neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Bürgern entstehen, innerhalb derer der Staat Leistungen nicht mehr selbst erbringt, sondern die Eigenverantwortung der Bürger fördert und die regulatorischen Rahmenbedingungen gestaltet. Im Folgenden werden mit Aktivierung jedoch (wie auch im internationalen Kontext eher üblich) Maßnahmen bezeichnet, die sich auf die Integration von Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt richten.
Allerdings hat sich innerhalb dieses Bereichs das Gewicht in den letzten Jahren zunehmend zugunsten von Maßnahmen verschoben, die auf nicht reguläre Beschäftigung ausgerichtet sind und eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt versprechen (vgl. Heinelt 2003, Jacobi/Mohr 2006 sowie die folgenden Ausführungen).
In ähnlicher Weise unterscheidet auch Cox (1998b: 19) zwischen „compassionate“ und „condemning visions of activation“.
Auch Leisering und Hilkert (2000: 46) weisen darauf hin, dass die herkömmlichen Typologien von Wohlfahrtsstaaten nicht geeignet sind, den sich abzeichnenden neuen Typus des aktivierenden Staates zu fassen.
In Anlehnung an den der britischen Labour-Partei von Tony Blair und seinen Mitstreitern Mitte der 1990er Jahre neu gegebenen Namen New Labour bezeichnet der Begriff der ‚neuen Sozialdemokratie’ sozialdemokratische Parteien bzw. Flügel dieser Parteien, die sich vom traditionellen Erbe der Sozialdemokratie zumindest teilweise bewusst distanziert und versucht haben, sozialdemokratische Politik im Sinne eines dritten Weges, wie er von Anthony Giddens (1997, 1999) vorgedacht wurde, zu reformulieren. Zur ‚neuen Sozialdemokratie ‘vgl. auch Mahnkopf 2000.
Exemplarisch hierfür auch Esping-Andersen/ Gallie/ Hemerijk u.a. 2002.
Zum Exklusionsdiskurs von New Labour vgl. Kapitel 2.3. sowie Levitas 1998.
Bis heute ist der Begriff ‚workfare ‘in der britischen Debatte verpönt und wird selten verwendet. In der Literatur ist der Begriff unterschiedlich konnotiert. Während manche, so etwa Jessop (1994) und Peck (2001b), ihn in einem weiteren Sinn verwenden, um den Wandel vom stärker auf Dekommodifizierung und sozialstaatliche Regulierung ausgerichteten keynesianischen Wohlfahrtsstaat zum postfordistischen, auf Kommodifizierung und Deregulierung ausgerichteten Schumpeterianischen Workfare-Staat zu beschreiben, wird er häufig in einem wesentlich engeren Sinn für arbeitsmarktpolitische Programme gebraucht, in denen die Bezieher sozialer Leistungen als Gegenleistung für staatliche Unterstützung gemeinnützige oder andere Arbeiten verrichten müssen (vgl. Lødemel/Trickey 2001).
Vgl. hierfür Rhodes 2000 sowie Ross 2000.
So trug New Labours White Paper, das die Blaupause der Welfare Reform darstellt, den Titel „New Ambitions for Our Country: A New Contract for Welfare“ (DSS 1998).
Davon wurden £ 2,55 Mrd. allein in den New Deal for Young People, Labours Flagschiff der Welfare Reform, investiert (Finn 2000a: 389). Im Wahlkampf hatte Tony Blair nämlich versprochen, die Höhe der Jugendarbeitslosigkeit innerhalb der ersten Legislaturperiode um 250.000 zu senken.
Vgl. auch Clasen/ Davidson/ Ganßmann u.a. 2004 sowie Kapitel 4.3.
Um die Wiederaufnahme einer geringfügig entlohnten bzw. Teilzeitarbeit attraktiv zu machen, wurde 1999 eine negative Einkommenssteuer für Erwerbsunfähige (Disabled Person’s Tax Credit) eingeführt. Derzeit wird in Pilotprojekten, die ein verpflichtendes Gespräch mit dem Employment Service sowie verschiedene finanzielle Anreize zur Aufnahme einer Beschäftigung beinhalten, getestet, wie Erwerbsunfähige wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Diese ‚Pathway to Work-Pilots‘ sollen bis 2006 ausgeweitet werden (HM Treasury 2004).
Die hohen Kosten für Kinderbetreuung gelten gemeinhin als zentrale Barriere für die Aufnahme einer Beschäftigung (Land/ Lewis 1998). Diese soll durch die Reformen überwunden werden. Die Strategie scheint teilweise erfolgreich zu sein. So gab es 2001 für 9 von 10 Kindern unter acht Jahren einen Betreuungsplatz im Vergleich zu 6,9 von 10 im Jahr 1997. Die Beschäftigungsquote von Frauen ist gestiegen, allerdings ist nach wie vor ein großer Teil der alleinerziehenden Mütter arbeitslos (Larsen/Daguerre/Taylor-Gooby 2002: 4).
Für eine detaillierte Beschreibung der Funktionsweise und einzelner Regelungen vgl. Larsen/ Daguerre/ Taylor-Gooby 2002 sowie Brewer 2003.
Für alle, die mehr als 30 Stunden in der Woche arbeiten, gibt es außerdem einen Bonus von £ 620 pro Jahr (Brewer 2003: 5).
Zu den politischen Entwicklungen vgl. Heinelt 2003 sowie Blancke/ Schmid 2003.
Erwachsene werden beim ersten Pflichtverstoß mit einer 30-prozentigen Kürzung über 3 Monate sanktioniert. Nach der ursprünglichen Regelung konnten bei wiederholten Pflichtverletzungen innerhalb von drei Monaten weitere Sanktionen verhängt werden, so dass sich auch hier die Kürzungen bis zur vollständigen Streichung des Existenzminimums addieren konnten (Däubler 2005). Da der Zeitraum, in dem der wiederholte Pflichtverstoß erfolgen musste, relativ kurz war, war dieser Fall aber eher hypothetisch. Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom Juni 2006 (Deutscher Bundestag 2006b) wurde die Sanktionsregelung aber noch einmal deutlich verschärft. Der Zeitraum, in dem eine wiederholte Pflichtverletzung mit einer Sanktion geahndet wird, wurde damit auf ein Jahr verlängert. Bei wiederholter Pflichtverletzung wird eine 60-prozentige Leistungskürzung verhängt, beim dritten Verstoß werden die Leistungen inkusive der Kosten der Unterkunft für drei Monate komplett gestrichen.
Mit dem Gesetz sind zwei unterschiedliche Trägerformen entstanden: Kooperationen zwischen Arbeitsagenturen und ehemaligen Angestellten der kommunalen Sozialämter (Arbeitsgemeinschaften/ARGEn) sind die gängige Form. Mithilfe der so genannten Optionsklausel wurde in 69 Fällen die Verantwortung für Langzeitarbeitslose aber auch allein den Kommunen übertragen. Für Details vgl. Czommer/ Schweer 2005.
Nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales war der angestrebte Betreuungsschlüssel für Jugendliche im September 2005 erreicht (Schmachtenberg 2005).
Zu diesem Ergebnis kommt auch der Zwischenbericht der Bundesregierung (Deutscher Bundestag 2006c: 111, 114, 129)
Zeitweise wurde für die Gründung einer Ich-AG noch nicht einmal ein Businessplan verlangt. Zu Beginn des Jahres 2005 war ein Fünftel der geförderten Existenzgründer wieder aus der Förderung ausgeschieden, über die Hälfte der Ich-AG-Abbrecher war wieder arbeitlos; häufig hatten sie sich verschuldet (Wießner 2005). Nicht zuletzt aufgrund dieser zweifelhaften Bilanz ist der Existenzgründerzuschuss zum 30.06.2006 auslaufen. Stattdessen wurde ein neues Instrument zur Förderung von Existenzgründungen eingeführt, das sowohl die Ich-AG als auch das alte Überbrückungsgeld ersetzt (Deutscher Bundestag 2006b). Bei diesem werden die Erfolgsausichten stärker überprüft und der Zuschuss wird nur noch für sechs Monate gewährt.
Dies geben auch die Forscherinnen und Forscher des IAB (Koch/ Stephan/ Walwei 2005) in ihrer Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen von Workfare zu bedenken. Sie warnen sogar vor einer Verschlechterung der Eingliederungsaussichten durch Zusatzjobs.
Ein illustratives Beispiel dafür ist die Ansicht des kurzzeitigen ‚Vorstandsvorsitzenden ‘der Bundesagentur für Arbeit, Florian Gerster, nach der Arbeitslose nicht den Eindruck bekommen dürfen, ihr Rechtsanspruch auf Arbeitslosenunterstützung „gestatte ihnen für die Dauer der Bewilligung eine finanziell abgesicherte Auszeit vom Arbeitsleben. Um dieses Missverständnis aufzuheben, muss eine Betreuung organisiert werden, die mit dem ironischen Begriffspaar fürsorgliche Belagerung treffend beschrieben ist“ (Gerster 2003: 170).
So etwa Rossanvallon 2000.
Siehe auch Dribbusch 2005.
Vgl. auch Bothfeld/ Gronbach/ Seibel 2004.
Vgl. auch Lahusen 2005.
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(2007). Zwischen Drinnen und Draußen: Wohlfahrtsstaatlich induzierte Inklusions- und Exklusionskarrieren. In: Soziale Exklusion im Wohlfahrtsstaat. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90499-3_7
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