Zusammenfassung
Den Medien wird vielfach angelastet, sie würden Jugendkriminalität in besonderer Weise skandalisieren, ausländische Jugendliche diskriminieren und auf Intensivtäter fokussieren. Dies verstärke den Handlungsdruck, Jugendkriminalität rigider zu verfolgen. Diese Annahmen lassen sich für die meistgesehenen deutschen Fernsehnachrichten und TV-Boulevardmagazine widerlegen. Dies zeigt eine Langzeitanalyse in Zusammenarbeit zwischen der Hochschule Macromedia und dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen.
Tatsächlich kommen zu jugendlicher Gewalt besonders häufig Fachleute aus Wissenschaft und Praxis zu Wort. Forderungen nach Strafverschärfung erhalten kaum Raum. Es lassen sich zwar Beispiele für eine Skandalisierung von Jugendgewalt finden – aber sie sind untypisch für die Berichterstattung in ihrer Breite.
Mit Kriminalstatistiken hat die Medienwirklichkeit wenig zu tun. Berichtet wird vor allem tödliche und sexuelle Gewalt, die von Jugendlichen seltener als von Erwachsenen begangen wird. Während Tatverdächtige eher im Schatten der Wahrnehmung bleiben, stehen Opfer im Mittelpunkt journalistischer Auswahlentscheidungen, vor allem kindliche und weibliche Opfer.
Dabei stellt sich in der digitalen Gesellschaft die Frage nach medialer Verantwortung anders als bisher. Längst haben die klassischen Medien und der professionelle Journalismus an Wirkungsmacht eingebüßt. Broadcast yourself ist das Motto. Durch Handyvideos, die Täter und Täterinnen selbst über soziale Netze verbreiten, wird die Entwürdigung der Opfer grenzenlos. Internetplattformen schreiten gegen Hasskommentare nur zögerlich ein. Zu beobachten ist damit eine neue Mediatisierung der Gewalt.
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Hestermann, T. (2018). Jugendkriminalität in den Medien: Opfer, Dämonen und die Mediatisierung der Gewalt. In: Dollinger, B., Schmidt-Semisch, H. (eds) Handbuch Jugendkriminalität. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19953-5_4
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