Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag widmet sich dem Potenzial einer performativen Forschungslogik für kritische Migrationsforschung. Ausgangspunkt ist eine Unterscheidung verschiedener Lesarten des Kritikbegriffs und eine Selbstverortung des Beitrags im Feld der Kritik. In einem zweiten Schritt wird dieses Kritikverständnis als Ausdruck einer „verspäteten Repräsentationskrise“ in den Sozialwissenschaften gelesen und dadurch in seinem Anspruch präzisiert.
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Notes
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Für wertvolle Hinweise zu früheren Fassungen dieses Textes danke ich Susanne Arens, Anna Kröppel, Petra Neuhold, Johanna Stadlbauer und den HerausgeberInnen.
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Vgl. etwa Castro Varela/Dhawan (2003: 279): „Die Aufgabe der Kritik besteht […] darin, Räume zu schaffen, in denen die Anderen gehört werden. […] Eine kritische Praxis muss […] in der Lage sein, das Nichtgedachte der dominanten Diskurse zu denken, und denen zuzuhören, die zur Zielscheibe der epistemischen Gewalt werden.“
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Besonders eindrücklich wird dieses Ziel bei Rainer Winter formuliert, der ganz allgemein „für ein kritisches Verständnis qualitativer Forschung plädier[t]. Diese soll durch transformative und interventionistische Untersuchungen eine emanzipatorische Agenda zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit entwickeln sowie zu einer radikalen Demokratie beitragen. […] Eine kritische qualitative Forschung möchte Veränderungen im Alltagsleben von Menschen bewirken.“ (Winter 2010: Par. 4)
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Zur Krise der Repräsentation u. a. Berg/Fuchs (1993).
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Auch wenn die Debatte inhaltlich älter ist, wird sie für gewöhnlich an dem von Clifford und Marcus 1986 herausgegebenen Band „Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography“ festgemacht.
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Gutiérrez Rodríguez (2003: 18) zufolge findet seit 1997 eine verstärkte Rezeption postkolonialer Theorie in der deutschsprachigen Migrationsforschung statt. Sie wird gestützt durch vielfältige Anknüpfungspunkte: Beide sind interessiert an einer Historisierung politischer, medialer und wissenschaftlicher Migrations- und Fremdheitsdiskurse sowie an der Analyse gesamtgesellschaftlicher, migrationspolitischer, wissenschaftlicher und forschungsbezogener Machtverhältnisse. Darüber hinaus weisen beide eine ausgeprägte Tendenz zur Wissenschaftsund Forschungskritik auf (vgl. z. B. Scherke 2009; Reuter/Villa 2010).
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In diesem Zusammenhang lohnt sich auch ein (wissenschaftskritischer) Blick auf die Disziplinengeschichten: Wie u. a. Stuart Hall (1992) gezeigt hat, waren die Entwicklung und das ursprüngliche Selbstverständnis von Sozialwissenschaften und Ethnologie Ausdruck und Motor der Konstruktion einer politisch folgenreichen West/Rest-Dichotomie. Das Bild, das die Forschung auf der Basis dieser Unterscheidungen über westliche und nicht-westliche Kulturen gezeichnet hat, ist bis heute fixer Bestandteil öffentlicher und wissenschaftlicher Migrationsdiskurse.
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Ha spricht bereits 2005 (durchaus kritisch) von einem „Hype um Hybridität“. Er bezieht sich dabei auf werbewirksame oder politische Vereinnahmungen sowie auf verkürzte wissenschaftliche Rezeptionen des Konzepts, die sein widerständiges Potenzial zu schwächen drohen.
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Tatsächlich gibt es Bhabha zufolge auch jenseits des third space keine „reinen“ kulturellen Zonen, die seine Grenzen markieren könnten: „Vielmehr kennzeichnet er eine kulturelle Verfassung, die überhaupt keine reinen, unvermischten Zonen enthält, sondern aus Überlagerungen in sich widersprüchlicher und differenter Schichten einer Kultur besteht“ (Bachmann-Medick 2006: 205).
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Hybridität und die Fähigkeit zu kreativer Intervention sind keineswegs spezielle „Talente“ postkolonialer MigrantInnen, auch wenn Bhabha dieser Gruppe besondere Aufmerksamkeit schenkt und sein Konzept an ihrem Beispiel ausarbeitet. Sie entstehen vielmehr immer dort, wo Menschen einer extremen diskursiven Vereindeutigung (z. B. als „MigrantInnen“ und/oder „Angehörige einer fremden Kultur“) ausgesetzt sind. Dazu auch Bachmann-Medick (2006: 206f.), Bronfen/Marius (1997) zitierend: „,Das Subjekt ist Knoten- und Kreuzungspunkt der Sprachen, Ordnungen, Diskurse, Systeme wie auch der Wahrnehmungen, Begehren, Emotionen, Bewusstseinsprozesse, die es durchziehen.’ Somit zeigt sich Hybridität nicht erst zwischen den (verschiedenen) Kulturen, sondern bereits als innere Differenzierung einer Kultur, ja der Subjekte selbst.“
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Dazu ausführlicher Ploder 2009.
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Was als widerständige Positionierung in den Blick kommt, hat also vor allem damit zu tun, welche Diskurse in der Forschungssituation „präsent“ sind. Aus diesem Grund ist eine alltagsähnliche Interviewsituation, in der auch die Überzeugungen der Forschenden zur Sprache kommen, bewusst „einseitig“ ausgerichteten narrativen Interviewformen vorzuziehen. Auch Gruppendiskussionen können hier interessant sein.
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Zeichen für das Interesse, das ihm die Community der deutschsprachigen qualitativen Sozialforschung entgegenbringt, sind das FQS-Schwerpunktheft 9(2) (vgl. Guiney Yallop et al. 2008) sowie seine Thematisierung in den Mittagsvorlesungen der Berliner Methodentreffen Qualitative Forschung 2010 und 2011 (vgl. Winter 2010, Diaz-Bone 2011). Außerhalb der qualitativen Methodendiskussion taucht der Begriff der Performativität unter anderem im Zusammenhang mit Versuchen auf, poststrukturalistische Theorien und cultural studies für die Sozialwissenschaften fruchtbar zu machen (vgl. etwa Moebius/Reckwitz 2008).
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Damit setzt sich PSS deutlich von den gängigen Gütekriterien qualitativer Forschung ab, die nach wie vor stark an den standardisierten Verfahren orientiert sind. Vgl. Flick 2007: 487 ff.
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Ein interdisziplinärer Brückenschlag zur praktischen Philosophie könnte hier Abhilfe schaffen, hat aber bislang kaum stattgefunden.
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Wichtig ist dabei, dass nicht die Performance der Beforschten (re)inszeniert wird, sondern deren Erleben durch die Forschenden. Eine Inszenierung „fremder Kultur“ auf der Bühne der eigenen, womöglich mit dem Anspruch einer „authentischen“ Darstellung, würde in das Muster der kulturalisierenden Repräsentation zurückfallen, das es ja gerade zu überwinden gilt.
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Als Beispiele für deutschsprachige Migrationsforschungsprojekte mit performativem Charakter sei hier exemplarisch auf die Beiträge in Ha et al. 2007 sowie Hess et al. 2009 verwiesen. Im forschungsnahen politischen Aktivismus haben Theater- und andere künstlerische Interventionsprojekte außerdem bereits seit längerer Zeit Tradition (vgl. etwa die Arbeit des Linzer Kollektivs MAIZ), die zum Teil bis zu Bert Brechts politischem Theater oder Augusto Boals „Theater der Unterdrückten“ (1974) zurückgeht.
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Ploder, A. (2013). Widerstände sichtbar machen. Zum Potenzial einer performativen Methodologie für kritische Migrationsforschung. In: Mecheril, P., Thomas-Olalde, O., Melter, C., Arens, S., Romaner, E. (eds) Migrationsforschung als Kritik?. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19145-4_8
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