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Working Girls Go Grotesque

Zur Reflexion von Selbstregierungstechniken in der westlichen Populärkultur seit den 1990er Jahren

  • Chapter
Banale Kämpfe?

Part of the book series: Geschlecht und Gesellschaft ((GUG,volume 51))

  • 4793 Accesses

Zusammenfassung

Vermehrt sind in der westlichen Populärkultur mit der Figur des Working Girls groteske Elemente verknüpft. Groteske Komik gehört geradezu zur Grundausstattung jener romantic comedies, in denen eine noch nicht oder knapp dreißigjährige Frau, berufstätig und auf eigenen Beinen stehend, mehr oder minder erfolgreich den Mann fürs Leben sucht. Sei es, dass sich Ally McBeal – der Seelenlage entsprechend – bei ihrem ersten Meeting bei Cage & Fish in einem großen roten Armsessel zu bedeutungsloser Winzigkeit herunterschrumpft oder sei es, dass Bridget Jones mitten im Schneegestöber Marc Darcy in Joggingschuhen und Leopardenslip hinterher jagen muss. Auch die Filmversionen von Charlie's Angels arbeiten offensiv mit Elementen des Grotesken. Schon die Einführung der Figuren setzt auf extreme Differenzen und zwar sowohl zwischen den Figuren als auch innerhalb der Figuren selbst (was noch mehr für das Sequel Full Throttle gilt). Natalie Cook, gespielt von Cameron Diaz, vereint in sich ‚Wildfang‘ und ‚hässliches Entlein‘ mit der superfemininen Gewinnerin einer Rate- Show (schüchtern, beschämt und überrascht über ihren Erfolg). Darüber hinaus bringt Natalie Kälber auf die Welt, die Arme tief im Inneren der Kuh versenkt. Bei diesem sehr blutig inszeniertem Spektakel scheint sie selbst – im Gegensatz zu den ebenfalls anwesenden Männern – völlig ekelfrei zu sein, herzt und küsst sie doch nach der vorangegangenen Splatterorgie das schleimig-blutige Kalb, als es endlich auf der Welt ist. Der Kontrast zu Dylan Sanders (i. e. Drew Barrymore) könnte nicht größer sein. Sie tritt als Lady Insane in den Ring, um im Freistilringen resp. Wrestling hartgesottenen Männern das Fürchten zu lehren. Aber auch Lucy Kelson, verkörpert von Sandra Bullock, zeigt in Two Weeks Notice groteske Züge: Als sie gründlich betrunken mit ihrem notorisch unterengagierten und unterorganisiertem Chef (Hugh Grant) Gründe für das Ende ihrer Liebesbeziehung diskutiert, nimmt sie ihre sexuelle Performance davon aus: Sei sie doch im Bett eine Mischung aus Wildkatze und Gummi-Brezel. Ihr exorbitanter Appetit zieht sich leitmotivisch durch den Film. Er schlägt nicht nur aus ihren üppigen Telefon-Bestellungen von Asian Food mit Referenz auf ihr Single-Dasein komisches Kapital, sondern kombiniert es mit Fäkalhumor. Als Lucy sich aus eifersüchtigem Liebeskummer anlässlich eines Tennisturniers überfrisst, gerät sie auf dem Rückweg in einen Verkehrsstau und in eine Verdauungsklemme. Eben jener Chef und Ursache des Liebeskummers ‚rettet‘ Lucy, indem er das Auto stehen lässt, sie durch den Stau zu einem Wohnwagen trägt, damit sie dort die Toilette benutzen kann – mit viel Lärm, was zwei Kinder schwer verstört. Es gäbe noch viele weitere Beispiele, zuletzt sei aber nur noch Secretary in der Regie von Steven Shainberg aufgeführt, wo die sogenannte ‚Perversion‘ des BDSM als Groteske inszeniert ist – Maggie Gyllenhaal lotet hier den Spielraum zwischen Unterwerfung unter das geschlechterhierarchisch strukturierte Büroregime und (sexueller) Identitätsfindung und Selbstbestimmung aus.

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Notes

  1. 1.

    Das Groteske als Stilprinzip geht zurück auf die ornamentale Malerei, „die verschiedene menschliche, Tier- und Pflanzenmotive ineinander verwebt und dabei keinem offensichtlichen, den Zusammenhang sichernden Prinzip zu gehorchen scheint” (Rosen 2001: 876). Überlegungen zum Grotesken als ästhetische Kategorie sind meist von rezeptionsästhetischen Überlegungen geprägt: ins Spiel kommen Lachen (Bachtin 1995: 28), „Erstaunen und ratlose Beklommenheit” (Kayser 1957: 30) oder Erwartung und Enttäuschung (Pietzcker 1989). Dem gegenüber soll das Groteske als Produktionsprinzip in den Blick genommen werden, das als „contradictory principle” ungehörig Unzusammengehöriges entdifferenzierend zusammenfügt (Meyer 1995, ii) und als ein selbstreflexives Medium kultureller Konstrukte fungiert (Fuß 2001).

  2. 2.

    Das deutsche Äquivalent ist hierzu ‚die Professionelle‘. Dieser Bezeichnung fehlt jedoch jener romantisch-komödiantische Charme des Mädchenhaften.

  3. 3.

    Obwohl Brinkema einen Lacanianischen Zugang zu dem Film vorschlägt, kommt auch sie zu der Parallele von Schreibmaschine und erotisch aufgeladener Körperschrift.

  4. 4.

    Shainberg selbst behauptet für diesen Film ein widerständiges Potenzial gegen das dominante Hollywood-Narrativ, das auf einer Heilung bestehe. Außerdem würden insbesondere Frauen aufgrund der widerständigen Selbstverwirklichung von Lee ein ‚Empowerment‘ erfahren. Abgesehen davon, dass Autor_innen und Regisseur_innen nicht unbedingt die genausten Leser_innen ihrer selbst sind, ist der Begriff des Empowerment mit jener managerialen Optimierungskultur verbunden, die an der Auflösung jener Institutionen arbeitet, die meines Erachtens im Film melancholisch besetzt erscheinen (Abeel 2002: 27 f).

  5. 5.

    Wie Brinkema jedoch zu Recht bemerkt, gibt es einen Preis für das happy ending: Lee darf zwar ihr masochistisches Sein leben, jedoch nur in der Paarbeziehung. Ihre solipsistische Selbstverletzung hingegen muss geheilt werden.

  6. 6.

    Yuen Cheung Yan hat lange Zeit mit seinem Bruder Yuen Woo Ping zusammengearbeitet, der mit den Choreographien von The Matrix (1999) und Crouching Tiger, Hidden Dragon von Ang Lee (2000) berühmt wurde.

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© 2012 VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden

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Keck, A. (2012). Working Girls Go Grotesque. In: Villa, PI., Jäckel, J., Pfeiffer, Z.S., Sanitter, N., Steckert, R. (eds) Banale Kämpfe?. Geschlecht und Gesellschaft, vol 51. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18982-6_5

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-18982-6_5

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-531-18213-1

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