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Zur Postmoderne und zurück. Frank Witzels Roman Revolution und Heimarbeit (2003)

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Frank Witzel

Part of the book series: Kontemporär. Schriften zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ((KSDG,volume 4))

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Zusammenfassung

Nach einigen unveröffentlichten und abgebrochenen Romanprojekten, die bis in die 1970er Jahre zurückreichen, und dem Debütroman Bluemoon Baby (2001) erschien im Jahr 2003 mit Revolution und Heimarbeit Frank Witzels zweiter Roman. Vordergründig berichtet darin ein Journalist von seinem gescheiterten Versuch, eine Reportage über ein Verbrechen zu schreiben, dessen Konturen niemals wirklich deutlich werden. Am Ende des Romans wird sogar gänzlich unwahrscheinlich, dass es dieses Verbrechen und auch das Reportageprojekt selbst je gegeben hat.

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Notes

  1. 1.

    Vgl. http://www.frankwitzel.de/texte_roman.html (09.09.2018). Vgl. auch den werkgeschichtlichen Rückblick des Autors in: Frank Witzel: Über den Roman – hinaus. Heidelberg 2018, insb. 12–15.

  2. 2.

    Frank Witzel: Revolution und Heimarbeit. Hamburg 2003 (im Folgenden als „RH“ mit Seitenzahl im Haupttext nachgewiesen).

  3. 3.

    Zu den Merkmalen postmodernen Erzählens vgl. Carsten Rohde: „Der Roman in der Postmoderne“. In: Andrea Hübner, Jörg Paulus, Renate Stauf (Hg.): Umstrittene Postmoderne. Lektüren. Heidelberg 2010, 185–203. Manfred Durzak: „Postmoderne und Spätmoderne: Erzählerische Tendenzen der achtziger Jahre“. In: Wilfried Barner (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart. München 22006, 814–842.

  4. 4.

    Frank Witzel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969. Berlin 2015.

  5. 5.

    Vgl. exemplarisch: Michael Braun: Die deutsche Gegenwartsliteratur. Eine Einführung. Köln u. a. 2010.

  6. 6.

    Bl: „Vertrackte Dokumentation. Spannender Roman über einen merkwürdigen Journalisten“. In: Vorarlberger Nachrichten, 10.01.2004, D6. – Seine Interpretation stützt der Rezensent darauf, dass die im Roman vermeintlich präsentierten „Einzelinterviews“ (gemeint sind die „Dokumente“; s. unten, Abschn. „Erzählstruktur und Handlung“) auf „Missverständnisse“ in der gegenseitigen Beurteilung der Romanfiguren hinweisen würden (ebd.). Wie im Folgenden noch deutlich wird, übersieht dieser Deutungsvorschlag jedoch, dass die Dokumente gerade keine Einzelinterviews verschiedener Figuren darstellen, sondern allesamt Erfindungen ein und desselben Erzählers sind.

  7. 7.

    Christoph Ernst: „Trau schau wem auf Speed. Real existierende Abgründe des Wahns: Frank Witzels Roman ‚Revolution und Heimarbeit‘“. In: die tageszeitung, 28.02.2004, VI.

  8. 8.

    In der Tat weist der Roman zumindest auf sprachlich-stilistischer Ebene, etwa durch die wiederholenden, manisch-repetitiven Elemente, Anklänge an Bernhard auf. Vgl. exemplarisch die anaphorische Wiederholung von „Der Papst“, RH 23–24.

  9. 9.

    Um die Orientierung zu erleichtern, nummeriere ich die Romankapitel in chronologischer Reihenfolge. Dass sie im Roman selbst nicht nummeriert sind, hat allerdings seinen guten Grund und lässt sich u. a. dadurch erklären, dass der Journalist die von ihm präsentierten „Dokumente“ (dazu im Folgenden mehr) willkürlich in bestimmter Weise anordnet, ohne dass die von ihm gewählte Reihenfolge die einzig mögliche wäre.

  10. 10.

    Zu dieser Form des unzuverlässigen Erzählens vgl. Jan Stühring: „Unreliability, Deception and Fictional Facts“. In: Journal of Literary Theory 5/1 (2011), 95–107.

  11. 11.

    Angespielt wird offenkundig auf die berüchtigten Teletubbies, da Tanny eine Figur namens „Klinky Minky“ (RH 48) in einem roten Fellkostüm spielt. Ihre Konfrontation mit einem fundamentalchristlichen Prediger lehnt sich ebenfalls lose an eine tatsächliche Kontroverse an, in der ein baptistischer Fernsehprediger behauptete, die Figur Tinky Winky sei ein „gay role model“. Vgl. dazu eine Meldung in der New York Times vom 11.02.1999: https://www.nytimes.com/1999/02/11/us/national-news-briefs-falwell-sees-gay-in-a-teletubby.html (09.09.2018). Ohne hier ausführlich darauf eingehen zu können, sei darauf hingewiesen, dass sich solche Bezüge auf realgeschichtliche Ereignisse und Personen in Revolution und Heimarbeit immer wieder beobachten lassen.

  12. 12.

    Vgl. auch RH 64–65.

  13. 13.

    Die Ausnahme ist ein weiterer Kleinkrimineller, der Erzähler von Dokument 9. Im Vergleich zu anderen Figuren ist sein Stil deutlich schlichter, was sich z. B. an den kurzen Sätzen und einer Tendenz zur Umgangssprache zeigt (vgl. exemplarisch den ersten Absatz, RH 214).

  14. 14.

    Im Unterschied zu anderen Werken Witzels sind es vor allem Bezüge zur Hochkultur, die in Revolution und Heimarbeit, meist eher beiläufig, eingeflochten werden. Zwar spielt auch, wie bereits erwähnt, eine Fernsehsendung eine Rolle, die dem Format nach den Teletubbies entspricht, zwar wird auch der „Musikantenstadl“ erwähnt (RH 143–144); oft zeigen die Erzähler aber eine zumindest oberflächliche Kenntnis durchaus hochkultureller Phänomene und Personen, etwa wenn Oscar Wilde, der Engländer oder vielleicht doch Ire sei (vgl. RH 119–120), Mauricio Kagel, der „die Musiker verkehrt herum in die Flöten pusten lasse“ (RH 144), Lucian Freud (RH 157), Mark Wallinger (RH 186) u. a. erwähnt werden.

  15. 15.

    Auch für diese Korrektur bzw. Selbstentlarvung finden sich schon vor dem Ende des Romans immer wieder Hinweise. Schon der Name ‚Snake‘ wird viele Leser misstrauisch machen. Auch vom Journalisten selbst wird Snake als doppelzüngige Person eingeschätzt, bei deren Erzählungen unklar bleibe, inwiefern davon irgendetwas der Wahrheit entspreche. Gleichwohl präsentiert er Snake lange als den „Gewährsmann“ für die mitgeteilten Fakten: Das „Dokumentarische der Dokumente“ beruhe „allein“ auf Snake (RH 127).

  16. 16.

    Auch der vermeintliche Erzähler von Dokument 9 (Kap. 18) erwähnt scheinbar zusammenhangslos und in einem Nebensatz, dass er seinem „Schwager den Kopf eingeschlagen“ habe (RH 217), was der Journalist in Kapitel 19 damit kommentiert, dass er gern „noch mehr über den lediglich nebenbei erwähnten Mord an dem Schwager des Erzählers erfahren“ hätte (RH 221). Dass dies versteckte Anspielungen auf die eigene Tat des Journalisten waren, wird erst im Rückblick deutlich.

  17. 17.

    In einer weiteren Selbstdeutung spricht der Journalist auch einmal von der „wahre[n] Grausamkeit des Menschen, der sich immer weiter durch seine Werke bestimme, so wie er sich selbst auch und in letzter Verzweiflung durch diese jämmerliche Dokumentation habe bestimmen wollen, damit er selbst für etwas stehe, damit sein Leben einen Sinn erhalte, weil dieses Leben endlich etwas anderes als nur sich selbst habe ausdrücken sollen, auch wenn es sich jetzt lediglich in dieser jämmerlichen Dokumentation aus Arlington ausdrücke“ (RH 182).

  18. 18.

    Im Grunde schildern alle der in Tab. 1 aufgelisteten Erzähler, auch wenn sie vom Journalisten erfunden wurden, ihre eigenen Lebenswelten und Gedanken, auf die ich hier jedoch nicht ausführlich eingehen kann.

  19. 19.

    Zu den drei Motti des Romans vgl. unten, Anm. 23.

  20. 20.

    Dies wiederum erinnert an poetologische Kommentare Witzels, der an verschiedener Stelle die Bedeutsamkeit der Kategorien ‚Stimmung‘ und ‚Geschmack‘ für sein eigenes Schreiben betont. Vgl. Gewinner des Deutschen Buchpreises 2015|Kultur.21 (2015): https://www.youtube.com/watch?v=ibdHkr1DZic (09.09.2018); Witzel: Über den Roman – hinaus (wie Anm. 1), 28; Frank Witzel: „Ich weiß, wo ich herkomme“ (2017): https://www.youtube.com/watch?v=UZ7-O9sNRDI (09.09.2018).

  21. 21.

    Wie ich unten noch ausführen werde, steht auch diese ‚Auflösung‘ unter einem gewissen Vorbehalt.

  22. 22.

    Vgl. Witzels Selbstdeutung: „Der Titel sollte eine gewisse Spannung zwischen dem stark in einer bestimmten Zeit verhafteten bundesdeutschen Begriff der Heimarbeit und dem gar nicht bundesdeutschen Begriff der Revolution herstellen.“ (Witzel: Über den Roman – hinaus (wie Anm. 1), 15) – Der detaillierten Erläuterung des Romantitels kann ich wegen des beschränkten Umfangs dieses Aufsatzes nicht nachgehen. Es sei aber auf einige Passagen hingewiesen, die in diesem Zusammenhang besonders signifikant sind: RH 141–142, 170, 173.

  23. 23.

    Auch in dieser heterogenen Zusammenstellung von Persönlichkeiten kündigt sich ein Gestaltungsprinzip des Romans an: das Nebeneinanderstellen von scheinbar Unverbundenem. Allerdings ist damit nicht gesagt, dass diese Zusammenführung des Disparaten keine Funktion hätte: In den drei Motti wird nicht nur der Romantitel aufgegriffen (durch Youngs Revolution Blues und Galdós’ Bemerkung, dass „Lektüre […] ein Born fremder Gedanken und Vorstellungen“ sei, die man sich „nicht durch Arbeit“ aneigne, RH 5), sondern es klingen auch weitere Themen und Motive an, die den Roman in unterschiedlicher Form prägen: im Hegel-Zitat aus der Phänomenologie des Geistes das Motiv eines problematisch gewordenen (Selbst-)Bewusstseins; im Young-Zitat das Motiv des brutalen und gleichwohl erratischen Mordes (es handelt sich um einen Song über Charles Manson); und bei Galdós das Verhältnis von Kunst und Authentizität.

  24. 24.

    „Vielleicht könnte man den Roman auch als eine Form der Vereinbarung mit dem Leser beschreiben, die ungefähr folgendermaßen lautet: ‚Alles, was du hier auf den nächsten dreihundert, vierhundert oder achthundert Seiten vorfindest, hat miteinander zu tun, auch wenn du den Zusammenhang nicht sofort erkennst oder niemals erkennen wirst. Ich, als Autor, habe die Verantwortung für diese Texte, und du, als Leser, hast die Aufgabe, mir zu folgen, also den in dir vielleicht hier und da aufkeimenden Gedanken ‚Was soll das denn jetzt?‘ oder ‚Was hat das denn damit zu tun?‘ nicht zu unterdrücken, sondern zu denken, zu fühlen und wahrzunehmen, aber nicht aus einer Sehnsucht nach einem geschlossenen Narrativ heraus die Lektüre abzubrechen, sondern sozusagen bei der Stange zu bleiben.‘“ (Witzel: Über den Roman – hinaus [wie Anm. 1], 24).

  25. 25.

    Witzel selbst sieht in dieser nachträglichen Erklärung des Journalisten rückblickend einen ästhetischen Makel. In den Heidelberger Poetikvorlesungen heißt es: „[D]ie Frage […], warum die Stimmen formal vertauscht sind, also diejenigen, über die berichtet wird, direkt erzählen, während der Kommentator nur indirekt wiedergegeben wird […] [,] hätte unbedingt offenbleiben müssen, als konstruktive und den Roman konstituierende Lücke. Doch ich beging den Fehler, die Lücke mit einer Erklärung am Ende zu füllen, was zum Scheitern des ganzen Romans führte […].“ (Witzel: Über den Roman – hinaus [wie Anm. 1], 30–31).

  26. 26.

    Zur Definition von narrative closure vgl. Tobias Klauk, Tilmann Köppe, Edgar Onea: More on narrative closure. In: Journal of Literary Semantics 45/1 (2016), 21–48.

  27. 27.

    Vgl. RH 250: „Er habe seinen Schwager ins Auto geladen und habe das Auto […] zum Mühltalweiher gefahren und dort das Auto mit seinem Schwager versenkt. Anschließend sei er in die Garage zurückgekehrt und habe alles wieder so hergerichtet, wie es gewesen sei. Außer der Blutlache, gegen die er nichts habe machen können, weil sich das Blut in den Betonestrich gefressen habe. Er habe dann Motoröl über die Blutlache geschüttet und tatsächlich habe das Motoröl das Blut überdeckt […]. Die leere Dose habe er danebengelegt, dann habe er die Garage von außen verschlossen und sei heimgegangen.“

  28. 28.

    Im dritten Absatz berichtet der Journalist z. B. von der Schwierigkeit, der Rede seines Interviewpartners zu folgen, weil er dabei permanent auf sich selbst achten müsste und „gegen ein beständig anwachsendes Gefühl der Unsicherheit in Bezug auf seine Physiognomie [habe] ankämpfen müssen und sich immer wieder dabei ertappt [habe], wie er im Glas eines Bilderrahmens oder dem Lack des Wohnzimmerschranks nach seinem Spiegelbild gesucht habe, um an Hand dieser unscharfen Silhouette die Ausmaße seiner Ohrmuscheln zu überprüfen.“ (RH 8)

  29. 29.

    Das „Lager“ ist in Revolution und Heimarbeit eine häufig wiederkehrende Vokabel, die der Journalist zur Beschreibung ganz unterschiedlicher Sachverhalte heranzieht (vgl. exemplarisch RH 170, 182 und 246).

  30. 30.

    Eine Volltextsuche bei google books ergibt für die verschiedenen Flektionsformen von ‚Vater‘ Treffer auf über 30 Seiten des Romans.

  31. 31.

    Diese Option würde immerhin zu dem passen, was Frank Witzel selbst über die beabsichtigten Wirkungen seiner Texte sagte: vgl. die in Anm. 20 erwähnten Selbstzeugnisse.

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Descher, S. (2019). Zur Postmoderne und zurück. Frank Witzels Roman Revolution und Heimarbeit (2003). In: Detken, A., Kaiser, G. (eds) Frank Witzel. Kontemporär. Schriften zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, vol 4. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04882-0_6

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  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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