Zusammenfassung
Der in den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen vom 11. März 1773 in der Rubrik Von gelehrten Sachen erschienene Vierzeiler ist nicht nur als ein Dokument der Berliner Bachrezeption von Interesse, sondern, gerade wegen seiner Beiläufigkeit, mehr noch als ein Beleg für die in der preußischen Hauptstadt verbreitete Vorstellung von der Normativität älterer Musik.2 Johann Sebastian Bach, der „Vater“, war 1750 gestorben, Carl Heinrich Graun, der Berliner Hofkapellmeister, 1759 und sein älterer Bruder Johann Gottlieb, welcher Konzertmeister in der preußischen Hofkapelle gewesen war, im Jahr 1771. Die metaphorisch gefasste Denkfigur, der zufolge sich das aktuelle Komponieren vor den Mustern so genannter unsterblicher Meister zu legitimieren habe, ist zum damaligen Zeitpunkt alles andere als neu in der Musikgeschichte; im Zusammenhang mit den Namen Bach und Graun verweist sie aber auf das spezifische Klassikbewusstsein, welches in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Berlin wirksam war.
Ekkehard Krüger und Tobias Schwinger gewidmet
Als des Herrn Capellmeister C. P. E. Bachs neue Flügelconcerte in Berlin aufgeführt wurden.
Des Rufs partheyische Posaune
O Bach! ist für Dein Lob zu klein;
Dein Vater — und verklärte Graune
Sehn vom Olymp herab: sich Deines Ruhms zu freun!
Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine geringfügig veränderte Fassung eines Textes, der bereits erschienen ist in: Berliner Aufklärung. Kulturwissenschaftliche Studien, Bd. 2, hrsg. von U. Goldenbaum u. A. Kosenina, Hannover 2003, S. 7–33.
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Notizen
Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine geringfügig veränderte Fassung eines Textes, der bereits erschienen ist in: Berliner Aufklärung. Kulturwissenschaftliche Studien, Bd. 2, hrsg. von U. Goldenbaum u. A. Košenina, Hannover 2003, S. 7–33.
Vergleiche P. Rummenhöller, Die musikalische Vorklassik, Kassel 1983, S. 49–61.
E. Bücken, Die Musik des Rokokos und der Klassik, Wildpark bei Potsdam 1927 (= Handbuch der Musikwissenschaft, Bd. 3), S. 75;
P. Schnaus, Der musikalische Stilwandel um 1750, in: ders. (Hrsg.), Europäische Musik in Schlaglichtern, Mannheim 1990, S. 215 f.
C. Burney, Tagebuch einer musikalischen Reise, Nachdruck der Ausgabe Hamburg 1772, Wilhelmshaven 1980 (= Taschenbücher zur Musikwissenschaft, Bd. 65), S. 437.
Vergleiche die teleologisch motivierte Ausklammerung der norddeutschen Symphonik aus der Gattungsgeschichte bei S. Kunze, Die Sinfonie im 18. Jahrhundert, Laaber 1992 (= Handbuch der Gattungsgeschichte, Bd. 1); außerdem die weitgehende Ausblendung der norddeutschen Trio-Blüte um 1750 aus der Gattungsgeschichte bei J. G. Suess, Artikel „Triosonate“, in: L. Finscher (Hrsg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. Ausgabe, Sachteil, Bd. 9, Kassel und Stuttgart/Weimar 1998, Sp. 820–831.
Vergleiche E. Bücken, Die Musik des Rokokos, a. a. O., S. 75–77; H.-G. Ottenberg, Die Entwicklung des theoretisch-ästhetischen Denkens innerhalb der Berliner Musikkultur von den Anfängen der Aufklärung bis Reichardt, Leipzig 1978 (= Beiträge zur musikwissenschaftlichen Forschung in der DDR, Bd. 10);
Th. Bauman, Courts and Municipalities in North Germany, in: N. Zaslaw (Hrsg.), The Classical Era. From the 1740s to the End of the 18th Century, London 1989 (= Man & Music, Bd. 5), S. 240–267, hier S. 245.
Vergleiche C. Dahlhaus, Das 18. Jahrhundert als musikgeschichtliche Epoche, in: ders. (Hrsg.), Die Musik des 18. Jahrhunderts, Laaber 1985 (= Neues Handbuch der Musikwissenschaft, Bd. 5), S. 1–8;
Vergleiche L. Lütteken, Das Monologische als Denkform in der Musik zwischen 1760 und 1785, Tübingen 1998 (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung, Bd. 24).
Vergleiche die zusammenfasssende Darstellung in: D. Heartz und B. A. Brown, Art. Classical, in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, 2. Auflage, Bd. 5, London 2001, S. 924–929. Vergleiche auch A. Gerhard, London und der Klassizismus in der Musik. Die Idee der ‚absoluten‘ Musik und Muzio Clementis Klavierwerk, Stuttgart Weimar 2002;
außerdem die differenzierte Verteidigung des auf die Epoche ‚Wiener Klassik‘ eingeschränkten Klassikbegriffs bei Ludwig Finscher, Artikel „Klassik“, in: ders. (Hrsg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 5, Kassel und Stuttgart Weimar 1996, Sp. 224–240.
Vergleiche H. Schneider, Die Rezeption der Opern Lullys im Frankreich des Ancien Regime, Tutzing 1982 (= Mainzer Studien zur Musikwissenschaft, Bd. 16), S. 276–284;
W. Weber, The Rise of Musical Classics in Eighteenth-Century England. A Study in Canon, Ritual, and Ideology, Oxford 1992, S. 3 f.
Vergleiche in Bezug auf die Wiener Klassik R. Bockholdt, Über das Klassische der Wiener klassischen Musik, in: ders. (Hrsg.), Über das Klassische, Frankfurt a. M. 1987, S. 225–259.
Vergleiche zu den Kriterien W. Voßkamp, Normativität und Historizität europäischer Klassiken, in: ders. (Hrsg.), Klassik im Vergleich. Normativität und Historizität europäischer Klassiken, Stuttgart Weimar 1993 (= Germanistische Symposien. Berichtsbände, Bd. 13), S. 5–8.
Vergleiche J. F. Reichardt, Briefe eines aufmerksamen Reisenden, die Musik betreffend, Teil 1, Frankfurt a. M. und Leipzig 1774 (Reprint Hildesheim 1978), S. 1–33.
J. S. Petri, Anleitung zur praktischen Musik, 2. Auflage, Leipzig 1782 (Reprint Giebing über Prien 1969), S. 104.
Vergleiche C. Dahlhaus, Zur Entstehung der romantischen Bach-Deutung, in: Bach-Jahrbuch 64, 1978, S. 192–210, auch in: ders., Klassische und romantische Musikästhetik, Laaber 1988, S. 121–140.
Brief an ihren Bruder, den preußischen Kronprinzen, zitiert bei G. F. Schmidt, Die frühdeutsche Oper und die musikdramatische Kunst Georg Caspar Schürmanns, Bd. 1, Regensburg 1933, S. 77.
Vergleiche F. Reckow, Die ‚Schwülstigkeit’ Johann Sebastian Bachs oder ‚Melodie’ versus ‚Harmonie’. Ein musiktheoretischer Prinzipienstreit der europäischen Aufklärung und seine kompositions- und sozialgeschichtlichen Implikationen, in: H. Neuhaus (Hrsg.), Aufbruch aus dem Ancien régime. Beiträge zur Geschichte des 18. Jahrhunderts, Köln 1993, S. 211–243.
F. W. Marpurg, Handbuch bey dem Generalbasse und der Composition, Teil 2, Berlin 1757 (Reprint Hildesheim New York 1974), ohne Seitenzahl.
Vergleiche auch G. Henneberg, Das musikalische Werk und der Werkbegriff in der Sicht der Musiktheorie der Mozartzeit, in: Mozart-Jahrbuch 1978/79, S. 175–181.
Vergleiche M. Zenck, Stadien der Bach-Deutung in der Musikkritik, Musikästhetik und Musikgeschichtsschreibung zwischen 1750 und 1800, in: Bach-Jahrbuch 68, 1982, S. 7–32;
C. Wolff, Bach und das Ende des Barock, in: M. Danckwardt (Hrsg.), Augsburger Bach-Vorträge. Zum 250. Todesjahr von Johann Sebastian Bach, München 2002 (= Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg, Nr. 66), S. 133–144.
Vergleiche den Brief Friedrich Nicolais an Johann Gottfried Herder vom 24. August 1772, wo es zur Problematik des aus Kennern und Liebhabern bestehenden Publikums heißt: „Ich befürchte, unsere gute [so!] Köpfe wollen alle seyn, was Joh. Sebastian Bach in der Musik war, der alle Wendungen der Harmonie kannte, und sie auch alle brauchte, er ward angestaunt, und in kurzem nach ihm, ward Graun, der auch Harmonie kannte, aber kaum den zehnten Theil seiner Kenntniß brauchte, bewundert und geliebt.“ Zitiert nach B. Fabian und M.-L. Spieckermann (Hrsg.), Friedrich Nicolai. Verlegerbriefe, Berlin 1988, S. 82. Den Hinweis darauf verdanke ich Gudula Schütz (Wolfenbüttel), der an dieser Stelle dafür gedankt sei.
Brief an Johann Philipp Kirnberger vom 14. 3. 1783, abgedruckt in: E. R. Wutta, Quellen der Bach-Tradition in der Berliner Amalien-Bibliothek, Tutzing 1989, S. 46.
Vergleiche C. Henzel, Studien zur Graun-Überlieferung im 18. Jahrhundert, Habilitations-Schrift (masch.), Universität Rostock 2001, S. 83–87.
Vergleiche Chronic von Berlin, Bd. 3, Berlin 1789, S. 229 f., zitiert bei H. Fetting, Die Geschichte der Deutschen Staatsoper, Berlin 1955, S. 55.
Vergleiche H. Lölkes, Ramlers ‚Der Tod Jesu‘ in den Vertonungen von Graun und Telemann. Kontext — Werkgestalt — Rezeption, Kassel 1999 (= Marburger Beiträge zur Musikwissenschaft, Bd. 8).
Vergleiche C. Burney, A General History of Music. From the Earliest Ages to the Present Period (1789), Bd. 2, London 1789 (Reprint Dover 1957), S. 953: „His Te Deum for the victory obtained by the King of Prussia at Prague, 1757, is well known throughout Europe.“
Vergleiche M. Wendt, Die Trios der Brüder Johann Gottlieb und Carl Heinrich Graun, Diss. Bonn 1982, Bonn 1983, S. 65 f. u. 74 f. Dass Scheibe tatsächlich den preußischen Hofkapellmeister meint, ergibt sich daraus, dass er im Critischen Musikus bis auf wenige Randbemerkungen nur von ihm (und nicht von seinem älteren Bruder Johann Gottlieb) spricht.
Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nahmen private Konzerte eine wichtige Rolle im Berliner Musikleben ein; vergleiche C.-H. Mahling, Zum ‚Musikbetrieb‘ Berlins und seinen Institutionen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: C. Dahlhaus (Hrsg.), Studien zur Musikgeschichte Berlins im frühen 19. Jahrhunderts, Regensburg 1980 (= Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, Bd. 56), S. 27–284, hier S. 84–86.
Vergleiche E. R. Blechschmidt, Die Amalien-Bibliothek. Musikbibliothek der Prinzessin Anna Amalia von Preußen (1723–1787), Berlin 1965 (= Berliner Studien zur Musikwissenschaft, Bd. 8).
Vergleiche C. Henzel, Die Musikalien der Sing-Akademie zu Berlin und die Berliner Graun-Überlieferung, in: Jahrbuch der Staatlichen Instituts für Musikforschung Berlin Preußischer Kulturbesitz 2002, Stuttgart Weimar 2002, S. 60–106.
Vergleiche ebenda; zu Nicolai auch G. Schütz, Die Musikkritik in Friedrich Nicolais (Neuer) Allgemeiner deutscher Bibliothek 1765–1806, Diss. Münster 2002 (masch.), S. 6–47.
Vergleiche [R. Jacobs] Thematischer Katalog der von Thulemeier’sehen Musikalien-Sammlung in der Bibliothek des Joachimsthal’sehen Gymnasiums zu Berlin, Leipzig 1899; B. Faulstich, Die Musikaliensammlung der Familie von Voß. Ein Beitrag zur Berliner Musikgeschichte um 1800, Kassel 1997 (= Catalogus Musicus, Bd. 16).
Vergleiche C. Henzel, Quellentexte zur Berliner Musikgeschichte im 18. Jahrhundert, Wilhelmshaven 1999 (= Taschenbücher zur Musikwissenschaft, Bd. 135),S. 120–123, S. 127–129.
G. Schünemann, Die Singakademie zu Berlin 1791–1941, Regensburg 1941, S. 27 f.
Vergleiche M. Blindow, Carl Heinrich Grauns Abschied von Braunschweig im Jahre 1735. Ein bisher unbekannter Brief, in: Die Musikforschung 47, 1994, S. 280–284. Zum Klischee vom „sanften Graun“ vergleiche C. Henzel, Studien zur Graun-Überlieferung, a. a. O. (Anm. 45), S. 13–18.
Vergleiche G. E. Lessing, Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theaters, 1. Stück, Stuttgart 1750 (Reprint Stuttgart Weimar 1996), S. 136: „Sie [= Emilia Benedetta Molteni] hat auch zur Zeit noch sehr wenig zu singen: dem ungeachtet ist ihre einzige Arie in der Iphigenia [= Ifigenia in Aulide, 1749]: Sò che giusto &c. in Berlin fast zu einem Gassenhauer worden.“
Vergleiche C. F. D. Schubart, Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, Wien 1806 (Reprint Hildesheim 1969), S. 95. An anderer Stelle im Buch freilich schreibt er dieses Verdienst Graun zu; vergleiche ebenda, S. 83.
A. F. Wolff, Entwurff einer ausführlichen Nachricht von der Musikübenden Gesellschaft von Berlin, in: F. W. Marpurg, Historisch-kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik, Bd. 1, Berlin 1754 (Reprint Hildesheim New York 1970), S. 385–413, hier S. 385.
Vergleiche K.-E. Behne, Hörertypologien. Zur Psychologie des jugendlichen Musikgeschmacks, Regenburg 1986, S. 127.
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Henzel, C. (2003). „Die Zeit des Augustus in der Musik“. In: Wagner, G. (eds) Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02885-3_5
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