Zusammenfassung
Es ist nicht neu, dass man trotz der öffentlichen Dauerdiskussion über die „wachsende“ Jugendgewalt und obwohl die Jugendkriminalität und kriminelle Karrieren seit mehr als einem halben Jahrhundert weltweit im Zentrum der kriminologischen Theoriebildung und empirischen Forschung stehen, noch immer so ganz Genaues nicht weiß. Insbesondere in Deutschland kennen wir nicht einmal das Ausmaß und die Intensität der Jugendkriminalität aus regelmäßigen und für das ganze Land repräsentativen Dunkelfeldbefragungen. Immerhin wissen wir aus (vor allem internationalen) Lebensverlauf- und Karrierestudien doch zumindest einiges von dem, was keine oder nur geringe Bedeutung zu haben scheint. So ergibt sich aus den die Forschung bislang dominierenden ätiologischen Bemühungen um die Kriminalitätsursachen, dass entgegen vielfältigen Erwartungen nicht biologische oder persönliche, sondern wenn schon, dann eher soziale, also familiäre, schulische und berufliche Faktoren bedeutsam sind. Hingegen sind die spätestens mit dem Labeling Approach immer wieder vermuteten negativen Effekte polizeilicher und justizieller Kontrollinterventionen kaum untersucht worden. Wo dies geschah, prägten meist polizeiliche Registrierungs- oder Verurteilungskarrieren, nicht jedoch persönliche oder soziale Defizitkarrieren das Bild. Aber dies sind bislang nur unvollständige empirische Hinweise — in für unsere überlieferten Kausalvorstellungen immerhin unerwartete Richtungen (Zum Ganzen: Benson 2002; Boers 2003). Es gibt jedenfalls kaum Längsschnittstudien, die sowohl das Dunkel- als auch das Hellfeld berücksichtigen und damit die kriminologisch überaus bedeutsamen Wechselbeziehungen zwischen lebensweltlichem Verhalten und formeller Sozialkontrolle beobachten können.1 Und es existiert bislang keine abgeschlossene Längsschnittstudie, die diese Wechselbeziehungen im Kontext modernisierter Sozialstrukturen untersucht. Danach sind nicht nur (vertikale) soziale und ökonomische Ungleichheiten, sondern vor allem auch die horizontale gesellschaftliche Differenzierung anhand von Wertorientierungen und Lebensstilen (im Hinblick auf die Herausbildung unterschiedlicher sozialer Milieus) zu berücksichtigen.
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Boers, K., Pöge, A. (2003). Wertorientierungen und Jugenddelinquenz. In: Lamnek, S., Boatcă, M. (eds) Geschlecht — Gewalt — Gesellschaft. Otto-von-Freising-Tagungen der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97595-9_14
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