Zusammenfassung
Unter dem Titel „When Prophecy Fails“ hat Leon Festinger 1956 mit zwei Co-Autoren den Bericht über eine teilnehmende Beobachtung veröffentlicht (Festinger et al 1956). Es ging um eine Art UFO-Sekte und die Prophezeihung eines weiblichen Mitgliedes dieser Sekte, die Welt würde zu einem bestimmten Zeitpunkt sintflutartig untergehen. Natürlich ging die Welt nicht unter, aber es war interessant, wie dieser offensichtliche Fehlschlag von den Mitgliedern der Gruppe verarbeitet wurde. Mitnichten löste sie sich auf. Die Frau, die die Prophezeihung ausgesprochen hatte, wurde nicht der Lüge bezichtigt. Statt dessen wurde der Zusammenhalt größer und neue Mitglieder kamen hinzu. Es fanden in großem Umfang intellektuelle Anpassungsleistungen statt, Versionen wurden lanciert, Fakten mit Bedeutungen, Ereignisse mit Interpretationen versehen, die es erlaubten, den Fehlschlag der Prophezeihung unschädlich zu machen. Was war geschehen? Eine kognitive Dissonanz, wie Festinger in seiner gleichnamigen Theorie (Festinger 1978) sagte, war aufgelöst worden.
Ein für polizeiliche Alltagsroutinen aufschlussreicher Ausruf einer jungen Polizistin im Rahmen einer Vortragsveranstaltung. Es ging um die Situation des Einsatzes in einer Wohnung, aus der „Krach“ gemeldet worden war. Beim Eintreffen der Polizei war jedoch schon wieder alles friedlich. Die Frau hatte das Kind auf dem Arm, was Anlass für die Polizistin war, mit folgender rhetorischer Frage fortzufahren: „Wo sollten wir denn mit dem Kind hin?“ Ein männlicher Kollege ergänzte, seit er einmal eine Frau „mitgenommen“ und deshalb „von oben“ mit inquisitorischen Fragen und hohem Begründungsaufwand drangsaliert worden sei, lasse er dies lieber. Der Polizeipräsident wiederum meinte, „natürlich“ schreibe er Frauen als Opfer und Männer als Täter in die neue Dienstanweisung, denn er wolle „seine Beamten erziehen“, schließlich schreibe er ja beim Extremismus auch nur Rechtsextremismus.
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Bock, M. (2003). „Natürlich nehmen wir den Mann mit“. In: Lamnek, S., Boatcă, M. (eds) Geschlecht — Gewalt — Gesellschaft. Otto-von-Freising-Tagungen der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97595-9_10
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