Zusammenfassung
In der aktuellen Diskussion über die Krisensymptome des dualen Berufsbildungssystems wird von den unterschiedlichsten Seiten auf die Erosion der Berufsform der Arbeit verwiesen. So stellt etwa Martin Heidenreich (1998) die „berufsfachlichen Arbeits- und Ausbildungskonzepte“ als eine Innovationsbarriere heraus. Empirisch sei die Frage nach dem relativen Gewicht von kooperationshemmenden Berufsbildern und organisatorischen Wahrungsmomenten nur entscheidbar, wenn organisatorische Abgrenzungen nicht gleichzeitig auch berufliche Demarkationslinien sind (S. 329). Er gelangt in einer empirischen Untersuchung in der Maschinenbauindustrie zu einem ganz ähnlichen Ergebnis wie vor ihm Ulrich Jürgens und Inge Lippert (1997). Danach resultieren die Schwierigkeiten bei der Einführung moderner prozeßorientierter Organisationsformen in der deutschen Automobil-, PC- und Werkzeugmaschinenindustrie sowie (bei Heidenreich) in der Maschinenbauindustrie weniger aus der berufsförmigen Organisation von Arbeit als vielmehr aus dem Beharrungsvermögen, das aus den herkömmlichen funktionsorientierten, bürokratisch-hierarchischen Organisationsstrukturen herrührt. Horst Kern und Charles Sabel hatten in diesem Zusammenhang auf Japan und die USA und die neue Flexibilität schlanker Unternehmen verwiesen. Das deutsche Berufsmodell haben sie als die zentrale Ursache für die mangelnde Flexibilität sowie für betriebliche Demarkationen in deutschen Unternehmen herausgestellt, die damit allenfalls zur Selbstreproduktion, jedoch nicht zur Innovation fähig seien — ganz im Gegensatz zum japanischen System, das auf Organisation und nicht auf Qualifikation beruht und auf die Berufsform der Arbeit verzichtet (Kern/Sabel 1994, 617). Heidenreich formuliert als seine Schlußfolgerung — differenzierter —, daß es auf die Ausgestaltung beruflicher Ausbildungs- und Arbeitskonzepte ankomme. Von dieser Einschätzung läßt sich die Entwicklung des Konzeptes der offenen dynamischen Beruflichkeit leiten. Die Biographieforschung hat die „Kollage-Biographie“ entdeckt, in der Phasen beruflicher Arbeit allenfalls den einen oder anderen Lebensabschnitt prägen. „Normalarbeitsverhältnisse“ würden dabei eher zur Ausnahme (Beck 1993). In eine ähnliche Richtung weisen Prognosen der Arbeitsmarktforschung mit ihrem Befund einer fortschreitenden Erosion von Normalarbeitsverhältnissen und der Herausbildung von Randbelegschaften (Dostal 1998).
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Literatur
I Diese für die Berufsentwicklung und die Berufsbildungsplanung zentrale Frage wurde bisher von der berufssoziologischen und berufswissenschaftlichen Forschung kaum untersucht.
Vgl. dazu aus Heidegger u.a. 1991, Kap. HI, 93–211, sowie DATSCH 1912, 3, 5ff; Molle 1965.
Die Evaluation der industriellen Elektroberufe wurde im Auftrag des Bundesinstituts für Berufsbildung durchgeführt. Zu den Fragestellungen und Methoden der Untersuchung siehe Drescher u.a. 1995, Kap. 2.
Die Bedeutung dieses Leitbildes, das seither die berufs-und arbeitspädagogische Diskussion und Praxis ganz wesentlich prägt, läßt sich erst ermessen, wenn es mit den Qualifizierungskonzepten der Berufe der ersten Stufe der 1972 geordneten industriellen Elektroberufe verglichen wird: Danach sollen die Auszubildenden der ersten Stufe vor allem dazu befahigt
werden, nach Mustern und detaillierten Anweisungen sowie genauen Prüf-und McJ3anleitungen einfache Aufgaben durchzuftthren (ZVEI 1973).
Hier sei v.a. auf vier vom ITB wissenschaftlich begleitete Modellversuche hingewiesen, in denen das Konzept einer gestaltungsorientierten Berufsbildung erprobt und weiterentwickelt wurde: im BLK-Modellversuch „handlungsorientierte Fachunterrichte in Kfz-Mechanikerklassen“ (Hessen 1982–1986: Weisenbach 1988); im BLK-Modellversuch „Integration neuer Technologien in dem Unterricht berufsbildender Schulen und Kollegschulen unter besonderer Berücksichtigung der Leitidee: sozial-und umweltverträgliche Gestaltung von Arbeit und Technik” (1993–1995: Heidegger/Adolph/Laske 1997) und in den BLK- und Wirtschaftsmodellversuchen zur gestaltungsorientierten Berufsbildung im Lemortverbund von Klein-und Mittelbetrieben und der Berufsschule (1994–1998: Bauermeister/Rauner 1996).
Zum Konzept der offenen dynamischen Berufsbilder s. Heidegger/Rauner 1997 sowie Heidegger u.a. 1991.
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Rauner, F. (2001). Offene dynamische Beruflichkeit — Zur Überwindung einer fragmentierten industriellen Berufstradition. In: Bolder, A., Heinz, W.R., Kutscha, G. (eds) Deregulierung der Arbeit — Pluralisierung der Bildung?. Jahrbuch Bildung und Arbeit, vol 1999/2000. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97487-7_13
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-2837-2
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