Spiralendynamik und technologische Integration

Zusammenfassung

Nun mag man im Nachzeichnen komplizierter Interaktionsprozesse eine besondere Stärke historischer Erklärungen erkennen, etwa dann, wenn deutlich wird, daß die Massenmotorisierung nach dem Zweiten Weltkrieg keineswegs als »Flut« daherkam, als die sie immer beschrieben wurde, daß der Durchbruch zu einer immer weitere Kreise der Bevölkerung einschließenden Automobilisierung keinesfalls so plötzlich und voraussetzungslos erfolgte, wie es oftmals erscheint, daß insbesondere der Aufbau einer automobiltauglichen, vernetzten Infrastruktur notwendige Voraussetzungen für die Ausbreitung des Automobilverkehrs schuf und nicht zuletzt, daß es komplexer Akteurskonstellationen bedurfte, um die Entwicklung in hochorganisierten gesellschaftlichen Bereichen wie dem Verkehr in Richtung auf die Mobilisierung individueller, motorisierter Verkehrsteilnahme zu drängen. Indes: Eine Erklärung, die historische Veränderungen dieser Tragweite ausschließlich über die Verfestigung diffuser Handlungsbereiche zu stabilen organisatorisch-institutionellen Formen der Vergesellschaftung zu analysieren sucht, kann alleine nicht zufriedenstellen. Weniger denn je ist es heute möglich, die Vorstellung aufrechtzuerhalten, daß Gesellschaft aus Interaktionen zusammengesetzt sei oder daß sie sich gar als Summe aller Individuen konzipieren ließe, die sich im Tausch, im Vertrag oder im Diskurs zusammenfänden. Vielmehr gilt gerade in historischer Perspektive, daß sich das Gesellschaftssystem und Interaktionssysteme fortlaufend gegeneinander differenzieren und daß sich vor allem im Übergang von stratifizierten zu modernen Gesellschaften, bei dem die Interaktion der Oberschicht religiös und politisch neutralisiert wird, die „Kluft zwischen Interaktion und Gesellschaft“ verbreitert und vertieft (vgl. Luhmann 1984: 551–592, insb. S. 584f).