Zusammenfassung
Wenn wir den Gedanken weiterverfolgen wollen, dass eine Organisation operativ aus (der Kommunikation von) Entscheidungen besteht,1 wird viel davon abhängen, was mit dem Begriff „Entscheidung“ bezeichnet wird. An dieser Stelle lässt sich, sollte man meinen, die Theorieentwicklung noch steuern, während sie im Folgenden dann rasch für Selbstkontrolle zu unübersichtlich werden wird.
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Literatur
Wir setzen „Kommunikation“hier in Klammern, um es uns im Weiteren zu ersparen, immer mitzuerwähnen, dass es sich um Kommunikationen und nicht um Bewusstseinsereignisse handeln. An den theoretischen Prämissen soll sich durch diese Vereinfachung der Formulierung natürlich nichts ändern.
Typisch wird denn auch der Begriff des Entscheidens nicht als ein Problem gesehen. In einem Lehrbuch über Decision Making (Irving L. Janis/Leon Mann, Decision Making: A Psychological Analysis of Conflict, Choice, and Commitment, New York 1977) findet man überhaupt keine Vorstellung des Begriffs, sondern nur die beiläufige Formulierung: „When people are required to chose among alternative courses of action…“(S. 21). Wer verlangt das? Wie kommt es zu Alternativen? Was ist „choice“?
Hierzu umfangreiche, teils an Max Weber, teils an Alfred Schütz anschließende Forschungen. Literaturhinweise Kap. 3, Anm. 34.
Siehe z.B. den knappen Überblick im Epilog zur 2. Aufl. von Richard M. Cyert/James G. March, A Behavioral Theory of the Firm, Oxford 1992, S. 226 ff. mit weiteren Hinweisen.
Diese Begriffsfassung stammt nicht aus der Psychologie, sondern aus der Kybernetik. Sie ist unter anderem aber auch psychologisch interpretierbar. Für den allgemeinen Begriff siehe etwa Heinz von Foerster, Observing Systems, Seaside Cal. 1981; Niklas Luhmann et al., Beobachter: Konvergenz der Erkenntnistheorien?, München 1990; Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt 1990, S. 68 ff. Vgl. auch Francesco Pardi, L’osservabilità dell’agire sociale, Milano 1985, mit Einbeziehung der weiter zurückliegenden Literatur.
Vgl. Heinz von Foerster, Das Gleichnis vom blinden Fleck: Über das Sehen im allgemeinen, in: Gerhard Johann Lischka (Hrsg.), Der entfesselte Blick: Symposion, Workshops Ausstellung, Bern 1993, S. 15–47; aber auch die viel ältere, auf Leonardo da Vinci zurückgehende Lehre von der „perspectiva de’ perdimenti“, die betont hatte, dass bei aller Fokussierung und bei aller Vergrößerung von Abstand etwas verschwindet. Siehe dazu Ernst H. Gombrich, Ornament und Kunst: Schmucktrieb und Ordnungssinn in der Psychologie des dekorativen Schaffens, dt. Übers., Stuttgart 1982, S. 107 ff. Man wird es im Übrigen nicht als Zufall ansehen, dass gerade die Theorie künstlerischer Produktion, die Beobachtungsmöglichkeiten erzeugen will, auf dieses Problem gestoßen ist. Es dient ihr zugleich als unüberwindliche Schwierigkeit — und als Entlastung.
In diesem Sinne für eine Welt, die sich für Selbstbeobachtung einrichten wollte, auch George Spencer Brown, Laws of Form, Neudruck New York 1979, S. 105.
Siehe dazu Ranulph Glanville, Was ist und wie kann ein Gedächtnis sich erinnern, was es ist?, zit. nach der deutschen Übersetzung in Glanville, Objekte, Berlin 1988, S. 19–46, als einen Versuch, das Problem über einen Begriff des „Objektes“zu lösen, der Selbstbeobachtung als Voraussetzung des Objektseins auffasst.
Zur Tragweite einer solchen „primary distinction“, die alles andere, sogar die für einen Kalkül notwendigen Axiome, erzeugt, siehe erneut Spencer Brown a.a.O. Dies führt, in letzter Konsequenz, zur Aufhebung selbst der Ontologie in ihrem traditionalen Verständnis. Denn die Unterscheidung innen/außen ist jetztfundamentaler als die Unterscheidung Sein/Nichtsein
Der „blinden Fleck“ist hier natürlich die pure Absicht, auftretende Paradoxien zu vermeiden.
So durch Jurgen Ruesch/Gregory Bateson, Communication: The Social Matrix of Psychiatry, New York 1951, 2. Aufl. 1968, S. 192 f.
Ausführlicher Niklas Luhmann, Wie lassen sich latente Strukturen beobachten?, in: Paul Watzlawick/Peter Krieg (Hrsg.), Das Auge des Betrachters — Beiträge zum Konstruktivismus: Festschrift Heinz von Foerster, München 1991, S. 61–74.
Dies nach Spencer Brown a.a.O. (1979), S. 69 ff. Vgl. auch Louis H. Kauffman, Self-reference and Recursive Forms, Journal of Social and Biological Structures 10 (1987), S. 53–72 (56 f.). Siehe auch oben S. 72.
Vgl. Niklas Luhmann, Observing Re-entries, Graduate Faculty Philosophy Journal 16 (1993), S. 485–498. Wiederabdruck in: Protosoziologie 6 (1994), S. 4–13.
So A Note on the Mathematical Approach, in: Laws of Form a.a.O. S. XXIX.
Spencer Brown a.a.O. S. XXIX. Die Formulierung ist leicht mißzuverstehen. Selbstverständlich handelt es sich nicht um Beliebigkeit, denn in der Welt gibt es keine Beliebigkeit. Es handelt sich nur um ein Äquivalent zur Feststellung, dass der mathematische Kalkül alle Voraussetzungen, auf die er sich stützt, selbst einführen muss. Oder in anderer Fassung: um eine Formulierung der operativen Schließung beobachtungsfähiger Systeme. Spencer Brown selbst nennt denn auch „motives“als Erfordernis des Einführens von Unterscheidungen. Aber die Unterscheidung solcher „motives“oder die Unterscheidung der Unterscheidungen, mit denen man die Welt spaltet und dadurch erzeugt, muss einem späteren Platz in der Theoriearchitektur überlassen bleiben, denn hierzu muss die Operation des re-entry vorausgesetzt werden.
Heinz von Foerster, Ethics and Second-order Cybernetics, Cybernetics & Human Knowing 1/1 (1992), S. 9–19 (14).
So als Antwort auf die Verlegenheiten, die die Suche nach Exzellenz und nach distinkten Führungsqualitäten bereitet hatte, Robert E. Quinn, Beyond Rational Management: Mastering the Paradoxes and Competing Demands of High Performance, San Francisco 1989.
Quinn a.a.O. S. 23.
Wir gehen also nicht von einem Chaos, von einem entropischen Urzustand der Welt aus, aus dem dann durch Schöpfung oder durch Zufall und Evolution Ordnung entsteht; sondern auch die erste Differenz von markiert und unmarkiert wird durch einen Beobachter erzeugt, — mit welcher Unterscheidung auch immer. Vgl. auch Philip G. Herbst, Alternatives to Hierarchies, Leiden 1976, S. 104 f.: „… the original state is not originally the original state but only becomes this after a primary distinction has been made.“Dasselbe besagt der Begriff der Autopoiesis. Auch ein autopoietisches System kann nicht seinen eigenen Anfang beobachten, sondern nur, mit Hilfe einer vorher/nachher Unterscheidung, sein Schon-angefangen-Haben.
Siehe das Axiom 2: „The value of a crossing made again is not the value of the crossing“. Und: „For any boundary, to recross is not to cross“(a.a.O. S. 2). Vgl. auch S. 5: the form of cancellation.
So Eva Meyer, Der Unterschied, der eine Umgebung schafft, in: ars electronica (Hrsg.), Im Netz der Systeme, Berlin 1990, S. 110–122, im Anschluss an Gotthard Günthers Versuche, sich von einfachen logischen Entscheidungen zu distanzieren.
Wir lassen hier Gattungslogik und Problemlogik (bzw. Substanzlogik und Funktionslogik) nebeneinanderherlaufen, weil es hier nur auf die Gemeinsamkeit ankommt. Aber es liegt nahe, dass man diese Einsicht in die Ähnlichkeit auch historisch wenden und so besser verstehen kann, wieso man in der neueren Zeit von Gattung auf Problem, von Substanz auf Funktion umdenken konnte. Hierzu die immer noch lesenswerte Monografie von Ernst Cassirer, Substanzbegriff und Funktionsbegriff, Berlin 1910.
Dies geht, wie leicht zu sehen, gegen eine um 1900 übliche These, dass Werte a priori gelten, also letzte, nicht überbietbare Bezugspunkte seien.
Zur Erläuterung: Interpretant ist zunächst das Zeichen, das garantiert, dass in der Differenz von Zeichen und Bezeichnetem Dasselbe gemeint ist. Der Begriff weist aber auch auf die Notwendigkeit hin, aus einer Dyade eine Triade zu entwickeln. Er ist jedoch im Prinzip noch identitätstheoretisch gedacht und nicht paradox.
Hiermit soll nicht suggeriert werden, dass es endgültig-richtige Erklärungen überhaupt gibt. Das Argument richtet sich nur gegen Scheinerklärungen und regt an, auf das Paradox zurückzugehen, um einen Ausgangspunkt für weitere Analysen zu gewinnen.
Lloyd E. Sandelands/Robert Drazin, On the Language of Organization Theory, Organization Studies 10 (1989), S. 457–478 (459 f.) und Robert Drazin/Lloyd Sandelands, Autogenesis: A Perspective on the Process of Organizing, Organization Science 3 (1992), S. 230–249 (231) sprechen deshalb von „achievement verbs“, die nichts erklären. Aber mit der Rückkehr zu Begriffen wie Handlung oder Interaktion würde man sich nur im Kreise drehen, denn sie enthalten implizit ja auch den Begriff der Entscheidung und sind ebenfalls nur retrospektiv als Festlegung auf etwas Bestimmtes (und nichts anderes) erkennbar.
Vgl. für leitende Gremien von Wirtschaftsunternehmen Gordon Donaldson/Jay W. Lorsch, Decision Making at the Top: The Shaping of Strategic Direction, New York 1983, zusammenfassend S. 6 ff.
Siehe Michel Serres, Le Parasite, Paris 1980.
Allerdings schließt die hier angebotene Deutung nicht an Weber an. Denn für Weber war charismatische Herrschaft ein Gegenbegriff zu bürokratischer Herrschaft; wir sehen in der charismatischen Füllung des Entscheidungsmysteriums im Gegenteil eine Abschlussfigur, die eine Operation gegen ihr Paradox abschirmt. Deshalb müssen wir Webers Betonung der (idealtypischen!) Außeralltäglichkeit des Charisma abschwächen, ohne aus den Augen zu verlieren, dass es außergewöhnliche Fälle von charismatischen Persönlichkeiten gibt, hinter denen dann die Frage, wie es zur Entscheidung gekommen ist, verschwindet.
Vgl. dazu Bobby J. Calder, An Attribution Theory of Leadership, in: Barry M. Staw/Gerald R. Salancik (Hrsg.), New Directions in Organizational Behavior, Chicago 1977, S. 179–204.
Siehe nur Janis/Mann a.a.O. (1977).
Wenn im Augenblick „schlanke“Organisationen bevorzugt werden, wird es kein Zufall sein, dass Reformen ihre Ziele durch ein ästhetisches Kriterium begründen. Konsensbedürftige Organisationen müssten dann als dick, fett und träge beschrieben werden. Aber es geht, das sollte man nicht übersehen, immer auch darum, wie die Bedeutung von Entscheidungen auf Entscheider verteilt wird.
So James G. March, Eine Chronik der Überlegungen über Entscheidungsprozes-se in Organisationen, in Barry M. Staw/Gerald R. Salancik (Hrsg.), Entscheidung und Organisation, dt. Übers. Wiesbaden 1990, S. 1–23 (15) mit weiteren Hinweisen.
im Sinne von George Spencer Brown, Laws of Form, Neudruck der 2. Aufl. New York 1979, S. 56 f., 69 ff.
Die Forschung über Kommunikation in Organisationen weist der Kommunikation typisch einen sekundären Status zu — so als ob es möglich wäre, Entscheidungen erst zu „treffen“und dann zu kommunizieren. Auch fehlt im Allgemeinen ein strikter Zusammenhang von Entscheidung und Kommunikation. Kommunizieren kann man alles Mögliche: Informationen, Meinungen, Wünsche usw. Dann wird es aber schwierig, Kommunikationen innerhalb (des autopoieti-schen Zusammenhangs) von Organisationen und Kommunikationen außerhalb (zum Beispiel privater Art während der Arbeit) zu unterscheiden. Für einen umfangreichen Theorienüberblick siehe Anna Maria Theis, Organisationskommunikation: Theoretische Grundlagen und empirische Forschungen, Opladen 1994.
Damit unterscheiden wir uns von anderen Versuchen, Entscheidungstheorie und Kommunikationstheorie zu integrieren, die das Individuum als Knotenpunkt in einem Netzwerk der Informationsverarbeitung ansehen. So z.B. Terry Connolly, Information Processing and Decision Making in Organizations, in: Barry M. Staw/Gerald R. Salancik (Hrsg.), New Directions in Organizational Behavior, Chicago 1977, S. 205–234.
Vgl. Ruesch/Bateson a.a.O. (1951), S. 179 ff., 186, 191 ff.
Auf metaphysische Positionen hochgerechnet, heißt dies, dass wir weder von einer objektiv gegebenen Welt (die nur wahr oder falsch beschrieben werden kann) noch von einer Subjekttheorie oder einer Handlungstheorie ausgehen können und auch nicht behaupten können, dass es eine vorauszusetzende Norm gebe, die sage, es sei vernünftig, Verstehen und Konsens zu suchen. Für eine vergleichbare Analyse, die allerdings den Begriff der sprachlichen Proposition etwas anders auflöst, siehe Gilles Deleuze, Logique du sens, Paris 1969, S. 22 f. Das Ergebnis ist auch hier: der Begriff des Sinns ist ein paradoxer Begriff.
Siehe für einen immer noch guten Überblick Jonathan Culler, On Deconstruc-tion: Theory and Criticism After Structuralism, Ithaca N.Y. 1982.
Für anschließende Ausführungen siehe Kap. 7, Abschnitt VI.
So Michel Crozier, L’Entreprise à l’écoute: Apprendre le management post-industriel, Paris 1989, S. 201.
So die Analyse bei J. Keith Murnighan/Donald E. Conlon, The Dynamics of Intense Work Groups: A Study of British String Quartets, Administrative Science Quarterly 36 (1991), S. 165–186, im Anschluss an Kenwyn Smith/David Berg, Paradoxes of Group Life, San Francisco 1987.
Hierzu für den Bereich der gesamtgesellschaftlich fungierenden Kommunikationsmedien Niklas Luhmann, Symbiotische Mechanismen, in ders., Soziologische Aufklärung Bd. 3, Opladen 1981, S. 228–244.
Heute vertritt vor allem Gilles Deleuze eine Theorie, die Sinn an der Oberfläche der Erscheinungen lokalisiert. Siehe Logique du sens, Paris 1969.
Siehe Giovan Francesco Lanzara, Capacità negativa: Competenza progettuale e modelli di intervento nelle organizzazioni, Bologna 1993, S. 173 f. Vgl. auch ders., Ephemeral Organizations in Extreme Environments: Emergence, Strategy, Extinction, Journal of Management Studies 20 (1983), S. 71–95. Lanzara zeigt vor allem, dass beginnende Organisationen und ephemere Organisationen (nach einer Katastrophe) in besonderem Maße auf diese durch wahrnehmbaren Sinn garantierte unmittelbare Verständlichkeit angewiesen sind.
Hierzu gibt es eine reichhaltige Literatur, die man auch unter dem Stichwort Problemdefinition finden kann. Vgl. z.B. Walter R. Reitman, Heuristic Decision Procedures, Open Constraints, and the Structure of Ill-Defined Problems, in: W. M. Shelley/G. L. Bryan (Hrsg.), Human Judgments and Optimality, New York 1964, S. 282–315; W. F. Pounds, The Process of Problem Finding, Industrial Management Review 11 (1969), S. 1–19. Ferner Beiträge in: Louis R. Pondy/Richard J. Boland, Jr./Howard Thomas (Hrsg.), Managing Ambiguity and Change, Chichester 1988.
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Luhmann, N. (2000). Die Paradoxie des Entscheidens. In: Organisation und Entscheidung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97093-0_4
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