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Textkonstitution, Textinterpretation, Typenkonstruktion: methodische und theoretische Aspekte

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Geschichte, Biographie und friedenspolitisches Handeln

Part of the book series: Biographie & Gesellschaft ((BUG,volume 20))

  • 32 Accesses

Zusammenfassung

Werden die bereits angestellten, insbesondere in den Kapiteln 2 und 3 formulierten Überlegungen zur psychologischen Erfahrungs- und Erkenntnisbildung akzeptiert, ist unter anderem zweierlei evident: Erstens muß das in wissenschaftlicher Absicht vorgenommene Beschreiben, Verstehen oder Erklären friedenspolitischer Handlungen als zeitbezogene Konstruktion begriffen werden, ja es muß als eine kognitive Konstruktion von temporalen Relationenverstanden werden, die nicht nur eine “Beziehung” zur Zeitlichkeit des menschlichen Lebens und Handelns bewahrt, sondern vielmehr in einem konstitutiven Sinne thematisch relevante Zeitverhältnisse und Prozesse zur Sprache bringt und in ihren inneren Sinnzusammenhängen klärt Zweitens ist evident, daß ein solches “biographisch fundiertes”, in wissenschaftlicher Absicht realisiertes Beschreiben, Verstehen oder Erklären von Handlungen nicht ohne die autobiographischen Erzählungen und die Selbstreflexionen der Handlungssubjekte möglich ist Die wissenschaftlich-psychologischen Konstruktionen, die “Konstruktionen zweiten Grades” (Schütz 1971), müssen auf jenen alltagsweltlichen “Konstruktionen ersten Grades” aufbauen, mit denen Subjekte ihr Leben und Handeln in die Form eines komplexen Sinn- und Wirkungszusammenhanges, primär eben in die sprachliche Form einer (in gewissem Umfang reflektierten) Lebensgeschichte bringen.

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Literatur

  1. Daß wissenschaftliches Handeln sowohl in der Phase der interpietativen Analyse von Texten, als auch in der empirischen Phase der Textkonstitution nicht nur als Applikation regelgeleiteter Verfahren und Techniken verstanden werden kann, sondern auch in seinen kreativen und kontingenten, also keinesfalls reglementierbaren Aspekten anerkannt und reflektiert werden muß, sei hier wenigstens am Rande erwähnt.

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  2. Wichtige Leitfragen im Zusammenhang derartiger Prüfungen des Interviewtranskriptes sind etwa, ob vom Interviewer eine angemessene “erzählungsgenerierende” Frage bzw. Aufforderung formuliert wurde, ob das Interviewerverhalten die geforderten “selbstbestimmten Eigenleistungen” des Informanten zugelassen und unterstützt hat, ob der Ablauf des Interviews im Sinne der “idealtypischen” Methodologie Schützes gestaltet wurde, also beispielsweise die “exmanenten Fragen” erst nach den “immanenten” gestellt wurden, ob die Beschreibungen und Argumentationen provozierenden Fragen erst nach jenen formuliert wurden, die potentiell Erzählungen evozieren, ob die sogenannten “Zugzwänge” des Erzählens wirksam werden konnten, oder ob der Interviewtext letzten Endes in hinreichendem Maße aus erzählten Geschichten besteht, ob also das quantitative Verhältnis zwischen Erzählungen, Beschreibungen und Argumentationen im Sinne Schützes adäquat ist. Zu den zuletzt genannten Gesichtspunkten kann allerdings kritisch angemerkt werden, daß Schützes Theorie, soweit sie — für die Interviewdurchführung und die Textanalyse — eine allzu strikte Trennung von “Kommunikationsschemata” bzw. “Textsorten” verlangt, kritisierbar ist. Ohne den Nutzen von analytischen Unterscheidungen zwischen Textsorten bestreiten zu wollen, muß beispielsweise dennoch von einer faktischen, für die Nachvollziehbarkeit und Plausibilität von Geschichten auch unabdingbaren Komplementaritätzwischen Erzählung, Beschreibung und argumentativer Erläuterung ausgegangen werden, die Schützes allzu “puristische” Autonomisierung und Fundamentalisierung des Erzählens unhaltbar erscheinen läßt; zu den angesprochenen und anderen Einwänden gegen Schützes Theorie vgl Bude (1985), Popp-Baier (1992), Straub (1989, 144ff).

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  3. Anzumerken ist, daß ich das von Bohnsack entwickelte und auf den Begriff gebrachte Verfahren modifiziere; sowohl meine theoretischen Begriffsbestimmungen, als auch die hier erläuterte Praxis der formulierenden und reflektierenden Interpretation und schließlich die Ergebnispräsentation weichen also partiell von Bohnsacks Überlegungen ab.

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  4. Diese Entscheidungen sind offensichtlich nur wirklich nachvollziehbar und kritisierbar, wenn Leser und potentielle Kritiker das gesamte Interviewtranskript bzw. die gesamten Interviewtranskripte zur Kenntnis nehmen.

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  5. Mit Kants Unterscheidung ließe sich eine Grenze ziehen zwischen jenen Formen der (quantitativen und qualitativen) empirischen Forschung einerseits, die sich mehr oder weniger ausschließlich der bestimmenden Urteilskraft bedienen, wenn sie bereits formulierte Hypothesen testen oder das empirische Datenmaterial in der Weise auswerten, daß es (in spezifischen Aspekten) bereits formulierten Begriffen oder den zur “Anwendung” bereitstehenden “Kategorien” oder “Kategoriensystemen” zugeordnet wird, um schließlich vielleicht quantifizierenden Operationen zugeführt zu werden. Andererseits wäre an einen Forschungstypus zu denken, für den hier beispielsweise das von Glaser und Strauss (1967) entwickelte, forschungspraktisch relevante Konzept der “grounded theory” stehen mag, geht es in dieser empirisch fundierten Theoriebildung an den entscheidenden Stellen doch gerade um den kreativen Gebrauch des reflektierenden Urteilsvermögens. — Meine selektive Bezugnahme auf Kants “Kritik der Urteilskraft” gehört zu einem noch unabgeschlossenen Versuch, das in Kants Untersuchungen zur Ästhetik und Teleologie formulierte Konzept der reflektierenden Urteilskraft theoretisch für die Psychologie fruchtbar zu machen. Anregend ist dabei das Vorbild der politischen Philosophie, in der die reflektierende Vernunft längst ihren systematischen Stellenwert besitzt. — Ich darf an dieser Stelle kurz darauf hinweisen, daß ich inzwischen, also zu einer Zeit, in der die Arbeiten zum vorliegenden Buch weitgehend abgeschlossen waren, zu weiteren theoretisch-begrifflichen Überlegungen gelangt bin, durch die nicht zuletzt eine präzisierte Bezugnahme auf die erwähnten Begriffe Kants möglich wird. Wegen der teilweise gravierenden Änderungen gegenüber den hier vorgestellten Unterscheidungen war mir eine Einarbeitung dieser Modifikationen allerdings nicht möglich; vgl. Straub (1993).

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  6. Insofern die psychologischen Konstrukte zweiten Grades eine Kritik von Konstrukten ersten Grades implizieren oder intendieren, kann es dabei vernünftigerweise nicht um die voreingenommene Verteidigung eigener Maßstäbe oder um das unreflektierte Festhalten an der (theoretischen) Vorurteilsstruktur der Verstehensbemühungen des Interpreten gehen, wenngleich es freilich kein Verstehen jenseits aller Vorurteilsstrukturen gibt (vgl. hierzu Gadamer 1986, 270ff). Nicht die unreflektierte Verteidigung eigener Maßstäbe und Vorurteilsstrukturen, sondern die möglichst unvoreingenommene, rational motivierte, wechselseitige Relationierung und Kritik jener Realitäten und Möglichkeiten des Denkens, Fühlens, Wollens und Handelns, die im interpretativen Prozeß psychologischer Erfahrungsund Erkenntnisbildung thematisiert werden und in ein spannungsreiches Frage- und Antwortverhältnis zueinander treten, kann als regulatives Ideal wissenschaftlich-psychologischen Handelns betrachtet werden. Dies bedeutet insbesondere auch, daß wissenschaftliche Erkenntnis und Alltagswissen nicht in einem einseitig-hierarchischen Verhältnis zueinander stehen, sondern vielmehr, wie angedeutet, in einem Spannungsverhältnis, das eine gegenseitigeErschließung und Kritik der jeweils zur Diskussion stehenden Selbst- und Weltauffassungen zuläßt und fordert (vgl. z.B. Popp-Baier 1989, Waidenfels 1985). Ich betone diesen Aspekt, weil die Wissenschaften vom Menschen, wie insbesondere Foucault gezeigt hat, eine keineswegs unbedenkliche Rolle bei der gesellschaftlich-politischen Transformation von Macht gespielt haben und spielen. Und ich hebe diesen Aspekt hervor, weil ich keineswegs eine unbedachte “wissenschaftliche Kolonialisierung” (vgl. Habermas 1981) der Lebensweit legitimieren und fördern möchte. Eine unbedachte Verteidigung eingespielter, lebensweltlicher Denk- und Handlungsformen gegenüber jeglichem Versuch wissenschaftlicher Kritik scheint mir allerdings ebenfalls problematisch. — Am Rande sei noch einmal darauf hingewiesen, daß wissenschaftlich-psychologische Kritik in aller Regel auch an normativ-moralische Perspektiven gebunden ist (vgl. hierzu auch Taylor 1975, 1981, dessen Analysen sich freilich nicht allein auf die Psychologie beziehen). Interessant ist in diesem Zusammenhang Fends Hinweis, daß auch normative Kritiken und utopische Spekulationen erkenntnisfördernde Funktionen in den empirischen Wissenschaften erfüllen können: “Dieser Ansatz entspringt der Überzeugung, daß die weitende Stellungnahme zur Wirklichkeit eine erkenntniserschließende Bedeutung hat. Erst auf einer normativen Folie, die die vorgefundene Wirklichkeit mit einer erwünschten konfrontiert, wird das Faktische in seinem spezifischen Sosein bewußt” (Fend 1988, 25). In Fends Studien zur “Sozialgeschichte des Aufwachsens im zwanzigsten Jahrhundert” wird im übrigen auch deutlich, daß die in den Prozeß der reflektierenden Interpretation eingehenden Gegenhorizonte sehr abstrakte und weitläufige Dimensionen annehmen können. So bringt der Autor, um die in neuen sozialen Bewegungen zur Geltung gebrachten “alternativen” Prinzipien der Handlungs- und Lebensgestaltung zu klären, als einen negativen Gegenhorizont eine auf Max Weber sich berufende “Darstellung der okzidentalen Moderne” ins Spiel (a.a.O., 44).

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  7. Der Typus der “obliquen Reflexion” wird dort unter Bezugnahme auf Freud und Nietzsche vorgestellt und diskutiert. Oblique Reflexion dient der Dekonstruktion und Destruktion von Naivitäten im Verständnis unseres Sprechens und Handelns. Böhmes anregender Essay richtet sich dabei auf einen spezifischen Typus unseres Sprechens: das Erzählen von Geschichten. Diese Praxis und damit auch die Begriffe “Erzählen” und “Geschichte” sollen, am Leitfaden konkreter Beispiele, kritisch dekonstruiert werden; der im Erzählen einer Geschichte sich manifestierende Sinn soll mit Alternativen konfrontiert werden. Diese Alternativen bilden eine “chaotische Mannigfaltigkeit vieler Gegensinne” (a.a.O., 589). Im übrigen steht in Böhmes psychoanalytisch inspirierter philosophischer Anthropologie der Begriff des “Gegensinns” letztlich “im wörtlichen Sinne (für) das Irrationale, nämlich das, was aufgrund gewisser Umstände, politischer Bedingungen, moralischer Schranken etc. nicht sagbar ist” (a.a.O., 590).

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  8. Eine ausführlichere Darlegung einer auf die Konstruktion von Typisierungen, Typiken und Typologien abzielenden Form psychologischer Erfahrungs- und Erkenntnisbildung findet sich bei Straub (1989, 197ff). Dort wird auch eine Klärung der Begriffe “Typisierung”, “Typus” etc. und eine Bearbeitung der damit verbundenen Frage nach dem Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinem versucht (a.a.O., 223 ff). Was die Zielsetzung einer typologischen Erkenntnisbildung betrifft, so ist auch Bohnsacks Konzeption und Praxis soziologischer Erkenntnisbildung dieser Zielsetzung verpflichtet Allerdings unterscheidet sich diese Konzeption und Praxis gerade unter den zuletzt erörterten, “durchführungspraktischen” Gesichtspunkten von dem hier vorgestellten Verfahren. Die für die vorliegende Arbeit relevanten Unterschiede sind dabei vor allem “arbeitsökonomisch” begründet, sie haben aber auch, insofern sie die Präsentation der Forschungsresultate betreffen, damit zu tun, den Rezipienten keine allzu großen Redundanzen zuzumuten, ohne durch diese “Sparsamkeit” die methodische Kontrollierbarkeit der Ergebniskonstruktion zu sehr zu beeinträchtigen. (Was sicherlich ein prinzipiell nicht gänzlich lösbarer Konflikt ist. Vgl. hierzu die kurze, aber aufschlußreiche Diskussion bei Riemann (1987, 495ff), dessen Art, Forschungsergebnisse auch ausführlich unter dem Aspekt ihrer Genese und methodischen Nachvollziehbarkeit zu präsentieren, “traditionellen soziologischen Rezeptionsweisen widerspricht” (a.a.O.). Eine Alternative zu Riemanns “extensiver” Präsentation seiner eindrucksvollen Analysen des “Fremdwerdens der eigenen Biographie” bietet etwa Hoffmann-Riem (1984), die in einer m.E. ebenfalls äußerst lesenswerten Arbeit die Akzente nicht auf die detaillierte Darstellung der Entwicklung der Forschungsergebnisse und die Darstellung von Einzelfällen legt, sondern auf die typisierende und strukturierende Darstellung des dort thematisierten Adoptionsprozesses und des damit verbundenen “Familienlebens mit doppelter Elternschaft”.) Bohnsacks aufwendige Forschungspraxis, an der sich auch seine Präsentation der Forschungsergebnisse orientiert, gestaltet sich folgendermaßen: er geht nach der Fertigstellung der formulierenden Interpretationen zur reflektierenden Interpretation jener Textpassagen über, die wegen ihrer thematischen Bedeutung oder wegen ihrer Relevanz im dramatischen Diskursaufbau bereits detailliert reformuliert wurden. Die Einzelfallanalyse erscheint Bohnsacks analytischen und handlungsleitenden Unterscheidungen zufolge als ein weiterer, gesonderter Arbeitsschritt, der sodann zu einer zusammenfassenden Präsentation des jeweiligen Falls, einer “Diskursbeschreibung”, führen soll. Von dieser an der prozessual konstituierten Struktur und Logik eines “Diskurses” (Textes) orientierten Fallbeschreibung führt schließlich die komparative, fallvergleichende Analyse zur Bildung von Typen und Typiken, in denen bestimmte Themenaspekte oder “Problematiken” systematisch behandelt werden (zu diesen einzelnen Arbeitsschritten vgl. z.B. Bohnsack 1991, 34 ff, 132 ff). Wie dargelegt habe ich in der folgenden Dokumentation der Forschungsergebnisse manche dieser bei Bohnsack getrennt ausgeführten Schritte “zusammengefaßt”.

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© 1993 Leske + Budrich, Opladen

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Straub, J. (1993). Textkonstitution, Textinterpretation, Typenkonstruktion: methodische und theoretische Aspekte. In: Geschichte, Biographie und friedenspolitisches Handeln. Biographie & Gesellschaft, vol 20. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96038-2_6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-96038-2_6

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-322-96039-9

  • Online ISBN: 978-3-322-96038-2

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