Zusammenfassung
In den Ländern Osteuropas lebten zu Beginn der 1990er Jahre ca. 75 Mio. Menschen in Armut. Nimmt man die Armutsgrenzen, die die Unicef in ihrer Studie von 1994 verwandt hatte, in ihrem Bericht von 1995 aber als Niedrigeinkommensbereich charakterisiert hat, so haben sich in den Jahren 1993/1994 insgesamt 110 Mio. Menschen in Osteuropa in einer sozialen Position zwischen Niedrigeinkommen und Armut befunden. In der Europäischen Union sind im Übergang zu den 1990er Jahren — bei zur Grundelegung der dort gebräuchlichen Armutsdefinition — ca. 55 Mio. Personen als arm einzustufen. Unter Einbeziehung Ostdeutschlands, der Nicht-EU-Länder Norwegen, der Schweiz und dem ehemaligen Jugoslawien (vor dem Bürgerkrieg), das mit Ausnahme von Slovenien in den bisherigen Erörterungen nicht berücksichtigt worden ist, ergibt sich insgesamt eine Armutsbevölkerung in Europa in der Größenordnung — je nach nationalen Armutskriterien bzw. -niveau — von insgesamt zwischen 140 und 170 Mio. Personen. Dabei ist zu bedenken, daß ein Empfänger von Sozialhilfe in Deutschland im heutigen Rußland sicher zu den eher wohlhabenden Personen gehören dürfte, nur lebt der Sozialhilfeempfänger nicht in Rußland, sondern in Deutschland. Umgekehrt wäre auch manch Nicht-Armer, der heute in Rußland zur kleinen Mittelschicht gehört, in Deutschland Sozialhilfeempfänger. Gleichwohl: 140–170 Mio. Personen leben in ihren jeweiligen nationalen Gesellschaften auf einem Lebensniveau, das dort oder von entsprechenden Institutionen wie etwa der Unicef oder der EU als Armut definiert wird. Dabei ist Armut in Europa nicht erst mit dem Fall des Eisernen Vorhanges entstanden. Armut war auch schon zu Zeiten der schroffen Trennung von West- und Osteuropa in beiden Teilen Europas anzutreffen, erst jetzt aber werden Konturen einer Armutslandschaft in Gesamteuropa sichtbar und auf ihre Folgewirkungen hin diskutierbar. Die Globalisierung der Wirtschaft innerhalb der Europäischen Union in Gestalt eines freien Binnenmarktes, zwischen Ost- und Westeuropa sowie weltweit über GATT-Handelsabkommen und bilaterale sowie Verträge zwischen der EU und einzelnen Staaten Osteuropas schafft neue Bedingungen für wirtschaftliches Wachstum und soziale Entwicklungen, sie bestimmt aber auch Ausgrenzungsprozesse, zum Teil sogar in sehr ausgeprägter Weise.
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© 1996 Leske + Budrich, Opladen
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Huster, EU. (1996). Entgrenzung des Sozialstaats — begrenzte supranationale Handlungskompetenz: das strukturelle Dilemma bei der Überwindung von Armut in Europa. In: Armut in Europa. Analysen, vol 58. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93679-0_6
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