Zusammenfassung
Wenn Gewerkschafter mehr freie Zeit oder humanere Arbeitsplätze fordern, wenn Umweltschützer für umweltverträgliche Produktionsverfahren und Produkte eintreten, wenn Solidaritätsgruppen eine Beendigung der Ausbeutung der Dritten Welt und faire Preise für deren Rohstoffe und Produkte fordern, werden sie alle immer wieder mit dem gleichen Totschlagargument getroffen und mundtot gemacht, mit dem Verweis auf die Zwänge des Weltmarkts. All ihre Forderungen, heißt es, können nicht erfüllt werden, weil sonst die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen auf dem Weltmarkt gefährdet wäre. Gegen den vom Weltmarkt ausgehenden Rationalisierungsdruck, gegen das Prinzip des komparativen Kostenvorteils und gegen die weitere Ausdifferenzierung der internationalen Arbeitsteilung scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Auch die Technologiepolitik scheint nichts anderes tun zu können, als dafür zu sorgen, daß die stofflich-technische Basis der Produktion rechtzeitig an die Erfordernisse des Weltmarkts angepaßt wird.
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Literatur
vgl. zu Entwicklungen in der internationalen Arbeitsteilung Fröbel/Heinrichs/ Kreye 1977 und zur Relativierung und Differenzierung dieser ursprünglichen Position: dies. 1986 sowie Olle 1986, Ernst 1984 und 1985, Junne 1986. Zum Strukturwandel vgl. Teil I, F.
Allerdings sind hier unterschiedliche Tendenzen zu beobachten, was mit unterschiedlichen Produktionskonzepten zusammenhängt. Für die ‘Just-in-time- Produktion’ ist z.B. räumliche Nähe wieder gefragt, allerdings nicht wegen der Transportkosten, sondern wegen der eingesparten Lagerhaltung. Die ‘Entwertung des Raumes’ ist im übrigen nicht nur eine Tendenz in der Produktionssphäre, sondern ein Vorgang, der zunehmend alle Lebensbereiche betrifft. Sie läßt sich auch an eher kulturellen Phänomenen wie z.B. der Entwicklung des Reisens ablesen. Das Reisen wurde im Zuge seiner Technisierung als Erlebnis entwertet. Es degenerierte immer mehr zum bloßen Überwinden der Entfernung zwischen zwei Punkten; vgl. Schivelbusch 1979.
Aspekte dieses Zerstörungsprozesses werden als Angriff des ‘Systems’ auf die ‘Lebenswelt’ von Habermas beschrieben; vgl. Habermas 1981, Bd. 2: 173 ff.
Nicht zufällig haben kybernetische Konzepte und hat das Autopoiesiskonzept Eingang in die Managementtheorie gefunden, vgl. Beer 1981, Ulrich/ Probst 1984.
Vgl. Häußermann/Siebel 1988, Rodenstein, Emenalauer/Grymer/Krämer-Badoni 1975, Gude 1972. Bei vielen kleineren Gemeinden und Dörfern waren die Autonomieverluste durch Eingemeindung im Zuge der Gebietsreform in den siebziger Jahren sogar noch drastischer.
Schackmann-Fallis 1985 und Watts 1981 belegen in Untersuchungen darüber hinaus, daß die Qualifikationsstruktur der Arbeitskräfte und die regionalen Liefer- und Leistungsverflechtungen extern kontrollierter Unternehmen deutlich von denen der Unternehmen mit regionaler Entscheidungsautonomie und regional ansässigen Unternehmern abweichen. Doch auch die selbständigen Klein- und Mittelbetriebe einer Region können natürlich aufgrund ihrer spezifischen Schwächen (z.B. dünne Kapitaldecke oder starkes Angewiesensein auf externe Beratung) nicht vorbehaltlos zum Rückgrat der regionalen Wirtschaftsstruktur hochstilisiert werden, vgl. Gräber/ Horst/Schackmann-Fallis/Sehl 1987.
vgl. zum Beispiel die Situation Nordfrieslands und zunehmend der ganzen Küstenregion oder die Situation weiter Teile des Ruhrgebiets; vgl. zum letzteren Krummacher/Wienemann 1985: 32 ff.
Für einen Überblick über die Maßnahmen und Programme der regionalen Wirtschafts- und Technologiepolitik vgl. Arbeiterkammer des Saarlandes 1985 und Schütte 1986. Schütte weist auch explizit auf die “Bedeutung der räumlichen Nähe für die Inanspruchnahme von Informationen” der Technologieberatung und Wirtschaftsforderung hin, S. 50. Zur (selbst)kritischen Diskussion der bisherigen Ausrichtung der Gemeinschaftsaufgabe ‘Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur’ vgl. Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung 1986 und Beckenbach 1988. Von Beckenbach werden auch Vorschläge für eine Weiterentwicklung und stärker ökologische Ausrichtung der ‘Gemeinschaftsaufgabe’ im Rahmen der anderen Regionalforderprogramme gemacht.
Die Exportquote beträgt in NRW z.B. ‘nur’ 29,3%. Weniger als die Hälfte der Beschäftigten arbeiten in weltmarktorientierten Branchen und Betrieben, die einen Großteil ihrer Produkte ja auch im Inland absetzen; vgl. Lamberts 1985. NRW liegt mit einem Anteil an in solchen ‘weltmarktorientierten’ Branchen Beschäftigten von 45,7% gleich hinter Baden-Württemberg mit 49,9% und dem Saarland mit 49,1%. Auffallend klein ist bei diesen Spitzenreitern auch der stark von staatlichen Interventionen bestimmte oder staatlich organisierte ‘politische Sektor’ mit 15,9 – 18,1% der Beschäftigten.
Solche Gründe sind z.B. Verderblichkeit/Frische von Waren, große Volumina und Massen, oder Dienstleistungen, die ‘persönlich’ erbracht werden müssen, z.B. im Gesundheitswesen oder im Gaststättengewerbe (vgl. Schöne 1987).
vgl. Weaver 1985, Friedmann 1986: 20 und die dort angegebene Literatur
Auch die hier vorgenommene Unterscheidung zwischen formellen bzw. formalisierten und ‘direkten’ Beziehungen ist ein wichtiges Element der habermas’schen Unterscheidung zwischen System und Lebenswelt.
Er spielt dabei nicht nur auf die Zunftvorschriften an, die ja auch u.a. dem Erhalt von Arbeitsplätzen und einer Gebrauchswertorientierung bzw. eines bestimmten Qualitätsstandards in der Produktion dienten. “The town association controlled individual commercial conduct with a thoroughness unmatched in history”, Morris 1982 b: 23.
vgl. zu deren regionalpolitischer Relevanz Maußner/Kalasche 1982
vgl. zur Unterscheidung und Systematisierung der verschiedenen Formen des Wirtschaftens
Die Formulierung von der ‘In-Wert-Setzung des Raumes’ wird hier nicht wie bei Altvater aus der Sicht des Kapitals als “kapitalistische In-Wert-Setzung”, als “Bemächtigung des Raumes durch das Kapital”, als “Integration” bisher nicht durchkapitalisierter Regionen der Dritten Welt in den “globalen Funktionsraum von Kapitalakkumulation” gebraucht (vgl. Altvater 1987: 39 ff.). In-Wert-Setzung bezeichnet hier mit Blick auf längst mehr oder minder durchkapitalisierte Regionen die Versuche der Wiederaneignung des lebensweltlichen Raums, wobei sich die ‘In-Wert- Setzung’ sowohl auf die Kostenseite (Transportkosten) als auch auf die Wertschätzung einer Region (regionale Identität, Heimat) bezieht.
Die ‘In-Wert-Setzung’ des Raumes ist damit ein Teil einer umfassenderen Umorientierung, die insgesamt auf die Brechung und Wiedererweiterung der verengten ökonomischen Rationalität zielt, in welcher die Qualität der Arbeit und der Natur systematisch vernachlässigt werden, und in welcher eben auch die Raumgebundenheit von sozialen und materiellen Prozessen bedeutungslos und wertlos geworden ist. ‘In-Wert-Setzung des Raumes’ ist damit auch die Voraussetzung für Morris’ Vision, wenn er schreibt: “No longer is it economical to build a house with glue imported from one continent, wood from another, nails from another and fixtures from still another, to heat it with fuel that comes from still another part of the world, and to bring in water and electricity from several hundred miles away”, Morris 1982 a: 13.
Zur Diskussion über Gebrauchswertorientierung, die der Tau Schwertorientierung gegenübergestellt wird, vgl. Haas/Lucas/Pfriem 1984, und in Verbindung mit Regionalorientierung vgl. Weaver 1984. Zum Wandel in der Rolle und Struktur der Familienhaushalte als Ansatzpunkt für eine Regionalisierungsstrategie vgl. Schweitzer/Pross 1976 und Bruns 1977.
Zum Stellenwert der Raumplanung im Rahmen einer präventiven Umweltpolitik vgl. Barth 1982, Schlarmann/Erbguth 1982, Fürst/Nijkamp/Zimmermann 1986.
Dies entspricht sozusagen einer Umkehrung der popularisierten Form der Exportbasis-Theorie bzw. Economic Base Theory, in der sie in politisches Handeln eingeflossen ist, z.B. auch in die Förderungsrichtlinien der ‘Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur’ des Bundes und der Länder, vgl. zur Exportbasis-Theorie Peters 1976, Krietemeyer 1983.
“At what point does future expansion of the division of labour and thus the size of the market — in a particular area of activity — become a hindrance rather than a help for individual and sozial development?”, fragen auch Brugger/Stuckey 1986: 5, ohne für diese wichtige Frage eine schnelle und generelle Antwort zur Hand zu haben.
Blume unterscheidet z.B. in seinen auf das Ruhrgebiet zielenden ‘Gedanken zu einer Utopie regionalen Wirtschaften’ drei Ebenen oder Kreise des Wirtschaften mit nach außen zunehmender funktionaler Differenzierung: 1. den unmittelbaren Lebensraum mit größtmöglicher Funktionsmischung mit Eigenarbeit, Werkstatten usw., 2. regionale Produktionszentren für landwirtschaftliche Produktion und industrielle Halbzeug-, Standard-und Rohproduktproduktion, und 3. überregionale Produktionszentren für Produkte, die auch im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung exportiert werden. Vgl. Blume 1982, vgl. dazu auch das Konzept von Self-reliance als “dynamischer Drei-Ebenen-Ansatz” mit einer (welt-)regionalen, nationalen und lokalen Ebene bei Galtung 1979: 173 f.
Vgl. zur Kritik an unreflektierten Vorstellungen über politische Dezentralisierung Hebbert 1984.
Vgl. zur Empirie der Regionalkultur in Industriegesellschaften Lippe 1984 und zur lokalen Identität in der Stadt und auf dem Land Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung 1987.
Vgl. zum Zusammenhang von Markt, Wertabstraktion, Autonomie und Demokratie Müller 1977, zur Schaffung, zum Erhalt und drohenden Zerfall von Öffentlichkeit Negt/Kluge 1972 und Sennett 1986. Zur ‘linken’ oder ‘rechten’ Politisierung von Relikten vorbürgerlicher Lebensformen vgl. Bloch 1977, zum Phänomen und zur Ambivalenz regionaler Identität AK Regionalbewußtsein und Landeskunde 1987, Blotevogel u.a. 1986, Hasse 1987, Schöller 1984, sowie die durchaus schwierige Diskussion über die Möglichkeit einer ‘linken’ Besetzung des Heimatgedankens von Bloch 1973 über Jeggle 1980 bis Kracht 1984.
Ob zu dieser ‘Weltoffenheit’ auch alle Segnungen der Kommunikationstechnik: und der Massenmedien gehören, muß vorerst offen bleiben. Das Problem der Macht und Abhängigkeit auf der Basis der derzeitigen Organisationsform ist auf jeden Fall vorhanden. Morris sieht auf jeden Fall eine positive Komplementarität zwischen der nach innen gerichteten Orientierung auf self-reliance und der totalen Außenorientierung der neuen Kommunikationssysteme: “We can have a global electronic village as we develop a globe of materially self-reliant villages”, 1982 b: 65. Ganz so einfach dürfte allerdings das Verhältnis von Regionalorientierung und Weltoffenheit wirklich nicht sein.
Wobei die direkte soziale Kontrolle des Dorfes durch vielfache formelle Kontrollstrukturen, durch die zunehmende Reichweite gesellschaftlicher Verflechtungen und durch strukturelle Abhängigkeiten vom Funktionieren des ‘Ganzen’ sowie von technischen Großanlagen ersetzt wurde, was alles zusammen in vielen Gebieten eine noch weitergehende Disziplinierung erzwang.
vgl. dazu auch Fücks’ Überlegungen zu Bildung kommunalgenossenschaftlicher Netze, Fücks 1985.
Vgl. Bahrenberg 1987, Voß 1986; vgl. zur Unterscheidung zwischen Lebensraum und ökonomischen Raum bzw. wirtschaftlichem und sozialem Raum Friedmann 1981 und Rosanvallon 1979.
Rommelspacher untersucht unter diesem Gesichtpunkt lokale und regionale Auseinandersetzungen um Zechensiedlungen im Ruhrgebiet, vgl. Rommelspacher 1985.
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v. Gleich, A., Lucas, R., Schleicher, R., Ullrich, O. (1992). Regionalorientierung als Wertschätzung des konkreten Raumes. In: Blickwende in der Technologiepolitik. Sozialverträgliche Technikgestaltung Materialien und Berichte. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-91661-7_4
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