Zusammenfassung
Bereits diese kurzen Hinweise auf Motive und Entwicklungsgang lassen aufleuchten, wie sehr sich die Frage nach der Richtigkeit der Einsetzung und der Reichweite der Kontrollkompetenz der Verfassungsgerichtsbarkeit wie ein roter Faden durch diese Institution zieht. Die Antwort darauf ist immer zugleich auch eine Aussage über Bedeutung und Sanktion einer Verfassung. Insofern gilt die Feststellung des Schweizers W. Kägi: „Sage mir Deine Einstellung zur Verfassungsgerichtsbarkeit, und ich sage Dir, was für einen Verfassungsbegriff Du hast.“13 Sehe ich es nach einem über dreißigjährigen Bestand der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Nachkriegszeit richtig, so ist diese Feststellung einer Ergänzung bedürftig: Die Existenz einer Verfassungsgerichtsbarkeit determiniert nicht nur den Verfassungscharakter, sondern sie ist mehr noch Ausdruck eines ganz bestimmten Staatsverständnisses und des Verhältnisses der staatlichen Institutionen zueinander und zum Bürger. Das Thema Verfassungsgerichtsbarkeit ist daher sowohl eine zentrale Frage des positiven Staatsrechts, zugleich aber auch ein fundamentaler Bestandteil einer neu zu konzipierenden Theorie des modernen Verfassungsstaates freiheitlich-demokratischer Prägung und seiner Wirkungsweise; denn durch ein Verfassungsgericht mit umfassender Zuständigkeit, also einer Einrichtung der rechtsprechenden Gewalt, wird Gerichtsbarkeit in einer Weise in den staatlichen Willensbildungsprozeß einbezogen wie nie zuvor in der deutschen Geschichte, was niemand deutlicher als einer der schärfsten Gegner der Verfassungsgerichtsbarkeit, C. Schmitt, erkannt hatte14. Die Dritte Gewalt ist wirkliche Staatsgewalt, pouvoir, gewordenes15.
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Stern, K. (1980). Die Verfassungsgerichtsbarkeit — eine neue Dimension der Verfassungsstaatlichkeit. In: Verfassungsgerichtsbarkeit zwischen Recht und Politik. Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, vol 243. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88226-4_2
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