Zusammenfassung
Vor einigen Monaten wurde das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland neununddreißig Jahre alt. Zunächst nur als Provisorium gedacht, übertrifft damit diese zweite Verfassung einer freiheitlichen Demokratie auf deutschem Boden ihre Vorgängerin, die Weimarer Reichsverfassung, an Lebenszeit um nun schon fast das Dreifache. Offenbar ist es gelungen, das Grundgesetz sehr viel besser zu schützen, als jede deutsche Verfassung davor. Wäre dies nicht Anlaß genug — ähnlich wie bei der Bundeswehr derzeit für den äußeren Frieden — im Hinblick auf die innere Sicherheit vor allem eine Institution besonders hervorzuheben und feierlich zu würdigen, der man jenen Erfolg in erster Linie zu verdanken scheint: nämlich den Verfassungsschutz? Gerade die Nachrichtendienste aber sind seit einigen Jahren immer stärker ins Kreuzfeuer der Kritik geraten: Mit der Abhör-Affaire, der Inlandsüberwachung von Politikern, der Routineüberprüfung von Beamtenbewerbern, den Kontakten zu Geheimdiensten autoritärer Regime, mit dem „Lauschangriff” auf den Atomphysiker Traube, der Pilotenbeobachtung durch den MAD, der Massenkontrolle von Postsendungen und entsprechende Grenzkontrollen bei Personen aus Ostblockstaaten für den BND, ja neuerdings sogar mit einer Privatfinanzierung geheimdienstlicher Aktivitäten bei der Terroristenfahndung und mit der Vortäuschung eines Bombenanschlags auf eine Gefängnismauer („Celler Loch”) sind immer wieder Fälle bekannt geworden, bei denen die Sicherheitsbehörden dem Vorwurf der Verfassungsverletzung ausgesetzt waren — ein Zustand, zu dessen Beschreibung Otto Kirchheimer in scharfsinniger Voraussicht schon 1966 den Begriff des „Überwachungsstaats” für angebracht hielt. Wie ist jene Diskrepanz zwischen unleugbarem Schutzerfolg und höchst zweifelhaften Schutzmethoden zu erklären? Kann etwa eine freiheitliche Verfassung auch durch Verfassungsverstöße geschützt werden? Dieser Widerspruch weist direkt ins Zentrum unserer Thematik, denn er beleuchtet sowohl die Notwendigkeit als auch die Fragwürdigkeit des Verfassungsschutzes in einer freiheitlichen Demokratie.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 1989 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Schneider, HP. (1989). Von der Bürgerfreiheit zur Sicherheitsversorgung?. In: Luthardt, W., Söllner, A. (eds) Verfassungsstaat, Souveränität, Pluralismus. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-87760-4_11
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-87760-4_11
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-12025-6
Online ISBN: 978-3-322-87760-4
eBook Packages: Springer Book Archive