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Der räumliche Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union

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Grundrechte und extraterritoriale Hoheitsakte

Zusammenfassung

Eine Untersuchung der Grundrechtsgeltung bei Hoheitsakten außerhalb des eigenen Staatsgebiets bedarf aus der Perspektive der EU-Mitgliedstaaten auch der Einbeziehung der Grundrechte der Europäischen Union. Gerade als Folge der fortschreitenden Integration in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen kommt es im Rahmen der Durchführung von Unionsrecht verstärkt zur Setzung grenzüberschreitender bzw extraterritorialer Hoheitsakte. Dabei ist zu klären, inwieweit in solchen Konstellation eine Bindungswirkung an die Unionsgrundrechte besteht und in welchem Ausmaß Schutz gegen potentielle Verletzungen besteht. Im Folgenden sollen daher nach einem kurzen entwicklungsgeschichtlichen Überblick der insb extraterritoriale Anwendungsbereich der Grundrechte der EU geklärt und bestehende Grundrechtsschutzlücken im Bereich der GASP und der PJZS aufgezeigt werden.

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Literatur

  1. ABl 2007, C 306, 1.

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  2. Vgl nur Kühling , Grundrechte, in: Europäisches Verfassungsrecht, 586f.

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  3. EuGH, Rs 29/69, Urteil v 12. 11. 1969, Stauder, Slg 1969, 421, 425.

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  4. EuGH, Rs 11/70, Urteil v 17. 12. 1970, Internationale Handelsgesellschaft, Slg 1970, 1125, Rz 4.

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  5. EuGH, Rs 4/73, Urteil v 14. 5. 1974, Nold, Slg 1974, 491, Rz 13.

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  6. EuGH, Rs 222/84, Urteil v 15. 5. 1986, Johnston, Slg 1986, 1651, Rz 18.

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  7. ABl 2000, C 364, 1.

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  8. ABl 2004, C 310, 1.

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  9. ABl 2007, C 306, 1.

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  10. Griller / Droutsas / Falkner / Forgó / Nentwich , Treaty of Amsterdam, 134f; Kühling, Grundrechte, in: Europäisches Verfassungsrecht, 588. Geht man wie von Bogdandy/ Nettesheim, EuR 1996, 17ff ohnehin bereits nach der geltenden Rechtslage von einer einheitlichen Unionsrechtsordnung aus, erübrigt sich die Fragestellung.

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  11. Auf Grund der Formulierung der Achtung der Grundrechte „als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts“ und der restriktiven Kontrollkompetenzen des EuGH im nicht vergemeinschafteten Bereich gemäß Art 46 EUV wird auch die Frage aufgeworfen, ob in der GASP und der PJZS überhaupt eine Grundrechtsbindung besteht; dafür spricht aber schon der eindeutige Wortlaut des Art 6 Abs 2 EUV, wenn er die Achtung der Grundrechte durch die Union festlegt; vgl dazu Winkler , Grundrechte der EU, 113f.

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  12. Art 63 Z 1 EGV ordnet explizit an, dass bestimmte sekundärrechtliche Asylmaßnahmen nur in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention, dem New Yorker Protokoll von 1967 (Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. 7. 1951, BGB1 1955/55, sowie das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. 1. 1967, BGB1 1974/78; beide zusammen in der Folge GFK) sowie einschlägigen anderen Verträgen zu beschließen sind. Die Stellung der GFK im Gemeinschaftsrecht ist bisweilen nicht restlos geklärt: Für die GFK wie für die EMRK gilt jedenfalls, dass sämtliche Mitgliedstaaten gemäß Art 307 EGV an sie gebunden bleiben. Daher gilt auch für die GFK selbiges wie im Dreiecksverhältnis Union — Mitgliedstaaten — EMRK: Die Mitgliedstaaten dürfen ihre durch die Ratifikation der GFK eingegangenen Verpflichtungen nicht dadurch umgehen bzw sich ihrer entledigen, indem sie Hoheitsbefugnisse auf völkerrechtliche Entitäten, wie die Europäische Union, übertragen. Darüber hinaus wird die GFK aber auch selbst zum Bestandteil des Primärrechts der Europäischen Union, da sie ausdrücklich zum Kontrollmaßstab sekundärrechtlicher Gemeinschaftsrechtsakte erklärt wird. Jeder Sekundärrechtsakt, der nicht mit den Anforderungen der GFK übereinstimmt, ist somit nicht nur (aus Sicht der Mitgliedstaaten) völkerrechtswidrig, sondern insb (aus Sicht der Union) auch primärrechtswidrig (Muzak , Art 63 EGV, Rz 6; aA Brechmann, Art 63 EGV, Rz 4).

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  13. Siehe nur Grabenwarter , VVDStRL 60, 325f mwN; Ehlers, in: Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14, Rz 9.

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  14. So auch Kühling , Grundrechte, in: Europäisches Verfassungsrecht, 585f. Nur bei rein gemeinschaftlichen Sachverhalten soll somit der Begriff der Gemeinschafts-grundrechte verwendet werden.

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  15. Siehe näher Winkler , Grundrechte der EU, 101ff.

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  16. Vgl zB Bulterman , in: Monitoring fundamental rights, 254; Ukrow, in: Grundrechtsschutz in Europa, 141.

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  17. Kritisch Ehlers , in: Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14, Rz 5. So verneinte der EuGH in der Rs C-280/93, Deutschland/Rat, Slg 1994, I-4973 einen Verstoß der Verordnung 404/93/EWG des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen gegen das Eigentumsrecht — kritisch dazu zB Everling, CMLR 1996, 413ff. Bei der Prüfung der sog Tabakwerberichtlinie 98/43/EG erkannte zwar Generalanwalt Fennelly in seinen Schlussanträgen einen Verstoß der Richtlinie gegen die Eigentumsgarantie und die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit (SA, Rs C-376/98, Deutschland/Parlament und Rat, Slg 2000, I-8423, Rz 151), der EuGH erklärte die Richtlinie aber wegen Heranziehung der falschen Rechtsgrundlage für nichtig, ohne auf die Frage der Grundrechtskonformität einzugehen (EuGH, Rs C-376/98, Deutschland/Parlament und Rat, Slg 2000, I-8498). Auch in anderen Fällen verneinte der Gerichtshof eine Grundrechtswidrigkeit von Sekundärrecht: Siehe zB EuGH, Rs C-377/98, Niederlande/Parlament und Rat, Slg 2001, I-7079 (Prüfung der Biopatentrichtlinie am Maßstab der Menschenwürde) bzw EuGH, Rs C-184/02, C-223/02, Spanien und Finnland/Parlament und Rat (Prüfung der Richtlinie 2002/15/EG am Maßstab der Berufsausübungsfreiheit und des Gleichbehandlungsgrundsatzes). Vgl auch EuGH, Urteil vom 27. 6. 2006, Rs C-540/03, Parlament/Rat, Slg 2006, I-5769 betreffend die Richtlinie 2003/86/EG des Rats vom 22. September 2003 zum Recht auf Familienzusammenführung; dazu Bulterman, CMLR 2008, 245ff.

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  18. Siehe EuGH, Rs C-105/03, Urteil v 16. 6. 2005, Maria Pupino, Slg I-2005, 5285 (= EuZW 2005, 433ff); vgl Egger, EuZW 2005, 652ff; siehe auch Pechstein, EuR 1999, 21ff; Dörr/Mager, AöR 2000, 406ff.

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  19. BVerfGE 89, 155 (175ff).

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  20. So zur Rechtslage vor dem Vertrag von Amsterdam noch Griller , Übertragung, 457ff, 470 und ihm folgend Obwexer, in: Österreich und das Recht der EU, 76f.

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  21. Vgl Griller , ÖJT 1994, 22.

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  22. Ukrow , in: Grundrechtsschutz in Europa, 141ff; Winkler, Grundrechte der EU, 114f.

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  23. Vgl Winkler , Grundrechte der EU, 327, der sich auf Art 3 der Gemeinsamen Aktion 2003/92/GASP beruft, der den Rat zur Planung und Einleitung der Operation ermächtigt.

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  24. EuGH, Rs 29/69, Urteil v 12. 11. 1969, Stauder, Slg 1969, 419; vgl Korinek, FS Badura 2004, 1107.

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  25. Erstmals EuGH, Rs 260/89, Urteil v 18. 6. 1991, ERT, Slg 1991, I-2925, Rz 41ff; EuGH, Rs C-159/90, Urteil v 4. 10. 1991, Society for the protection of unborn children/Grogan ua, Slg 1991, I-4685, Rz 31; vgl zB Griller, ÖJT 1994, 26ff; Ruffert, EuGRZ 1995, 518; Holoubek, in: Grundfragen der EU-Mitgliedschaft, 82ff; Hengstschläger, JB1 2000, 497; Kanitz/Steinberg, EuR 2003, 1013; Ranacher, ZÖR 2003, 23ff.

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  26. Statt vieler Ranacher , ZÖR 2003, 24ff; kritisch zu einer zu großen Ausweitung des Anwendungsbereichs der Unionsgrundrechte Korinek, FS Badura, 1103ff.

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  27. EuGH, Rs 260/89, Urteil v 18. 6. 1991, ERT, Slg 1991, I-2925, Rz 41ff; zB Ranacher, ZÖR 2003, 43ff.

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  28. Sclilussanträge in der Rs C-168/91, Konstantinidis , Slg 1993, I-1198.

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  29. Ibid, Rz 46. Vgl dazu jüngst von Bogdandy/Bitter, FS Zuleeg 2005, 309ff.

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  30. EuGH, Rs C-274/96, Bickel und Franz, Slg 1998, I-7637, Rz 16.

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  31. Griller , Anwendungsbereich, in: Grundrechte für Europa, 142; kritisch zu dieser Judikatur und insb zur darauffolgenden Ausweitung des Diskriminierungsverbots auf soziale und andere staatliche Leistungen von Bogdandy/Bitter, FS Zuleeg, 320ff; Griller, FS Schäffer, 216ff; siehe außerdem zur extraterritorialen Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots Holoubek, Artikel 12 EGV, Rz 13.

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  32. Zutreffend Griller , Anwendungsbereich, in: Grundrechte für Europa, 139f unter Verweis auf die Erläuterungen zur GRC, die auf das ERT-Urteil des EuGH explizit Bezug nehmen.

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  33. Borowsky , Artikel 51, in: Kommentar zur GRC, Rz 16; Curtin/van Ooik, MJ 2001, 104ff.

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  34. Allerdings ist wegen des Prinzips nullum crimen sine lege eine unmittelbare Wirkung von Rahmenbeschlüssen gemäß Art 34 Abs 2 Satz 2 EUV ausdrücklich ausgeschlossen; vgl Wasmeier , Artikel 34 EU, Rz 8f.

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  35. ZB Winkler , Grundrechte der EU, 159f.

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  36. Vgl EuGH, verb Rs C-187/01 und C-385/01, Gözütok und Brügge , Slg 2003, I-1345, Rz 25ff zur Auslegung des Doppelbestrafungsverbot in Art 54 SDÜ.

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  37. Brügge, Slg 2003 Ibid, 156.

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  38. ABl v 22. 9. 2000, L 239, 1 iVm dem Beschluß des Rates (1999/435/EG) vom 20. Mai 1999 zur Bestimmung des Schengen-Besitzstands zwecks Festlegung der Rechtsgrundlage für jede Bestimmung und jeden Beschluß, die diesen Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägien Bestimmungen des Vertrags zur Grüngung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union, ABl v 10. 7. 1999, L 176, 1. Zu den Sonderregeln über die Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes durch das Vereinigte Königreich und Irland bzw von Dänemark (im Hinblick auf jene Teile, deren Rechtsgrundlage Art 61–69 EGV ist) vgl. Jour-Schröder / Wasmeier , Vorbemerkungen Art 29–42 EU, Rz 37f.

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  39. Vgl zu Art 40 und 41 SDÜ Würz , SDÜ, 68ff, 84ff.

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  40. Zur „doppelten Grundrechtsloyalität“ und zu den Grundrechten der EU als Mindestgarantie vgl zB Ranacher , ZÖR 2003, 76ff; kritisch zu solchen „Doppelgleisigkeiten“ Korinek, FS Badura, 1107ff.

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  41. Vgl Winkler , Grundrechte der EU, 159f; siehe unten 5. Kap III.B.

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  42. Ukrow , in: Grundrechtsschutz in Europa, 141f; Wouters, MJ 2001, 4ff; vgl auch Bulterman, in: Monitoring fundamental rights, 254 und Ehlers, in: Grundrechte und Grundfreiheiten, Rz 39.

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  43. Borowsky , Artikel 51, in: Kommentar zur GRC, insb Rz 21; vgl Thematic Comment No. 2: Fundamental rights in the external activities of the European Union in the fields of justice and asylum and immigration in 2003, 4 February 2004, of the EU Network of Independent Experts on Fundamental Rights, 9f, http://www.europa.eu.int/comm/justice_home/cfr_cdf/doc/thematic_comments_2003_en.pdf.

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  44. Vgl Thematic Comment No. 2, EU Network of Independent Experts on Fundamental Rights, 10; Ukrow, in: Grundrechtsschutz in Europa, 142ff sowie Wouters, MJ 2001, 6f; vgl Art 177 Abs 2 EGV, der für die Entwicklungszusammenarbeit das Ziel der Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten statuiert.

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  45. So auch Winkler , Grundrechte der EU, 118.

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  46. Öhlinger , VVDStRL 56, 82.

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  47. Rill , Art 18 B-VG, Rz 49.

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  48. Ibid, aaO.

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  49. Ukrow , in: Grundrechtsschutz in Europa, 150.

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  50. Ibid, aaO.

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  51. Vgl die Vorbemerkungen der Herausgeber in Neuhold / Hummer / Schreuer , Handbuch des Völkerrechts I, 133f.

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  52. Völkerrecht und Staatsrecht schließen sich nicht mehr gegenseitig aus, sondern stehen im Verhältnis der Komplementarität zueinander, vgl Wahl , Verfassungsstaat, 91.

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  53. So auch für die auswärtige Gewalt, Biehler , Auswärtige Gewalt, 106f.

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  54. Vgl statt vieler jüngst Böcker , Wirksame Rechtsbehelfe, 23ff.

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  55. Alston / Weiler , EJIL 1998, 658 (=in: Alston, The EU and Human Rights, 12f); teils kritisch dazu von Bogdandy, JZ 2001, 161ff (=in: Duschanek/Griller, Grundrechte für Europa, 83ff).

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  56. ABl v 18. 12. 2000, C 364, 1; vgl Alber, EuGRZ 2001, 351.

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  57. Nach bestehender unionaler Rechtslage ist ein Beitritt der EU nicht möglich, siehe EuGH, Gutachten 2/94, Slg 1996, I-1759 und dazu Weiler / Fries , HJMWP 4/99, 15ff sowie Potacs, in: Österreich und das Recht der EU, 81ff. Vgl zudem aus der umfangreichen Literatur zB Winkler, Beitritt und Krüger/Polakiewicz, EuGRZ 2001, 92ff. Im Bereich der EMRK wurde in Art 17 des 14. Protokolls die Grundlage für einen Beitritt der Union geschaffen (noch nicht in Kraft getreten).

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  58. Siehe statt vieler Grabenwarter , VVDStRL 60, 330 mwN; EKMR, Entscheidung v 9. 2. 1990, M. & Co. gegen Deutschland, DR 64, 144; EGMR, Urteil v 18. 2. 1999, Waite und Kennedy gegen Deutschland, RJD 1999-I, 410, Z 67 (=EuGRZ 1999, 207ff=AJIL 1999, 933ff); Urteil v 7. 3. 2000, T.I. gegen Vereinigtes Königreich, RJD 2000-III, 457.

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  59. EGMR, Urteil v 18. 2. 1999, Matthews gegen Vereinigtes Königreich (Große Kammer), RJD 1999-I, 265f, Z 32f (Hervorhebung vom Gerichtshof) (=EuGRZ 1999, 201f); vgl zum Urteil zB Bröhmer, ZEuS 1999, 197ff; Ress, ZEuS 1999, 477ff; Cohen-Jonathan/Flauss, RTDE 1999, 637ff; Schermers, CMLR 1999, 673ff; Schäfer, Verletzungen, 25ff mwN.

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  60. Vgl EGMR, Entscheidung v 10. 3. 2004, Senator Lines GmbH gegen sämtliche 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Große Kammer), Nr. 56672/00, in welcher der Gerichtshof die Beschwerde einer deutschen Schifffahrtgesellschaft für unzulässig erklärte. Die DSR-Senator Lines GmbH hatte gegen ein Bußgeld der Europäischen Kommission in der Höhe von 13,75 Millionen Euro wegen wettbewerbswidriger Abreden beim EuG geklagt und brachte, in ihrer Beschwerde eine Verletzung von Art 6 EMRK durch eine Entscheidung des EuG sowie eine damit verbundene Anfechtungsentscheidung des EuGH vor, weil ihrem gegen die Verhängung der Geldstrafe eingebrachtem Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, obwohl die Vollstreckung der Geldbuße den Konkurs der Reederei zur Folge haben hätte können, noch bevor die Hauptsache durch ein Gericht entschieden worden wäre; infolge der durch die Aufhebung der Geldbuße durch EuG, Urteil v 30. 9. 2003, verb Rs T-191/98, T-212/98 bis T-214/98, Atlantic Container Line, Cho Yang Shipping Co Ltd, Senator Lines GmbH ua, weggefallenen Opfereigenschaft kam es zur Unzulässigkeitsentscheidung des EGMR, vgl dazu Schäfer, Verletzungen, 66ff. Auch in anderen Fällen ließ der Gerichtshof die Frage der Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für Unionsakte offen und erklärte die Beschwerden aus anderen Gründen für unzulässig, vgl zB EGMR, Entscheidung v 4. 7. 2000, Société Guérin Automobiles gegen sämtliche 15’ Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Nr. 51717/99; Entscheidung v 13. 1. 2005, Emesa Sugar N.V. gegen Niederlande, Nr. 62023/00.

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  61. Zur dogmatischen Begründung solcher Ansätze finden sich unterschiedliche Ansätze: Walter , AöR 2004, 62f, 68ff stellt auf eine Unterlassenskonstruktion ab und geht bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf eine neue Rechtsordnung von einer in Art 1 EMRK enthaltenen Schutzpflicht aus, allen der Hoheitsgewalt des Mitgliedstaats unterstellten Personen die Konventionsrechte (weiterhin) zu garantieren; aS Schäfer, Verletzungen, 199ff, der statt dessen auf eine mittelbare Verantwortlichkeit für Gemeinschaftsrechtsakte infolge der Öffnung des Souveränitätsbereichs als verantwortlichkeitsbegründenden Rechtsakt abstellt; ähnlich auch Winkler, Beitritt, 169ff.

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  62. EKMR, Entscheidung v 9. 2. 1990, M. & Co. gegen Deutschland, DR 64, 145; siehe dazu Schäfer, Verletzungen, 19ff; EGMR, Urteil v 30. 6. 2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm gegen Irland (Große Kammer), No. 45036/98, Rz 155, RJD 2005-VI (=ÖIMR-Newsletter 2005/4, 172ff); siehe dazu gleich unten bei 2.

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  63. Köngeter , Beitritt der EU zur EMRK, 245f.

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  64. Baumgartner , Grundrechtsschutz, 324; Winkler, Beitritt, 156ff; Frank, Verantwortlichkeit, 275ff. Der Fall ist dies etwa in der Regel bei der Umsetzung von EG-Richtlinien.

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  65. Winkler , Beitritt, 161ff; Schäfer, Verletzungen, 18ff.

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  66. EKMR, Entscheidung v 9. 2. 1990, M. & Co. gegen Deutschland. DR 64, 138ff. Die Beschwerde betraf die Erteilung einer deutschen Vollstreckungsklausel für einen von der EG-Kommission erlassenen kartellrechtlichen, Bußgeldbescheid. Eine solche Klausel ist gemäß Art 256 EGV zwingend zu erteilen, ohne dass die klauselerteilende nationale Behörde die Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Bußgeldbescheids überprüfen darf.

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  67. EGMR, Urteil v 30. 6. 2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm gegen Irland (Große Kammer), No. 45036/98, RJD 2005-VI. Dabei ging es um die Beschlagnahme einer Boeing 737–300, welche die in der Türkei registrierte Fluggesellschaft Bosphorus Airways von der staatlichen jugoslawischen Fluggesellschaft geleast hatte, durch die irischen Behörden auf Grundlage der EG-Verordnung 990/93, die in Umsetzung der Sicherheitsrats-Resolution 820 der Vereinten Nationen im Zuge der Sanktionen gegen Jugoslawien unter Kapitel VII der UN-Charter die Beschlagnahme unter anderem aller Flugzeuge anordnete, die sich im Mehrheitseigentum von jugoslawischen oder in Jugoslawien tätigen Personen oder Unternehmen befanden.

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  68. EGMR, Urteil v 30. 6. 2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm gegen Irland (Große Kammer), No. 45036/98, Rz 155f, RJD 2005-VI (Hervorhebung von mir); siehe dazu Skouris, ZSR 2005, 34ff; Schorkopf, GLJ 2005, 1255ff Szczekalla, GPR 2005, 176ff; Heer-Reißmann, NJW 2006, 192ff; Lavranos, EuR 2006, 81ff; Winkler, EuGRZ 2007, 641ff.

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  69. EGMR, Urteil v 30. 6. 2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm gegen Irland (Große Kammer), No. 45036/98, Rz 156, RJD 2005-VI.

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  70. Die Rechtsprechung des EGMR zur Prüfungskompetenz von Gemeinschaftsrecht bzw gemeinschaftsrechtlich determiniertem Vollzugshandeln lehnt sich somit an der Solange II-Entscheidung des BVerG (BVerGE 73, 339) und dem Verhältnis zwischen BVerG und EuGH an vgl Griller ÖJT 1994, 74.

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  71. EGMR, Urteil v 30. 6. 2005, Bosphorus Hava Yollari Turizm gegen Irland (Große Kammer), No. 45036/98, Rz 159ff, RJD 2005-VI.

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  72. Siehe etwa Grabenwarter, EMRK, § 24, Rz 48ff.

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  73. Vgl dazu zB Holoubek, JB1 1992, 137ff sowie Bernegger, Art 13 EMRK, in: Grund-und Menschenrechte in Österreich II, 733ff.

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  74. Das Fehlen einer mit Art 230 Abs 4 EGV vergleichbaren Klagemöglichkeit natürlicher und juristischer Personen im Bereich der PJZS scheint dem insofern nicht entgegen zu stehen, als die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer solchen Klage ohnehin äußerst restriktiv sind, siehe dazu etwa Obwexer ecolex 2002, 854ff.

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  75. Cremer , Art 301 EGV, Rz 2.

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  76. Nach der bisherigen Praxis beschloss der Rat bisher nur Verordnungen und zwar stets auf Grundlage eines Gemeinsamen Standpunktes im Rahmen der GASP, vgl dazu und zu bisherigen Anwendungsfällen Cremer Art 301 EGV, Rz 3ff; zur Problematik, dass durch Beschlüsse nach Titel V EUV das Gemeinschaftshandeln vorweggenommen bzw präjudiziert wird siehe Burghardt/Tebbe/Marquardt, Artikel 15, EU, Rz 5.

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Thallinger, G. (2008). Der räumliche Anwendungsbereich der Grundrechte der Europäischen Union. In: Grundrechte und extraterritoriale Hoheitsakte. Europainstitut Wirtschaftsuniversität Wien Schriftenreihe / Europainstitut Wirtschaftsuniversität Wien Publication Series, vol 29. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-211-70871-2_5

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