figure a

Am 26.09.2020 verstarb Herr Prof. Dr. Wilfried Hammer in Braunschweig im Alter von 93 Jahren.

Prof. Dr. W. Hammer wurde am 23.07.1927 in Halle als Lehrersohn geboren. In hohem Maße wurde seine Kindheit schon in früher Zeit durch seine Aufenthalte auf den Höfen seiner Großeltern und deren Geschwister im Umkreis von Freyburg an der Unstrut geprägt.

Schon kurz nach Kriegsende konnte er mit einer zweijährigen landwirtschaftlichen Lehre beginnen. Handarbeit prägte damals den Tagesablauf, Gespanne bestimmten die Arbeitserledigung. Es waren wohl diese Tätigkeiten welche seinen späteren Lebensweg in hohem Maße beeinflusst haben. An diese praktischen Erfahrungen schloss sich das Landwirtschaftsstudium in einem ersten Studienjahr an der Universität in Halle an, gefolgt vom weiteren Studium und dem Diplom-Abschluss an der Landwirtschaftlichen Universität in Hohenheim.

Sein erlerntes Wissen konnte er nahezu nahtlos danach in seinen wissenschaftlichen Tätigkeiten am Max-Planck-Institut für Landarbeit und Landtechnik in Bad Kreuznach umsetzen. Geprägt von einem zusätzlichen einjährigen Studium an der University of Illinois (USA) und seinem Hang zur mathematischen Durchdringung und Beschreibung landwirtschaftlicher Arbeiten wurde die landwirtschaftliche Arbeitswissenschaft zu seinem Arbeitsgebiet. Sie führten 1955 zur Promotion an der Universität Hohenheim mit dem Titel: Arbeitsbedarf in der Rinderhaltung: ein Beitrag zur arbeitstechnischen Bewertung verschiedener Formen der Rindviehstallhaltung.

Darauf aufbauend entwarf, plante und realisierte er einen ersten Milchvieh-Laufstall mit Melkstand, eingestreuten Liegeflächen und Flüssigentmistung auf den Laufflächen. Basis dafür waren seine Erfahrungen und Überlegungen für eine arbeitssparende und arbeitserleichternde Arbeitserledigung in Verbindung mit mehr Freiheit für die Milchkühe. Ein weiterer Studienaufenthalt in den USA, gezielte Auslandsreisen nach Skandinavien, Großbritannien und Belgien führten zum Bau eines völlig neuen Versuchshofes für die Schweinehaltung. Und auch dabei standen wieder der arbeitende Mensch und das Tierwohl im Blickfeld der Überlegungen.

Zielgerichtet dienten diese Tierhaltungsverfahren aber Dr. Hammer für umfassende arbeitswissenschaftliche Untersuchungen und Analysen. Die Erfassung der erforderlichen Arbeitszeit mit Hilfe der Stoppuhr und der physischen Arbeitsbelastung über Messungen der Puls- und Atemfrequenz, der Körpertemperatur und ausgewählter Muskelaktivitäten wurden zu seinem Arbeitsfeld. Exakt definierte Arbeitsversuche zielten auf die Ableitung und Erstellung von allgemein anwendbaren Standards. Mathematisch erstanden daraus erste statistisch abgesicherte Arbeitszeit-Bedarfsfunktionen für Arbeitselemente and darauf aufbauend vielfältig anwendbare Arbeitszeitmodelle. Anfangs noch manuell abgeleitet erkannte Dr. Hammer schon sehr frühzeitig die neuen Möglichkeiten der EDV-Nutzung. Mit Lochkarten und zielgerichteten mathematisch-statistisch erstellten Programmen wurde für ihn der Großrechner zum unverzichtbaren Hilfsmittel. All dies führte 1975 zu seiner Habilitation an der Universität in Gießen mit dem Thema: Arbeitszeit- und Beanspruchungsfunktionen: Grundlagen für landwirtschaftliche Planungsdaten.

Nach nahezu 25-jähriger Tätigkeit wechselte Prof. Hammer nach der Schließung des Max-Plank-Instituts in Bad Kreuznach an die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) in Braunschweig. Bedingt durch die allgemeine Mechanisierung der Landwirtschaft erkannte er in gewohnt analytischer Weise die daraus entstehenden neuen Herausforderungen an den arbeitenden Menschen durch die zunehmende mentale Arbeitsbelastung und vor allem durch Mängel in der Arbeitssicherheit. Beide Bereiche wurden zu seinen neuen Arbeitsgebieten. Dazu ermöglichte der Traktorkabinen-Prüfstand völlig neue Möglichkeiten der Untersuchungen bei exakt definierten Belastungsszenarien. Hinzu kamen umfassende Analysen der Ursache-Wirkungszusammenhänge von Unfalldaten der Berufsgenossenschaften. Befragungen über Beinahe-Unfälle führten zu Aussagen über Fehlverhalten und ergonomische Versuche zu menschgerecht gestalteten Arbeitsplätzen.

Parallel zu all diesen Aktivitäten lag Prof. Hammer immer der Kontakt zu Kollegen und zu den jungen Wissenschaftlern seiner Arbeitsgebiete am Herzen. Unvergessen sind die von ihm initiierten Arbeitswissenschaftlichen Symposien in den 70er-Jahren, bei welchen Doktoranden ihre Arbeiten vorstellten und deren Methoden und statistischen Auswertungen intensiv diskutiert wurden. Dies setzte sich fort mit der Übernahme des Lehrauftrages „Landwirtschaftliche Arbeitswissenschaft“ an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Gießen. Damit konnte er im hochschulfreien Raum den Umgang mit Studenten und jungen Wissenschaftlern fortsetzen und viele inspirierende eigene Gedanken und Fragestellungen ableiten.

Darüber hinaus gehend engagierte er sich unermüdlich in der internationalen Zusammenarbeit. Von 1969–1974 war Dr. Hammer Präsident der CIGR-Section V und organisierte deren Konferenzen. Auch danach und vor allem in seinem Ruhestand pflegte er diese weiter und schuf mit dem „Wörterbuch der Arbeitswissenschaft“ ein unverzichtbares Standardwerk. Über 1600 Begriffe aus allen Gebieten der Arbeitswissenschaft sowie der ergonomischen Arbeitsgestaltung und der Betriebsorganisation sind darin definiert. Zusätzlich – und das ist besonders hervor zu heben – erfolgte deren Übersetzung in die englische, französische, russische und spanische Sprache.

Zurückblickend bleibt die Arbeit von Prof. Hammer in mehr als 200 wissenschaftlichen Publikationen erhalten. Daneben wird er nach einem erfüllten Leben neben seinen vielen Kollegen im In- und Ausland vor allem den jungen Teilnehmern der von ihm veranstalteten und geleitenden Sitzungen im Gedächtnis bleiben. Seine liebenswürdige und aufmerksame Art erleichterte jeder und jedem den Einstieg in die wissenschaftliche Welt der Arbeitswissenschaften und darüber hinaus. Selbst bei sehr lebendigen Debatten mit zum Teil recht unterschiedlichen Meinungen gelang es ihm immer, die Ruhe und den gegenseitigen Respekt zu bewahren. Dabei half ihm sein scharfes analytisches Denken und seine konstruktive und wohlwollende Grundhaltung. Diese Kompetenz verschaffte ihm viel Respekt und Anerkennung in der Fachwelt. Seine hochanständige, dem Mitmenschen zugewandte Wesensart und seine Bescheidenheit brachten ihm Freunde für immer.

Wir behalten unseren lieben und geschätzten Kollegen Hammer in ehrender Erinnerung und sind mit unserem Mitgefühl bei der Familie.