Die biomechanische Forschung versteht sich als interdisziplinäre Wissenschaft und befasst sich mit dem Bewegungsapparat bzw. Bewegungen in biologischen Systemen. Sie hat eine sehr lange Tradition: Bereits in der Antike beschäftigte sich beispielsweise Aristoteles mit diesem Thema und veröffentlichte einen Aufsatz zur Bewegung der Tiere („De motu animalium“). Später beschäftigten sich Wissenschaftler wie Leonardo da Vinci und Andreas Vesalius mit dieser Thematik.

Auch in der modernen Medizin nimmt die biomechanische Forschung einen wichtigen Stellenwert ein, so z. B. bei der Entwicklung von Implantaten, Orthesen oder Prothesen.

In der Zahnmedizin wird biomechanische Forschung leider häufig fälschlich ausschließlich mit Aspekten der Werkstoffkunde assoziiert. Wenngleich die biomechanisch-werkstoffkundliche Forschung einen wichtigen Stellenwert in der zahnmedizinischen Forschung einnimmt, können andere zahnmedizinisch relevante Fragen ebenfalls nur durch biomechanische Untersuchungen beantwortet werden: Müssen Zähne Höcker haben, um effektiv kauen zu können? Wie bewegt sich der Unterkiefer beim Kauen? Welche Auswirkung hat Bruxismus auf das stomatognathe System? Welche Belastung erfährt das Kiefergelenk beim Kauen? Auf welche Zähne können wir verzichten, ohne dass merkliche Einbußen in der Kaueffizienz zu erwarten sind?

Müssen Zähne Höcker haben, um effektiv kauen zu können?

Wenn wir als Zahnärzte also die Funktion des Kausystems verstehen wollen – was für die Ausübung einer adäquaten und zeitgerechten Zahnheilkunde notwendig ist – so müssen wir uns nicht nur mit neuen Materialien und deren Anwendungen befassen, sondern insbesondere mit biomechanischen Aspekten des gesamten Kausystems. Die hierfür notwendigen Forschungsstrategien umfassen bildgebende, elektromyographische, physikalische, aber auch numerische Ansätze. Dies unterstreicht, dass eine zielgerichtete Forschung auf diesem Gebiet nur durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit (Ärzte, Biologen, Ingenieure, Physiker usw.) möglich ist.

In der vorliegenden Ausgabe von wissen kompakt wollen wir Ihnen 4 Teilaspekte der biomechanischen Forschung etwas genauer vorstellen: Kieferorthopädie, Implantologie, Axiographie und die okklusale Gestaltung von Zähnen. Wir hoffen, dass Ihnen dieser Einblick in die Welt der Biomechanik helfen kann, die komplexen mechanischen Zusammenhänge im stomatognathen System besser zu verstehen, und Ihr Interesse weckt, sich mit dieser spannenden Thematik weiter zu befassen.

Mit kollegialen Grüßen,

Ihr

Marc Schmitter